Badinter, Élisabeth, Maria Theresia. Die Macht der Frau, aus dem Französischen von Brühmann, Horst/Willim, Petra. Zsolnay, Wien 2017. 301 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Dass die am 13. Mai 1717 geborene, von 1740 bis 1780 regierende Maria Theresia, Stammmutter der Dynastie Habsburg-Lothringen, noch 300 Jahre später allgemein als „Kaiserin Maria Theresia“ zu den bekanntesten und populärsten Herrschergestalten des alten Österreich zählt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Sie selbst hat diesen Titel, der ihr ab 1745 als Gemahlin des Römisch-deutschen Kaisers Franz I. zukam, aber mit keinerlei realen Macht verbunden war, nämlich nur wenig geschätzt. Konsequent hatte sie sich dem Wunsch ihres Ehemannes, sich an seiner Seite in Frankfurt krönen zu lassen, verweigert und war nur zu bewegen gewesen, der Zeremonie als Zuschauerin beizuwohnen. Denn sie war sich der Tatsache wohl bewusst, dass sie als „Königin von Ungarn und Böhmen“ tatsächliche absolute Herrschaftsgewalt verkörperte, und folgerichtig zog sie diesen Titel vor, „den sie nur sich selbst verdankte“ (S. 169).

 

Diese Episode lässt das besondere Gespür erkennen, das diese Frau in Fragen der Ausübung herrschaftlicher Macht entwickelte und das sie in die Lage versetzte, ihre Mitregenten – bis 1765 ihr Gatte Franz Stephan, danach ihr Sohn, Kaiser Joseph II. – in den Schatten zu stellen und faktisch zu Statisten zu degradieren. Dass sie überdies zwischen 1737 und 1756 insgesamt 16 Kinder zur Welt brachte, erscheint zunächst erstaunlich und schwer mit der politischen Karriere in Einklang zu bringen. Genau hier hakt jedoch die Verfasserin, die französische Philosophin, Historikerin und Feministin Élisabeth Badinter, ein. Für sie ist Maria Theresia gerade deshalb „innerhalb ihres Jahrhunderts unvergleichlich und zugleich ein kostbarer Meilenstein in der Geschichte der Frauen“. Was wie ein Widerspruch wirke, sei tatsächlich ihre besondere Stärke gewesen: „Als Gattin und Mutter hat sie musterhaft Weiblichkeit, Mütterlichkeit und Hoheitsgewalt in sich vereint. Der natürliche Körper war keineswegs ein Hindernis, sondern erwies sich als wichtigster Trumpf, um ihre Macht zu festigen“ (S. 14). Diese Feststellungen nehmen Bezug auf die von Juristen des Elisabethanischen Zeitalters entworfene und vom Mediävisten Ernst Kantorowicz analysierte Konstruktion der „beiden Körper des Königs“. Neben dem sterblichen natürlichen Körper existiere ein symbolischer, politischer Körper, der die Herrschaft repräsentiere und beim Tod des Königs auf den Nachfolger übergehe. Lange habe gegolten, dass nur ein Mann den politischen Körper inkarniere; die Königin hingegen verfüge nur über einen natürlichen Körper, der zwar im Wege der Mutterschaft Leben, nicht aber Macht weitergeben könne. Ihre einzige relevante Aufgabe bestand folglich in der Geburt eines männlichen Thronfolgers, und wenn sie dieser nicht gerecht wurde, drohte sogar die Ermordung. Als die Mutter Maria Theresias, Kaiserin Elisabeth Christine, fünf Jahre nach ihrer Vermählung mit Karl VI., immer noch kinderlos war, notierte ein französischer Agent, es würde sich „eine ganze Reihe von Leuten aus(malen), dass man sie […] an einer schleppenden Krankheit, von der niemand bemerken wird, dass sie nicht natürlichen Ursprungs ist, ohne sein [des Kaisers] Wissen zum Wohle des Staates wird sterben lassen“ (S. 19). Im Jahrhundert der Aufklärung sei dieses Dogma von der Unmöglichkeit der Manifestation von Herrschaftsgewalt im weiblichen Körper dann durch die russischen Herrscherinnen (Katharina I., Anna Iwanowna, Elisabeth I., Katharina II.), vor allem aber durch Maria Theresia von Österreich augenfällig ad absurdum geführt worden.

 

Es ist die Spannung zwischen den Polen Weiblichkeit und Virilität, welche die Verfasserin interessiert, weil sie die Persönlichkeit ihrer Protagonistin in ihren disparaten sozialen Rollen als Ehefrau, Mutter und Herrscherin durchzieht. Obwohl Kaiser Karl VI. mit der Pragmatischen Sanktion 1713 die rechtlichen Voraussetzungen für den Antritt der Herrschaft Maria Theresias geschaffen und mühsam durchgesetzt hatte, habe er dennoch stets einen männlichen Thronerben erhofft, weshalb „man sich mehr darum (bemühte), ihre persönlichen Tugenden – Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Großzügigkeit – zu kultivieren, als ihr die Kunst des Regierens und die Ausübung von Macht beizubringen“. Schon als Kind schauspielerisch außerordentlich begabt, kann Maria Theresia jedoch „alle Rollen spielen, was ihr bei der Ausübung von Macht und in der Kunst der Diplomatie von großem Nutzen sein wird“ (S. 22f.). Obwohl sie mit drei „persönliche(n) Handikaps“ (S. 76) – ihrer Weiblichkeit, ihrer Unerfahrenheit und der Verachtung, die ihrem Gatten Großherzog Franz Stephan allgemein entgegenschlägt – antritt, wird sie sich als Herrscherin „(e)ine Reputation ohnegleichen“ verdienen, indem sie ihr „Talent, sich beliebt zu machen“ (S. 79) einsetzt und Qualitäten wie „Achtung vor dem Gesetz und dem einmal gegebenen Wort“, Aufrichtigkeit, Ausdauer und Zivilcourage unter Beweis stellt (S. 175f.).

 

Diese Eigenschaften unterscheiden sie besonders von ihrem großen Rivalen, König Friedrich II. von Preußen, der sie überfällt, sie zu erpressen versucht und ihr gegen ihren konsequenten Widerstand Schlesien entreißen kann. Die Verfasserin hält fest: „Abgesehen von der tiefen Misogynie Friedrichs ist das, was ihn in schärfsten Gegensatz zu Maria Theresia bringt, seine Auffassung der Pflichten als Herrscher, die der ihren entgegensteht. Der König von Preußen […] ist ganz und gar Politiker und hat nur einen einzigen Kompass: sein Interesse. Was ihm gut für Preußen erscheint, wird mit dem Guten gleichgesetzt. Der Zweck rechtfertigt die Mittel: List, Lüge, Verrat, Zynismus, Recht des Stärkeren. Kurz, all die Tugenden des machiavellistischen Herrschers sind die seinen. Umgekehrt ist die junge Maria Theresia eine Kantianerin avant la lettre. Erzogen in christlicher Moral, glaubt sie, dass Politik weder Lüge noch Untreue rechtfertigt. […] Die beiden Gegner folgen nicht denselben Spielregeln. […] Gegen Kreon verliert Antigone immer. Ansonsten ist beiden außergewöhnlicher Mut und außergewöhnliche Widerstandskraft gemein, und sie geben sich uneingeschränkt derselben Leidenschaft hin: der Größe ihres Landes zu dienen“ (S. 93). Das entgeht auch dem Preußenkönig nicht, der später über seine österreichische Gegenspielerin anerkennend sagen wird, sie habe bis zu ihrem letzten Tag „dem Thron und ihrem Geschlecht Ehre gemacht“ (S. 277).

 

Dass Moral und Politik auch bei Maria Theresia unweigerlich kollidieren mussten, zeigt die 1772 in Wien geschlossene Vereinbarung zur Aufteilung Polens unter Russland, Preußen und Österreich, zu der sie ihr Sohn Joseph, seit 1765 Mitregent, drängen muss. „Bei Maria Theresia steht die Gefühlsambivalenz im Vordergrund. Beschämt und verzückt zugleich, ist ihre Gier mit Gewissensbissen vermischt. […] (I)hr Ruf ist ihr ganzer Ruhm. Daher das ganze Unbehagen, das sie ergriffen hat und für das sie zum Teil Joseph verantwortlich macht. Er hatte als Politiker, ‚auf preußische Art‘, in Einklang mit seinem Vorbild Friedrich und in geradem Gegensatz zu seiner Mutter gehandelt. In ihren Augen war das gleichsam Verrat, aber auch das Scheitern der Weitergabe ihrer Werte, ein Scheitern, das sie selbst zur Mitschuldigen gemacht hatte“ (S. 251). Die vorliegende Arbeit geht somit auch auf jene problematischeren Seiten der Herrscherin ein, die ihr Charakterbild erst wirklich lebendig und glaubhaft machen. Ihre Mitregenten hatten es neben ihr nicht leicht: Ihr von Herzen geliebter Gemahl Franz Stephan bleibt doch nur „sein ganzes Leben lang ein Herzog von Lothringen, allenfalls fähig, das Herzogtum Toskana aus der Ferne zu regieren“ (S. 172), ihrem Sohn Joseph erspart sie durch ihr diplomatisches Eingreifen 1778 ein militärisches Desaster und kompromittiert ihn damit zugleich auf das Schlimmste. Von ihrem untreuen Ehemann betrogen, zeigt Maria Theresia „viel Verachtung für Frauen, die Liebschaften haben, und bekundet sie fast ebenso sehr gegenüber Männern, die solche suchen“ (S. 198). Geradezu obsessiv lässt sie daher solchen Vergehen nachspüren, Ertappte wurden unverhältnismäßig hart bestraft, wie „jenes ehebrecherische Paar, das aus der jungen Gräfin Esterházy […] und Graf Schulenburg bestand, die nach Zürich flohen. Maria Theresia ließ die Gräfin ausweisen, um sie in ein Kloster zu stecken. […] Ihr Liebhaber wurde zum Tod durch Enthaupten verurteilt, doch die Königin wandelte die Strafe in Deportation um“ (S. 202). Zweifellos hat Maria Theresia der Familie einen besonders hohen Wert beigemessen, wo sie durch den Tod mehrerer ihrer Kinder und auch ihres Gemahls harte Schicksalsschläge verkraften musste. Ihre Mutterschaft wurde nicht nur in Form zahlreicher Familienporträts neuer Art, in denen bewusst mit den Traditionen der Präsentation der Vorfahren und der separaten Darstellung der Geschlechter gebrochen worden sei, herausgestellt, sondern auch glaubwürdig auf das politische Gemeinwesen übertragen. Den Soldaten der von ihr intensiv geförderten Armee galt sie als „Mater castrorum“ (S. 187), sie selbst verstand sich als „Mutter all ihrer Untertanen“ und mit ihr seien nach Andrew Wheatcroft „der Maternalismus und das Familienleben zu den Hauptthemen der Habsburger geworden“ (S. 173).

 

Unter kluger und subtiler Betonung genderspezifischer Charakteristika – insgesamt einer spezifischen Symbiose von Weiblichkeit und Macht – ist der Verfasserin eine überzeugende Darstellung der wesentlichen Persönlichkeitsmerkmale Maria Theresias mit all ihren Widersprüchen gelungen, die bewusst keinen Anspruch auf eine umfassende Bestandsaufnahme der politischen Vorgänge oder auch der Biographie der Protagonistin erhebt. Dass sie vor allem Originalbriefe der Herrscherin selbst, ihrer höfischen Umgebung und der in Wien tätigen ausländischen Diplomaten, die in täglichen Depeschen Beobachtungen aller Art niedergelegt haben, auswertet, verleiht dem Text Esprit und Authentizität. Élisabeth Badinters Buch kann somit als origineller und gelungener publizistischer Auftakt zu dem in Kürze sich jährenden 300. Geburtstag Maria Theresias empfohlen werden.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic