Kästle-Lamparter, David, Welt der Kommentare – Struktur, Funktion und Stellenwert juristischer Kommentare in Geschichte und Gegenwart (= Grundlagen der Rechtswissenschaft 30). Mohr Siebeck, Tübingen 2016. XVIII, 416 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
In der Welt der Kommentare dürfte das lateinische Wort commentarius das Herzstück sein, das bei Cicero (81-43 v. Chr.) erstmals bezeugt ist, das als neuhochdeutsch Notiz, Entwurf, Abriss, Skizze, Heft, Nachricht, Papier sowie Tagebuch erklärt wird und das zu dem bei Plautus (um 250-184 v. Chr.) belegten commentari (überdenken, bedenken, nachsinnen) bzw. zu dem gleichzeitig nachweisbaren comminisci (sich etwas in das Gedächtnis zurückrufen, sich auf etwas besinnen, ersinnen) gehört. Für den sich demgegenüber vorrangig auf den Sachgegenstand beziehenden, 1985 geborenen, in Rechtswissenschaft und griechischer Philologie in Tübingen und Oxford ausgebildeten, 2007 die erste juristische Staatsprüfung, 2008 den Magister Juris in Oxford und 2009 den Magister Artium in griechischer Philologie ablegenden, seit 2010 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Institut für Rechtsgeschichte der Universität Münster tätigen, 2014 mit der vorliegenden Arbeit promovierten Verfasser ist es wohl weder heuristisch nötig noch überhaupt möglich, eine trennscharfe Definition des Kommentars zu geben und ihn präzise von anderen Gattungen abzugrenzen. Dementsprechend begnügt er sich ansprechend mit einem formal ausgerichteten Kommentarbegriff, nach dem (juristischer) Kommentar jeder Text ist, der sich strukturell an einen anderen (juristischen) Text anlehnt (Primärtext, Basistext, Referenztext) und diesen fortlaufend erläutert.
In diesem Sinne ist eine Welt ohne Kommentare (wie eigentlich von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare) für den (bürokratisch verwalteten Menschen bzw. für den) deutschen Juristen kaum denkbar. Umso mehr hat es auch den Verfasser zu Recht erstaunt, dass Geschichte und Theorie des juristischen Kommentars bislang weitgehend unerforscht waren. Dies ändert seine von Nils Jansen angeregte und betreute eindrucksvolle Dissertation mit vorzüglichem Erfolg.
Sie gliedert sich nach einer sachkundigen Einleitung in vier Kapitel. Sie betreffen eine kurze Geschichte des juristischen Kommentars in Europa (unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung), vertiefend den abenteuerlichen Aufbruch in der Form der Neuentdeckung des juristischen Kommentars durch die Glossatoren und den Aufstieg des Gesetzeskommentars in Deutschland (zwischen Kontinuität und Paradigmenwechsel seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts). Dem folgen der Versuch einer Phänomenologie auf der Grundlage der Struktur des Kommentars und ein Resümee mit Ausblick zu Welt und Wert der Kommentare.
Im Ergebnis sieht der Verfasser den mit dem nicht einmal fragmentarisch überlieferten Werk Tripertita (commentaria bzw. in Text der Zwölftafeln, Auslegung durch die Priester und Prozessformeln Dreigeteiltes) des Aelius Paetus Catus von etwa 200 v. Chr. beginnenden Kommentar als eine der wichtigsten Textgattungen der (kontinental-)europäischen (Jurisprudenz oder) Rechtskunde an, wobei sich für ihn in der Relevanz von Kommentaren die Bezogenheit des juristischen Diskurses auf autoritative Texte als Quellen des Rechtes spiegelt, wie sie seit der Spätantike besonders das (allerdings seinerzeit noch nicht so genannte) Corpus iuris civilis Justinians bildete. Danach lässt das Zeitalter der Glossatoren für ihn trotz der Unterscheidung von Glossatoren und Kommentatoren eine juristische Kommentarkultur par excellence erkennen. Unter ganz anderen Zeitumständen und wissenschaftskulturellen Voraussetzungen entwickelte sich auch in oder seit der Frühzeit des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs eine Kultur des Kommentierens, aus der etwa Palandt oder Staudinger besonders hervorragen.
Wissenschaftlicher Fortschritt im Kommentar ist dabei für den Verfasser nicht ausgeschlossen, aber auch nur begrenzt erwartbar. Ungeachtet der bezweifelbaren Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz insgesamt ist die Blüte des modernen deutschen Kommentars für ihn weder Zufall noch Verfall. Für den juristischen Diskurs zwischen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis kann der juristische Kommentar in vielfältiger Weise so wertvoll sein, dass man ungeachtet einer latenten Sorge um die Zukunft der Rechtswissenschaft um die Zukunft des juristischen Kommentars in Deutschland kaum bangen muss, auch wenn die Zukunft stets auch Ungewisses birgt.
Insgesamt ist der Verfasser zu seiner überzeugenden Leistung sehr zu beglückwünschen. Sie wird für die juristische Literaturgeschichte ein dauerhaft wichtiger Baustein sein, in dem vielleicht noch der Code civil einheitlich auf 1804 datiert werden könnte. Mögen auf dieser erfolgreichen Grundlage weitere vergleichbare Leistungen gelingen.
Innsbruck Gerhard Köbler