Streitbare JuristInnen. Eine andere Tradition, hg. v. Kritische Justiz (= Band 2). Nomos, Baden-Baden 2016. 678 S.

 

Der Streit unter den Menschen ist die Folge ihrer Individualität, auf Grund deren sie nicht nur unterschiedliche Interessen haben, sondern auch verwirklichen wollen. Mit der sich allmählich entwickelnden Arbeitsdifferenzierung haben sie als Gehilfen für ihre vielfältigen Konflikte schon in der Antike Rechtskundige und zumindest seit dem Spätmittelalter Juristen gewonnen. Da diese individuelle Interessen verfolgen sollen und dabei ihre auch ihre eigene Individualität wohl nur selten wirklich abstreifen können, hat sich in der allgemeinen Öffentlichkeit die Vorstellung durchgesetzt: zwei Juristen, drei Meinungen, so dass der Jurist grundsätzlich als streitbar bezeichnet werden kann und wohl auch muss.

 

In einem engeren Sinn von streitbar hat die Redaktion der  1968 von Studenten der Rechtswissenschaft um Theodor W. Adorno und Max Horkheimer sowie die Studentenbewegung von 1968 und die außerparlamentarische Opposition gegründeten, mit einer Auflage von 1800 Exemplaren erscheinenden Kritischen Justiz 1988 Porträts von Juristen und Juristinnen aus dem 19. und 20. Jahrhundert in einem Jürgen Seifert als dem Mitherausgeber der Kritischen Justiz zum 60. Geburtstag gewidmeten Sammelbandvereinigt, die auf Grund ihrer politischen, religiösen oder kulturellen Einstellung und Überzeugungen einen Beitrag zur gegenwärtigen Rechtskultur leisteten. Ein Auswahlgesichtspunkt war dabei auch, dass diese Leistungen vielfach einem Regime entgegentraten, welches das geltende Recht zu Unrecht umgestaltete. Die unter diesem Aspekt ausgewählten Juristen standen an der Seite von Verfolgten und Opfern und teilten nicht selten das Schicksal derer, für deren Rechte sie sich einsetzten.

 

Unter dem einprägsamen, der jüngeren Entwicklung nunmehr etwas angepassten Titel folgt dem jetzt ein zweiter Band. Er vereinigt in alphabetischer Reihenfolge 25 Porträts profilierter Juristen (Alfred Apfel, Otto Bauer, Margarete Berent, Sebastian Cobler, Franz-Josef Degenhardt, Hedwig Dohm, Eugen Ehrlich, Helga Einsele, Winfried Hassemer, Werner Holtfort, Barbara Just-Dahlmann, Franz Kafka, Leopold Kohr, Anna Mackenroth, Marie Munk, Nora Platiel, Diether Posser, Marie Raschke, Helmut Ridder, Wiltraut Rupp-von Brünneck, Magdalene Schoch, Jürgen Seifert, Helmut Simon, Kurt Tucholsky, Edda Weßlau), unter denen sich immerhin elf Juristinnen befinden, so dass die Proportionalität oder Egalität eigentlich für die gesamte Untersuchungszeit fast hergestellt ist. Auch wenn nicht jeder der Auserwählten jedermann schon bekannt oder noch bekannt ist, lohnt der vielfältige und interessante Band, der zusammenfassende Kurzporträts bereits in der Einleitung voranstellt und vier Interviews am Ende anfügt sowie einen Bildnachweis  und ein Verzeichnis der 38 Autorinnen und Autoren von Jörg Arnold bis Ingeborg Zerbes  beigibt, aber auf sonstige Register verzichtet, die spannende Lektüre der bunten kritischen Tradition des deutschen Rechtes  in jedem Fall.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler