Die Protokolle der Regierung der Republik Baden, bearb. v. Martin Furtwängler, Band 2 Das Staatsministerium April 1919 – November 1921, erster Teilband, zweiter Teilband (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Kabinettsprotokolle von Baden und Württemberg, Teil 1, Band 2). Kohlhammer, Stuttgart 2016. CXXIX, 437 S., 439-968, Abb. Besprochen von Werner Schubert.

 

Band 2 der Protokolle der Regierung der Republik Baden (zu Bd. 1 W. Schubert, http://www.koeblergerhard.de/ZIER-HP/ZIER-HP-02-2012/DieProtokollederRegierungderRepublikBaden1.htm) umfasst die Protokolle der Sitzungen des Staatsministeriums von April 1919 bis November 1921. In der Einleitung geht der Herausgeber Furtwängler zunächst auf die Bildung und Umbildung des Staatsministeriums ein, welches das provisorische Staatsministerium ablöste (S. 8ff.) und von der sog. Weimarer Koalition (Zentrum, SPD, DDP) gebildet wurde (zunächst 7, später 5 Minister und 6 Staatsräte, die dem Kabinett als unbesoldete Minister ohne Geschäftsbereich angehörten). Zunächst befasst sich Furtwängler in der Einleitung mit den Folgen des Ersten Weltkriegs. Hingewiesen sei in dieser Beziehung auf die Beratungen über die Friedensbedingungen im späteren Versailler Vertrag (S. 60ff.). Ferner zeigt Furtwängler die Probleme der Versorgung und der Kriegsschulden sowie der Reichsfinanzreform (Steuerrechtsreform zugunsten des Reichs, dem 75% der Steuern zuflossen) auf (S. 23f.). Diese führte am 12. 7. 1919 zu einer gemeinschaftlichen Sitzung des württembergischen, badischen und hessischen Staatsministeriums (S. 147ff.). Insgesamt mussten die Länder „nicht unerhebliche Einschränkungen ihrer staatlichen Eigenständigkeit“ hinnehmen (S. 24). Ein weiterer Abschnitt der Einleitung betrifft die innere Sicherheit (S. 27ff.). Pläne zur Vereinigung von Baden und Württemberg lehnte das Staatsministerium ab, da nach dessen Meinung „lediglich Württemberg Vorteile hieraus ziehen würde“ (S. XXXVIII). Weitaus am häufigsten befasste sich das Staatsministerium mit Fragen der badischen Beamtenschaft, insbesondere mit dem Besoldungsrecht (vgl. u. a. S. 416ff., 437, 442ff., 468ff., 642ff.). Insgesamt war die Regierung bestrebt, eine „verfassungstreue Beamtenschaft“ (S. XLIV) aufzubauen.

 

Von den Projekten der Regierung, die der Krisenbewältigung dienten, beschreibt Furtwängler die Neckarkanalisation, die Elektrizitätsversorgung und das Scheitern eines Projekts im Bereich des Siedlungswesens (S. XLIV). Ausführlich schildert Furtwängler die Arbeitsweise des Staatsministeriums, das auch im Umlaufverfahren entscheiden konnte, sodass die auf diese Weise gebilligten Vorhaben nicht mehr in den Protokollen des Staatsministeriums erscheinen. Dieses war bemüht, ein positives Bild von der Regierungsarbeiten der Öffentlichkeit zu vermitteln. S. 874ff. gibt Furtwängler die Schlussrede des Staatspräsidenten Trunk in der Landtagssitzung vom 7. 10. 1921 wieder, von der 300.000 Exemplare gedruckt wurden. Ein ausführlicher Abschnitt dieser Rede befasst sich mit der Rechtspflege (u. a. Anstieg der amtsgerichtlichen Strafbefehle von 1913-1920 von 12.000 auf 64.000; Anstieg der von der Staatsanwaltschaft zu verfolgenden Strafsachen von 26.000 auf 97.000, der Gnadengesuche von 4000 auf 15.000; Aufsicht über die Fürsorgeerziehung durch das Justizministerium). Über die Mitglieder des Staatsministeriums bringt Furtwängler aussagekräftige Biografien, soweit diese nicht bereits in Bd. 1 der Reihe enthalten sind (zum Justizminister Gustav Trunk vgl. Bd. 1, S. XXIf.). Im Abschnitt über die Editionspläne weist Furtwängler darauf hin, dass die Edition dem Prinzip der „flachen Kommentierung“ verpflichtet sei. Hervorzuheben ist, dass fast alle in den Niederschriften vorkommenden Personen biografisch erfasst werden (z. B. S. 159 der Romanist Otto Lenel [Universität Freiburg], der 1919 mit 65 Jahren zur Ruhe gesetzt wurde).

 

Wie im vorhergehenden Zeitraum beschäftigte sich das Staatsministerium 1919/1920 wiederholt mit Fragen, die auch für den Rechtshistoriker von Interesse sind. Aus dem Bereich des öffentlichen Rechts sind zu erwähnen die Reform des Kommunalrechts (S. 47, 83), die Änderung des Landwirtschaftskammergesetzes (S. 50, 75, 80f.), das Reichsgesetz über die Erhöhung der Abgaben zur Förderung des Wohnungsbaus (S. 636ff.) und die Sozialisierungspläne (S. 37). Eine Heiratserlaubnis für Offiziere sollte weiterhin bestehen bleiben (S. 34). Für das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht sind zu erwähnen folgende Beratungsgegenstände: Frage der Abschaffung der Todesstrafe (S. 128), der Entwurf zu einem Reichsgesetz zur Neuordnung der Strafgerichte und des Strafverfahrens (wiedergegeben bei W. Schubert [Hrsg.], Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, Abt. I, Bd. 4, S. 1 ff.) und Maßnahmen zur Bekämpfung des Schiebertums (S. 190ff.). Von zivilrechtlicher Relevanz sind das Gesetz über den Verkehr mit Grundstücken (S. 26, 775ff.), die Pachtschutzordnung (S. 562ff., 604ff.) und der Gesetzentwurf zur Regelung der religiösen Kindererziehung, der mit dem Reichsgesetz vom 15. 7. 1921 über diese Materie obsolet wurde. Zur Gerichtsverfassung gehören die Beratungen über das Gesetz zur Errichtung des Staatsgerichtshofs und der Entwurf zu einem Reichsarbeitsgerichtsgesetz (S. 94, 680). Zweimal befasste sich das Staatsministerium mit Maßnahmen gegen Antisemitismus (S. 198f., 296). Der Vorbereitungsdienst für den höheren Dienst in der Justiz und der inneren Verwaltung kam am 16.5.1919 zur Sprache (S. 59).

 

Das Werk wird abgeschlossen mit jeweils einem Personen-, Orts- und Sachregister (S. 895-967). Insgesamt liegt mit dem Band 2 der Edition eine auch für den Rechtshistoriker wichtige Edition vor, die zusammen mit den archivalischen Sachakten und den Parlamentsverhandlungen die Gesetzgebung Badens und dessen Beteiligung an der Reichsgesetzgebung sowie teilweise auch die personelle Entwicklung der Justiz zuverlässig erschließt.

 

Kiel

Werner Schubert