Felz, Sebastian, Recht zwischen Wissenschaft und Politik – die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät Münster 1902-1952 (= Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster 10). Aschendorff, Münster 2016. 538 S. Besprochen von Werner Schubert. ZIER 7 (2017) 62. IT

 

Die Universitätsgeschichtsschreibung hat sich in den letzten 20 Jahren zu einem „von einer bloß durch Jubiläen veranlassten Kompilation biografischer Skizzen ‚großer Professoren‘ und einer chronikhaften Beschreibung von Lehrstuhlinhaberabfolgen zu einem methodisch intensivierten und thematisch aufgefächerten Sektor der Geschichtswissenschaften in Form einer Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte entwickelt“ (S. 11). Die vorliegende Dissertation des Juristen und Historikers Sebastian Felz ist im „Kontext der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Universität Münster“ (unter der Leitung des Historikers Hans-Ulrich Thamer an der philosophischen Fakultät unter Mitbetreuung durch den Rechtshistoriker Reiner Schulze) entstanden. Anlass für die Dissertation war die Frage, „inwieweit die münsterschen Professoren, einschließlich der nach dem Zweiten Weltkrieg Berufenen, in die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes ‚verstrickt‘ waren“ (S. 13), wobei der zeitliche Rahmen über die NS-Zeit „hinaus gestreckt werden sollte“ (S. 34). Den zeitlichen Rahmen der Untersuchungen von Felz bildet die Zeit von 1902 bis 1952, als mit den Berufungen von Rolf Dietz und Hans-Ulrich Scupin „die Entnazifizierung und der Wiederaufbau nach dem Ende des 2. Weltkriegs abgeschlossen“ war. Von der aufgezeigten Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung unterscheidet sich die umfangreiche soziologisch orientierte Dissertation Lieselotte Stevelings, Juristen in Münster. Ein Beitrag zur Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster/Westf. (1999; leider ohne ein Personenregister), die sich im Wesentlichen auf personengeschichtliche und organisatorische Aspekte der Fachentwicklung beschränkt (Steveling, S. 9; Felz, S. 12).

 

Im ersten Abschnitt über die Fakultätsentwicklung (S. 11-218) geht es zunächst um die Neugründung der Universität Münster „als Mittel“ zur Integration der Katholiken in die mehrheitlich protestantische Gesellschaft des Kaiserreichs“ sowie als Ausdruck „verstärkter Anstrengungen der preußischen Bildungspolitik und deren regionaler Diversifizierung“ (S. 413) im Jahre 1902. Gründungsdekan war Leo von Savigny, ein Enkel Friedrich Carl von Savignys. Die Zusammensetzung der jeweiligen Professorenschaft ergibt sich aus den Übersichten I (S. 34; 1902-1919), II (S. 42; 1919-1933), III (S. 55; 1933-1945) und IV (S. 131; 1945-1952). Wichtige Professoren der Fakultät waren u. a. Hubert Naendrup (1902-1941; gest. 1947), der bereits 1932 in die NSDAP eingetreten und von 1933-1935 Rektor der Universität Münster war, und der aus Wien kommende Öffentlichrechtler Karl Gottfried Hugelmann (1935-1947; gest. 1959), der von 1935-1937 Rektor der Universität war, sowie die für den Neubeginn ab November 1945 wichtigen Dekane Hans Schumann und Max Kaser (seit dem Wintersemester 1933/1934 in Münster, 1959 Weggang nach Hamburg). Herausragende Hochschullehrer nach dem Krieg, die bis 1952 ein Ordinariat erhielten, waren Karl Peters, Friedrich Klein, Hans Julius Wolff, Harry Westermann und Rolf Dietz (von 1950-1956 in Münster). Über diese und weitere Professoren finden sich auch Einzelbiografien bei Thomas Hoeren (Hrsg.), Münsteraner Juraprofessoren (Münster 2014, 2. Aufl. 2015). Hingewiesen sei noch auf Walter Erman, dem wegen seiner „jüdisch-russischen Abstammung“ 1933 die Habilitation versagt wurde (S. 46). Ferner seien noch erwähnt Heinrich Drost (1935 Ordinarius in Münster), der 1937 wegen seiner früheren Logenzugehörigkeit beurlaubt und 1938 auf eigenen Antrag emeritiert wurde, und Arthur Wegner (1926 in Breslau, 1934 nach Halle versetzt, 1937 wegen seiner jüdischen Ehefrau in den Ruhestand versetzt), der nach seiner Emigration nach England und seiner Rückkehr nach Deutschland 1946 ein Ordinariat in Münster erhielt. 1949 emigrierte Drost nach Einleitung eines Dienststrafverfahrens in die Deutsche Demokratische Republik nach Halle, wo er 1963 ein persönliches Ordinariat erhielt (gest. 1989 in Halle).

 

Der Abschnitt über die „Politikfelder“ der Professoren beginnt mit einem Abschnitt über Leo von Savigny, der als Nationalkatholik sich in Schriften gegen das Zentrum wandte (S. 219 ff.). Naendrup und seine Schüler beschäftigten sich mit dem Kolonialrecht (S. 226ff.). Aufrufe zu Beginn des ersten Weltkriegs unterzeichneten u. a. die Juristen Ebers, Erman, His, Jacobi, Krückmann, Lukas und Rosenfeld. An den Kriegsvorträgen beteiligten sich Rosenfeld und Ebers; letzterer unterstützte 1918 die Friedensnote von Papst Benedikt XV. (S. 246). Die Siegesziele des Sprachwissenschaftlers Otto Hoffmann unterstützten Krückmann und Rosenfeld (S. 250ff.). Für eine Stärkung des Erbbaurechts, für eine Hypothekenreform sowie für (Kriegs-)Heimstätten setzte sich schon seit 1906 in Schriften und Gutachten Erman ein (S. 259ff.), der ein führendes Mitglied des Bundes deutscher Bodenreformer und ständiges Mitglied des Beirats für Heimstättenwesen war. Die „Richtlinien zur Neuordnung des deutschen Bodenrechts“ Damaschkes und Ermans von 1934 blieben unter dem Nationalsozialismus unbeachtet (S. 277ff.). In den ersten Jahren der Weimarer Republik engagierten sich für die „äußerste Rechte“ Rosenfeld, Krückmann und insbesondere Hubert Naendrup (S. 280ff.), der sich 1926 zunächst aus der Politik zurückzog (S. 299). Friedrich Grimm (1921 Habilitation in Münster, 1928 apl. Prof., 1938 Honorarprof.) war u. a. Strafverteidiger in der „Femesache“ Reim (ab September 1928; S. 305ff.); er veröffentlichte zahlreiche Schriften zu Problemen der Reparationen. Nach 1933 galt er als „nationalsozialistischer Kronjurist“ (S. 383). Der Staats- und Völkerrechtler Josef Lukas trat bereits 1921 positiv für die Idee des Völkerbundes ein (S. 318ff.). Der dem öffentlichen Recht zuzurechnende Hochschullehrer Ottmar Bühler war ein scharfer Kritiker der Weimarer Verfassung; ab 1926 befasste er sich mit der Behördenorganisation des Ruhrgebiets als Beitrag zur Reichsreformdebatte (S. 335ff.). Im Übrigen war Bühler einer der bedeutendsten Steuerrechtler seiner Zeit (vgl. hierzu Birk, in: Th. Hoeren, aaO., S. 130ff.). Der Strafrechtler Andreas Thomsen trat bereits 1905 für eine Weiterentwicklung der Strafrechtswissenschaft zu einer „Verbrecherbekämpfungswissenschaft“ ein (S. 347ff.) und befürwortete 1925 eine „Dezimierung von ‚Verbrechervölkern‘ und die ‚Heranzüchtung von Edelvölkern‘“ (S. 347). Schon in der Weimarer Zeit engagierte er sich im Reichsbund der Kinderreichen (S. 351ff.) und als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats dieses Bundes; zugleich war er Vorsitzender des Provinzialverbandes der Kinderreichen Westfalens. Der Strafrechtler Ernst Heinrich Rosenfeld beschäftigte sich bereits in der späten Kaiserzeit mit Fragen der „Verbrechensbekämpfung und Rassenhygiene“ (S. 356ff.). 1931 forderte er kriminalbiologische Gutachten im Strafverfahren (S. 362ff.) und befürwortete 1933 die Möglichkeit einer Sterilisation. Zu den Politikfeldern der Fakultät im „Dritten Reich“ gehörte der Beitrag Wilhelm Sauers, der sich in seinen strafrechtlichen Arbeiten mit dem „Kriminalitätserreger“ beschäftigte (S. 368); dessen rechtsphilosophische Werke waren allerdings auch unter dem Nationalsozialismus nicht unumstritten (vgl. Steveling, S. 338). Werner Mansfeld und Heinz Rohde (beide habilitierten sich an der Münsteraner Juristenfakultät vor 1933) beschftigten sich mit der Arbeitsverfassung unter dem Nationalsozialismus. Zu erwähnen sind schließlich Hugelmanns Beiträge im Nationalitätenrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht (S. 399ff.). Für die Nachkriegszeit werden keine Politikfelder untersucht. Jedoch weist Felz im ersten Teil seiner Untersuchungen darauf hin, das Wegner 1947 eine Rückbesinnung auf das christliche Naturrecht forderte und die Fakultät einstimmig dem christlichen Denker Reinhold Schneider die Ehrendoktorwürde verlieh.

Das Werk wird abgeschlossen mit einem „Fazit“ (S. 413-417), einem Quellen- und Literaturverzeichnis, Biogrammen aller ordentlichen und außerordentlichen juristischen Professoren der Fakultät sowie mit einem Personenregister. Vermisst werden Ausführungen zum Verhältnis der staatswissenschaftlichen zur rechtswissenschaftlichen Abteilung der Fakultät (vgl. Steveling, S. 233). Das Werk von Felz stellt eine methodische Alternative zu den bisherigen Darstellungen über die Geschichte juristischer Fakultäten dar, indem er die parteipolitischen und rechtspolitischen Aktivitäten der Münsteraner Juristen in einem umfangreichen Abschnitt darstellt. Allerdings hat dies zur Folge, dass der Leser sich oft erst unter Zuhilfenahme des Personenregisters ein Gesamtbild über die einzelnen Hochschullehrer verschaffen kann. Aus diesem Grunde wäre es vielleicht hilfreich gewesen, wenn die Biogramme, die im Übrigen hätten etwas übersichtlicher gestaltet werden können, noch eine knappe Würdigung der einzelnen Professoren gebracht hätten. Mit dem Werk von Felz liegt insgesamt eine interessant zu lesende Geschichte der Münsteraner juristischen Sektion der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät vor, das für die Darstellung der Geschichte von Juristenfakultäten beachtenswerte methodologische Überlegungen enthält.

 

Kiel

Werner Schubert