Kreher, Christian Oliver, Herkunft und Entwicklung des Zweckgedankens bei Franz von Liszt. Eine rechtshistorische Analyse des Marburger Programms. Schulthess, Zürich 2015. 147 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Strafe muss nach allgemeiner Ansicht ganz selbverständlich sein. Die Frage nach dem warum wurde dabei wissenschaftlich erst in dem 19. Jahrhundert ausführlich untersucht, ohne dass ein allgemein anerkanntes Ergebnis hätte gefunden werden können. Einen vorläufigen, die Meinungsverschiedenheiten aber nur allgemein in den Hintergrund drängenden Schlusspunkt setzte dabei der Strafrechtler Franz von Liszt (Wien 3. 3. 1851-Seeheim/Hessen 21. 6. 1919) mit seinem an der Universität Gießen erarbeiteten, aber unter seiner anschließenden Wirkungsstätte in  Marburg 1882 bekannt gewordenen Programm.

 

Mit ihm beschäftigt sich die von Andreas Thier betreute, am 11. Dezember 2013 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität angenommene, auch in den Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte erschienene Dissertation des Verfassers. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über Fragestellung, Methode, Aufbau und historische Verortung in vier Sachkapitel. Sie betreffen die Einführung in Gesetzgebung und Lehre um 1880 unter Gegenüberstellung des Marburger Programms (Modellvergleich), die einzelnen Elemente des Lisztschen Konzepts in dem Marburger Programm (Jhering, Darwin, Schneider, Merkel) und die Entwicklung des Lisztschen Gedankenguts in der Moderne (Modellvergleich mit dem Strafgesetzbuch der Schweiz).

 

Im ansprechenden Ergebnis stellt sich für den Verfasser der Zweckgedanke als ein Erzeugnis der Evolution dar, das besondere Bedeutung im Dienste des Gesellschaftsschutzes hat. Strafe ist bei Liszt ist wie bei seinem Gewährsmann Jhering als ein der geschichtlichen Entwicklung unterworfenes Institut verstanden, das sich laufend anpasst und fortentwickelt. Vor dem Hintergrund der seinerzeitigen Verhältnisse ist das Marburger Programm ein  Ausweg aus einer institutionellen Krise, für den die Gesellschaft bereit war, ohne das Vergeltungsstrafrecht oder Zweckstrafrecht, wie auch heute, allein herrschen zu lassen.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler