Furchtlose Juristen. Richter und Staatsanwälte gegen das NS-Unrecht, hg. v. Maas, Heiko. Beck, München 2017. 333 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Was die Justizjuristen des „Dritten Reiches“ Friedrich Bräuninger (portraitiert von Michael Kißener), Hans von Dohnanyi (Winfried Meyer), Wilhelm Ehret (Michael Kißener), Martin Gauger (Holger Schlüter), Heinrich Heldmann (Arthur von Gruenewaldt), Paulus van Husen (Karl-Joseph Hummel), Lothar Kreyßig (Gerhard Fieberg), Otto Lenz (Günter Buchstab), Karl Mosler (Manfred Schmitz-Berg), Karl Reichling (Dirk Frenking), Johann David Sauerländer (Hannes Ludyga), Karl Steinmetz (Georg D. Falk), Ernst Strassmann (Horst Sassin), Alfred Weiler (Angela Borgstedt), Karl Wintersberger (Ingo Müller), Josef Hartinger (Ingo Müller) und Paul Zürcher (Angela Borgstedt) miteinander verbindet, ist, dass ihr Name jeweils beispielhaft steht für jene Minderheit an Amtsträgern, die auf ihre je spezifische Art und Weise auch im Angesicht zu erwartender beruflicher und persönlicher Nachteile nicht bereit waren, rechtsstaatliche Positionen preiszugeben. Mit ihrem mutigen Eintreten für das Recht seien sie „Vorbilder für heutige Juristinnen und Juristen“ (S. 13), so der Herausgeber des Sammelbandes und amtierende Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, der sich mit seinem eigenen persönlichen Engagement gegen den Rechtsextremismus wohl in dieser Tradition sieht und für eine angemessene Würdigung jener allzu wenigen konsequenten Verteidiger des Rechtsstaats eintritt. Die Skizzen der 17 nonkonformistischen Persönlichkeiten sind von insgesamt 14 mehr oder weniger prominenten Verfassern entworfen worden, wobei sich die Zahl der Historiker und der Juristen (Hochschullehrer, Spitzenbeamte des Justizressorts, Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte), über deren Daten das abschließende Autorenverzeichnis genauere Auskunft erteilt, in etwa die Waage hält.

 

Die „Furchtlose(n) Juristen“ wollen im bewussten Kontrast stehen zu Ingo Müllers „Furchtbare(n) Juristen“, die, 1987 erschienen, eine Initialzündung setzten, die lange gepflegte Legende vom unpolitischen Fachmann, der durch sein Wirken gar die nationalsozialistische Diktatur einhegte, zugunsten des Bildes vom kollaborationswilligen bis verbrecherischen (Mit-)Täter nachhaltig zu dekonstruieren. In seiner erhellenden Einführung zum aktuellen Band stellt Johannes Tuchel unmissverständlich fest, in welchem Umfeld jene wohl nur verschwindend geringe Zahl unangepasster bis widerständiger  Justizjuristen, die sich dem traditionellen Rechtsdenken weiterhin verpflichtet fühlte, zu operieren hatte: „Wer sich gegen die nationalsozialistische Herrschaft stellte, tat dies gegen die überwältigende Mehrheit der deutschen Gesellschaft. […] Meine These ist die, dass ein hohes Maß an Berufszufriedenheit neben weltanschaulichen Überzeugungen die Konformität des Rechtsstabes im Nationalsozialismus erklären dürfte. Als Kriterien für diese Berufszufriedenheit werden ausreichende Besoldung, keine hohe Arbeitsbelastung, angemessenes soziales Ansehen und die Karrierechancen benannt. Das sind Faktoren, die bei den meisten Analysen bisher übersehen wurden“ (S. 20ff.).

 

Für Juristen, deren Gewissen diese Anpassung nicht zuließ, blieben in der Praxis nur wenige Möglichkeiten der Verweigerung. Eine bestand darin, nach der juristischen Ausbildung den Justizdienst erst gar nicht anzutreten, sich stattdessen in anderen ausbildungsadäquaten Berufsfeldern umzutun und damit den Eid auf Hitler zu vermeiden. Deutlich härter mag es dann für schon im Justizdienst Etablierte gewesen sein, diesen zu verlassen. Eine dritte Option, „Widerstand in der Amtsführung“ durch Ausreizen der richterlichen Handlungsspielräume zugunsten Verfolgter, bedürfe der genauen Prüfung; allzu oft seien derartige Fälle, die bisweilen nachweislich diverse Streitereien mit Polizeidienststellen und Parteidienststellen nach sich zogen, „nach 1945 zur Entschuldigung eigenen Fehlverhaltens in der NS-Zeit bemüht worden“ und in Wahrheit oft als „systemimmanente Auseinandersetzungen um Rang, Ansehen, Macht und Einfluss, die im Dienste des Systems, nicht gegen das System ausgefochten wurden“, zu werten (S. 33). Und doch machte es für einen Beschuldigten einen elementaren Unterschied, mit welchem Richter und Staatsanwalt er vor Gericht konfrontiert war, vermochten doch, wie der Band belegt, zunächst in der NS-Justiz weiter tätige Juristen in ihrer Bindung an die traditionelle Rechtsordnung Verfolgten des Regimes zu helfen: Indem sie sich, wie Friedrich Bräuninger, Karl Steinmetz oder Alfred Weiler, in ihrer Rechtsprechung konsequent der Diskriminierung als jüdisch eingestufter Menschen verweigerten, wie Lothar Kreyßig im Justizministerium Protest gegen die sogenannte „Euthanasie“ einlegten oder, wie die Staatsanwälte Karl Wintersberger und Josef Hartinger, sich – wenn auch letztlich vergeblich – um die rechtsstaatliche Kontrolle der Gewaltexzesse in den Konzentrationslagern bemühten. Ihre Mordermittlungen in Dachau zählen zu den spektakulärsten und prominentesten Vorgängen in diesem Zusammenhang, und auf der Basis der zufällig dem Untergang entgangenen Aktenüberlieferung des erhobenen Sachverhalts konnten nach Kriegsende noch einige Täter erfolgreich strafrechtlich belangt werden. Aktive Verwicklung in den organisierten Widerstand, wie sie der langjährig in Schlüsselstellungen des Justizsystems tätige Hans von Dohnanyi und der Assessor, Eidesverweigerer und Kriegsgegner Martin Gauger pflegten und dann mit ihrem Leben bezahlten, während mit Paulus van Husen und Ernst Strassmann zwei weitere Involvierte ihre Haft überlebten, war unter den Justizjuristen wie auch sonst der klare Ausnahmefall.

 

Die Standhaftigkeit, mit der die portraitierten 17 Juristen ihre nonkonformistische Haltung zu vertreten bereit waren, beruht zu einem erheblichen Teil auf den Wertesystemen, denen sie sich weiterhin verbunden fühlten und die sie die Demontage der Rechtsordnung durch den Nationalsozialismus nicht widerspruchslos hinnehmen ließen. Sie fußten auf gefestigten christlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Überzeugungen, denen sie – und das zeichnet ihre Haltung besonders aus –  unbedingten Vorrang vor dem sonst üblichen Pragmatismus einzuräumen bereit waren. Mit Gegenwind bis hin zur freiwilligen oder erzwungenen Aufgabe des Arbeitsplatzes und den damit verbundenen, nicht unbedeutenden materiellen Nachteilen und Unsicherheiten mussten die Verweigerer realistisch rechnen, eine darüber hinausgehende existentielle Bedrohung hatten sie – ausgenommen jene, die aktiv im Widerstand tätig wurden – in aller Regel nicht zu gewärtigen. Wo unmittelbare Vorgesetzte das Verhalten ihrer unangepassten Untergebenen deckten und Angriffe abfederten, lagen die Verhältnisse für die Betroffenen naturgemäß entsprechend günstiger.

 

Bernhard Schlink hat einmal zum Ausdruck gebracht, dass der Jurist unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Herrschaft „auf seinem verlorenen Posten mit mehr oder weniger Anstand stehen (konnte). Auch der größte Anstand änderte nichts daran, dass der Posten verloren war“. Ergänzend zur „redliche(n) juristische(n) Arbeit innerhalb der Institutionen“ habe es daher „des politischen Einsatzes“ bedurft. Die Beispiele des vorliegenden Bandes vermitteln eine Ahnung davon, wieviel Anstand bei gutem Willen auf dem „verlorenen Posten“ möglich und wann er nicht mehr zu halten war. Dass bereits die Zeitgenossen die Art und Weise des juristischen Agierens genau beobachtet und immer auch als politische Stellungnahme gedeutet haben, ist evident.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic