Glorius, Dominik, Im Kampf mit dem Verbrechertum – die Entwicklung der Berliner Kriminalpolizei von 1811 bis 1925 – eine rechtshistorische Betrachtung (= Berliner juristische Hochschulschriften, Grundlagen des Rechts 57). Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2016. XXI, 811 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Berliner Kriminalpolizei – die älteste Deutschlands – nimmt eine Schlüsselstellung in der Geschichte der deutschen Kriminalpolizei ein; sie wurde als Teil der Polizeiverwaltung 1811 gegründet und 1925 mit der Begründung des preußischen Landeskriminalamts reorganisiert. Bislang lag eine auf die preußische und Berliner Kriminalpolizei zentrierte Darstellung nicht vor; die Arbeiten von Albrecht Funk, Polizei und Rechtsstaat. Die Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols in Preußen 1848-1918, 1986, und von Andreas Roth, Kriminalitätsbekämpfung in deutschen Großstädten 1850-1914. Ein Beitrag zur Geschichte des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, 1997, gehen auf die Kriminalpolizei nur „am Rande“ ein (S. 11). Es ist deshalb zu begrüßen, dass sich Glorius der genannten Thematik unter fortlaufender Berücksichtigung der archivalischen Überlieferung angenommen hat.

 

Im ersten Kapitel (S. 14-58) befasst sich Glorius mit dem Kriminalpolizeibegriff als Ausgangspunkt der rechtshistorischen Betrachtung und mit dem Polizeibegriff des § 10 II 17 ALR sowie mit dem Aufbau der Berliner Polizeiverwaltung. Die 1804 am Berliner Stadtgericht neu geschaffene Kriminaldeputation wurde 1811 dem 1809 geschaffenen Berliner Polizeipräsidium angegliedert. Die hierfür maßgebende KO vom 12. 2. 1811 stellte fest, dass die Kriminalpolizei die Straftäter „verfolgt, ohne die ordentlichen Gerichte zuzuziehen, vielmehr in beider Rücksicht ihnen Behufs der Feststellung des Tatbestandes, oder Eröffnung der Untersuchung mit voller Glaubwürdigkeit, bey ihren Verhandlungen vorarbeitet“ (S. 51). Nach einer vom Kammergerichtspräsidenten und Justizminister Kircheisen scharf kritisierten Übereinkunft vom 1. 4. 1811 zwischen dem Stadtgerichtsdirektor und dem Polizeipräsidenten v. Schlechtendahl sollte das Gericht erst, wenn keine richterliche Untersuchungshandlung notwendig war, über die Ermittlungen in Kenntnis gesetzt werden, „wenn Corpus delicti und Täter feststanden“ (S. 52). Auch war es der Polizei gestattet, im Rahmen einer Untersuchung „Verdächtige vorläufig in Polizeihaft zu nehmen, ohne dass das Kriminalgericht hiervon in Kenntnis gesetzt werden musste“. Auf der anderen Seite hatten die Polizeibeamten, wenn das Gericht eine Untersuchung durchführte, „den gerichtlichen Ersuchen Folge zu leisten, ansonsten war der Untersuchungsrichter auf formale Eingaben an das Polizeipräsidium beschränkt“ (S. 52).

 

Im Kapitel 2 (S. 59-119) behandelt Glorius im Abschnitt über die Berliner Kriminalpolizei im Vormärz (1815-1848) die Verfolgung von „Demagogen und Demokraten“, den Kampf um das im Rheinland beibehaltene französische Strafverfahrensrecht, nach dem die Staatsanwaltschaft und die Ermittlungsrichter über die Ermittlungspolizei verfügten (police judiciaire) und die Wiederherstellung des Berliner Polizeipräsidiums (1822), bei der das Abkommen vom 1. 4. 1811 bekräftigt wurde (S. 77f.). Das Berliner Stadtgericht erhielt 1845 ein „Criminal-Commissariat“, das eine Parallele zu der dem Gericht angehörigen Kriminalpolizei darstellen sollte (S. 86ff.). Jedoch scheiterte dieses Vorhaben bereits mit der Einführung der Staatsanwaltschaft im reformierten Strafprozess. S. 100ff. kennzeichnet Glorius die strafprozessuale Gesetzrevision und die Strafprozessverordnung vom 17.  7. 1846, an der auch Savigny beteiligt war (vgl. Savigny, v., Die Prinzipienfragen in Beziehung auf eine neue Strafprozessordnung, S. VIIff., 108 ff., hg. v. Schubert, W., 2011) und die von einer Gleichordnung von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei ausging (S. 112f.). – In Kapitel 3 geht es um die Zeit von 1848 bis 1882. Das Strafverfahren vom 3. 1. 1849/3.5.1852 brachte ebenfalls keine Unterordnung der Polizei unter die Staatsanwaltschaft (S. 130f.). 1853 wurde unter dem Polizeipräsidenten Hinckeldey die von Wilhelm Stieber (bis 1860) geleitete Kriminalpolizei im Polizeipräsidium zu einem „eigenständigen Zweig der Polizeiverwaltung“ (S. 139). Die 24-Stunden-Frist zur Vorführung von Inhaftierten bei dem zuständigen Richter wurde unter teilweiser Duldung der Staatsanwaltschaft nicht eingehalten (S. 153). Eine vom neuen Dirigenten der Kriminal- und Sicherheitspolizei v. Drygalski 1866 geforderte Reform der Kriminalpolizei scheiterte (S. 165ff.) und wurde erst unter dem Polizeipräsidenten Madai (1872-1885) umgesetzt. Auch das Gerichtsverfasssungsgesetz und die Strafprozessordnung von 1877 brachten zumindest für Preußen kein „Subordinationsverhältnis“ der Polizei gegenüber der Staatsanwaltschaft (S. 197), obwohl § 153 GVG von den Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes als Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft sprach (S. 195ff.). In Preußen wurde alsbald im Verordnungswege hinsichtlich des Verhältnisses von Polizei und Staatsanwaltschaft „der Status quo ante“ nahezu wiederhergestellt (S. 203). – Im Kapitel 4 (1883-1914, S. 208-337) arbeitet Glorius die Entstehung der „modernen Kriminalpolizei“ in Berlin heraus. 1885 erfolgte ein Umbau der Kriminalpolizei, die in drei Fachinspektionen untergliedert wurde (Gelegenheitsverbrechen/Gewohnheits- und Berufsverbrecher/Vermögensdelikte im geschäftlichen Verkehr; S. 233ff.). 1902 wurde die „Mordkommission“ etabliert (S. 265ff.). Vorschläge von 1901, die Kriminalpolizei ausschließlich der Staatsanwaltschaft zu unterstellen, hatten keinen Erfolg. Die Strafprozessreform von 1908/1909, die insoweit eine Veränderung hätte bringen können, misslang (S. 313ff.).

 

Sehr breit behandelt Glorius in Kapitel 5 die Zeit des Ersten Weltkriegs (S. 338-535). Die Kriminalpolizei wurde stark ausgedünnt (Ende 1917 war von den höheren Beamten der Kriminalpolizei und der Schutzmannschaft nur noch ein knappes Viertel im Dienst, S. 514f.). Die „innere Front“ der Kriminalpolizei betraf vor allem das Kriegsstrafrecht (insbesondere den Kriegswucher; S. 390ff.) und die Verfolgung der „indirekten Kriegskriminalität“ (S. 435ff.). Die Schriften von Bill Drews (1917) zur Polizeireform und von Oskar Mügel zu einer landesherrlichen Justizverwaltungsreform (1918) brachten hinsichtlich des Verhältnisses von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft keine praktikablen Reformvorschläge. Dem „Zusammenbruch und Neuanfang 1918/1920“ ist das 6. Kapitel (S. 536-624) gewidmet. Von November 1918 bis Anfang Januar 1919 war der USPD-Funktionär Emil Eichhorn Berliner Polizeipräsident (S. 564ff.). Nach dem Versagen der Schutzmannschaft lag die Sicherheitspolizei weitgehend in den Händen des Militärs, während die Kriminalpolizei alsbald ihre Arbeit wieder aufnahm (S. 588f.). Das 7. Kapitel steht unter der Überschrift: Polizeireform und republikanischen Vorzeichen 1920-1925 (S. 625-735). Die Neuinstallierung der Sicherheitspolizei ab Ende November 1920 beendete die Zersplitterung der Berliner (Sicherheits-)Polizei in „blaue“ Ordnungspolizei, „rote“ Polizeibeamte der Kommandantur und „grüne“ Polizei („Sicherheitspolizei“) sowie in weitere Kriminalpolizeistellen (S. 649ff.). Unter der etwas irreführenden Überschrift: „Das Reichskriminalpolizeigesetz vom 14. Februar 1920“ behandelt Glorius lediglich den Entwurf des Reichsinnenministeriums vom 14. 2. 1920 zu einem Polizeigesetz, der Ende 1920 am Widerstand Preußens zunächst scheiterte (S. 649ff.), jedoch 1922 wieder aufgegriffen und gegen den Widerstand Bayerns vom Reichsrat und Reichstag verabschiedet wurde (RGBl. 1922, 593). Aufgrund des Reichskriminalpolizeigesetzes sollte ein Reichskriminalpolizeiamt installiert werden, wozu es jedoch wegen des bayerischen Widerstandes und der finanziellen Notlage des Reichs nicht kam (S. 722). Unter dem preußischen Innenminister Carl Severing und dem damaligen Ministerialdirektors Wilhelm Abegg kam es zu einer Reform der Polizei, die sich in die uniformierte Schutzpolizei (Zusammenfassung der Sicherheits- und Ordnungspolizei) und in die zivile Kriminal- und Verwaltungspolizei gliederte (S. 685ff., 700 ff.). Es wurden großflächige Polizeibezirke gebildet wie die „Kriminalpolizei Groß-Berlin“ (S. 724ff.) mit 17000 Beschäftigten für 3,8 Millionen Einwohner mit zentralen Polizeiabteilungen und örtlichen Kriminalstellen in den Polizeiämtern. 1925 wurde auch das Landeskriminalpolizeiamt geschaffen und dem Berliner Polizeipräsidium angegliedert (S. 742). Großen Wert legte Severing auf eine konsequente Demokratisierung der Polizei und auf eine Reform der Ausbildung der Kriminalbeamten. Der Versuch, der Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zu übertragen, wie dies der Strafprozessordnungsentwurf James Goldschmidts (1920) vorsah, war bereits 1921 gescheitert. Wie Glorius abschließend schreibt, hatte es keine Zeit gegeben, in der das Verhältnis der Staatsanwaltschaft zur Kriminalpolizei „nicht umstritten gewesen war, wobei hier ein ausgeprägtes Ressortprestigedenken festzustellen ist“: „Die anhaltenden Streitigkeiten zwischen Polizei und Justiz mündeten aber letztlich in einer Kompromisslösung, nämlich den Regelungen der Reichsjustizgesetze, die den widerstreitenden Interessen Rechnung trug. Und wenn auch diese nicht frei von Kritik gewesen waren, sollten sie sich zumindest in der Verwaltungspraxis bewähren.“ Hieraus erkläre sich auch, „warum der damals geschaffene Rahmen des Verhältnisses von Polizei und Staatsanwaltschaft bis zum heutigen Tage unverändert geblieben ist“ (S. 743; zu Reformbestrebungen in den 1970er Jahren Schubert, W., Staatsanwaltschaftsrecht 1934-1982, 2013, S. LVff., 411ff., 533ff.).

 

Das Werk wird abgeschlossen mit einer Schlussbetrachtung (S. 736-743), die etwas detaillierter hätte sein sollen, da Zusammenfassungen für die einzelnen sehr umfangreichen Kapitel fehlen, und mit einem Personen- und Sachregister. Hinsichtlich der benutzten Archivalien werden nur die Provenienzen, nicht jedoch die im Einzelnen herangezogenen Einzelakten aufgeführt. Hilfreich wären gewesen Übersichten über die Berliner Polizeipräsidenten, die Organisation der Kriminalpolizei im Verlauf des Untersuchungszeitraums und über die Dirigenten/Leiter der Kriminalpolizei. Auch die Mitteilung einiger normativer Texte über die Berliner Kriminalpolizei wäre erwünscht gewesen. In die Darstellung bezieht Glorius bekannte Berliner Kriminalfälle (Nachweis S. 808) und besonders für die Jahre 1918-1920 auch den historischen Hintergrund für wichtige Polizei- und Militäreinsätze mit ein, was die Abschnitte für die genannte Zeit zu einer spannenden Lektüre macht. Gleichwohl dürfte die Darstellung im Hinblick auf die gewählte Thematik mitunter etwas zu breit geraten sein. Mit dem Werk von Glorius liegt eine reichhaltige rechtsgeschichtliche Untersuchung über die Berliner Kriminalpolizei und damit weitgehend auch der preußischen Polizei insgesamt vor unter dem Gesichtspunkt ihrer Befugnisse, ihrer Organisation und ihres Verhältnisses zur Staatsanwaltschaft, eine Untersuchung, die Platz lässt für weitere Detailforschungen zur Geschichte der preußischen Kriminalpolizei, insbesondere in anderen Großstädten wie Köln, Breslau, Königsberg, Magdeburg und Stettin.

 

Kiel

Werner Schubert