Nehmer, Bettina, Das Problem der Ahndung von Einsatzgruppenverbrechen durch die bundesdeutsche Justiz (= Beiträge zur Aufarbeitung der NS-Herrschaft 4). Lang, Frankfurt am Main 2015. 130 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Einsatzgruppe ist die Personengruppe, die im Auftrag Adolf Hitlers von dem Reichsführer SS Heinrich Himmler nach früheren Vorläufern (Sonderkommandos in dem März 1938 nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich für wenige Tage zur Durchführung sicherheitspolizeilicher  Maßnahmen in der Form von Verhaftungen politischer Gegner und Juden) seit 1939 in der Sicherheitspolizei und dem Sicherheitsdienst aufgestellt und eingesetzt wurde (Erstbeleg in einem Vorschlag von dem 29. September 1938).  Sie war eine ideologisch geschulte, teils stationäre, teils mobile Sondereinheit zur Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie. Ihre Angehörigen begingen etwa in den Einsatzgruppen A, B, C und D mit je rund eintausend Angehörigen in Polen (etwa 80000 Opfer), Serbien, Kroatien und in der Sowjetunion während des zweiten Weltkriegs zahlreiche Straftaten an mehr als 560000 Opfern.

 

Die in Politikwissenschaft und Geschichtswissenschaft in Hannover ausgebildete Verfasserin will und kann mit ihrer schlanken Studie nach ihrer Einleitung beweisen, dass die Mehrzahl der ehemaligen Angehörigen von Einsatzgruppen milde Richter gefunden hat, und will das juristische Instrumentarium offenlegen, mit dem die Gerichte ihre milden Strafen legitimieren konnten. Ihr Werk hat nach Erscheinen das Interesse eines sehr sachkundigen Rezensenten gefunden. Da der Verlag bisher kein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellen konnte, muss es an dieser Stelle bei einigen wenigen Hinweisen des Herausgeber verbleiben.

 

Gegliedert ist die Untersuchung nach einer kurzen Einleitung in vier Sachabschnitte. Sie betreffen die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdiensts von ihren Anfängen (in dem März 1938) über das „Unternehmen Tannenberg“ bis zu den Morden in Russland (Aktion 1005), den Einsatzgruppenprozess vor dem amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg, die Prozesse gegen Einsatzgruppenstraftäter vor bundesdeutschen Gerichten und den rechtstheoretischen Hintergrund der Einsatzgruppenjudikatur. Im Ergebnis der auch ausgewählte Einzelverfahren betrachtenden Verfasserin korrespondiert die privilegierend milde Bestrafung der Täter, von denen durch die Alliierten in Nürnberg 22 angeklagt und vier nach Todesstrafen hingerichtet und von deutschen Gerichten ab 1950 in 50 Prozessen 153 Beteiligte angeklagt, 33 freigesprochen und neun als Täter sowie 99 als Gehilfen verurteilt wurden, mit der gesamtgesellschaftlichen  Tendenz in der Nachkriegszeit, die Schreckensdaten innerhalb des totalitären nationalsozialistischen, angeblich von Hitler, Himmler und Heydrich allein weitgehend beherrschten Systems mit Hilfe der subjektiven Teilnahmetheorie und ihrer relativ beliebigen Verfügbarkeit der Rechtsfiguren von Täterschaft und Teilnahme (Beihilfe) zu Gunsten der Handelnden und zu Lasten der zahlreichen Opfer zu verdrängen.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler