Kaiser Karl IV. (1316-1378) und die Goldene Bulle. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, bearb. v. Frauenknecht, Erwin/Rückert, Peter. Kohlhammer, Stuttgart 2016. 156 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Der 700. Geburtstag Kaiser Karls IV. war für das Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart als Verwahrer des Trierer Exemplars der Goldenen Bulle von 1356, das gemeinsam mit sechs weiteren Ausfertigungen (Böhmische/Wien, Kölner/Darmstadt, Mainzer/Wien, Rheinische/München, Frankfurter/Frankfurt am Main, Nürnberger/Nürnberg) seit 2013 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe zählt, Anlass, diesem wohl bekanntesten Verfassungsdokument des deutschen Mittelalters und seinem Schöpfer vom 13. April bis 29. Juli 2016 eine Ausstellung zu widmen. Der in üblicher Weise in einen Darstellungsteil und den Katalog gegliederte Begleitband skizziert nach einer Einleitung der Bearbeiter die wesentlichen Kontexte in insgesamt sieben illustrierten Beiträgen im Umfang zwischen acht und zwanzig Spalten. Der Katalogteil liefert eingangs eine Zeittafel, welche die Entwicklungen im Reich und in der Grafschaft Württemberg während des 14. Jahrhunderts in zwei Spalten einander gegenüberstellt. Im Anschluss werden die sieben Stationen der Ausstellung jeweils mit ihren Einleitungstexten sowie mit Abbildungen der verwendeten Objekte samt Legende präsentiert: I. Kaiser Karl IV. Person, Dynastie und Herrschaft; II. König und Kurfürsten. Auf dem Weg zur Goldenen Bulle; III. Die Goldene Bulle und der Erzbischof von Trier; IV: Rang und Ritual. Die Kurfürsten in der Goldenen Bulle; V: Karl IV. und die Grafen von Württemberg; VI: Der Kaiser und das Geld. Die Münzpolitik Karls IV.; VII: Wirkung und Bedeutung der Goldenen Bulle. Quellen und Literatur sind im Anhang verzeichnet. Man kann also durchaus von einem breit gefächerten Ansatz sprechen, den die Ausstellung verfolgt hat. In erster Linie geht es um das prominente Dokument, seine Entstehung und Überlieferung und selbstverständlich auch zentral um die darin niedergelegten Inhalte. Ein zweiter Schwerpunkt gilt der Person des Herrschers und der Machtpolitik der Luxemburger im Reich, ein dritter fokussiert auf den südwestdeutschen Raum.

 

Nachdem Karl IV., 1346 zum römisch-deutschen König gewählt, nach dem Ableben seines Widersachers Ludwig des Bayern 1347 die Wittelsbacher Ansprüche zurückdrängen und seine Herrschaft festigen konnte, wurde er auf seinem ersten Italienzug 1354/1355 in Rom zum Kaiser gekrönt. Nach seiner Rückkehr berief er zunächst einen Hoftag nach Nürnberg, wo die ersten 23 Kapitel der Goldenen Bulle beschlossen wurden, auf dem nachfolgenden Hoftag in Metz folgten weitere 8 Kapitel. Sie waren in ihrer Gesamtheit „eine Sammlung längst akzeptierter Normen und Gewohnheitsrechte, doch alleine ihre schriftliche Fixierung schuf mehr Rechtssicherheit bei der Königswahl. Die vereinbarten Regelungen hatten Bestand bis zum Ende des Alten Reiches. Die gesetzgeberische Leistung konnte aber nur Erfolg haben, wenn gegenseitige Interessen ausgeglichen wurden. Es war die besondere diplomatische Leistung Karls IV., auf den beiden Hoftagen in Nürnberg und Metz im Rahmen konsensualer Herrschaft sowohl die Kurfürsten als auch weitere Fürsten am Zustandekommen des Gesetzeswerks zu beteiligen“. Gemeinsam repräsentierten König und Kurfürsten auf den Hoftagen die „Gesamtheit des Reiches“ (S. 25). Der Goldenen Bulle komme somit neben der legislativen auch eine grundlegende Funktion der Herrschaftsrepräsentation zu. In ihrem Beitrag schreibt dazu Claudia Garnier: „Den Erkenntnissen der modernen mediävistischen Kommunikationsgeschichte zufolge, wurde die Abfassung einer Urkunde […] nicht nur durch Niederschrift und Verlesung, sondern oftmals auch durch die Visualisierung ihrer Inhalte begleitet. […] Man inszenierte gewissermaßen auf dem Metzer Hoftag den Text vor dem höfischen Publikum. […] Denn während die Chronisten vor allem Glanz und Pracht des Hoftages schildern, ist ein wirkliches verfassungsrechtliches Interesse an den Verfügungen der Goldenen Bulle erst am Ende des 14. Jahrhunderts zu rekonstruieren. […] Das Panorama des Metzer Hoftags spiegelte die Interaktion zwischen König und Kurfürsten wider, es betonte die Dignität der einzelnen Fürsten und die Exklusivität der gesamten Wählergruppe gleichermaßen, und es präsentierte ein monarchisches Herrschaftskonzept, in dem sämtliche Handlungen zwar auf den König ausgelegt waren, stets aber das gesamte Ensemble der Macht für die Politik im Reich verantwortlich zeichnete“ (S. 33).

