Weinke, Annette, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert (= Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 19). Wallstein, Göttingen 2016. 372 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Wie die meisten Lebewesen der Erde hat der Mensch eine angeborene, der Selbsterhaltung dienende Aggressivität, die sich in vielfacher Gewalt gegenüber anderen Lebewesen äußert, zu denen auch der Mitmensch gehört. Daran hat sich durch den späteren Zusammenschluss der Einzelnen zu Horden, Gesellschaften und Staaten wohl grundsätzlich nichts geändert. Immerhin hat der Mensch im Laufe seiner Geschichte auch neben der Gewalt die Gerechtigkeit entdeckt, die der Gewalt Schranken in der Form des Rechtes setzen kann.

 

Mit einem Teilbereich dieser Thematik befasst sich das vorliegende Werk der ab 1984 in Geschichte, Publizistik und Kunstgeschichte in Göttingen und Berlin ausgebildeten Verfasserin. Sie war 1990 wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Institut für Kommunikationsgeschichte der Freien Universität Berlin, 1993 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Arbeitsgruppe Regierungskriminalität der Staatsanwaltschaft II an dem Landgericht Berlin, 1996 Promotionsstipendiatin des evangelischen Studienwerks Villigst e. V., nach der Promotion an dem Fachbereich neuere und neueste Geschichte der Universität Potsdam mit der von Christoph Kleßmann betreuten Dissertation über NS-Strafverfolgung und Vergangenheitspolitik – die deutsch-deutschen Ermittlungen gegen NS-Täter zwischen innerdeutscher Konfrontation und außenpolitischer Notwendigkeit 1949-1969 – 2002 DAAD Visiting Professor in Amherst/Massachusetts, 2003 Lehrbeauftragte an der Universität of North Carolina und der American University in Washington D. C., 2005 Lehrbeauftragte für das Berlin European Studies Program der Freien Universität Berlin, 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle Ludwigsburg und der unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte des auswärtigen Amtes, und ab 2010 wissenschaftliche Assistentin an dem Lehrstuhl für neuere und neueste Geschichte der Universität Jena. Dort wurde sie 2013 auf Grund der von Norbert Frei angeregten und betreuten Schrift über Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit habilitiert.

 

Die Idee, an Hand des deutschen Fallbeispiels eine Geschichte des modernen Völkerstrafrechts in dem 20. Jahrhundert zu schreiben, erklärt sich, wie sie selbst im abschließenden Dank ausführt, in gewisser Weise durch ihren akademischen Werdegang und ihre Beschäftigung mit Fragen des „transitionalen“ Strafrechts, des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte. Das darauf beruhende Ergebnis hat unmittelbar nach seinem Bekanntwerden das Interesse eines sachkundigen Rezensenten erweckt. Deswegen genügt an dieser Stelle ein Hinweis des Herausgebers, dass im Mittelpunkt der sorgfältigen und umsichtigen, in vier Kapitel über Den Haag – Versailles, Washington – Nünberg – Bonn, Bonn – Ludwigsburg – Jerusalem  sowie Salzburg – Bonn/Berlin gegliederte Untersuchung die Verstöße des Deutschen Reiches gegen das Völkerrecht im ersten Weltkrieg, die Verbrechen unter der Herrschaft des von Adolf Hitler begründeten Nationalsozialismus einschließlich des Holocaust und das unter dem Anschein von Gleichheit und Brüderlichkeit verübte systematische Unrecht in der früheren Deutschen Demokratischen Republik stehen, aus denen die Verfasserin allgemeinere weiterführende  Einsichten entwickelt, die aber den Sieg der Gerechtigkeit von Siegern über die Gewalt von Verlierern kaum wirklich für die Zukunft sichern können werden.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler