AugustinovicPikettyökonomiederungleichheit20161114 Nr. 16256 ZIER 6 (2016) 82. IT
Piketty, Thomas, Ökonomie der Ungleichheit. Eine Einführung. Aus dem Französischen übersetzt von Lorenzer, Stefan. Beck, München 2016. 144 S., 9 Tab., 2 Graf. Besprochen von Werner Augustinovic.
Im Jahr 2014 vermochte der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty mit der deutschen Übersetzung seiner zentralen, 2013 zunächst in französischer Sprache erschienenen Schrift „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ (2014) auch im deutschsprachigen Raum große Aufmerksamkeit nicht nur in der Fachwelt, sondern auch beim breiten Publikum zu finden. Dysfunktionalitäten auf dem Lohnsektor sowie im Verhältnis von Kapital und Arbeit gefährden zunehmend die Verteilungsgerechtigkeit als wesentlichen Kitt des gesellschaftlichen Zusammenlebens und Grundlage des sozialen Friedens und sind zum allgemeinen Reizthema geworden. Die komplexen ökonomischen Zusammenhänge, die diesen Prozess kennzeichnen, hat der Verfasser bereits 1997 unter dem Titel „L’économie des inégalités“ zu beschreiben versucht, was so gut gelungen sein mag, dass seine Ausführungen – obwohl die Entwicklungen der letzten 15 Jahre leider ausgespart bleiben (Thomas Piketty verweist zur Aktualisierung auf seine online verfügbare World Top Incomes Database) – nicht nur mehrfach aufgelegt, sondern nun auch, in das Deutsche übersetzt, in die Reihe „Wissen“ des C. H. Beck-Verlages aufgenommen worden sind (bw 2864).
Ausgangspunkt der Überlegungen ist der klassische Rechts/Links-Konflikt zwischen der liberalen Position, die den Marktmechanismen zutraut, gerade auch die Situation der Benachteiligten zu verbessern, und staatliche Umverteilung daher weitgehend ablehnt, und dem sozialistischen Standpunkt, wonach staatliche Umverteilung unmittelbar in den Produktionsprozess einzugreifen habe, da die Marktmechanismen eben keine Gewähr für den Abbau von Ungleichheit böten. Thomas Piketty: „Nur eine sorgfältige Analyse der sozio-ökonomischen Mechanismen, die Ungleichheit hervorbringen, wird […] die beiden Extremvorstellungen von Umverteilung auf ihren jeweiligen Wahrheitsgehalt prüfen können – und damit vielleicht zu einer nicht nur gerechteren, sondern auch effizienteren Umverteilung beitragen“ (S. 9). Seine Analyse setzt mit einer Bestandsaufnahme der historischen Hintergründe und der Größenordnungen bestehender Ungleichheiten (Lohnungleichheit, Einkommensungleichheit, Ungleichverteilung von Arbeit) ein. Die Ungleichheit von Kapital und Arbeit sowie die Ungleichheit der Arbeitseinkommen werden anschließend als Hauptmechanismen für die Erzeugung von Ungleichheit näher untersucht. Auf der Basis der hier erhobenen Befunde wird im abschließenden, vierten Kapitel die entscheidende Frage nach den Bedingungen und Instrumenten der Umverteilung vertieft. Im Zentrum der Betrachtung steht primär die Situation in Frankreich, Daten aus den Vereinigten Staaten werden bei Bedarf vergleichend beigezogen.
Zwei unterschiedliche Typen der Umverteilung kommen in der Darstellung durchgängig zur Sprache: die reine Umverteilung und die effiziente Umverteilung, wobei diese Kategorien jedenfalls nicht gleichzusetzen seien mit der Opposition moderate versus ambitionierte Umverteilung. Das „bevorzugte Instrument reiner Umverteilung“ sei „die fiskalische Umverteilung, mit der sich die von der Ungleichheit des Startkapitals und den Kräften des Marktes hervorgebrachte Einkommensungleichheit durch Abgaben und Transfers korrigieren, die allokative Funktion des Preissystems aber so weit wie möglich erhalten lässt“, sohin – neben Besteuerung und Umverteilung von Kapitaleinkommen – in erster Linie die fiskalische Umverteilung von Arbeitseinkommen. Deren korrekte Messung erfolge über „die realen Durchschnitts- und Grenzsätze der Abgaben und Transferleistungen“ (S. 114f.). Hauptcharakteristika der fiskalischen Umverteilung in allen westlichen Ländern seien, dass „das gegenwärtige [1997] Verfahren zu keiner signifikanten monitären Umverteilung zwischen Erwerbstätigen (führt)“ (S. 117) und dass „Transferleistungen denen vorbehalten bleiben (sollen), die kein Erwerbseinkommen haben, unter Ausschluss der Geringverdiener“ (S. 119), die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt blieben „unspektakulär“ (S. 127). Ein „Bürgereinkommen“ – „jeder Erwachsene solle in den Genuss einer universalen Transferleistung, das heißt ein und derselben monatlichen Geldsumme kommen, ungeachtet seines Einkommens und seiner Stellung auf dem Arbeitsmarkt“ – könne zwar gegen die „Armutsfallen“ nichts ausrichten, was nicht „ebenso gut mit den bestehenden Steuerinstrumenten umgesetzt werden (könnte)“, offenbare aber auf den zweiten Blick „eine Reihe von versteckten Vorzügen“, indem es etwa „Sozialhilfeempfängern, die im Begriff sind, eine Arbeit anzunehmen, eine Einkommensgarantie geben und damit den Arbeitsanreiz erhöhen“ könne oder „eine weniger inquisitorische Sozialpolitik ermögliche( )“ (S. 127ff.).
Im Gegensatz zur reinen Umverteilung sei effiziente Umverteilung stets mit direkten Eingriffen in den Arbeitsmarkt verbunden, wobei mit der Umverteilung des Einkommens zugleich Ineffizienz oder Marktversagen einer Korrektur unterzogen würden. Zur strukturellen Eindämmung der Ungleichheit stünden hier so unterschiedliche Instrumente wie eine geeignete Bildungspolitik, Ausbildungsprogramme, Sozialversicherungen und die sogenannte keynesianische Nachfragepolitik (die „begrifflich und empirisch auf eher schwachen Füßen“ stehende Vorstellung, dass „Lohnerhöhungen die Nachfrage nach Konsumgütern und Dienstleistungen ankurbeln – und mit ihr die Wirtschaftstätigkeit und das Beschäftigungsniveau“; S. 136) zur Verfügung. Die gesetzlich geregelten sozialen Sicherungssysteme bildeten „das Herzstück des modernen Sozialstaats“, die auf der Unvollkommenheit des Kreditmarkts gründeten, der sich als „unfähig“ erweise, „für eine funktionierende Sozialversicherung zu sorgen“ (S. 130). Abschließend räumt Thomas Piketty mit der so verlockenden wie trivialen Vorstellung auf, effiziente Umverteilung könne „alle Probleme auf einmal lösen“. Und: „Wer […] in jeder Ungleichheit den Ausdruck einer groben Marktineffizienz ausmachen will, um ihr mit irgendeinem mythischen Gewaltstreich ein Ende zu setzen, vergisst darüber leicht, dass die notwendigen Steuern gezahlt werden müssen, um Fiskaltransfers zu finanzieren, die vielleicht nicht jede Ungleichheit aus der Welt schaffen, aber doch in der Lage sind, die ganz reale Ungleichheit der Lebensumstände zu mildern“ (S. 138).
Thomas Pikettys kompakter, in die Jahre gekommener Einblick in die Ökonomie der Ungleichheit lässt die Vielzahl von Faktoren erkennen, die im ökonomischen Prozess zusammenwirken und Ungleichheiten ebenso generieren wie zu reduzieren vermögen. In Anbetracht der Komplexität der Prozesse ist es wenig überraschend, dass zwar einige Erfolg versprechende Instrumente zum Abbau von Ungleichheit zur Verfügung stehen, gleichwohl keines davon universelle Heilwirkung zu entfalten vermag. Zwei Grafiken, jeweils auf der Innenseite der Einbanddeckel, veranschaulichen den „Niedergang der Rentiers und die Stabilität der Lohnhierarchie in Frankreich, 1913 – 2005“ (Anteil der höchsten 1% der Einkommen am Gesamteinkommen und der höchsten 1% der Löhne an der Gesamtlohnsumme) sowie die „effektive(n) Durchschnitts- und Grenzabgabensätze in Frankreich, 1996“ (gegliedert in Dezile der Lohnverteilung). Obwohl sich der schmale, einer Aktualisierung werte Band als „Einführung“ deklariert, ist er in seiner Diktion und seinen von tabellarischem Zahlenmaterial gestützten Gedankengängen stellenweise so anspruchsvoll, dass eine wirtschaftswissenschaftliche Vorbildung des Lesers durchaus von Vorteil sein dürfte.
Kapfenberg Werner Augustinovic