Steinacher, Roland, Die Vandalen. Aufstieg und Fall eines Barbarenreichs. Klett-Cotta, Stuttgart 2016. 542 S., Abb., Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Die bewegte Zeit, die den Übergang von der griechisch-römischen Antike zum europäischen Frühmittelalter bezeichnet, ist charakterisiert durch eine gesteigerte Mobilität zahlreicher, in der Diktion der Vertreter des griechisch-römischen Kosmos sogenannter barbarischer Völkerschaften, deren Abgrenzung untereinander von der gegenwärtigen Forschung als weitaus problematischer wahrgenommen wird, als dies noch vor Jahrzehnten der Fall gewesen ist. Das durch unterschiedliche Faktoren verursachte Abschmelzen der Zentralgewalt im Imperium Romanum, das beispielsweise in der Teilung von 395 markant zum Ausdruck kommt, erzeugte eine mehrfache Sogwirkung: So waren die durch eine noch funktionierende römische Administration gekennzeichneten Provinzen einerseits wegen ihrer Versorgungssicherheit für barbarische Zuwanderung attraktiv, auf der anderen Seite bedienten sich die auf militärische Potenz angewiesenen Anwärter auf das römische Kaisertum dieser Kräfte, die dann die entsprechende römische Streitmacht verstärkten. Usurpatoren wurden von Militärs wie den mächtigen Heermeistern an die Macht gebracht und wieder gestürzt, und Barbaren figurierten dabei als feste Kalkulationsgröße. In der komplexen Verschränkung der römischen und barbarischen Interessen sollten freilich faktisch die letzteren mehr und mehr an Gewicht gewinnen.

 

Eine dieser heterogenen Gruppen, die höchstwahrscheinlich um 406 in größerer Zahl den Rhein überschritten haben, waren die Vandalen. Die Gunst der Verhältnisse verschlug sie zunächst von Gallien nach Spanien, wo ihre hasdingische Gruppierung 417 vom römisch inspirierten Militärschlag der Westgoten unter ihrem König Valia, der die silingischen Vandalen zum Verschwinden brachte, verschont blieb und sich mit den Resten der einst besonders kampfkräftigen, nun ebenfalls den Goten unterlegenen Alanen verstärken und zu einem „Gravitationszentrum barbarischer Aktivität“ (S. 82) avancieren konnte. Zehn Jahre später rief der Heermeister Bonifatius, den seine eigenständige Machtpolitik in Afrika in Konflikt mit Ravenna (mittlerweile Sitz des weströmischen Regenten) gebracht hatte, diese Kräfte zur Verteidigung und Stärkung seiner Position nach Afrika. 428 starb der vandalische König Gunderich, ihm folgte sein Halbbruder Geiserich: „Hatte Gunderich den Comes Bonifatius mit Truppen unterstützt, nutzte Geiserich den römischen Bürgerkrieg und landete 429 mit massiven Kräften in Afrika. Er setzte alles auf die afrikanische Karte und hatte nach längeren Kämpfen Erfolg“ (S. 90). Dieser langlebige Herrscher – „Geiserich starb 477 im bemerkenswert hohen Alter von etwa 90 Jahren“ (S. 91) – begründete damit das sogenannte „vandalische Jahrhundert“ in Afrika; ihm sollten Hunerich (477 – 484), Gunthamund (484 – 496), der ebenfalls lange herrschende Thrasamund (496 – 523), Hilderich (523 – 530) und als letzter König der Vandalen und Alanen der Usurpator Gelimer (530 – 534) nachfolgen. Die Vandalen profitierten bei der Etablierung ihres afrikanischen Königreichs vom „totale(n) Zusammenbruch der römischen Verteidigungsstrukturen [als] Folge eines schon lange virulenten Desintegrationsprozesses auf sozialem, wirtschaftlichem, religiösem und nicht zuletzt politisch-militärischem Gebiet“ (S. 99f.).  Einer der Gründe für ihren längerfristigen Erfolg ist überdies darin zu sehen, dass es ihnen gelang, sich einer Instrumentalisierung durch römische Begehrlichkeiten zu entziehen: „Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten in den Reichszentren oder Gallien musste der Vandalenkönig keine Rücksicht auf die mächtige Senatsaristokratie nehmen. […] Die Vandalen führten bewaffnete Konflikte gänzlich in ihrem eigenen Interesse und ließen sich nicht wie andere Barbaren von den Römern als preisgünstige Armee benutzen“ (S. 210). Nachdem so zunächst über die Jahrzehnte mehrere römische Militärunternehmungen zur Rückgewinnung der wegen ihres Getreides so wichtigen afrikanischen Provinzen (Africa Proconsularis, Byzacena, Numidia) gescheitert waren, beendete 533 eine byzantinische Intervention unter Kaiser Justinians Feldherr Belisar abrupt das vandalische Jahrhundert; bereits im April 534 wurde die zivile und militärische Neuordnung der afrikanischen Provinzen verfügt. „Ein Königreich, das lange das westliche Mittelmeer und die Politik des gesamten ehemaligen Westreichs dominiert hatte, wurde innerhalb von Wochen zerschlagen“ (S. 310), die meisten vandalischen Kämpfer ausgesiedelt und an die persische Front verlegt; in Afrika verbliebene Reste waren in der Folgezeit noch in diverse, allesamt erfolglose Aufstände involviert.

 

Die vorliegende, vom Wiener Althistoriker und Mediävisten Roland Steinacher gewissenhaft recherchierte Darstellung entfaltet ein umfangreiches, sachliches und modernes Porträt jenes ebenso rasch aufgetauchten wie bald wieder in anderen ethnischen Einheiten aufgegangenen Bevölkerungsverbandes. Sie zeigt, dass trotz einer langen Forschungstradition tatsächlich nur wenig gesichertes Wissen über die Vandalen vorliegt. So fehlt zunächst eine zeitnah verfasste, der „Getica“ (= Geschichte der Goten) des Jordanes vergleichbare Schrift zu ihrer Geschichte, Philologie und Archäologie seien häufig gekennzeichnet von spekulativen, da in der Zuordnung nicht eindeutigen Interpretationen und damit insgesamt „dürftigen Ergebnissen“ (S. 361). Man wisse etwa nicht einmal, „ob es überhaupt eine eigenständige vandalische Sprache gegeben hat […]. Festzustellen bleibt, dass keine Quelle explizit von einer solchen zu berichten weiß“ (S. 114). Auch was das Recht angehe, habe sich die ältere Forschung „in hohem Maß auf Vermutungen und Bruchstücke [gestützt], wenn nicht gar ein ‚germanisches Recht‘ als Vorannahme in die Quellen projiziert wurde. Aussagen über ein vandalisches ‚Volksrecht‘ sind höchst problematisch, wenn nicht gar unmöglich“. Es sei „von einem eigenen vandalischen Recht nichts bekannt […], anscheinend wandte der König in Karthago das römische Recht auch auf seine eigenen Leute an“ (S. 172f.).

 

Die Auseinandersetzung mit dem Rechtscharakter der hasdingischen Herrschaft in Nordafrika bildet indes einen elementaren Bestandteil von Roland Steinachers Analyse. In staatsrechtlicher Hinsicht sei das Vandalenreich, im Gegensatz zu manch älterer Meinung, zu keiner Zeit als souveräner Staat wahrzunehmen: Zum einen überwiege „heute die Ansicht, die Vandalen seien weder 435 noch vorher jemals Föderaten des Reiches gewesen. Zum andern fassten sowohl Konstantinopel als auch Ravenna das vandalische Afrika stets als römisches Hoheitsgebiet auf. Ravenna hatte mit Geiserich einen für den König günstigen Vertrag geschlossen, der ihn zur Zahlung jährlicher Tribute und der Stellung seines Sohnes Hunerich als Geisel verpflichtete. […] Vor allem spricht für die vandalische Anerkennung der Reichszugehörigkeit, dass zum einen die kaiserliche Gesetzgebung weiterhin für Afrika gültig blieb, und zum anderen […] erst Hunerich teilweise das kaiserliche Münzmonopol (brach). […] Stets aber blieben die kaiserlichen Goldmünzen die gültige Recheneinheit des vandalischen Gelds“ (S. 145). Auch „(griffen) die Vandalenkönige in die spätrömischen Verwaltungsstrukturen und die Institutionen der Rechtspflege nicht ein, sie regierten wie Vizekaiser auf Provinzebene“ (S. 171). Grundsätzlich „(schloss) eine römische Identität andere Zugehörigkeiten keineswegs aus und wurde auch für manchen Barbaren erstrebenswert“ (S. 136). So fügte sich die römische Zentralmacht zunächst pragmatisch dem Zwang der Verhältnisse und schritt in Afrika erst robust ein, sobald Mittel und Umstände dies erfolgversprechend zuließen.

