Bürgerliche Gesellschaft auf dem Papier. Konstruktion, Kodifikation und Realisation der Zivilgesellschaft in der Habsburgermonarchie, hg. v. Brauneder, Wilhelm/Hlavacka, Milan (= Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 59). Duncker & Humblot, Berlin 2014. 435 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der Mensch hat sich im Laufe der Zeit aus dem Sammler und Jäger zu einem Viehzüchter und Ackerbauern entwickelt, zu dem mit der Urbanisierung die Händler und Gewerbetreibenden hinzugekommen sind. Als sich infolge der besseren medizinischen Versorgung in der frühen Neuzeit zeigte, dass seine zunehmende Zahl mit den bisherigen Wirtschaftsmethoden kein befriedigendes Auskommen mehr erzielen konnte, strebte zunächst manche und dann viele zu neueren Wirtschaftsmöglichkeiten und forderten dafür aufgeklärt grundsätzliche Freiheit. Damit entstand das Ziel einer neuen, bürgerlich gestimmten Gesellschaft unter weitgehender Abkehr von den herkömmlichen Gesellschaftverhältnissen.

 

Mit einem zumindest auf dem Papier erreichten Teilbereich dieser Thematik befasst sich der vorliegende interessante Sammelband. Er geht auf ein internationales interdisziplinäres Treffen mitteleuropäischer Historiker und Rechtshistoriker in Prag im Herbst 2011 zurück. Dieses sollte sich mit Kodifikationen als Verfassungen, mit der Entstehung der juridisch-politischen Terminologie, mit der neuen gesellschaftlichen Position von Ehe, Waisenvormundschaft und Kinderschutz zwischen dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Österreichs und dem kanonischem Recht, mit der Erziehung der Landbevölkerung in Österreich, Böhmen und Galizien in der Zeit des Vormärz und den Diskursen  über Todesstrafe, Abschaffung der Folter und Religionsverbrachen beschäftigen.

 

Der daraus erwachsene Werk stellt die Ergebnisse der Tagung der Allgemeinheit zur Verfügung. Es enthält nach einer Einleitung Wilhelm Brauneders über das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch als Leitfaden für den „gebildeten Bürger“ insgesamt 23 Studien, die mit Wilhelm Brauneders Untersuchung über die Zivilrechtskodifikation als „Verfassung“ einsetzen und mit István Szabós Betrachtung über die Strafhandlungen gegen den Staat in dem ungarischen Strafgesetzbuch von 1878 enden. Die vielfältigen weiterführenden Einzelerkenntnisse etwa über Rhode Island, Gesetzgebungsgrundsätze, Legalisierungszwang, Zinsfreiheit, tschechische Übersetzungen, juridisch-politische Terminologie, Ehe, Umgehung der Unauflösbarkeit des Ehebands, Stellung des Familienvaters, Kinderschutz, Waisenvormundschaft, Notzivilehe, Bürgerwerdung, Erziehung der Landbevölkerung, Rechtspolitik, Herrenhaus, Klassenjustiz, Todesstrafe, Abschaffung der Tortur, Religionsverbrechen, Prostitution und Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten hätten durchaus auch eine Aufschließung durch Register verdient.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler