Suter, Mischa, Rechtstrieb. Schulden und Vollstreckung im liberalen Kapitalismus 1800-1900. Konstanz University Press, Konstanz 2016. 325 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Wann auf der Welt die erste Schuld entstand, lässt sich in dem Dunkel der Frühgeschichte nicht mehr ermitteln, doch wird schon bald danach auch die Frage aufgekommen sein, was geschehen sollte, wenn ein Schuldner seine Schuld nicht tilgte. Als Antworten bildeten sich bereits im Altertum unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten heraus, zu denen auch und vor allem der Zugriff auf die Person des Schuldners zählte. In der Schweiz wurde demgegenüber im 19. Jahrhundert der besondere Rechtstrieb gesetzlich geordnet.
Mit ihm beschäftigt sich die vorliegende gekürzte und überarbeitete Fassung der von Jakob Tanner betreuten, im Frühjahr 2014 abgeschlossenen und an der Universität Zürich angenommenen Dissertation des 2001 das Musikprogramm in dem Kulturzentrum Rote Fabrik in Zürich leitenden, 2004 als Musikjournalist tätigen, in allgemeiner Geschichte, englischer Literaturwissenschaft, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ausgebildeten, 2008 das Lizentiat an der Universität Zürich mit einer Arbeit über Sparen in der Not – Sparkassen und Pauperismus im Kanton Zürich ca. 1820-1860 erwerbenden, 2008 als wissenschaftlicher Assistent Jakob Tanners in Zürich und nach der Promotion seit August 2013 als Assistent an dem Department Geschichte der Universität Basel tätigen Autors. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über Rechtstrieb und Liberalismus, Kapitalismus, Subjektivierung, Wissen und „at every bloody level“ in sechs Kapitel. Sie betreffen den Auftritt des Kaufmanns in dem Jahre 1889, das Recht als lokales Wissen (1800-1870), als theoretische Brücke die Anthropologie der Schulden, die überraschende Subjektivierung, den Konkurs und die soziale Klassifikation sowie das Problem des Pfandes.
Im Ergebnis gelangt der Verfasser in seiner vielfältige Akzente anschlagenden, bilderreichen und vielfältigen Untersuchung zu dem Vorschlag, die Abwicklung unbezahlter Schulden als einen Prozess kulturellen Konflikts und alltäglicher Transaktionen zu verstehen. Vor dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs von 1889, das eine Leitunterscheidung zwischen Verpfändung und Konkurs traf, bestand eine Vielzahl von Prozeduren, die „auf dem Boden der Routine erwachsen waren“, aber zahlreiche Schieflagen umfassen konnte, wobei im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Austauschverhältnisse „epistemische Unsicherheiten und kollidierende moralische Wertungen sich als ineinander verwoben“ erweisen. Mit dem Bundesgesetz wurde demgegenüber dauerhaft eine stabile, nationalstaatlich integrierte Verfahrensweise des Schuldenwesens eingerichtet.
Innsbruck Gerhard Köbler