Althoff, Gerd, Kontrolle der Macht. Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2016. 360 S. Besprochen von Gudrun Pischke.

 

Gerd Althoff, ein Altmeister der frühen und hohen Mittelalterforschung, widmet sich mit der Frage nach Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter einem Thema, das ihn „seit langem umgetrieben“ habe (S. 9). Er hat die Spur aufgenommen und sie in der zeitgenössischen und zeitnahen Historiographie verfolgt. Seiner Einschätzung nach ermögliche die Fülle der Befunde einige begründete Hinweise zu einem besseren Verständnis der mittelalterlichen Beratung (S. 9). Und damit habe sich eine gewisse Kontrollfunktion gegenüber der Königsherrschaft etabliert, die herrschaftlicher Willkür habe Grenzen setzen können. Anderseits hätten die Könige viele Möglichkeiten gehabt, die Ratgeber in ihrem Sinne zu beeinflussen.(S. 10f). Der Rat diente dem König, der in der Pflicht war, sich beraten zu lassen, als Entscheidungshilfe; er bedeutete für die Rat Gebenden auch Teilhabe an der Herrschaft. Großen Einfluss besaßen geistliche Berater, weil die Kirche – mit biblischen Belegen – beanspruchte „Könige auf dem ‚rechten Weg‘ zu halten“ (S. 14). Zu differenzieren sind informell-vertrauliche Beratungen, die den formell-öffentlichen vorausgingen bzw. vorausgehen sollten. Neben Beratungen innerhalb eines Verbandes zur Konsensfindung bei anstehenden politischen Entscheidungen standen Verhandlungen von Verbänden zur gütlichen Beilegung von Konflikten.

 

Anhand von auf aussagekräftige Schriftquellen gestützten Beispielen von der Karolingerzeit bis zur Stauferzeit hofft Althoff „das Wissen um die Formen und Inhalte von Beratung im Früh- und Hochmittelalter zu verbessern und vor allem auch ihre politischen Dimensionen zu verstehen“ (S. 15). Analysiert werden Krisenzeiten, die ein Mehr an Beratungen erforderten. Nach dem Hinweis auf geistliche und weltliche Berater im consensus fidelium bei Merowingern und frühen Karolingern (II.1.) liegt zwar die chronologische Vorgehensweise zugrunde, dennoch gab es für die möglichst mittels Beratungen zu beendenden Krisen sehr unterschiedlich Auslöser und Ausgangssituationen. Einige waren innerfamiliär begründet wie bei Ludwig dem Frommen (Beratungen in Krisenzeiten: Ludwig der Fromme zwischen „falschen Ratgebern“ und selbstbewussten Bischöfen, II.2.), wie bei der zweiten Krise Ottos I. 953 bis 954 (s. III.1.: Beratungen in den Krisen der Herrschaft Ottos I.,) und auch bei der Entmachtung Kaiser Heinrichs IV. (s. IV.4.:Vom „treuen Sohn der Kirche“ zum „Friedensstörer in Reich und Kirche“: Heinrich V.). Andere entstanden, weil der König – oder die Regenten – Entscheidungen ohne Konsensfindung trafen wie Otto I. in den Anfangsjahren seiner Herrschaft (s. III.1., hier „Die zweite Krise 953-954“), wie die Regenten während der Unmündigkeit Heinrichs IV. (Die Jugend Heinrichs IV: die schlecht beratenen Regenten, IV.1.), wie später Heinrich IV. selbst (Der erwachsene Heinrich IV.: das Bild eines beratungsresistenten Tyrannen, IV.2.). Auch anstehende Königswahlen riefen einen erhöhten Beratungsbedarf hervor, besonders wenn es keinen designierten Nachfolger gab wie im Falle der Wahl Heinrichs II. (Heinrich II. aus der Sicht Thietmars von Merseburg, III.3.), hier: Beratungen und Verhandlungen zur Königserhebung) oder dieser als zu jung angesehen wurde wie 1152 (Die Wahl Friedrich Barbarossas: offiziöse Darstellung und vertrauliche Beratungen, V.1.) und im Thronstreit 1198 (Beratungen und Verhandlungen im Thronstreit 1198, V.6.). Oft geht es um das – auch Konflikte auslösende – Verhältnis von König und Kirche wie in „‘Staatskirchentum‘ und Beratung im endenden 9. und beginnenden 10. Jahrhundert“ (II.5.), wie in den Verhandlungen mit Papst Gregor V. (IV.3.) oder bei „Heinrichs V. Verhandlungen mit der Papstkirche, der Bruch von Ponte Mammolo und das Wormser Konkordat“ (IV.4.). Hierzu gehören auch die Analysen von „Loyalität im Schisma: Friedrichs Schwierigkeiten mit Erzbischof Eberhard von Salzburg“ (V.2.) und „Die Wegbereiter des Friedens von Venedig 1177“ (V.3.) wie auch „Die Rolle Papst Innozenz‘ III. bei der gütlichen Lösung des Thronstreits“ (in: V.6.). Schließlich werden noch Beratungen erfordernde Angelegenheiten zwischen König und Fürsten, weltlichen wie geistlichen, untersucht: die Heinrichs II. mit sächsischen Großen und mit Bischöfen (in: III.3.), die „Konsensherstellung im Konflikt mit Heinrich dem Löwen“ (V.4.), die Erhebung des Grafen von Hennegau zum Markgrafen von Namur und Reichsfürsten (in: „Die Sicht eines Praktikers: Gislebert von Mons“ V.5.). Hier sind auch “Parteienwechsel, Abwerbeversuche und Einflussnahmen im Thronstreit (in: V.6.), „Zusätzliche Beispiele für Beratung des Herrschers in der Karolingerzeit“ (II.4.) und „Einzelbeispiele für Beratungen in der Ottonenzeit“ (III.4.) zu subsumieren. Bei der Analyse der Beratungspraxis Heinrichs II. spielt die Darstellung des Historiographen Thietmar von Merseburg eine wichtige Rolle. Jeweils breiten Raum nehmen die Abschnitte über „Hincmar von Reims zur Theorie und Praxis der Beratung in der späten Karolingerzeit“ (II.3.) und die Sicht des Praktikers Gislebert von Mons (V.5.) ein. Sie waren – wie andere auch – nahe am Geschehen, kannten Hintergründe und ließen ihre Sichtweise in die Darstellung einfließen.

 

Ist Althoff davon ausgegangen, aus Beobachtungen ließen sich „mit einiger Gewissheit vertiefte Einschätzungen in die Spielregeln und Verhaltensstrategien gewinnen, die die Akteure im politischen Beratungsgeschäft befolgten oder auch brachen und manipulierten“ (S. 16), so zog er als Fazit, dass keine expliziten Regeln existierten, wer zum Beraterkreis hinzuzuziehen war, welche Themen zwingend zu beraten waren und wie Beratung im Einzelnen durchzuführen war. Trotz allem sei der Willkür des Herrschers breiter Spielraum geblieben (S. 309). Und dennoch existierte ein sensibles Verständnis dafür, wann ein Herrscher die Pflicht zur Beratung gravierend verletzt oder unterlaufen hatte (S. 307, 310f). Daher habe es in allen Jahrhunderten „große Bereitschaft bei kirchlichen und weltlichen Magnaten“ gegeben, „einer als krass einseitig empfundenen Beratungspraxis der Könige kollektive Initiativen entgegenzusetzen, mit denen Opposition gegen ein solches Verhalten organisiert wurde. Und dies erfolgte nach – nirgendwo schriftlich festgehaltenen – Gewohnheiten „ als kollektive Vorstellungen in den Köpfen der politischen Akteure“ (S. 301): Es gab heimliche Zusammenkünfte, es wurden Gegenmaßnahmen verabredet und eidlich bekräftigt, die politisch, auch bewaffnet, durchgesetzt wurden. Früh allerdings haben Vermittler Parteien zur Einsicht gebracht (oder dies versucht) und seit dem frühen 12. Jahrhundert sind statt der Vermittler Entscheidungen fällende Schiedsgremien zur Konfliktlösung zu beobachten (S. 306f.). Am Ende blieben viele Frage offen, jedoch seien die zu diesem Fragekomplex heranzuziehenden Autoren gesammelt und der Auswertung zugänglich gemacht (S. 300).

 

Bovenden                                                      Gudrun Pischke