 

Neben der bekannten Festlegung des Kreises der Königswähler auf die drei geistlichen (Köln, Mainz, Trier) und vier weltlichen Fürsten (Böhmen, Pfalz, Sachsen, Brandenburg) äußert sich die Goldene Bulle ausführlich zu den Modalitäten der Wahl und zum Zeremoniell (Sitzordnung, Prozessionsordnung). Bemerkenswert sei, dass die Frage der päpstlichen Beteiligung an der Wahl des römisch-deutschen Königs einfach übergangen wurde und nun mit dem König von Böhmen an der Spitze der weltlichen Kurfürsten jemand stehe, dem der „Sachsenspiegel“ hundert Jahre zuvor noch die Kurwürde mit der Begründung verweigert hatte, er sei kein Deutscher. Zudem wurden den Kurfürsten umfassende Rechte eingeräumt (Gerichtsfreiheiten, Regalien, Münzrechte, besonderer Schutz) und die Bündnisfreiheit der aufstrebenden Städte eingeschränkt – Letzteres ein Thema, auf das Christian Jörg in seinem Beitrag zur kaiserlichen Politik und den Städtebünden in Schwaben näher eingeht. Von großer ökonomischer Bedeutung waren, wie wiederum Matthias Ohm zeigen kann, die verbrieften Privilegien zur Prägung von Münzen, insbesondere von Goldmünzen, unter denen der rheinische Gulden „für einen langen Zeitraum zur Leitwährung im Reich und im Westen Europas“ werden sollte. Das dem Grafen Eberhard II. zugestandene Recht, Heller aus Silber zu schlagen, bedeutete den „Beginn der württembergischen Geldgeschichte“ (S. 41f.) und war zugleich Ausdruck einer „zeitweilig sehr enge(n) Zusammenarbeit zwischen dem Kaiser und den Grafen von Württemberg […] auf politischem wie kulturellem Gebiet“ (S. 113).

 

Ihres herausragenden Stellenwerts wegen wurde die Goldene Bulle von 1356 neben ihren erwähnten sieben, zum UNESCO-Weltdokumentenerbe gezählten Ausfertigungen (rezeptionsgeschichtlich habe das böhmische Exemplar die größte Wirkung entfaltet, während die des ausgestellten Trierer Exemplars bescheiden gewesen sei) in über 170 weiteren mittelalterlichen Abschriften überliefert, sehr bald nicht nur in der lateinischen Urfassung, sondern auch in deutscher Übersetzung. Aus kunsthistorischer Sicht kommt der um 1400 in Prag entstandenen Prachthandschrift König Wenzels, deren Ikonographie Claudia Garnier zu Spekulationen über eine möglicherweise darin transportierte politische Botschaft anregt (vgl. S. 34ff.), ob ihrer bibliophilen, mit kunstvollen Buchmalereien versehenen Ausstattung eine führende Stellung zu.

 

Obwohl die beiden Bearbeiter des Begleitbandes, Erwin Frauenknecht und Peter Rückert, aus deren Feder auch die Beiträge zu Person, Dynastie und Herrschaft Karls IV. (Frauenknecht), zu Karl IV. und den Grafen von Württemberg (Rückert) sowie zur Überlieferung und Rezeption der Goldenen Bulle (Frauenknecht) stammen, gemeinsam einen Beitrag zur verfassungsgeschichtlichen und kulturgeschichtlichen Bedeutung der Goldenen Bulle beisteuern, bleibt dieser in seiner Deskriptivität weitgehend an der Oberfläche und verzichtet auf problematisierende Fragestellungen im Kontext eines größeren historischen Kontinuums und unter rechtsgeschichtlichem Blickwinkel. Diskussionswürdige Themen wie die Durchsetzung der singulären Kurwürde durch Bindung an das Territorium oder die Translation von Kurwürden, auf die Alexander Begert („Die Entstehung und Entwicklung des Kurkollegs“, 2010) hingewiesen hat, bleiben sohin außer Betracht. Auch weiß Erwin Frauenknecht zu berichten, dass sich Karl „im Sommer 1349 erneut wählen und krönen (ließ), […] um eventuelle Anfechtungen gegen seine Wahl 1346 zu unterbinden“ (S. 15), obwohl aus der rechtshistorischen Forschung begründete schwerwiegende Einwände gegen die Faktizität eines solchen Akts ins Feld geführt worden sind (vgl. Begert, Kurkolleg S. 196f.).

 

Ausstellungen leben jedoch vorrangig von ihren Exponaten und dem visuellen Eindruck, den diese beim Betrachter hinterlassen. Vorderseite und Rückseite des Einbandes der Begleitschrift sind so in gelungener Weise jeweils mit Avers (Vorderseite) und Revers (Rückseite) des kaiserlichen Goldsiegels, dem die Goldene Bulle bis heute ihren Namen verdankt, in zweifacher Vergrößerung geschmückt worden. Genauere, bildlich gestützte Informationen zu dem im Original 6,2 cm Durchmesser aufweisenden Siegel, bestehend aus zwei mit Wachs gefüllten, motivgeprägten Goldblechhüllen und der verknoteten Siegelschnur, zu seiner Herstellung und Anbringung (vgl. S. 93ff.) liefert, neben vielen buchmalerischen und numismatischen Kostbarkeiten, der Katalogteil.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic