Urbach, Karina, Hitlers heimliche Helfer. Der Adel im Dienst der Macht, aus dem Englischen von Hartz, Cornelius. Theiss/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2016. 464 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Wer hätte sie noch nicht gemacht, die Erfahrung, dass der Weg über konventionelles Vorgehen keineswegs sicher zum Ziel führt? Auf dem sensiblen, von mannigfachen Rücksichtnahmen verminten Feld der internationalen Diplomatie ist daher der Bedarf besonders groß, neben den offiziellen Kanälen weitere Türen aufzutun, die es erlauben, im Hintergrund zielstrebig die eigene Position zu stärken und die eigenen Pläne tatkräftig voranzutreiben. Strukturen, die über weit gespannte Netzwerke bei gleichzeitiger Abgeschlossenheit nach außen verfügen, bieten besonders gute Voraussetzungen für Dienste der angesprochenen Art. Durch seine über Jahrhunderte etablierte und gepflegte Exklusivstellung verfügt der europäische Hochadel bis heute über weit reichende verwandtschaftliche Beziehungen, die den Kontinent gleichsam flächendeckend überziehen und vor den Grenzen der Nationalstaaten nicht haltmachen. In den konstitutionellen Monarchien stellt er weiterhin die Staatsoberhäupter und hat damit unmittelbaren Zugang zu den Zentren der Macht. Dass solche Kanäle, wenn sie nun einmal zur Verfügung stehen, nicht ungenutzt bleiben, entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung. Die Historikerin Karina Urbach setzt sich mit diesem Thema auseinander, indem sie der Frage nachgeht, inwieweit Adelige seit Beginn des 20. Jahrhunderts inklusive der Ära Hitler international Geheimdiplomatie betrieben und welche Bestrebungen sie dabei jeweils wie gefördert haben.

 

Ihr Zugang zu den dafür erforderlichen Unterlagen sei keineswegs einfach gewesen, denn vor allem die königlichen Archive „stellen ein schweres Hindernis dar. […] Das liegt vor allem daran, dass alle königlichen Archive Gefangene ihres internationalen Materials sind. Sie arbeiten miteinander, damit sie die Kontrolle über die eigenen und die Briefe der internationalen Briefpartner behalten können. Nur so kann verhindert werden, dass politisch Brisantes an die Öffentlichkeit gelangt. Es ist daher so gut wie unmöglich, die Briefe einzusehen, die Mitglieder der deutschen, schwedischen oder spanischen Königsfamilien in den 1930er-Jahren an ihre englischen Verwandten schrieben (sie wären in den Royal Archives), und umgekehrt werden wir nie die englische Korrespondenz in deutschen, schwedischen oder spanischen königlichen Archiven einsehen dürfen“ (S. 422f.). So musste die Verfasserin den mühsamen Umweg über 33 Archive in Großbritannien, den Vereinigten Staaten, den Niederlanden, der Tschechischen Republik und Deutschland nehmen; die Royal Archives in Windsor rügt sie ausdrücklich (S. 448) wegen deren mangelnder Kooperationsbereitschaft.

 

Ungeachtet dieser Problemlage, bei der ein berechtigtes wissenschaftliches und öffentliches Interesse wie so oft in Konkurrenz mit der Schutzwürdigkeit von Persönlichkeitsrechten tritt, ist es Karina Urbach gelungen, eine konsistente Darstellung auf die Beine zu bringen, die einen intimen Einblick in die informelle Geheimdiplomatie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermittelt. Ihre Arbeit, die 2015 zunächst in englischer Sprache unter dem Titel „Go-Betweens for Hitler“ erschienen ist, erfasst in zwei Teilen im Umfang von jeweils etwa 200 Seiten die Zeit von der Jahrhundertwende bis Hitler sowie die Herrschaft des Dritten Reichs. Im ersten Teil wird zunächst das Phänomen der heimlichen Helfer oder Go-Betweens im Kontext hochadeliger Usancen vorgestellt und an der Rolle des Fürsten Maximilian Egon II. zu Fürstenberg im engsten Umfeld Kaiser Wilhelm II. illustriert. Ihre Fortsetzung finden die Ausführungen in der Geheimdiplomatie des Ersten Weltkriegs und der Furcht vor dem Bolschewismus, die eine partielle Interessenskongruenz des Adels mit der nationalistischen Rechten förderte. Wie im zweiten Teil gezeigt werden kann, konnte Hitler trotz der „ambivalenten Signale“ (S. 215), die er in „Mein Kampf“ in Richtung Aristokratie hatte verlautbaren lassen, auch unter den Adeligen eine große Anziehungskraft entfalten und neben anderen in Carl Eduard, Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, Prinzessin Stephanie Hohenlohe – ursprünglich eine Bürgerliche jüdischer Herkunft mit dem Mädchennamen Richter, die sich den klingenden Namen erheiratet hatte – oder Prinz Max Egon zu Hohenlohe-Langenburg (diese drei werden in ihren Aktivitäten jeweils ausführlich dargestellt) herausragende Vertreter seiner Interessen finden.

 

Herzog Carl Eduard, seinerzeit Angehöriger der rechtsradikalen Marinebrigade Ehrhardt und der geheimen, für politische Morde verantwortlichen Organisation Consul (O. C.), war seit 1922 mit Hitler persönlich bekannt und sei im Hochadel „einer der ersten Konvertiten“ zum Nationalsozialismus gewesen (S. 214), während die Hohenlohes, „auch wenn die beiden nicht blutsverwandt waren und noch nicht einmal demselben Zweig des Hauses Hohenlohe angehörten“, andere Motive bewegten: „Beide waren Produkte der supranationalen K.-u.-k.-Monarchie, beide hatten ein überbordendes Selbstbewusstsein und waren skrupellos. Pragmatisch und fern jeglicher Utopien profitierten sie von den politischen Konflikten der 1930er Jahre und spielten nach Bedarf mit ihren verschiedenen nationalen Identitäten. Beide hatten zwar unterschiedliche Beweggründe, sich als Go-Betweens zu verdingen, doch Altruismus gehörte auf keinen Fall dazu“ (S. 369).

 

Herzog Carl Eduard stellte sowohl sein fränkisches Netzwerk als auch seine vielseitigen Kontakte auf nationaler Ebene in den Dienst Hitlers, doch von größter Bedeutung war wohl seine enge verwandtschaftliche Beziehung zum britischen Königshaus, insbesondere das Naheverhältnis zu seinem Großcousin, dem Duke of Windsor und in der Nachfolge Georgs V. kurzzeitigen britischen König Eduard VIII. Carl Eduards primäre Aufgabe bestand in der Beeinflussung der britischen Meinungsführer im prodeutschen Sinne, etwa bei der Absicherung der Remilitarisierung des Rheinlandes 1936. Ein propagandistischer Höhepunkt sei die Organisation des Deutschlandbesuchs des Duke of Windsor und seiner Frau 1937 gewesen: „Hitler empfing sie in Berchtesgaden, Göring in seinem Landsitz Carinhall und Windsor gab […] wieder einmal den Hitlergruß (den er ja schon seiner Nichte Elizabeth [= die spätere, noch heute regierende Queen Elizabeth II.; W. A.] 1933/34 in Balmoral beigebracht hatte). […] Einen Monat nach der Deutschlandtour war Coburg […] wieder bei Queen Mary zum Tee eingeladen“ (S. 257f.). Erst „nachdem Windsor 1940 auf die Bahamas geschickt worden war, war er für Hitler und Carl Eduard von Coburg völlig unerreichbar geworden“ (S. 278). Als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes sowie in Japan, der Sowjetunion und dem neutralen Schweden fand der Herzog aber weitere Betätigungsfelder als Go-Between und wurde auch „gut bezahlt“ (S. 280): Aus Hitlers Dispositionsfonds soll er bis April 1945 laufend ein monatliches Salär von stolzen 4000 Reichsmark bezogen haben.

 

Stephanie Hohenlohe (obwohl bereits 1920 wieder geschieden, behielt sie selbstverständlich den prestigeträchtigen Namen und wusste ihn geschickt für ihre Zwecke zu nutzen) gewann Hitlers Sympathie, dessen Interesse an ihr „dreifacher Natur: politischer, finanzieller und persönlicher“ gewesen sei (S. 314) und den sie als „Schaumschläger“ durchschaute, „da sie selbst auch nicht anders war“ (S. 309). Unter anderem wurde sie in der Sudetenkrise 1938 tätig, um den britischen Außenminister Lord Halifax zugunsten der Sudetendeutschen zu beeinflussen. Als ein begabter „Menschenfänger“ (S. 320) instrumentalisierte und manipulierte sie vor allem Hitlers einflussreichen Adjutanten Fritz Wiedemann und den wankelmütigen, NS-freundlichen britischen Pressezaren Lord Rothermere, Beziehungen, die schließlich mit Erpressungsversuchen und Prozessen endeten. 1941 wurde Stephanie Hohenlohe in den Vereinigten Staaten verhaftet und bis Kriegsende interniert.

 

Auch Max Hohenlohe „entschied sich (für Hitler) aus rein opportunistischen Gründen“, attraktiv seien für den deutschböhmischen Prinzen mit nunmehr Liechtensteiner Pass „Hitlers antitschechische Politik, seine Pläne für einen Anschluss Österreichs und seine Politik gegenüber Polen“ gewesen (S. 371). In der bereits erwähnten Sudetenkrise operierte er „überzeugend“ in der Rolle des moderaten Vermittlers: „1938 glaubten sowohl die Tschechen als auch die Briten, der ‚Zwischenhändler‘ Max Hohenlohe spreche ausschließlich in ihrem Auftrag mit Henlein – ein verhängnisvolles Missverständnis“ (S. 374). Dem britischen Unterhändler Lord Runciman wurde „wahrscheinlich nie klar, dass seine charmanten Freunde Göring und Hohenlohe ihn […] nur benutzt hatten“ (S. 383). Unter der Nummer 144/7957 sei Max Hohenlohe als Agent des Sicherheitsdienstes (SD) von Himmlers Schutzstaffel sodann in weitere zwielichtige Aktionen involviert gewesen. Da er „nach dem Krieg auf der Seite der Sieger stehen (wollte)“, habe er aber auch intensive Kontakte zu den Amerikanern, insbesondere zum Gesandten des Office of Strategic Services (OSS) und späteren Direktor der Central Intelligence Agency (CIA), Allen Welsh Dulles, gepflegt und im Januar 1945 gar eine „österreichische Unabhängigkeitsgruppe“ gegründet. Keiner der genannten, jeweils auch fotografisch im Bild erscheinenden hocharistokratischen Geheimdiplomaten – nicht einmal der profilierte Nationalsozialist Carl Eduard, der „als Mitläufer mit einer Geldstrafe davon(kam)“ (S. 417) – sei nach dem Krieg für seine Tätigkeit adäquat zur Rechenschaft gezogen worden, das reale Geschehen wurde entgegen der Faktenlage weitgehend verharmlost und verschleiert.

 

Allgemein lasse die durch ein gemischtes Register gut erschlossene Untersuchung folgende Schlüsse zu: Des Einsatzes heimlicher Helfer bedienen sich Regierungen jeder Art, er sei unabhängig vom jeweiligen politischen System. Wenn auch heute vorwiegend Journalisten, Geschäftsleute, Wissenschaftler und andere Prominente diese Funktion wahrnehmen, sei sie lange Zeit Monopol des Adels gewesen, wobei die Dienste von Männern wie Frauen gleichermaßen gefragt gewesen seien. Der Zweck ihrer Missionen habe oft darin bestanden, im Geheimen Alternativen zur offiziellen Rhetorik auszuloten, wobei ihre Erfolge in Friedenszeiten größer gewesen seien als während der Kriege. Hitler und Göring bezeichnet die Verfasserin als „die wahren Meister der Go-Between-Methode“; die von ihnen initiierten Missionen ließen erkennen, „dass sie eine Außenpolitik verfolgten, die sich auf mehreren Ebenen abspielte und von der öffentlichen Rhetorik unterscheiden konnte“ (S. 427f.). Karina Urbach vervollständigt und bereichert so die Geschichte der deutschen Außenpolitik des Dritten Reichs um eine wichtige, bisher wenig beachtete Facette. Darüber hinaus beinhalten ihre Ausführungen im Detail manchen interessanten Aspekt für die Forschung zu den Geheimdiensten.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic