Rüegg, Walter, Zwischen Hochschule und Öffentlichkeit. Beiträge aus 50 Jahren Universitätsgeschichte und Hochschulpolitik, hg. v. Bauer, Joachim/Meyer Schweizer, Ruth in Zusammenarbeit mit Neumann, Andreas/Gerber, Stefan/Hammerstein, Notker. Steiner, Stuttgart 2016. 333 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Walter Rüegg wurde in Zürich am 4. April 1918 als Sohn eines Kaufmanns geboren und arbeitete nach dem Besuch der Kantonsschule Schaffhausen und dem 1937 begonnenen Studium der klassischen Philologie und der Nationalökonomie an den Universitäten Zürich und Paris ab 1941 als Gymnasiallehrer für Griechisch und Latein. Nach der Promotion über „Cicero und der Humanismus“ (1944, 74 S.) und der Habilitation (1950) wirkte er als Privatdozent und titulierter Professor für Geschichte der Geisteswissenschaften unter besonderer Berücksichtigung des Humanismus in Zürich, bis er mit 44 Jahren 1961 als ordentlicher Professor für Soziologie an die Universität Frankfurt am Main berufen wurde. Hier wurde er in der Zeit der Studentenrevolte Dekan und Rektor sowie Präsident der westdeutschen Rektorenkonferenz, wechselte aber 1973 in das ruhigere Bern und lebte nach seiner Emeritierung (1986) in Villette im Waadtland am Genfer See, wo er am 29. April 2015 in hohem Alter starb.

 

Besondere Bekanntheit erlangte er als (mehr oder weniger zufälliger) Herausgeber einer vierbändigen Geschichte der Universität in Europa. Das vorliegende, von ihm in der Auswahl mitbestimmte Werk, dessen Umschlag ihn 2011 mit Lupe und Brille vor dem Computer am Schreibtisch angestrengt arbeitend zeigt, stellt 21 Beiträge aus fünfzig Jahren zu einem um die Universitätsgeschichte und Hochschulpolitik zentrierten interessanten und spannend geschriebenen Mosaik zusammen. In dieses führen nach einem kurzen Vorwort des Herausgebers, der Walter Rüegg persönlich nur zweimal begegnet ist, Notker Hammerstein („ein engagierter Hochschulpolitiker“), Stefan Gerber („soziologischer Universitätshistoriker“) und Andreas Neumann („humanistischer Soziologe“) behutsam ein.

 

Danach schildert ein moderner Schriftverkehr ausschnittweise die Entstehung des Bandes und erklärt Rüegg, dass „natürlich die Entwicklung einen ganz anderen Verlauf genommen hätte, wenn Karl Mannheim nach dem Krieg nach Frankfurt zurückgekommen wäre“ und nicht Rüegg neben Adorno und Horkheimer berufen worden wäre. Auf Grund der eigenen Realität  handelt Rüegg dann über Hochschulpolitik und Hochschulreform (Hitler in uns selbst, la coopération entre les universités européennes, studentische Revolte 1968, Wettbewerbsfähigkeit, Differenzierung und Wettbewerb, terroristische Provokation als intellektuelles Polittheater, Europa in Trümmern, Ethos, des Kaisers neue Kleider in dem Wissenschaftsrat, die Universität der Zukunft, das Europa der Universitäten, Universitätsreform 1946-1970 und vom Humanismus zur Universitätsgeschichte) sowie über Universitätsgeschichte (von der Schule zur Freiheit von Forschung und Lehre, der Mythos der Humboldtschen Universität und Themen, Probleme, Erkenntnisse). Abgeschlossen wird das vielfältige Fragen tiefgründig und weitsichtig auf der Grundlage humanistischer eigener familiärer Erfahrung auch in einer nationalsozialistisch bestimmten Welt aufgreifende Werk durch ein Personenregister von Abälard über Adorno, Bonaparte, Cicero, Humboldt und Schleiermacher bis Znaniencki.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler