Aust, Stefan, Hitlers erster Feind. Der Kampf des Konrad Heiden. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2016. 383 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Als frühester Biograph Adolf Hitlers ist Konrad Heiden (1901 – 1966) in die Geschichte eingegangen: 1936/1937 erschien im Schweizer Exil sein zweibändiges Werk, als erstes in einer bis heute langen Reihe von Lebensbeschreibungen des nationalsozialistischen Diktators. Über diese Leistung hinaus wurde der Person Heidens später nur wenig Aufmerksamkeit zuteil – zu Unrecht, wie der Medienprofi Stefan Aust (er war/ist in führender Stellung unter anderem für die „Welt“, die „Welt am Sonntag“, den Nachrichtensender N24, den „Spiegel“ und für „Spiegel TV“ tätig) meint, der daher dessen Leben und Wirken im vorliegenden Band näher vorstellt.

 

Konrad Heiden entstammt einem sozialdemokratischen Milieu und blieb dieser Bewegung – 1921 trat er selbst der SPD bei – zeit seines Lebens eng verbunden. Sein Vater war Angestellter der Gewerkschaft, seine jüdischstämmige Mutter engagierte sich für Frauenrechte. Nach Trennung und Tod der Eltern war der junge Konrad 1916 Vollwaise, wurde bei verschiedenen Pflegefamilien untergebracht und zog 1919 zu seiner Tante nach München, wo er sich im Mai 1920 an der Universität für die Fächer Jura und Wirtschaftswissenschaften einschrieb. Dort tobten unter den Studenten bereits „die gleichen Kämpfe zwischen republikanischen und völkisch-reaktionären Parteien wie auf der politischen Bühne der Weimarer Republik“ (S. 68). Nachdem Heiden für eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Ermordung Rathenaus im Juni 1923 Thomas Mann als Redner gewinnen konnte, dessen Ansprache in der „Frankfurter Zeitung“ gedruckt wurde, fand er den Weg zum Journalismus und wurde bei dem liberalen, demokratischen Blatt Assistent Otto Groths. Ein von Groth gezeichneter Artikel vom 22. August 1923 sei vermutlich „der erste journalistische Fingerabdruck des damals 22-jährigen Konrad Heiden“, der hier im aufstrebenden Nationalsozialismus „das Thema seines Lebens gefunden“ habe „oder umgekehrt: er war nicht ein Journalist, der sich ein Thema suchte – das Thema hatte sich seinen Chronisten gesucht“ (S. 102). Da er damals, wie er später festhielt, auch „mit aller Ernsthaftigkeit der Jugend, aber ohne jeglichen Erfolg“ versucht habe, „Hitler mit den Mitteln öffentlicher Protestmärsche, Massenveranstaltungen und gigantischen Plakaten entgegenzutreten“, fühle er sich „berechtigt, [s]ich als den ältesten – oder einen der ältesten – Anti-Nazis zu betrachten“. Schon 1921 habe Heiden zum ersten Mal bei einer Versammlung der Nationalsozialisten Hitler reden gehört, doch erst nach und nach brachte ihn „die Wirkung seiner Reden dazu, hinter all dem Unsinn eine beispiellose politische Gerissenheit zu erkennen“ (S. 78f.). Er bemerkte, dass dabei „die Regie noch wichtiger als die Rede (war)“ (S. 81), und analysierte frühzeitig „die Struktur seiner [= Hitlers] Macht, das unbedingte Führerprinzip“ (S. 84).

 

Es waren Konrad Heidens demokratische Überzeugung, sein waches Interesse an den politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen seiner Zeit sowie vor allem seine unmittelbare räumliche Anwesenheit vor Ort, die ihn aus eigener Anschauung früh zu grundlegenden, vielfach bis heute nicht revidierten Erkenntnissen über den Nationalsozialismus und den Aufstieg des späteren Diktators Adolf Hitler kommen ließen. Über die Wirkung der Reden Hitlers schrieb er: „Der sprachlosen Angst der modernen Masse gab Hitler eine Sprache und dem namenlosen Schrecken einen Namen. Das macht ihn zum größten Redner der Massenzeit“ (S. 61). Später, zur Jahreswende 1938/1939, warnte Heiden, genau beobachtend und das Kommende instinktiv vorausahnend, früh davor, den Vernichtungswillen des Regimes zu unterschätzen: „Von hohen Führern […] wird heute gern die Wendung ‚auf den Knopf drücken‘ gebraucht […]; erläuternd wird – immer noch unter der Maske der eventuellen Scherzhaftigkeit – gesagt: Alle Juden wird man in einem großen Raum versammeln und dann durch Knopfdruck das Gas auslösen“ (S. 279). In einer Periode, in der Hitlers Führungsanspruch noch keineswegs unumstritten war, war es ihm zudem möglich, über hochrangige interne nationalsozialistische Quellen wie Otto Strasser an brisante Informationen zu kommen. Der Verfasser berichtet darüber unter anderem: „Otto Strasser hatte mitstenographiert, was dort in einer siebenstündigen Auseinandersetzung zwischen Hitler und den Brüdern Strasser gesagt worden war. Das Stenogramm geriet auf direktem Weg an Heiden, der es für sein erstes Buch verwendete, das im Dezember 1932 im Rowohlt-Verlag erschien: ‚Geschichte des Nationalsozialismus. Die Karriere einer Idee‘“ (S. 159).

 

Selbstredend, dass die Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme bereits im Mai 1933 dieses Werk beschlagnahmen ließen, Konrad Heiden – schon 1930 war er bei der „Frankfurter Zeitung“ ausgeschieden, die er unter dem Druck der politischen Verhältnisse immer mehr „in Stimmung und Ton des ‚Juste Milieu‘ […] geraten“ sah, „was etwas gründlich anderes ist als ihre traditionelle, wohlbegründete Gemessenheit und Besonnenheit“ (S. 163) – ging noch im selben Monat in die Schweiz, die erste Station seines Exils. Es sollten das zunächst unter Verwaltung des Völkerbundes stehende – und damit der nationalsozialistischen Herrschaft noch entzogene – Saarland, Frankreich, Portugal und schließlich – mit Ankunft am 27. Oktober 1940 – die Vereinigten Staaten folgen. Deutschland hat Heiden zwar nach dem Krieg noch besucht – der Prolog setzt mit einer Schilderung seiner ersten Heimkehr nach neunzehn Jahren im Dezember 1951 ein –, ließ sich aber, immer mehr von einer Parkinson-Erkrankung gezeichnet, selbst auf Drängen des SPD-Granden Carlo Schmid nicht mehr zu einer Rücksiedlung nach Europa bewegen. 1952 beobachtete und beurteilte er die Situation in Westdeutschland folgendermaßen: „Die Nazis sind immer noch da – daran gibt es keinen Zweifel. Die richtig schlimmen schauen aus ihren Löchern, die anderen rennen schon wieder überall herum; umgeben von reichlich vielen Leuten, die ernsthaft glauben, daß es niemals Gaskammern gegeben hat“ (S. 344). Und wie prophetisch in die Zukunft blickend, sei ihm schon damals der Wunsch über die Lippen gekommen: „Könnte nicht die neue Vision die eines Deutschland sein, das innerhalb eines freien, vereinigten Europa lebt?“ (S. 346).

 

Stefan Aust erzählt dieses außergewöhnliche Leben in einer gut lesbaren, journalistischen Sprache, die sich deutlich vom üblichen Fachjargon akademischer Schriften abhebt. Zitate sind zwar durch Anführungszeichen kenntlich gemacht, werden aber nicht im Einzelnen durch den sonst üblichen Anmerkungsapparat nachgewiesen. Der persönliche und schriftstellerische Weg Konrad Heidens wird stetig mit der Entwicklung des zwölf Jahre älteren Adolf Hitler, der nationalsozialistischen Bewegung und schließlich mit den Marksteinen des politischen und militärischen Zeitgeschehens parallelgeführt. Dadurch entsteht ein integriertes Gesamtbild mit einer eindringlichen Darstellung der Exilanten und ihrer von ständiger Unsicherheit gekennzeichneten und von der Großzügigkeit wohlwollender Sympathisanten (wie das Verlegerehepaar Oprecht in Zürich, in deren Europa-Verlag Heidens erste Hitler-Biographie erschienen ist, oder Varian Fry, führender Kopf des US-amerikanischen Emergency Rescue Committee in Marseille) abhängigen Lebensumstände. Konrad Heiden gewinnt daneben als Privatperson tiefere Kontur, wenn auf uns gekommene Briefe bisweilen Beziehungen zu verschiedenen Frauen erkennen lassen, deren Qualität in den meisten Fällen nicht eindeutig abzuklären ist.

 

Die Arbeit kann in ihrem begrenzten Umfang natürlich keine systematische kritische Analyse der Feststellungen Konrad Heidens am Richtmaßstab der umfangreichen modernen Hitler-Biographik (die im schmalen Literaturverzeichnis überraschender Weise gar nicht auftaucht) leisten, der Leser muss sich mit gelegentlichen Bemerkungen und Hinweisen des Verfassers, der ausweislich des Quellenverzeichnisses eine erkleckliche Zahl an Archiven konsultiert haben dürfte, begnügen. So lag Heiden klar falsch, wenn er 1929 diagnostizierte: „Es ist bekannt, daß Herr Hitler in seiner Zeitung, dem ‚Völkischen Beobachter‘, nicht mehr viel zu sagen hat […]. Seine Mitarbeit beschränkt sich auf sein illustriertes Wochenblatt. Offenbar hat der ehemalige Zeichenschüler dort eine Nebenbeschäftigung als Gerichtssaalzeichner gefunden“ (S. 149). Auch spricht Stefan Aust im Zusammenhang mit den in Heidens erweiterte Hitler-Biographie von 1944 („Der Fuehrer. Hitler’s Rise to Power“) einfließenden Spekulationen um mögliche sexuelle Perversionen Hitlers im Zuge der ungeklärten Beziehung zu seiner Nichte Geli Raubal von einer „wilde(n) Räuberpistole“ Heidens, denn: „Ob es so war, weiß bis heute niemand genau“ (S. 328). Nicht verschwiegen wird ferner, dass sich der „Vielschreiber( ) Heiden […] oft aus vorhandenen Quellen bediente, ohne deren genaue Herkunft zu nennen“ (S. 317), und sich damit hin und wieder mit dem Vorwurf des Abschreibens konfrontiert fand.

 

Ein Verzeichnis der Schriften Konrad Heidens führt zwar elf wichtige Titel an, doch wird bedauerlicher Weise ausdrücklich „auf eine Auflistung der sehr zahlreichen Artikel […] in Zeitungen und Zeitschriften an dieser Stelle verzichtet“ (S. 375). Gerade eine solche Auflistung wäre aber höchst nützlich für jene gewesen, die sich, angeregt durch die gegenständliche Lektüre, umfassender wissenschaftlich mit der Arbeit Konrad Heidens auseinanderzusetzen beabsichtigen. Das kann allerdings nicht Stefan Austs Kernleistung schmälern, die allgemeine Aufmerksamkeit auf einen in vielen Belangen hellsichtigen, aber weithin vergessenen frühen Beobachter, Chronisten, Interpreten und nicht zuletzt Gegner Hitlers und des Nationalsozialismus gelenkt zu haben.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic