Rückert, Joachim, Abschiede vom Unrecht – Zur Rechtsgeschichte nach 1945 (= Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 87). Mohr Siebeck, Tübingen 2015 VIII, 573 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Ein Teil allen menschlichen Lebens besteht im trennenden Abschied im Gegensatz zur verbindenden Befassung. Dementsprechend versammeln große Gelehrte gegen den Abend ihrer Zeit ihre bedeutenden Erfolge in Sammelbänden, in denen sie die Vielfalt ihrer Erkenntnisse der Zukunft an leicht greifbarer Stelle gebündelt zur Verfügung stellen. Der Verfasser hat nach seinem kurzen Vorwort dem vorliegenden Sammelband den Titel Abschiede vom Unrecht gegeben, weil ein weiterer, nach Ausweis des Karlsruher Virtuellen Katalogs aber noch nicht vorliegender, sondern höchstens in der Vorform eines Aufsatzes in der Juristenzeitung (Band 70 2015 S. 793-804) greifbarer Band zur NS-Zeit den Titel Unrecht durch Recht trägt oder tragen soll.

 

Dem Verfasser geht es bei diesen Worten nicht um die Beschwörung einer besonderen persönlichen Betroffenheit. Es erscheint ihm aber der Zusammenhang von Unrecht durch Recht vor 1945 und Abschieden vom Unrecht nach 1945 überaus prägend für die Zeitgeschichte „unseres“ Rechtes, in dessen Rahmen nicht nur das Grundgesetz vor allem auch Abschied genommen habe. Insofern liege der erste Band hiermit vor, der nun neunzehn Studien speziell zur Rechtsgeschichte nach 1945 enthält.

 

Damit ist nach den Worten des Autors nicht alles zum Thema vorgelegt. Auf eine Reihe von Beiträgen wurde nämlich verzichtet. Sie lassen sich unschwer dem Verzeichnis seiner Schriften am Ende der „Ausgewählten Aufsätze in zwei Bänden“ in der Bibliotheca eruditorum 42 (im Verlag Keip 2012) entnehmen, in denen die Zeitgeschichte schon weitestgehend ausgespart worden war.

 

Mit dem vorliegenden Band sind die Forschungen des Verfassers zur juristischen Zeitgeschichte nach 1945 zusammengeführt. Sie ließen sich wie von selbst in drei Abschnitte ordnen. Diese betreffen Bilanzen, Methodenwandel und Verfassungswandel sowie Alternativen.

 

Die sieben Bilanzen reichen von Abbau und Aufbau der Rechtswissenschaft nach 1945 über Zeitgeschichte des Rechts, Schuld, Richterrecht seit Weimar, Justiz und Nationalsozialismus als Bilanz einer Bilanz und die Beseitigung des Deutschen Reiches bis zu einigen Bemerkungen über Mitläufer, Weiterläufer und andere Läufer im Bundesministerium der Justiz nach 1949. Der zweite Abschnitt befasst sich mit Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der juristischen Methodendiskussion nach 1945, mit der juristischen Karriere des unjuristischen Begriffs Abwägung, mit einer kritischen Einführung der Methodik des Zivilrechts, mit einem historischen Überblick über Schlachtrufe im Methodenkampf und mit dem Verhältnis und den Aufgaben von Rechtsgeschichte, Rechtswissenschaft und Rechtspolitik. Als Alternativen werden schließlich vorgestellt die hessische Verfassung, die Justiz im SED-Staat, das Sozialstaatsprinzip, die rechtliche Transformation europäischer Diktaturen nach 1945, ‚große‘ Erzählungen, Theorien und Fesseln der Rechtsgeschichte, Profile der Jurisprudenz in Hannover seit 1974 und die Mitbestimmung 1976.

 

In allen Beiträgen findet und erörtert der Verfasser in fesselnder Weise wichtige Grundfragen. Stets gelingen ihm in eleganter attraktiver Diktion persönliche packende Zugriffe. Auf diese Weise erhält der Leser ein faszinierendes Mosaik juristischer Zeitgeschichte, das zudem durch ein Verzeichnis der Erstdrucke ergänzt und durch ein persönlich erstelltes Sachregister von Abschied bis zweite Schuld sowie ein von Thomas Pierson  geschaffenes Personenregister von Abendroth über Arndt, Bismarck, Boehmer, Coing, Ehrlich, Enneccerus, Esser, Forsthoff, Friedrich, Gierke, Habermas, Heck, Hegel, Heller, Huber, Hugo, Jhering, Kant, Kantorowicz, Kelsen, Larenz, Lotmar, Marx, Mitteis, Neumann, Nipperdey, Puchta, Radbruch, Savigny, Schmitt, Smend, Wieacker, Wiethölter, Windscheid und Wolf  sowie viele andere bis Zycha.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler