Heller, Hans-Detlef, Die Zivilrechtsgesetzgebung im Dritten Reich. Die deutsche bürgerlich-rechtliche Gesetzgebung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Anspruch und Wirklichkeit. Monsenstein und Vannerdat, Münster 2015. 604 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Heller, der 1967 eine arbeitsrechtliche Dissertation (Köln) mit rechtshistorischen Bezügen abgefasst hat, legt nunmehr eine Darstellung über die Zivilgesetzgebung in der nationalsozialistischen Zeit mit einem umfangreichen Anmerkungsteil vor. Wie der Untertitel des Werkes ergibt, beschränkt sich die Darstellung auf die bürgerlich-rechtliche Gesetzgebung dieser Zeit. In der Einleitung geht Heller insbesondere auch auf methodische Fragen ein und tritt für eine primär historische Befassung der NS-Zeit ein, ohne „unmittelbare Lehren für die Gegenwart aufzustellen“ (S. 18). In Teil B des Werkes untersucht Heller die Ziele des Nationalsozialismus auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts (S. 25ff.) und analysiert zu diesem Zweck das Parteiprogramm der NSDAP (Forderung des Parteiprogramms, das sog. römische Recht durch ein „deutsches Gemeinrecht“ zu ersetzen), das Bürgerliche Gesetzbuch und die Einflüsse des römischen Rechts auf die deutsche Rechtsentwicklung (Rezeption). Zu S. 41 sei darauf hingewiesen, dass der Gutglaubensschutz (im Sachenrecht) nicht auf das römische, sondern auf das germanisch-deutsche Recht zurückgeht. In Teil C (S. 97ff.) geht es um die Kritik am BGB seitens der NSDAP, der Rechtsprofessoren Lange, Dölle und Stoll, die Umgestaltung des subjektiven Rechts durch Larenz und die Replik hierzu von Manigk. In Teil C (S. 97ff.) befasst Heller sich mit den „neuen Themen“ wie das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken“ (Carl Schmitt), der Theorie vom konkret-allgemeinen Begriff (Karl Larenz) mit der „Thematik Rechtsperson und subjektives Recht“ sowie der arbeitsrechtlichen „Eingliederungstheorie“ (W. Siebert) und mit den Vorschlägen zu einer neuen Systematik des bürgerlichen Rechts (S. 130ff.). S. 134ff. setzt sich Heller mit dem Vortrag Schlegelbergers aus dem Jahre 1937 „Abschied vom BGB“ auseinander und stellt mit Recht fest, dass das Reichsjustizministerium unter Gürtner „zu keinem Zeitpunkt die Absicht“ gehabt habe, „vom BGB ‚Abschied‘ zu nehmen“. Schlegelberger habe mit seinen Ausführungen auf Hitlers Einverständnis hinweisen wollen, „notwendige Neuerungen mithilfe von Einzelgesetzen durchzuführen“ (S. 135). Unter der Überschrift „Neue Institutionen“ geht es in Teil E (S. 159ff.) um die Akademie für Deutsches Recht, die Pläne zu einem Volksgesetzbuch und die sog. Stoßtruppfakultäten (u. a. die sog. Kieler Schule). Auf die Aktivitäten der einzelnen Akademieausschüsse zum bürgerlichen Recht und die von ihnen hierzu aufgestellten Detailentwürfe geht Heller nur am Rande ein. Auch wenn man das Methodenverständnis Hellers teilt, sollte der Hinweis nicht fehlen, dass die Diskussionen in den Ausschüssen oft im Rahmen übergreifender Entwicklungen auch für die Zeit nach 1945 von nicht geringer Bedeutung sind. Für das Aktien-, GmbH- und Genossenschaftsrecht waren die Akademieausschüsse von großer Wichtigkeit. Dass Heller die Arbeiten der gesellschaftsrechtlichen Ausschüsse in die Untersuchungen nicht wenigstens ansatzweise einbezogen hat, ist unter diesem Gesichtspunkt zu bedauern.

 

In Teil F (S. 203ff.) wird die nationalsozialistische Gesetzgebung der Frühzeit besprochen, und zwar insbesondere das Reichserbhofgesetz und das Arbeitsordnungsgesetz sowie die Entwürfe zu einem Arbeitsvertragsgesetz. Für das Reichserbhofgesetz wäre eine detailliertere Schilderung der Entstehung dieses Gesetzes und insbesondere dessen Novellierung erwünscht gewesen (hierzu u. a. Christian Böse, Die Entstehung und Fortbildung des Reichserbhofgesetzes [2008]). Im folgenden Teil G geht Heller unter der Überschrift „Konservative Gesetzgebung des Reichsjustizministeriums“ ein u. a. auf das Ehegesetz, das Familienrechtsänderungsgesetz von 1938, das Testamentsgesetz, das Verschollenheitsgesetz, das Adoptionsgesetz und die Erbregelungsverordnung von 1944. Im Hinblick auf die Quellen und die Literatur zu den genannten Gesetzen ist die Darstellung, insbesondere wenn man wie Heller auch die Zeit von vor 1933 mit einbezieht, wohl insgesamt zu knapp. Die Rechtsprechung zu § 55 EheG (1938) hätte eine etwas ausführlichere Darstellung verdient (vgl. S. 288f., 323ff.). Hingewiesen sei darauf, dass August Bebel nicht Mitglied der 2. (BGB-)Kommission gewesen ist (vgl. S. 267), sondern dass wohl seine Reden in der 2. Lesung des Reichstags über das BGB gemeint waren. Nicht klar wird auch, inwieweit Rudolf von Gneist Schöpfer der österreichischen Strafprozessordnung war (S. 267). S. 361 stellt Heller mit Recht fest, dass von einem „Abschied vom BGB“ zumindest für die Zeit bis 1942 keine Rede sein könne, da „alle Gesetze, mit denen das bürgerliche Recht verändert wurde, auf dem BGB gefußt“ hätten (S. 321).

 

Im letzten Hauptabschnitt H (S. 329-409) beschäftigt sich Heller mit der Frage nach den „Gründen für das auffällige Auseinanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit, von Forderung und Realisierung“ (d. h. der Umgestaltung des bürgerlichen Rechts nach den nationalsozialistischen Forderungen; S. 329). Untersucht werden das Gesetzgebungsverfahren und dessen Praxis sowie die Zentren der Willensbildung (Fritz Gürtner; Hess; Lammers [Chef der Reichskanzlei, dessen „gutes freundschaftliches“ Einvernehmen mit Gürtner eine wichtige Rolle spielte, S. 381], und Hitler, auf dessen „bodenlose Verachtung des Juristenstandes“ [S. 372], Heller hinweist). Insgesamt ist der Abschnitt H über die Gesetzgebung das Beste, was der Rezensent dazu bisher gelesen hat. In der Schlussbetrachtung (S. 411-421) arbeitet Heller heraus, dass ab 1938 das überkommene Rechtssystem des BGB zunehmend positiver beurteilt wurde. Bereits 1940 schrieb Freisler zum BGB, oft besteche „die Eleganz und Großzügigkeit der Linienführung des Gesetzes … Oft fällt im Bürgerlichen Gesetzbuch ex tunc gesehen revolutionäre Kühnheit wegen ihrer Paarung mit vorsichtigsten Kompromisslösungen auf“ (S. 416 – nach R. Freisler/J.W. Hedemann, Deutsches Gemeinrecht im Werden, Berlin 1940, S. 49). Im Anhang bringt Heller eine Übersicht über die gesetzlichen Änderungen des bürgerlichen Rechts während der NS-Zeit, geordnet nach der Systematik des BGB (S. 517-521).

 

Das Werk Hellers stellt eine wichtige Ergänzung der Darstellung von Lothar Gruchmann über das Reichsjustizministerium (Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, 3. Aufl., München 2001) für den Kernbereich des bürgerlichen Rechts dar und führt diese auch für die Zeit des Reichsjustizministeriums unter Schlegelberger und Thierack fort. Zu bedauern ist, dass Heller nicht weitere Gebiete des Zivilrechts in seine Untersuchungen mit einbezogen hat, da hier die konservative Grundhaltung des Reichsjustizministeriums sich wohl noch klarer zeigte als beim bürgerlichen Recht. Alles in allem stellt das Werk von Heller eine beachtliche Leistung dar, bei dessen Lektüre der Rezensent seine Kenntnisse erweitern konnte.

 

Kiel

Werner Schubert