Gorbachev, Mikhail, The New Russia, translated by Tait, Arch. John Wiley & Sons/Polity Press, Cambridge 2016. XI, 464 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Russland geht auf die mittelalterliche, ihrer Herkunft nach umstrittene Bezeichnung Rus für (germanisch/germanistische) Stämme zurück, die vermutlich unter dem skandinavisch-warägischen Heerführer Rurik um Kiew in slawischem Gebiet in dem 9. Jahrhundert ein Reich gründeten. Zunehmend slawisiert wird es nach der Christianisierung und der Bannung der Mongolisierung in der frühen Neuzeit ein autokratischer, weit nach Osten und Süden ausgreifender Einheitsstaat, der sich im 18. Jahrhundert unter Katharina der Großen dem Westen Europas und der Aufklärung nähert. Wirtschaftlich und gesellschaftlich eher rückständig wird in ihm während des ersten Weltkriegs am 27. 2. 1917 bzw. 12. 3. 1917 der das oströmische Kaisertum fortführende Zar gestürzt und unter Wladimir Iljitsch Uljanow/Lenin das Land in die kommunistische Ideen Karl Marx‘ verwirklichende Räterepublik der Sowjetunion verwandelt, in der die Kommunistische Partei der Sowjetunion totalitär herrscht.
In dieser Sowjetunion wurde unter Josef Stalin in der Region Nordkaukasus (Stawropol) in Priwolnoje am 2. März 1931 Michail Sergejewitsch Gorbatschow als Sohn eines russischen Bauern und dessen ukrainischer Ehefrau geboren. Nach einer ersten Tätigkeit als Mähdreschermechaniker und dem frühen Eintritt in die Kommunistische Partei der Sowjetunion (1952) studierte er an der Lomonossow-Universität in Moskau Rechtswissenschaft und wirkte danach als kommunistischer Funktionär in Stawropol. Nach einem weiteren Abschluss als Agrarbetriebswirt (1966) wurde er 1970 zum Ersten Sekretär für Landwirtschaft berufen.
1971 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der Partei, 1978 Nachfolger seines überraschend verstorbenen Förderers F. Kulakow (Sekretär des Zentralkomitees für Landwirtschaft), 1979 Kandidat des Politbüros, 1980 Mitglied. Da ihm auf Grund seiner Stellung auch Reisen in das westliche Ausland erlaubt waren, konnte er in der Bundesrepublik Deutschland, Kanada und Großbritannien westliches Gedankengut erleben. Dadurch wurden seine politischen und gesellschaftlichen Sichten wesentlich beeinflusst.
Am 11. März 1985 wurde er einen Tag nach dem Tod des Generalsekretärs Konstantin Tschernenko mit 54 Jahren zum zweitjüngsten Generalsekretär in der Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gewählt. In der Folge setzte er sich in verantwortungsbewusster Einsicht in die politischen Fehler seiner Partei für Offenheit (Glasnost) und Perestroika (Umstrukturierung) ein. Obwohl er am 14. März auf einem Sonderkongress der Volksdeputierten der Sowjetunion mit nahezu 60 Prozent der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt wurde, musste er bereits am 25. Dezember 1991 unter dem Druck Boris Jelzins als Präsident der in der Folge aufgelösten Sowjetunion zurücktreten.
Seitdem wirkt er ihm Rahmen der 1992 gegründeten Gorbatschow-Stiftung vor allem als Autor. Er versteht sich als Sozialdemokrat. Sein unbestreitbarer, nach Erklärung rufender Einsatz für Werte wurde ihm ebenso wenig gedankt wie seine Ablehnung von Unwerten.
Sein vorliegendes, mit einigen Abbildungen versehenes, weitgehend autobiographisches Werk gliedert sich in drei Abschnitte. Sie betreffen die Zeit nach Perestroika, fragend Russland unter Putin sowie die unsichere Gegenwart, für die er ein neues Denken empfiehlt. Am Ende zeigt er sich als Optimist und Förderer von Demokratie und Menschlichkeit.
Unabhängig von seinem tatsächlichen politischen Scheitern in der rauhen Alltagswirklichkeit hat er die gesamte Welt im Rahmen seiner Möglichkeiten zum Besseren geändert. Seine vielfältigen eindrucksvollen Ausführungen verdienen dementsprechend umfassende Kenntnisnahme und Anerkennung. Möge ein großer Politiker, Mensch und Menschenfreund, dem auch Deutschland viel zu verdanken hat, von einer großen Leserschaft für sein neuestes, 2015 in Russland erschienenes Werk gebührend entlohnt werden und mögen seine auf gegenseitiges Verständnis und allgemeine Zusammenarbeit ausgerichteten Einsichten die Welt weiter bestmöglich fördern.
Innsbruck Gerhard Köbler