 

Sowohl die schriftlichen Quellen als auch die archäologischen Befunde widersprächen der zur „Meistererzählung“ ausgebauten Vorstellung, „dass die Vandalen sich als Bauern in Afrika ansiedelten“ (S. 151). Im Gegenteil: „Die Vandalen lagen in den Städten“. Ihre als „sortes Vandalorum“ bekannten Landlose bildeten höchstwahrscheinlich „keine geschlossenen Siedlungsgebiete, sondern die Grundlage der Versorgung der Vandalenkrieger. Dem König unterstehende Befehlshaber hatten Zugriff auf die sortes und versorgten damit die ihnen zugeordneten Mannschaften.“ Die Königsdynastie der mit dem theodosianischen Kaiserhaus durch Heirat verbundenen und auf den arianischgläubigen Klerus sich stützenden Hasdingen hatte sich von Anfang an den größten Teil des afrikanischen Grundes gesichert und konnte über diese „Schlüsselposition […] die vandalische Gesellschaft neu definieren“ (S. 164f.), eine von Geiserich erlassene und auch von Ostrom anerkannte Thronfolgeordnung sollte auf Dauer die Kontinuität der hasdingischen Herrschaft gewährleisten. Tatsächlich war es die Verletzung dieser Verfügung durch Gelimer, die später Kaiser Justinian den Anlass lieferte, durch ein militärisches Einschreiten das Ende des Vandalenreiches in Nordafrika zu besiegeln.

 

Obwohl die Vandalen erwiesenermaßen 439 handstreichartig Karthago besetzten (dieses Ereignis sei „regelrecht der Beginn der vandalischen Geschichte“ gewesen; S. 126), als Plünderer 455 Rom heimsuchten, immer wieder vor allem in das westliche Mittelmeer (Korsika, Sardinien Balearen) ausgriffen,  katholische Christen drangsalierten und bei der internen Sicherung ihrer Herrschaft vor Verwandtenmorden nicht zurückschreckten, dürften sie ihren überaus schlechten Ruf wohl eher der Gräuelpropaganda ihrer katholischen Widersacher wie Victor von Vita oder Gregor von Tours als den realen historischen Gegebenheiten zu verdanken haben. Bezeichnenderweise konnte die Archäologie in Karthago „keinen einzigen Zerstörungshorizont mit der vandalischen Eroberung in Zusammenhang bringen“ (S. 131). Und das Ende der Vandalenherrschaft habe de facto für Afrika gar „insgesamt eine Verschlechterung“ gebracht: „Die justinianische Verwaltung hatte große Schwierigkeiten, sich gegen eigene aufständische Truppen und Mauren durchzusetzen. Auch benötigte Konstantinopel Geld und beutete die Ressourcen der immer noch reichen afrikanischen Provinzen aus. So […] (mag) manch ein Römer seinem hasdingischen Monarchen nachgetrauert haben. […] Afrika war wieder zur Provinz herabgesunken. Unter den Hasdingen war Karthago eine königliche Hauptstadt mit entsprechenden Karrierechancen für die Eliten gewesen. […] Insgesamt waren die afrikanischen Aristokraten, Händler und Intellektuellen Verlierer des kaiserlichen Vandalenkriegs“ (S. 310ff.). Das Abschlusskapitel des Bandes erzählt, wie die Vandalen schließlich in Mittelalter und Neuzeit für die Prägung des Begriffs „Vandalismus“ herhalten mussten, mit den slawischen Wenden gleichgesetzt und in den Dienst der polnischen Nationalbewegung gestellt wurden.

 

Zum Zweck der geographischen Orientierung hat der Verfasser überwiegend die reduzierten, gut lesbaren Kartenskizzen Guy Halsalls („Barbarian migrations and the Roman West 376-568“, 2007) übernommen, ein zentraler Tafelteil im Farbdruck präsentiert Architektur, Schmuck und Inschriften aus der Vandalenzeit. Als besonders wertvoll hervorzuheben sind darüber hinaus der mit vielen zusätzlichen Hinweisen angereicherte Anmerkungsapparat und das umfangreiche Verzeichnis der Quellen und Literatur. Intimere Kenner der Materie mögen sich beim Studium des vorliegenden Buches nicht von ungefähr des Öfteren an die „Geschichte der Goten“ (1979) Herwig Wolframs erinnert fühlen, dem wir als Roland Steinachers akademischem Lehrer nicht nur ein Vorwort verdanken, sondern der auch „die Idee einer neuen Vandalengeschichte geboren und bei ihrer Entstehung intensiv geholfen“ (S. 351) haben soll.

 

Kapfenberg                                                                                       Werner Augustinovic