Lutherland Sachsen-Anhalt, hg. v. der Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Otto-von-GuerickeUniversität Magdeburg. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2015. 384 S., 98 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Zahlreich sind die Veröffentlichungen, die anlässlich des Lutherjahres 2017 und der vorangehenden Lutherdekade erscheinen. In diesen Rahmen stellt sich auch die hier anzuzeigende umfangreiche Veröffentlichung. Neben Aufsätzen, die kaum über den Anlass hinaus Interesse finden werden, enthält der Band Beiträge, die bleibende Aufmerksamkeit von Rechtshidtorikern und Landeshistorikern verdienen. Der Landeshistoriker Mathias Tullner zeigt in einem Überblick (S. 9- 54), welche Menschen maßgeblich um Luther herum für die Reformation wirkten und welche Ereignisse der frühen Reformationszeit Bezug zu Sachsen-Anhalt haben. Er geht auf die junge Universität Wittenberg (gegründet 1502) ebenso ein wie auf die Bedeutung der Drucker in Magdeburg und Wittenberg, die viel für die schnelle Ausbreitung der Reformationsliteratur bewirkt haben. Die der Reformation zugewandten Bischöfe von Naumburg und Merseburg taten bis zum Schmalkaldischen Krieg das ihnen Mögliche für die Ausbreitung der neuen Gedanken. Der Rechtshistoriker Heiner Lück entwirft (S. 55-80) ein Bild der Universität Wittenberg (‚Leucorea‘) als geistigem Ausgangspunkt der lutherischen Reformation. Anders als die Reformatoren Zwingli und Calvin hatte Luther eine universitäre Stütze und durch die Wittenberger Theologenfakultät Helfer bei der Ausbildung des Pfarrernachwuchses zur Verbreitung der neuen Lehre. Wittenberg stand gerade zu den angrenzenden Territorien Kurbrandenburg und Anhalt, die sich der calvinistischen Richtung der Reformation verbunden fühlten, in einem Spannungsverhältnis. Die Juristen der Wittenberger Fakultät sorgten für ein Konzept des evangelischen Kirchenrechts und Eherechts, nachdem Luther das traditionelle Kirchenrecht mit der Judikationsgewalt der Bischöfe abgelehnt hatte. Der Universität erwuchs seit der Gründung der brandenburgisch-preußischen Reformuniversität Halle (1694) und der von ihr ausgehenden Frühaufklärung ein bedeutender Konkurrent, mit dem schließlich 1817 die Universität Wittenberg vereinigt wurde. Neben den Landesfürsten, die der Reformation ihre Unterstützung gaben, war damit die Universität Wittenberg ein wesentlicher Faktor zur Stabilisierung der Reformation. In einem weiteren Beitrag über die Rechtsprechung im Zentrum der lutherischen Reformation (S. 211-248) zeigt Lück die Tätigkeit des kurfürstlichen Hofgerichts, des Schöffenstuhls und der Juristenfakultät, deren Sitz Wittenberg war, für die kursächsische Gerichtsverfassung auf. Ab 1539 trat das Wittenberger Konsistorium als Einrichtung einer neuen Kirchenverfassung hinzu. Ab 1529 entfaltete das neu organisierte Hofgericht seine Tätigkeit, die im Jahre 1550 teilweise neu geregelt wurde. Die im Rahmen der Reformation geschaffenen Strukturen blieben bis zur Auflösung des Gerichts im 19. Jahrhundert in Kraft. Der Schöffenstuhl konnte, anders als das Hofgericht, auch in Strafsachen urteilen. Im Übrigen legte er seinen Sprüchen mindestens ab 1533 das Gemeine Sachsenrecht zugrunde. Die Professoren der Juristenfakultät fertigten auf Anforderung für Personen, Behörden und Korporationen Urteile und Gutachten an. Hierdurch gewannen sie eine große Bedeutung für das Gerichtswesen Kursachsens, aber auch nach Thüringen, Anhalt, Brandenburg, dem Erzstift Magdeburg, Preußen, Mecklenburg, Pommern und Braunschweig-Lüneburg strahlte ihre Wirkung aus. Mit der Einrichtung des Konsistoriums schuf der Kurfürst eine spezielle Behörde für die Rechtsprechung in Kirchensachen und in Eheangelegenheiten. Seine Rechtsprechung hat zur Herausbildung neuer eherechtlicher Normen und Auslegungsregeln im Einklang mit der reformatorischen Auffassung der Ehe beigetragen. Ein Exkurs zum vorreformatorischen Eherecht und der Stellung bedeutender Wittenberger Rechtslehrer zum Eherecht beschließt den überaus materialreichen Beitrag. Joachim Liebig beschreibt die Sondersituation des Fürstentums Anhalt (S. 177-185), das geprägt war durch Zersplitterungen des ohnehin kleinen Gebietes. Elisabeth von Weida gehörte als Äbtissin von Gernrode zu den frühen Förderern reformatorischen Gedankengutes. Gab es in Anhalt schon früh eine Zuwendung zu dem ausgleichenden Weg Melanchthons bei der Einführung der Reformation so verstärkte sich dies nach Luthers Tod und Anhalt öffnete sich der oberdeutsch-reformierten Tradition. Saskia Luther gibt in ‚Martin Luther und die deutsche Sprache‘ (S. 186-210) anhand der Werkausgabe in 120 Bänden (1883-2009) einen informativen Überblick über den Einfluss, den Luther mit seinen Schriften auf die einheitliche neuhochdeutsche Schriftsprache ausgeübt hat. Überzeugend stellt sie aus der Sprachbiographie Luthers heraus dar, dass er die in jungen Jahren erworbene niederdeutsche Sprache in seinen Briefen nutzte. Seine Tischreden weisen eine Sprachmischung zwischen lateinischer Sprache und dem ostmitteldeutschen Dialekt Wittenbergs auf. Die Reformationsschriften sind in einer ostmitteldeutsch-ostoberdeutschen Ausgleichssprache verfasst. Da die verschiedenen Einflüsse bei ihm zusammenkamen, ist er als Wegbereiter der neuhochdeutschen Schriftsprache anzusehen. Allein wegen der genannten Studien ist die Herausgabe der Sammlung zu begrüßen.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz