Budrass, Lutz, Adler und Kranich. Die Lufthansa und ihre Geschichte 1926-1955. Blessing 2016. 704 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.
Seit seinen Anfängen kann der Mensch in der Luft die Vögel sehen, wie sie sich leicht und schnell von Ort zu Ort bewegen können, während ihn die Schwerkraft fest und im Grunde unabänderlich an den Boden bindet. Von daher kannte bereits die antike Mythologie den lange Zeit tödlichen Versuch der schwerelosen Bewegung über die Erde und ihre vielen Hindernisse als sehnsüchtigen Wunsch. Es Adlern und Kranichen gleich zu tun, blieb dementsprechend bis in das 20. Jahrhundert ein sehnsüchtiger Traum, der sich nur langsam und mühsam der Verwirklichung näherte.
Noch im August 1918 wurde allerdings gegen Ende des Ersten Weltkriegs auch der Chef der Inspektion der Fliegertruppen des Heeres des Deutsche3n Reiches auf die seitdem geschaffenen neuen Möglichkeiten aufmerksam. Dementsprechend beginnt der Verfasser des vorliegenden Werkes seine Darstellung mit dem Zitat „Wenn wir dereinst im Stande sein wollen, dem Luftverkehr durch die Fliegerwaffe eine Entwicklungsmöglichkeit zu geben, ähnlich wie England Handel und Kolonisation nur auf seiner Flotte hat aufbauen können, dann ist es fünf Minuten vor Zwölf, um ans Werk zugehen“. In Wirklichkeit war es angesichts der bevorstehenden Niederlage eigentlich bereits zu spät und der Artikel 198 des Versailler Vertrags untersagte dem Deutschen Reich jegliche Luftstreitkräfte.
Wollte das Deutsche Reich von der modernen militärtechnischen Entwicklung nicht auf Dauer ausgeschlossen bleiben, mussten also Wege und Mittel gesucht und gefunden werden, daran verdeckt Teil zu nehmen. Der 1961 geborene, in Bonn, Bochum und Warwick in Volkswirtschaftslehre, Mathematik, Sozialwissenschaft und Geschichte ausgebildete, seit 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Bochum tätige und 1996 mit einer Arbeit über Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918 – 1945 promovierte Verfasser zeichnet spannend und eindringlich diese Entwicklung von 1926 bis 1955 nach, obgleich die Deutsche Lufthansa AG am 6. Januar 2001 ihren 75. Geburtstag ausfallen ließ, weil kurz zuvor entdeckt worden war, dass sie manches geschönt und verdrängt und zudem während des Zweiten Weltkriegs Tausende von Zwangsarbeitern beschäftigt hatte. im Rahmen seiner sorgfältigen und umfangreichen Recherchen kann er dabei überzeugend darlegen, dass ziviler Luftverkehr anfangs gänzlich unwirtschaftlich war, so dass erst die geplante militärische Nutzung durch nationalsozialistische Politiker neue Möglichkeiten eröffnete, von denen danach in entscheidendem Umfang Gebrauch gemacht wurde.
Gegliedert ist die auf die ersten dreißig Jahre dieser Entwicklung beschränkte, mit einigen Abbildungen bereicherte Schilderung nach einer rechtfertigenden und begründenden Einleitung in insgesamt sieben Abschnitte (mit nachgereihten Fußnoten). Sie betreffen die Luftverkehrsgesellschaften 1919-1925, die Idee der Deutschen Luft Hansa AG und der „Avio-Trust“, die „Luft Hansa“ „im Schlaraffenland“ der Subventionen, die Katastrophen zwischen 1919 und 1932, den Weg vom Opfer zur Avantgarde zwischen 1933 und 1939, die Industrialisierung in den Kriegsjahren zwischen 1939 und 1945 sowie den Wechsel von der ersten Lufthansa zu einer zivilen Luftverkehrsgesellschaft zwischen 1945 und 1955. Wer immer den Verfasser auf seinem mit einem Foto Adolf Hitlers vor einer Lufthansamaschine veranschaulichten Flug zwischen Adler und Kranich begleitet, wird den Lufthansa-Konzern in der Bundesrepublik auf der Grundlage seiner schwierigen und belasteten Vergangenheit besser verstehen können.
Innsbruck Gerhard Köbler