Durrer, Antonia, Die Kreuzfahrerherrschaften des 12. und 13. Jahrhunderts zwischen Integration und Segregation. Zeitgenössische und moderne Stimmen im Vergleich (= Mittelalter-Forschungen 51). Thorbecke, Ostfildern 2016. IX, 407 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Seit Beginn seiner Geschichte verfolgt der Mensch eigene Interessen, die in der Regel zugleich auch gegen die Interessen anderer Mitmenschen gerichtet sind. Deswegen sind wohl überall auf der Erde zahllose zwischenmenschliche Konflikte entstanden, in denen eigene Interessen mit den unterschiedlichsten Begründungen gegenüber anderen verfolgt wurden. Auch wenn die verschiedenen Religionen ihre Ziele bestmöglich zu rechtfertigen versuchen, sind auch sie in den meisten Fällen für vielfaches menschliches Leid ursächlich geworden.

 

Einen Teilaspekt dieser Problematik behandelt die Verfasserin  in ihrer von Rainer C. Schwinges angeregten und geförderten, in dem März 2013 an der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern erfolgreich verteidigten, von dem schweizerischen Nationalfonds in dem Rahmen des Forschungsprojekts über die Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft geförderten, dicht gesetzten Dissertation. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über Forschungsgegenstand und Aufbau der Arbeit, Methodik und Vorgehensweise sowie Forschungsstand in vier Sachabschnitte. Diese betreffen Religionen und Konfessionen in den Kreuzfahrerherrschaften (Christen, Islam, Juden und Samaritaner), die multireligiösen Kreuzfahrerherrschaften in der Pilgerliteratur, die multireligiösen Kreuzfahrerherrschaften in den Geschichtswerken und die multireligiösen Kreuzfahrerherrschaften in dem Wissenschaftsdiskurs zwischen dem älteren Integrationsmodell und dem jüngeren Segregationsmodell sowie der jüngsten Suche nach Alternativen, in deren Rahmen die Verfasserin drei Thesen vertritt.

 

Danach war die religiöse Differenz in den zeitgenössischen Schriftquellen vorhanden und diente den Verfassern zur Rechtfertigung von Herrschaftsansprüchen. Zuschreibungen und Begrifflichkeiten für das jeweilige Gegenüber wurden dabei von nachfolgenden Verfassern übernommen, wobei Gattungskonventionen das Gegenüber in sehr eng gefasste Rollen zwangen. Auf diesen einleuchtenden Grundlagen bemüht sich die Verfasserin um vermehrten Erkenntnisgewinn durch verstärkte Berücksichtigung nichtschriftlicher Quellen aus Kunstgeschichte, Archäologie und Religionswissenschaft sowie Literaturwissenschaft, Rechtswissenschaft, Philologie, Ethnologie und Soziologie, weil die Widersprüchlichkeit und Enggefasstheit der schriftlichen Quellen keine eindeutigen Antworten hinsichtlich des Zusammenlebens der Bevölkerungsgruppen zulassen, so dass nach der ansprechenden Ansicht der Verfasserin das Forschungsgebiet der religiösen Differenz in den Kreuzfahrerherrschaften wohl auch in Zukunft nicht so schnell erschöpft werden wird.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler