Nowack, Sabrina, Sicherheitsrisiko NS-Belastung. Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er Jahren (= Veröffentlichungen der unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968 Band 4). Ch. Links Verlag, Berlin 2016. 524 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Durchschnittlich hat der Mensch eine bisher zunehmend steigende Lebenserwartung. Gleichzeitig ändern sich viele seiner äußeren Lebensbedingungen immer rascher, weil immer mehr Individuen immer mehr Gedanken entwickeln und zu verwirklichen versuchen. Deswegen konnte im deutschen Sprachraum der Einzelne während des 20. Jahrhunderts unter sehr unterschiedlichen politischen Bedingungen leben, die von der Monarchie über die Republik und die Diktatur bis zum Sozialismus oder dem rechtsstaatlichen Pluralismus reichen konnten und ganz unterschiedliche Anforderungen an den Gewaltunterworfenen stellten.
Mit einem Teilaspekt dieser Problematik beschäftigt sich die von der 1984 geborenen, zwischen 2004 und 2010 in Geschichtswissenschaft, Germanistik und Erziehungswissenschaft in Marburg ausgebildeten, nach dem Staatsexamen für das höhere Lehramt an Gymnasien als Mitarbeiterin der im Frühjahr 2011 berufenen unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes zwischen 1945 und 1968 tätigen Verfasserin in ihrer von Wolfgang Krieger betreuten am 15. Juli 2016 nach Disputation angenommenen Dissertation. Sie gliedert sich nach einer Vorbemerkung und einer Einleitung über Fragestellung und Aufbau, Forschungsstand und Quellen in vier Abschnitte. Sie betreffen die als Kurswechsel anzusehende Entscheidung für eine Überprüfung des „besonderen Personenkreises“, die Überprüfungen durch die Organisationseinheit 85, die Entscheidungen und die daraus folgenden Konsequenzen.
Im Ergebnis kann die Verfasserin in ihrer überzeugenden Arbeit feststellen, dass die von der Politik vor allem nach der Enttarnung Heinz Felfes gegen langen Widerstand des Behördenleiters veranlasste Personalüberprüfung 157 Mitarbeiter betraf, die auf den Seiten von 444 bis 486 alphabetisch aufgelistet sind (Arlt, Kurt-Zuber Ebrulf). In der Folge trennte sich der Bundesnachrichtendienst, dessen Vorläuferorganisation (Gehlen) ihre ersten Angehörigen aus der von Gehlen bis April 1945 geleiteten zwölften Abteilung des Generalstabs des Heeres (Heeresnachrichtendienst Fremde Heere Ost) übernahm, von 68 Mitarbeitern, die hauptamtlich etwa in der NSDAP, der SS, dem SD, der Gestapo oder der geheimen Feldpolizei gewirkt hatten und in einzelnen Fällen nachweislich an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen waren. Insgesamt gelangt die Verfasserin dabei zu dem Ergebnis, dass trotz der gegenüber dem Kanzleramt und dem parlamentarischen Vertrauensmännergremium schließlich nach außen getragenen Aufklärungswillens des Präsidenten des Bundesnachrichtendiensts von einer „neue(n) Entnazifizierung in der Behörde bzw. einer „Selbstreinigung“ des Bundesnachrichtendunsts in dieser Zeit nur unter (vier) Einschränkungen gesprochen werden kann, womit sie in jedem Falle ein „wenig mehr Licht in die verborgene Welt der Geheimdienste“ gebracht hat.
Innsbruck Gerhard Köbler