Denzler, Alexander, Über den Schriftalltag im 18. Jahrhundert. Die Visitation des Reichskammergerichts von 1767 bis 1776 (= Norm und Struktur 45). Böhlau, Wien 2016. 612 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der Mensch als Individuum hat die verständliche Neigung, vor allem die eigenen Interessen zu verwirklichen, was bei der Wahrnehmung übertragener Aufgaben zu Abweichungen zwischen dem erwarteten Verhalten und dem tatsächlichen Verhalten führen kann, woraus sich die Einsicht entwickelt hat, dass Vertrauen gut ist, Kontrolle aber besser. Aus diesem Grunde kennt beispielsweise die christliche Kirche bereits früh eine aufsichtliche Überprüfung der Pfarreien durch den Bischof oder später den Archidiakon durch Besuche oder Visitationen mit Augenschein der tatsächlichen Lage. Dem folgt freilich mit geringer Regelmäßigkeit auch die Visitation an dem Reichskammergericht des Heiligen römischen Reiches zwischen 1507 und 1776.

 

Mit der 1767 beginnenden letzten Visitation des Reichskammergerichts beschäftigt sich die von Sabine Ullmann in Eichstätt und Johannes Burkhardt in Augsburg/Spalt betreute Studie des in Schongau 1979 geborenen, in Ettal und Augsburg ausgebildeten, im November 2006 mit einer Magisterarbeit über die Visitation des Reichskammergerichts von 1767 bis 1776 in Geschichte in Augsburg graduierten und 2013 mit einer Dissertation über das gleiche Thema promovierten Verfassers, der seit  September  2007 bei seiner Betreuerin in Eichstätt als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Das gewichtige Werk hat unmittelbar nach seinem Bekanntwerden das besondere Interesse eines sachkundigen Rezensenten gefunden. Bis zum Erhalt eines Rezensionsexemplars muss es allerdings an dieser Stelle genügen, dass der Herausgeber mit wenigen Worten auf das inzwischen in das Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit einbezogene Buch aufmerksam macht.

 

Gegliedert ist das in der Erstfassung noch weitaus umfassendere Werk nach einer Einleitung über Schriftlichkeit in Vergangenheit und Gegenwart, methodische Zugänge, Quellen und Aufbau sowie Untersuchungsgegenstände und Forschungskontexte in fünf Abschnitte. Sie betreffen Reformzeiten, Reformräume, Reformakteure, Reformverfahren und Reforminhalte und werden durch eine zwanzigseitige Zusammenfassung abgeschlossen. Wer immer sich für die (spät-)frühneuzeitliche Schriftkultur und die (spät)vormoderne Staatlichkeit interessiert, wird auf Grund der vorliegenden, ein Quellenverzeichnis von rund 70 Seiten aufweisenden Betrachtung der Akteure der untersuchten Visitation und ihrer Lebenswelten vielfältigen Nutzen  gewinnen können.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler