Stock, Marianne, Tierschutz in der DDR: Hintergründe zur Entwicklung des Tierschutzes und seiner Organisation; exemplarische Analyse der Haltungsbedingungen der Tierarten Rind und Schwein unter Tierschutzgesichtspunkten. mbv Mensch-und Buch-Verlag 2015, 369 S.

 

Bisher lag noch keine Monografie vor, die sich mit dem Tierschutz in der Deutschen Demokratischen Republik befasst. Es ist deshalb zu begrüßen, dass sich Stock in ihrer veterinärmedizinischen Dissertation (FU Berlin) dieser Thematik angenommen hat. Im ersten Abschnitt behandelt Stock „politisch-ideologische Grundlagen der SBZ und DDR und deren Einfluss auf den Tierschutz im Rahmen der Entwicklung von Landwirtschaft und Veterinärwesen“ (S. 19-63). In diesem Rahmen werden dargestellt die Entwicklung der Landwirtschaft in der DDR (Bodenreform, Kollektivierung [Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften] und Industrialisierung der Landwirtschaft nach 1960), der Aufbau des staatlichen Veterinärwesens der DDR, die Bezirksinstitute für Veterinärwesen und die Entwicklung der Tierarztpraxen. Im Abschnitt: „Der Stellenwert der Disziplin ‚Tierschutz‘ in der DDR“ (S. 63-141) geht Stock u. a. auf die Grundlagen des Tierschutzes in der DDR ein (S. 69ff.). Das Tierschutzgesetz von 1933 (hierzu Winfried Eberstein: Das Tierschutzrecht in Deutschland bis zum Erlass des Reichstierschutzgesetzes von 1933, 1999) galt bis 1990 formal weiter, war allerdings „nicht mehr zeitgemäß“ und wurde „in der Praxis nicht angewendet“ (S. 70). Seit 1978 arbeitete das Ministerium für Landwirtschaft zunächst an einer Tierschutzverordnung und seit 1986 an einem Tierschutzgesetz, dessen Entwurf der Volkskammer im Oktober 1989 vorlag (S. 85ff.). Arnulf Burckhardt (Professor für Veterinärmedizin an der Universität Leipzig) stellte im Vergleich der Rechtsgrundlagen der DDR mit denen der Bundesrepublik fest: „Tierschutz wurde vorrangig aus ökonomischen Gründen praktiziert, was sich auch in der Gesetzgebung manifestierte. Tierschutz, Quantität und Qualität der von Tieren stammenden Produkte wurden in der DDR als Einheit gesehen“ (S. 90f.). Den Tierschutz betreffende Regelungen waren enthalten im Gesetz über das Veterinärwesen von 1982, im Strafgesetzbuch von 1968, im Tierzuchtgesetz von 1962 und in der Tierseuchenverordnung von 1971. Der Tierschutz war anthropozentrisch und ökonomisch orientiert. Die den Tierschutz betreffenden Einzelregelungen „zielten vorrangig auf die Gesunderhaltung der landwirtschaftlichen Nutztiere zum Zwecke der Produktionssicherung und –optimierung (S. 92). Der Tierschutz war in der DDR uneinheitlich und nicht zentral organisiert. Hinsichtlich der privaten Tierhaltung waren die Beiräte für Tierschutz und Tierhygiene zuständig; sie existierten jedoch nur „vereinzelt in größeren Städten“ (S. 319, 113ff.; S. 120ff. zum Tierschutz in Dresden). Primär zuständig für den Tierschutz waren die Bezirks- und Kreistierärzte. – Kapitel 4 der Untersuchungen umfasst die Entwicklung der Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere und ihr Einfluss auf den Tierschutz (S. 141-299, und zwar am Beispiel der Rinder- und Schweinehaltung). Die Vergesellschaftung und Kollektivierung der landwirtschaftlichen Produktionsmittel führte zu erheblichen tierschutzwidrigen Haltungsmängeln, die zu manchem vermeidbaren „Tierleid“ führte (S. 290). Teils war dies auf den chronischen Futtermangel und den Mangel an Baumaterial für die Tierställe, teils aber auch auf subjektive Mängel zurückzuführen (Vernachlässigung der Betreuung; mangelnde Sympathie gegenüber den Tieren; Entsubjektivierung im Rahmen der Massentierhaltung; S. 292). „Jegliches Tierschutzbestreben in der DDR“ habe hinter den wirtschaftlichen Interessen „zurückgestanden“; dem Tier, welches zum Produktionsmittel degradiert wurde „sei die Möglichkeit des Auslebens arteigener Bedürfnisse“ nicht zugestanden worden (S. 296).

 

Im zusammenfassenden Schlussteil (S. 300-320) stellt Stock fest, dass für die DDR der anthropozentrische bzw. ökonomische Tierschutz, der „von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesehen und beurteilt“ werden müsse (S. 300), maßgebend gewesen sei. Der Terminus Tierschutz wurde grundsätzlich in Verbindung mit Begriffen wie „Tierhygiene“ gebraucht (S. 305). Der Tierarzt, für den der Tierschutz kein Vorlesungs- und Prüfungsfach war, war kaum mehr als ein „Produktionsorganisator und Reparaturschlosser“ (S. 311). Zum Abschluss stellt Stock fest: „Tierschutz und Tierhygiene wurden in der industriemäßigen Tierhaltung als fixe Einheit verstanden, die hinter ökonomischen Interessen zurückzustehen hatte“ (S. 320). S. 317f. benennt Stock einige Themen für die zukünftige Forschung zum Tierschutz in der DDR wie die Geflügel- und Schafhaltung, Tierschutz im Zusammenhang mit der Jagd, der Pferdezucht sowie den Grenzhunden und die Tierversuche. Nicht mehr thematisiert hat Stock einen Vergleich des Tierschutzes in der DDR mit dem Tierschutz in der Bundesrepublik und deren Gesetzgebung, zumal für die Praxis des Tierschutzes eine zusammenfassende Darstellung noch nicht vorliegt (vgl. das soeben erschienene Werk von Philipp von Gall: Tierschutz als Agrarpolitik: Wie das deutsche Tierschutzgesetz der industriellen Tierhaltung den Weg bereitete, 2016). Wie das Quellenverzeichnis zeigt, hat Stock die archivalische Überlieferung im Bundesarchiv (Abt. DDR), des Landesarchivs Berlin und des Archivs der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR umfassend herangezogen. Hinzu kommen noch 20 Zeitzeugengespräche und schriftliche Auskünfte. Hilfreich wäre es gewesen, wenn Stock noch den Text des Verordnungs-Entwurfs und den Entwurf zu einem Tierschutzgesetz von 1989 sowie Kurzbiografien der für den Naturschutz in der DDR maßgebenden Persönlichkeiten gebracht hätte.

 

Insgesamt liegt mit dem Werk Marianne Stocks eine gut lesbare Darstellung des Tierschutzrechts der DDR und der Praxis des Tierschutzes in der DDR vor, die für den Rechtshistoriker, der sich mit dem Recht der DDR befasst, von großem Interesse ist.

 

Kiel

Werner Schubert