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Abs. 5 [1-2] welche die Pflege des nationalen Gefühls als ihren Zweck bezeichnete. Aber bei persönlicher Bekanntschaft mit ihren Mitgliedern mißfielen mir ihre Weigerung, Satisfaction zu geben, und ihr Mangel an äußerlicher Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft, bei näherer Bekanntschaft auch die Extravaganz ihrer politischen Auffassungen, die auf einem Mangel an Bildung und an Kenntniß der vorhandenen, historisch gewordenen Lebensverhältnisse beruhte, von denen ich bei meinen siebzehn Jahren mehr zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte als die meisten jener durchschnittlich ältern Studenten. Ich hatte den Eindruck einer Verbindung von Utopie und Mangel an Erziehung. Gleichwohl bewahrte ich innerlich meine nationalen Empfindungen und den Glauben, daß die Entwicklung der nächsten Zukunft uns zur deutschen Einheit führen werde; ich ging mit meinem amerikanischen Freunde Coffin die Wette darauf ein, daß dieses Ziel in zwanzig Jahren erreicht sein werde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 55 [1-22] und besuchte im "Deutschen Hause" den General von Möllendorf, noch steif von den Mißhandlungen, die er erlitten, als er mit den Aufständischen unterhandelte, und General von Prittwitz, der in Berlin commandirt hatte. Ich schilderte ihnen die Stimmung des Landvolks; sie gaben mir dagegen Einzelheiten über die Vorgänge bis zum 19. Morgens. Was sie zu berichten hatten und was an spätern Nachrichten aus Berlin hergelangt war, konnte mich nur in dem Glauben bestärken, daß der König nicht frei sei. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 164 Die Frage der deutschen Einheit war in den letzten beiden Jahrzehnten unter Friedrich Wilhelm III. nur in Gestalt der burschenschaftlichen Strebungen und deren strafrechtlicher Repression in die äußere Erscheinung getreten. Friedrich Wilhelms IV. deutsches oder, wie er schrieb, "teutsches" Nationalgefühl war gemüthlich lebhafter wie das seines Vaters, aber durch mittelalterliche Verbrämung und durch Abneigung gegen klare und feste Entschlüsse in der praktischen Bethätigung gehemmt. Daher versäumte er die Gelegenheit, die im März 1848 günstig war; und es sollte das nicht die einzige versäumte bleiben. In den Tagen zwischen den süddeutschen Revolutionen, einschließlich der Wiener, und dem 18. März, so lange es vor Augen lag, daß von allen deutschen Staaten, Oestreich inbegriffen, Preußen der einzige feststehende geblieben war, waren die deutschen Fürsten bereit, nach Berlin zu kommen und Schutz zu suchen unter Bedingungen, die in unitarischer Richtung über das hinausgingen, was heut verwirklicht ist; auch das bairische Selbstbewußtsein war erschüttert. Wenn es zu dem, nach (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 165 [1-41] einer Erklärung der preußischen und der östreichischen Regirung vom 10. März auf den 20. März nach Dresden berufenen Fürstencongreß gekommen wäre, so wäre nach der Stimmung der betheiligten Höfe eine Opferwilligkeit auf dem Altar des Vaterlandes wie die französische vom 4. August 1789 zu erwarten gewesen. Diese Auffassung entsprach den thatsächlichen Verhältnissen; das militärische Preußen war stark und intact genug, um die revolutionäre Welle zum Stehn zu bringen und den übrigen deutschen Staaten für Gesetz und Ordnung in Zukunft Garantien zu bieten, welche den andern Dynastien damals annehmbar erschienen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 171 [1-43] 1848 bis 1866 wie die Juden, bevor sie das gelobte Land erreichten, noch haben durchmachen müssen. Die Kriege von 1866 und 1870 wären uns doch schwerlich erspart worden, nachdem unsre 1848 zusammengebrochenen Nachbarn in Anlehnung an Paris, Wien und anderswo sich wieder ermuthigt und gekräftigt haben würden. Es ist fraglich, ob auf dem kürzeren und rascheren Wege des Märzsieges von 1848 die Wirkung der geschichtlichen Ereignisse auf die Deutschen dieselbe gewesen sein würde, wie die heut vorhandene, die den Eindruck macht, daß die Dynastien, und grade die früher hervorragend particularistischen, reichsfreundlicher sind als die Fractionen und Parteien. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 174 Auf meine Vorstellungen, daß er Herr im Lande sei und die Macht besitze, die bedrohte Ordnung überall herzustellen, sagte er, er müsse sich hüten, den Weg des formellen Rechtes zu verlassen; wenn er mit der Berliner Versammlung, dem Tagelöhnerparlamente, wie man sie damals in gewissen Kreisen nannte, brechen wolle, so müsse er dazu das formelle Recht auf seiner Seite haben, sonst stehe seine Sache auf schwachen Füßen, und die ganze Monarchie laufe Gefahr, nicht blos von innern Bewegungen, sondern auch von außen her. Vielleicht hat er dabei an einen französischen Krieg unter Betheiligung deutscher Aufstände gedacht. Wahrscheinlicher aber ist mir, daß er grade mir die Besorgniß, seine deutschen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 178 [1-46] die Frage des Gehorsams gegen militärische Befehle nicht berührt haben würde. Auch das Einrücken größerer Truppenmassen in Berlin nach dem Zeughaussturme und ähnlichen Vorgängen würde nicht blos von den Soldaten, sondern auch von der Mehrheit der Bevölkerung als dankenswerthe Ausübung eines zweifellosen königlichen Rechts aufgefaßt worden sein, wenn auch nicht von der Minderheit, welche die Leitung übte; und auch wenn die Bürgerwehr sich hätte widersetzen wollen, so würde sie bei den Truppen nur den berechtigten Kampfeszorn gesteigert haben. Ich kann mir kaum denken, daß der König im Sommer an seiner materiellen Macht, der Revolution in Berlin ein Ende zu machen, Zweifel gehabt haben sollte, vermuthe vielmehr, daß Hintergedanken rege waren, ob nicht die Berliner Versammlung und der Friede mit ihr und ihrem Rechtsboden unter irgend welchen Constellationen direct oder indirect nützlich werden könne, sei es in Combinationen mit dem Frankfurter Parlamente oder gegen dasselbe, sei es, um nach andern Seiten hin in der deutschen Frage einen Druck auszuüben, und ob der formale Bruch mit der preußischen Volksvertretung die deutschen Aussichten compromittiren könne. Den Umzug in den deutschen Farben setze ich allerdings nicht auf Rechnung solcher Neigungen des Königs; er war damals körperlich und geistig so angegriffen, daß er Zumuthungen, die ihm mit Entschiedenheit gemacht wurden, wenig Widerstand entgegensetzte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 199 Als Wrangel an der Spitze der Truppen eingezogen war (10. November), verhandelte er mit der Bürgerwehr und bewog sie zum freiwilligen Abzuge. Ich hielt das für einen politischen Fehler; wenn es zum kleinsten Gefecht gekommen wäre, so wäre Berlin nicht durch Capitulation, sondern gewaltsam eingenommen, und dann wäre die politische Stellung der Regirung eine andre gewesen. Daß der König die Nationalversammlung nicht gleich auflöste, sondern auf einige Zeit vertagte und nach Brandenburg verlegte und den Versuch machte, ob sich dort eine Majorität finden würde, mit der ein befriedigender Abschluß zu erreichen war, beweist, daß in der politischen Entwicklung, die dem Könige vorschweben mochte, die Rolle der Versammlung auch damals noch nicht ausgespielt war. Daß diese Rolle auf dem Gebiete der deutschen Frage gedacht war, dafür sind mir einige Symptome erinnerlich. In Privatgesprächen der maßgebenden Politiker während der Vertagung der Versammlung (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 205 Diese Hoffnung oder Erwartung, die bis in die "Neue Aera" hinein in Phrasen von dem deutschen Berufe Preußens und von moralischen Eroberungen einen schüchternen Ausdruck fand, beruhte auf dem doppelten Irrthum, der vom März 1848 bis zum Frühjahr des folgenden Jahres in Sanssouci wie in der Paulskirche bestimmend war: einer Unterschätzung der Lebenskraft der deutschen Dynastien und ihrer Staaten, und einer Ueberschätzung der Kräfte, die man unter dem Wort Barrikade zusammenfassen kann, so daß darunter alle die Barrikade vorbereitenden Momente, Agitation und Drohung mit dem Straßenkampfe, begriffen sind. Nicht in diesem selbst lag die Gefahr des Umsturzes, sondern in der Furcht davor. Die mehr oder weniger phäakischen Regirungen waren im März, ehe sie den Degen gezogen hatten, geschlagen, theils durch die Furcht vor dem Feinde, theils durch die innere Sympathie ihrer Beamten mit demselben. Immerhin wäre es für den König von Preußen an der Spitze der Fürsten leichter gewesen, durch Ausnutzung des Sieges der Truppen in Berlin ein deutsches Einheitsgebilde herzustellen, als es nachher der Paulskirche geworden ist; ob die Eigenthümlichkeit des Königs nicht eine solche Herstellung auch bei Festhalten dieses Sieges gehindert oder das hergestellte, wie Bodelschwingh im März fürchtete, wieder unsicher gemacht haben würde, ist allerdings schwer zu beurtheilen. In den Stimmungen seiner letzten Lebensjahre, wie sie auch aus den Aufzeichnungen Leopolds v. Gerlach und aus andern Quellen ersichtlich sind, steht die ursprüngliche Abneigung gegen constitutionelle Einrichtungen, die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines größern Maßes freier Bewegung der Königlichen Gewalt, als das in der preußischen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 207 Die Frankfurter Versammlung, in demselben doppelten Irrthum befangen, behandelte die dynastischen Fragen als überwundenen Standpunkt, und mit der theoretischen Energie, welche dem Deutschen eigen ist, auch in Betreff Preußens und Oestreichs. Diejenigen Abgeordneten, welche in Frankfurt über die Stimmung der preußischen Provinzen und der deutsch-östreichischen Länder kundige Auskunft geben konnten, waren zum Theil interessirt bei der Verschweigung der Wahrheit; die Versammlung täuschte sich, ehrlich oder unehrlich, über die Thatsache, daß im Falle eines Widerspruchs zwischen einem Frankfurter Reichstagsbeschluß und einem preußischen Königsbefehl der erstere bei sieben Achtel der preußischen Bevölkerung leichter oder garnicht in's Gewicht fiel. Wer damals in unsern Ostprovinzen gelebt hat, wird heut noch die Erinnerung haben, daß die Frankfurter Verhandlungen bei allen den Elementen, in deren Hand die materielle Macht lag, bei allen denen, welche in Conflictsfällen Waffen zu führen oder zu befehlen hatten, nicht so ernsthaft aufgefaßt wurden, wie es nach der Würde der wissenschaftlichen und parlamentarischen Größen, die dort versammelt waren, hätte erwartet werden können. Und nicht nur in Preußen, sondern auch in den großen Mittelstaaten hätte damals ein monarchischer Befehl, der die Masse der Fäuste dem Fürsten zu Hülfe aufrief, falls er erfolgte, eine ausreichende Wirkung gehabt; nicht überall in dem Maße, wie es in Preußen der Fall war, aber doch in einem Maße, welches überall dem Bedürfniß materieller Polizeigewalt genügt haben würde, wenn die Fürsten den Muth gehabt hätten, Minister anzustellen, die ihre Sache fest und offen vertraten. Es war dies im Sommer 1848 in Preußen nicht der Fall gewesen; sobald aber im November der König sich entschloß, Minister zu ernennen, welche bereit waren, die Kronrechte ohne Rücksicht auf Parlamentsbeschlüsse zu vertreten, war der ganze Spuk (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 208 [1-57] verschwunden und nur noch die Gefahr vorhanden, daß der Rückschlag über das vernünftige Maß hinausgehn werde. In den übrigen norddeutschen Staaten kam es nicht einmal zu solchen Conflicten, wie sie das Ministerium Brandenburg in einzelnen Provinzialstädten zu bekämpfen hatte. Auch in Baiern und Würtemberg erwies sich das Königthum trotz antiköniglicher Minister schließlich stärker als die Revolution. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 212 [1-59] waren damals aufrichtiger und ungeschulter, wenn auch die Leidenschaften, der Haß und die gegenseitige Mißgunst der Fractionen und ihrer Führer, die Neigung, die Landesinteressen den Fractionsinteressen zu opfern, heut vielleicht stärker entwickelt sind. En tout cas le diable n'y perd rien. Byzantinismus und verlogene Speculation auf Liebhabereien des Königs wurden wohl in kleinen höhern Kreisen betrieben, aber bei den parlamentarischen Fractionen war der Wettlauf um die Gunst des Hofes noch nicht im Gange; der Glaube an die Macht des Königthums war irrthümlicher Weise meist geringer als der an die eigne Bedeutung; man fürchtete nichts mehr, als für servil oder für ministeriell zu gelten. Die Einen strebten nach eigner Ueberzeugung das Königthum zu stärken und zu stützen, die Andern glaubten, ihr und des Landes Wohl in Bekämpfung und Schwächung des Königs zu finden; es liegt darin ein Beweis, daß, wenn nicht die Macht, doch der Glaube an die Macht des preußischen Königthums damals schwächer war als heut zu Tage. Die Unterschätzung der Macht der Krone erlitt auch durch die Thatsache keine Aenderung, daß der persönliche Wille eines nicht sehr willensstarken Monarchen wie Friedrich Wilhelms IV. hinreichte, der ganzen deutschen Bewegung durch Ablehnung der Kaiserkrone die Spitze abzubrechen, und daß die sporadischen Aufstände, die demnächst für die Durchführung nationaler Wünsche ausbrachen, von der Königlichen Gewalt mit Leichtigkeit unterdrückt wurden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 214 [1-60] Einzelheiten der künftigen Verfassung, unter denen eine der breitesten Stellen die Frage von dem Gesandschaftsrecht der deutschen Fürsten neben dem des Deutschen Reiches einnahm 1). Ich habe damals in den mir zugänglichen Kreisen am Hofe und unter den Abgeordneten die Ansicht vertreten, daß das Gesandschaftsrecht nicht die Wichtigkeit habe, die man ihm beilegte, sondern der Frage von dem Einflusse der einzelnen Bundesfürsten im Reiche oder im Auslande untergeordnet sei. Wäre der Einfluß eines solchen auf die Politik gering, so würden seine Gesandschaften im Auslande den einheitlichen Eindruck des Reiches nicht abschwächen können; bliebe sein Einfluß auf Krieg und Frieden, auf die politische und finanzielle Leitung des Reiches oder auf die Entschließungen fremder Höfe stark genug, so gebe es kein Mittel, zu verhindern, daß fürstliche Correspondenzen oder irgend welche mehr oder weniger distinguirte Privatleute, bis in die Kategorie der internationalen Zahnärzte hinein, die Träger politischer Verhandlungen würden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 246 Die Erwägungen eines sachkundigen und ehrliebenden Generals, wie Stockhausen, konnte ich einer Kritik nicht unterziehn und vermag das auch heut noch nicht. Die Schuld an unsrer militärischen Gebundenheit, die er mir schilderte, lag nicht an ihm, sondern an der Planlosigkeit, mit der unsre Politik auf militärischem Gebiete sowohl wie auf diplomatischem in und seit den Märztagen mit einer Mischung von Leichtfertigkeit und Knauserei geleitet worden war. Auf militärischem namentlich war sie von der Art, daß man nach den getroffenen Maßregeln voraussetzen muß, daß eine kriegerische oder auch nur militärische Lösung der schwebenden Fragen in letzter Instanz in Berlin überhaupt nicht in Erwägung gezogen wurde. Man war zu sehr mit öffentlicher Meinung, Reden, Zeitungen und Verfassungsmacherei präoccupirt, um auf dem Gebiete der auswärtigen, selbst nur der außerpreußischen deutschen Politik zu festen Absichten und praktischen Zielen gelangen zu können. Stockhausen war nicht im Stande, die Unterlassungssünden und die Planlosigkeit unsrer Politik durch plötzliche militärische Leistungen wieder gut zu machen, und gerieth so in eine Situation, die selbst der politische Leiter des Ministeriums, Graf Brandenburg, nicht für möglich gehalten hatte. Denn derselbe erlag der Enttäuschung, welche sein hohes patriotisches Ehrgefühl in den letzten Tagen seines Lebens erlitten hatte 1). Es ist Unrecht, Stockhausen der Kleinmüthigkeit anzuklagen, und ich habe Grund zu glauben, daß auch König Wilhelm I. zu der Zeit, da ich sein Minister wurde, meine Auffassung bezüglich der militärischen Situation im November 1850 theilte. Wie dem auch sei, nur fehlte damals jede Unterlage zu einer Kritik, die ich als conservativer Abgeordneter einem Minister auf militärischem Gebiete, als Landwehr-Lieutenant dem General gegenüber hätte ausüben können. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 257 Wie in der Union die deutsche Einheit gesucht werden soll, vermag ich nicht zu verstehn; es ist eine sonderbare Einheit, die von Hause aus verlangt, im Interesse dieses Sonderbundes einstweilen unsre deutschen Landsleute im Süden zu erschießen und zu erstechen; die die deutsche Ehre darin findet, daß der Schwerpunkt aller deutschen Fragen nothwendig nach Warschau und Paris fällt. Denken Sie sich zwei Theile Deutschlands einander in Waffen gegenüber, deren Machtverschiedenheit nicht in dem Grade bedeutend ist, daß nicht eine Parteinahme auf einer Seite, auch von einer geringern Macht als Rußland und Frankreich, ein entscheidendes Gewicht in die Wagschale legen könnte, und ich begreife nicht, mit welchem Recht Jemand, der ein solches Verhältniß selbst herbeiführen will, sich darüber beklagen darf, daß der Schwerpunkt der Entscheidung unter solchen Umständen nach dem Auslande fällt." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 260 [1-75] in Petersburg beunruhigte und als eine militärische Gefahr im Kriegsfalle aufgefaßt wurde. Im März 1848 erschien den Russen die Entwicklung der Revolution in Deutschland und Polen noch als etwas Unberechenbares und Gefährliches. Der erste russische Diplomat, der in Petersburg durch seine Berichte eine andre Ansicht vertrat, war der damalige Geschäftsträger in Frankfurt am Main, spätre Gesandte in Berlin, Baron von Budberg. Seine Berichte über die Verhandlungen und die Bedeutung der Paulskirche waren von Hause aus satirisch gefärbt, und die Geringschätzung, mit welcher dieser junge Diplomat von den Reden der deutschen Professoren und von der Machtstellung der Nationalversammlung in seinen Berichten sprach, hatte den Kaiser Nicolaus dergestalt befriedigt, daß Budberg's Carrière dadurch gemacht und er sehr schnell zum Gesandten und Botschafter befördert wurde. Er hatte in ihnen vom antideutschen Standpunkte eine analoge politische Schätzung zum Ausdruck gebracht, wie sie in den altpreußischen Kreisen in Berlin, in denen er früher gelebt hatte, in landsmannschaftlicher und besorgter Weise herrschend war, und man kann sagen, daß die Auffassung, als deren erster Erfinder er in Petersburg Carrière machte, dem Berliner "Casino" entsprungen war. Seitdem hatte man in Rußland nicht nur die militärische Stellung an der Weichsel wesentlich verstärkt, sondern auch einen geringern Eindruck von der damaligen militärischen Leistungsfähigkeit der Revolution sowohl wie der deutschen Regirungen gewonnen, und die Sprache, welche ich im November 1850 bei dem mir befreundeten russischen Gesandten Baron Meyendorff und seinen Landsleuten hörte, war eine im russischen Sinne vollkommen zuversichtliche, von einer persönlich wohlwollenden, aber für mich verletzenden Theilnahme für die Zukunft des befreundeten Preußens durchsetzt. Sie machte mir den Eindruck, daß man Oestreich für den stärkern und zuverlässigern Theil und Rußland selbst für stark genug hielt, um die Entscheidung zwischen beiden in die Hand zu nehmen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 262 Mit den Mitteln und Gewohnheiten des auswärtigen Dienstes noch nicht so vertraut wie später, war ich doch als Laie nicht zweifelhaft, daß der Krieg, wenn er für uns überhaupt geboten oder annehmbar erschien, auch nach Olmütz in den Dresdner Verhandlungen jederzeit gefunden und durch Abbruch derselben herbeigeführt werden konnte. Stockhausen hatte mir gelegentlich sechs Wochen als die Frist bezeichnet, deren er bedürfte, um fechten zu können, und es wäre nach meiner Ansicht nicht schwer gewesen, das Doppelte derselben durch geschickte Leitung der Verhandlungen in Dresden zu gewinnen, wenn bei uns die momentane Unfertigkeit der militärischen Rüstungen der einzige Grund gewesen wäre, uns eine kriegerische Lösung zu versagen. Wenn die Dresdner Verhandlungen nicht dazu benutzt worden sind, im preußischen Sinne entweder ein höheres Resultat oder einen berechtigt erscheinenden Anlaß zum Kriege zu gewinnen, so ist mir niemals klar geworden, ob die auffällige Beschränkung unsrer Ziele in Dresden von dem Könige oder von Herrn von Manteuffel, dem neuen auswärtigen Minister, ausgegangen ist. Ich habe damals nur den Eindruck gehabt, daß letztrer nach seinem Vorleben als Landrath, RegirungsPräsident und Director im Ministerium des Innern sich in der Sicherheit seines Auftretens durch die renommirenden vornehmen Verkehrsformen des Fürsten Schwarzenberg genirt fühlte. Schon die häusliche Erscheinung Beider in Dresden - Fürst Schwarzenberg mit Livreen, Silbergeschirr und Champagner im ersten Stock, der preußische Minister mit Kanzleidienern und Wassergläsern eine Treppe höher - war geeignet, auf das Selbstgefühl der betheiligten Vertreter beider Großmächte und auf ihre Einschätzung durch die übrigen deutschen Vertreter nachtheilig für uns zu wirken. Die alte preußische Einfachheit, die Friedrich der Große seinem Vertreter in London mit der Redensart empfahl: "Sage Er, wenn Er zu Fuß geht, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 263 [1-77] daß 100000 Mann hinter ihm gehn," bezeugt eine Renommage, die man dem geistreichen Könige nur in einer der Anwandlungen von übertriebener Sparsamkeit zutrauen kann. Heut hat jeder 100000 Mann, nur wir hatten sie, wie es scheint, zur Dresdner Zeit nicht verfügbar. Der Grundirrthum der damaligen preußischen Politik war der, daß man glaubte, Erfolge, die nur durch Kampf oder durch Bereitschaft dazu gewonnen werden konnten, würden sich durch publicistische, parlamentarische und diplomatische Heucheleien in der Gestalt erreichen lassen, daß sie als unsrer tugendhaften Bescheidenheit zum Lohn oratorischer Bethätigung unsrer "deutschen Gesinnung" aufgezwungen erschienen. Man nannte das später "moralische" Eroberungen; es war die Hoffnung, daß Andre für uns thun würden, was wir selbst nicht wagten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 270 Am 11. Mai 1851 traf ich in Frankfurt ein. Herr von Rochow mit weniger Ehrgeiz als Liebe zum Behagen, des Klimas und des anstrengenden Hoflebens in Petersburg müde, hätte lieber den Frankfurter Posten, in dem er alle seine Wünsche befriedigt fand, dauernd behalten, arbeitete in Berlin dafür, daß ich zum Gesandten in Darmstadt mit gleichzeitiger Accreditirung bei dem Herzog von Nassau und der Stadt Frankfurt ernannt werde, und wäre vielleicht auch nicht abgeneigt gewesen, mir den Petersburger Posten im Tausch zu überlassen. Er liebte das Leben am Rhein und den Verkehr mit den deutschen Höfen. Seine Bemühungen hatten indessen keinen Erfolg. Unter dem 11. Juli schrieb mir Herr von Manteuffel, daß der König meine Ernennung zum Bundestagsgesandten genehmigt habe. "Es versteht sich dabei von selbst," schrieb der Minister, "daß man Herrn von Rochow nicht brusquement wegschicken kann; ich beabsichtige daher, ihm heut noch einige Worte darüber zu schreiben, und glaube Ihres Einverständnisses gewiß zu sein, wenn ich in dieser Sache mit aller Rücksicht auf Herrn von Rochow's Wünsche verfahre, dem ich es in der That nur Dank wissen kann, daß er die schwierige und undankbare Mission angenommen hat im Gegensatz zu manchen andern Leuten, die immer mit der Kritik bei der Hand sind, wenn es aber auf das Handeln ankommt, sich zurückziehn. Daß ich Sie damit nicht meine, brauche ich nicht zu versichern, denn Sie sind ja auch mit uns in die Bresche getreten und werden sie, so denke ich, auch allein vertheidigen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 285 [1-86] von Gleichartigkeit des Verbrauchs; schon die Unterschiede der Interessen innerhalb des deutschen Zollvereins zwischen Nord und Süd, Ost und West sind schwer und nur mit dem guten Willen zu überwinden, der der nationalen Zusammengehörigkeit entspringt; zwischen Ungarn und Galizien einerseits und dem Zollverein andrerseits ist die Verschiedenheit des Verbrauchs zollpflichtiger Waaren zu stark, um eine Zollgemeinschaft durchführbar erscheinen zu lassen. Der Vertheilungsmaßstab für die Zollverträge würde stets für Deutschland nachtheilig bleiben, auch wenn die Ziffern es für Oestreich zu sein schienen. Letztres lebt in Cis- und mehr noch in Trans-Leithanien vorwiegend von eignen, nicht von importirten Erzeugnissen. Außerdem hatte ich damals allgemein und habe ich auch heut noch sporadisch nicht das nöthige Vertrauen zu undeutschen Unterbeamten im Osten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 302 Für die deutsche Sache behielt man in den dem Königthum widerstrebenden Kreisen eine kleine Hoffnung auf Hebelkräfte im Sinne des Herzogs von Coburg, auf englischen und selbst französischen Beistand, in erster Linie aber auf liberale Sympathien des deutschen Volks. Die praktisch wirksame Bethätigung dieser Hoffnungen beschränkte sich auf den kleinen Kreis der Hof-Opposition, die unter dem Namen der Fraction Bethmann-Hollweg den Prinzen von Preußen für sich und ihre Bestrebungen zu gewinnen suchte. Es war dies eine Fraction, die an dem Volke garkeinen und an der damals als "Gothaer" bezeichneten nationalliberalen Richtung geringen Anhalt hatte. Ich habe diese Herrn nicht grade für nationaldeutsche Schwärmer gehalten, im Gegentheil. Der einflußreiche, noch heut (1891) lebende langjährige Adjutant des Kaisers Wilhelm, Graf Karl von der Goltz, der einen stets offnen Zugang für seinen Bruder und dessen Freunde abgab, war ursprünglich ein eleganter und gescheidter Garde-Offizier, Stockpreuße und Hofmann, der an dem außerpreußischen Deutschland nur so viel Interesse nahm, als seine Hofstellung es mit sich brachte. Er war ein Lebemann, Jagdreiter, sah gut aus, hatte Glück bei Damen und wußte sich auf dem Hofparket geschickt zu benehmen; aber die Politik stand bei ihm nicht in erster Linie, sondern galt ihm erst, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 312 Die scharfe Kritik der Politik Olmütz, die in der That nicht so sehr die Schuld des preußischen Unterhändlers als der, um das Wenigste zu sagen, ungeschickten Leitung der preußischen Politik bis zu seiner Zusammenkunft mit dem Fürsten Schwarzenberg war, und die Schilderung ihrer Folgen, das war die erste Waffe, mit welcher Manteuffel von Goltz angegriffen und die Sympathie des Prinzen von Preußen gewonnen wurde. In dem soldatischen Gefühle des Letztern war Olmütz ein wunder Punkt, in Bezug auf welchen nur die militärische und royalistische Disciplin dem Könige gegenüber die Empfindung der Kränkung und des Schmerzes beherrschte. Trotz seiner großen Liebe zu seinen russischen Verwandten, die zuletzt in der innigen Freundschaft mit Alexander II. zum Ausdrucke kam, behielt er das Gefühl einer Demüthigung, die Preußen durch den Kaiser Nicolaus erlitten hatte, und diese Empfindung wurde um so stärker, je mehr seine Mißbilligung der Manteuffel'schen Politik und der östreichischen Einflüsse ihn der ihm früher ferner liegenden deutschen Aufgabe Preußens näher rückte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 323 [1-98] welche uns die Sympathie und die Leitung der deutschen Staaten gewonnen hätte, die mit uns und durch uns in unabhängiger Neutralität zu verbleiben wünschten. Ich hielte dies für erreichbar, wenn wir, sobald Oestreich die Truppenaufstellung verlangte, freundlich und bereitwillig darauf eingingen, aber die Aufstellung der 66000 und factisch mehr Mann nicht bei Lissa, sondern in Oberschlesien machten, so daß unsre Truppen in der Lage seien, die russische oder die östreichische Grenze mit gleicher Leichtigkeit zu überschreiten, namentlich wenn wir uns nicht genirten, die Ziffer 100000 uneingestanden zu überschreiten. Mit 200000 Mann würde Se. Majestät in diesem Augenblick Herr der gesammten europäischen Situation werden, den Frieden dictiren und in Deutschland eine Preußens würdige Stellung gewinnen können 1). Frankreich war nicht im Stande, neben der Leistung, mit der es in der Krim beschäftigt war, bedrohlich an unsrer Westgrenze aufzutreten. Oestreich hatte seine disponiblen Kräfte in Ost-Galizien stehn, wo sie von Krankheiten mehr Verluste erlitten als auf den Schlachtfeldern. Sie waren festgenagelt durch die, auf dem Papier wenigstens, 200000 Mann starke russische Armee in Polen, deren Marsch nach der Krim die dortige Situation entschieden haben würde, wenn die östreichische Grenzaufstellung ihn hätte zulässig erscheinen lassen. Es gab schon damals Diplomaten, welche die Herstellung Polens unter östreichischem Patronat in ihr Programm aufgenommen hatten. Jene beiden Armeen standen einander gegenüber fest, und es war für Preußen möglich, durch seinen Beistand einer von ihnen die Oberhand zu gewähren. Die Wirkung einer englischen Blokade, welche unsre Küste hätte treffen können, würde nicht gefährlicher gewesen sein als die wenige Jahre früher mehrmals ausgestandene, uns ebenso vollständig abschließende dänische, und aufgewogen worden sein durch die Erlangung unsrer und der deutschen Unabhängigkeit von dem Drucke und der Drohung einer (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 325 [1-99] östreichisch-französischen Allianz und Vergewaltigung der zwischenliegenden Mittelstaaten. Während des Krimkrieges sagte mir der alte König Wilhelm von Würtemberg in vertraulicher Audienz am Kamin in Stuttgart: "Wir deutschen Südstaaten können nicht gleichzeitig die Feindschaft Oestreichs und Frankreichs auf uns nehmen, wir sind zu nahe unter der Ausfallpforte Straßburg und vom Westen her occupirt, bevor uns von Berlin Hülfe kommen kann. Würtemberg wird überfallen, und wenn ich ehrlich mich in das preußische Lager zurückziehe, so werden die Klagen meiner vom Feinde bedrückten Unterthanen mich zurückrufen; das würtembergische Hemd ist mir näher als der Rock des Bundes" 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 328 Der zögernde Beitritt der deutschen Mittelstaaten, die sich in Bamberg berathen hatten, zu dem Vertrage vom 20. April, die (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 340 Für die deutsche Diplomatie, in so weit sie jetzt von Preußen ausgeht, öffnet sich ein glänzendes Schlachtfeld, denn leider scheint es, daß Prokesch nicht Unrecht hat, wenn er für seinen Kaiser die Kriegstrompete bläst. Die Wiener Nachrichten sind gar nicht besonders, obschon ich es doch noch nicht aufgebe, daß in der elften Stunde Buol und der Kaiser auseinander gehen werden. ... Es wäre der größeste Fehler, den man machen könnte, wenn man den mir noch nicht ganz verständlichen antifranzösischen Enthusiasmus von Bayern, Würtemberg, Sachsen und Hannover, so ganz ungenutzt vorübergehen ließe. Sobald man mit Oesterreich im Klaren ist, d. h. sowie dessen westmächtliche Sympathien klar hervortreten, müssen die lebhaftesten Verhandlungen mit den deutschen Mächten beginnen, und wir müssen einen Fürstenbund schließen, ganz anders und fester als der von Friedrich II. war 2). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 345 [1-103] wegfällt, Oesterreich in seinem Kriegsgelüste gegen Rußland nachzugehen, und dann, daß Sie den deutschen Mächten den Weg weisen, den sie zu gehen haben. ... Es ist ein eigen Unglück, daß der Aufenthalt (des Königs Friedrich Wilhelm) in München wieder an gewisser Stelle germanomanischen Enthusiasmus erregt hat. Eine deutsche Reservearmee, er an der Spitze, ist der confuse Gedanke, der eine nicht gute Einwirkung auf die Politik macht. Ludwig XIV. sagte l'état c'est moi. Mit viel mehr Recht kann Se. Majestät sagen l'Allemagne c'est moi. L. v. G." 1) (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 354 [1-105] z. B. mit einer Restauration von Polen, einem rücksichtslosen Verfahren gegen Rußland u. s. w., sowie es keinem Zweifel unterliegt, daß Frankreich und England ihm auf der andern Seite noch leichter als uns Verlegenheiten bereiten können, sowohl in Ungarn als in Italien. Der Kaiser ist in den Händen seiner Polizei und was das heißt, habe ich in den letzten Jahren gelernt *), hat sich vorlügen lassen, Rußland habe Kossuth aufgehetzt u. s. w. Er hat damit sein Gewissen beschwichtigt, und was die Polizei nicht vermag, das leistet der Ultramontanismus, die Wuth gegen die orthodoxe Kirche und gegen das protéstantische Preußen. Daher ist auch schon jetzt von einem Königreich Polen unter einem österreichischen Erzherzoge die Rede. ... Aus allem diesem folgt, daß man sehr auf seiner Hut sein und auf alles, selbst auf einen Krieg gegen die mit Oesterreich verbündeten Westmächte gefaßt sein muß, daß den deutschen Fürsten nicht zu trauen ist u. s. w. Der Herr möge uns geben, daß wir nicht schwach befunden werden, aber ich müßte eine Unwahrheit sagen, wenn ich den Leitern unsrer Geschicke fest vertraute. Halten wir daher eng zusammen. Anno 1850 hatte Radowitz uns etwa auf denselben Punkt gebracht wie Buol jetzt passiv von drüben her 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 357 *) Gerlach hat dabei wohl an Ohm und Hantge gedacht, auch an die Berichte, welche der phantasiereiche und gut bezahlte Oestreicher Tausenau aus London über gefährliche Anschläge der deutschen Flüchtlinge erstattete. Der König muß über die Zuverlässigkeit dieser Meldungen zweifelhaft geworden sein; er beauftragte direct aus seinem Cabinet den Gesandten Bunsen, von der englischen Polizei Erkundigung einzuziehn, die dahin ausfiel, daß die deutschen Flüchtlinge in London zu viel mit dem Erwerb ihres Lebensunterhaltes zu thun hätten, um an Attentate zu denken. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 379 [1-111] bezeichnete und später in Flugschriften den Prinzen Albert als den gefährlichsten Gegner seiner befreienden Anstrengungen denunciren ließ, von diesen Hülfen wurde die Gestaltung der deutschen Zustände mit Sicherheit vorhergesagt, welche später von der Armee des Königs Wilhelm auf den Schlachtfeldern erkämpft worden ist. Die Frage, ob Palmerston oder ein andrer englischer Minister geneigt sein würde, Arm in Arm mit dem gothaisirenden Liberalismus und mit der Fronde am preußischen Hofe Europa zu einem ungleichen Kampfe herauszufordern und englische Interessen auf dem Altar der deutschen Einheitsbestrebungen zu opfern, - die weitere Frage, ob England dazu ohne andern continentalen Beistand als den einer in coburgische Wege geleiteten preußischen Politik im Stande sein würde - diese Fragen bis an's Ende durchzudenken, fühlte niemand den Beruf, am allerwenigsten die Fürsprecher derartiger Experimente. Die Phrase und die Bereitwilligkeit, im Partei-Interesse jede Dummheit hinzunehmen, deckten alle Lücken in dem windigen Bau der damaligen westmächtlichen Hofnebenpolitik. Mit diesen kindischen Utopien spielten sich die zweifellos klugen Köpfe der Bethmann-Hollwegschen Partei als Staatsmänner aus, hielten es für möglich, den Körper von sechzig Millionen Groß-Russen in der europäischen Zukunft als ein caput mortuum zu behandeln, das man nach Belieben mißhandeln könne, ohne daraus einen sichern Bundesgenossen jedes zukünftigen Feindes von Preußen zu machen und ohne Preußen in jedem französischen Kriege zur Rückendeckung gegen Polen zu nöthigen, da eine Polen befriedigende Auseinandersetzung in den Provinzen Preußen und Posen und selbst noch in Schlesien unmöglich ist, ohne den Bestand Preußens aufzulösen. Diese Politiker hielten sich damals nicht nur für weise, sondern wurden in der liberalen Presse als solche verehrt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 383 1) Vgl. Sybel, Die Begründung des Deutschen Reichs II 181. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 400 [1-118] stellten wir, wenigstens von Hause aus, bei den deutschen Höfen ein Preußisches Programm auf, und keiner von ihnen entschied sich, bevor wir uns nicht mit Oestreich verständigt hatten. Jetzt verständigt sich Baiern mit Wien, und wir fügen uns im Rummel mit Darmstadt und Oldenburg. Damit geben wir das letzte her, was man einstweilen von uns braucht, und hat man den Bundesbeschluß einschließlich des Preußischen Votums erst in der Tasche, so werden wir bald sehn, wie Buol mit achselzuckendem Bedauern von der Unmöglichkeit spricht, den Widerspruch der Westmächte gegen unsre Zulassung zu überwinden. Auf Rußlands Unterstützung können wir dabei, meinem Gefühl nach, nicht rechnen, denn den Russen wird die Verstimmung ganz lieb sein, die bei uns folgen muß, wenn wir den letzten Rest unsrer Politik für ein EntreeBillet zu den Conferenzen hergegeben haben. Außerdem fürchten die Russen sich offenbar mehr vor unsrer "vermittelnden" Unterstützung der gegnerischen Politik, als daß sie irgend einen Beistand von uns auf den Conferenzen erwarteten. Meine Gespräche mit Brunnow und Petersburger Briefe, die ich gesehn, lassen mir darüber, trotz aller diplomatischen Schlauheit des erstern, keinen Zweifel. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 404 Diese ganze Berechnung zerreißen wir, wenn wir hier jetzt ablehnen, uns auszusprechen, bis unsrer Ansicht nach die Zeit dazu gekommen sein wird. So lange wir diese Haltung annehmen, bedarf man unser noch und wird um uns werben. Man wird hier auch schwerlich den Versuch machen, uns zu majorisiren; selbst Sachsen und Baiern stehn nur in der ,Vorausseßung' unsres Einverständnisses zu dem dermaligen östreichischen Entwurfe; sie haben sich daran gewöhnt, daß wir schließlich nachlassen, und deßhalb erlauben sie sich solche Voraussetzungen. Wenn wir aber den Muth unsrer Meinung haben, wird man es auch der Mühe werth finden, bei Entscheidungen über deutsche Politik die Erklärung Preußens abzuwarten. Wenn wir fest auf Aufschub des Beschlusses verharren und das den deutschen Höfen erklären, so steht uns noch heut eine gute Majorität zur Seite, selbst wenn, was nicht der Fall sein wird, Sachsen und Baiern sich schon mit Kopf und Kragen an Buol verkauft hätten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 405 Wollen wir es darauf nicht ankommen lassen, so müssen wir uns auch darauf gefaßt machen, daß Sardinien und die Türkei in Paris selbständig über die Wahrung der deutschen Interessen in den beiden vom Bunde angeeigneten Punkten berathen, während wir durch Oestreich dabei vertreten werden. Und wir werden nicht einmal die ersten in dem Schweife Oestreichs sein, denn Graf Buol wird sich bei Erfüllung seines präsumtiven Mandats für Deutschland noch eher bei Pfordten und Beust Rath holen, als bei (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 413 Wirksamer noch als durch die politischen Argumentationen der Bethmann-Hollwegschen Coterie wurde der Prinz von seiner Gemalin im westmächtlichen Sinne beeinflußt und in eine Art von Oppositionsstellung gegen den Bruder gebracht, die seinen militärischen Instincten fern lag. Die Prinzessin Augusta hat aus ihrer weimarischen Jugendzeit bis an ihr Lebensende den Eindruck bewahrt, daß französische und noch mehr englische Autoritäten und Personen den einheimischen überlegen seien. Sie war darin echt deutschen Blutes, daß sich an ihr unsre nationale Art bewährte, welche in der Redensart ihren schärfsten Ausdruck findet: "Das ist nicht weit her, taugt also nichts." Trotz Goethe, Schiller und allen andern Größen in den elyseischen Gefilden von Weimar war doch diese geistig hervorragende Residenz nicht frei von dem Alp, der bis zur Gegenwart auf unserm Nationalgefühl gelastet hat: daß ein Franzose und vollends ein Engländer durch seine (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 426 Der für den norddeutschen und namentlich für den Gedankenkreis einer kleinen Stadt in Mitten rein protestantischer Bevölkerung fremdartige Katholicismus hatte etwas Anziehendes für eine Fürstin, die überhaupt das Fremde mehr interessirte, als das Näherliegende, Alltägliche, Hausbackne. Ein katholischer Bischof erschien vornehmer als ein General-Superintendent. Ein gewisses Wohlwollen für die katholische Sache, welches ihr schon früher eigen und z. B. in der Wahl ihrer männlichen Umgebung und Dienerschaft erkennbar war, wurde durch ihren Aufenthalt in Coblenz vollends entwickelt. Sie gewöhnte sich daran, die localen Interessen des alten KrummstabLandes und seiner Geistlichkeit als ihrer Fürsorge besonders zugewiesen anzusehn und zu vertreten. Das moderne confessionelle Selbstgefühl auf dem Grunde geschichtlicher Tradition, das in dem Prinzen die protestantische Sympathie nicht selten mit Schärfe hervortreten ließ, war seiner Gemalin fremd. Welchen Erfolg ihr Bemühn um Popularität im Rheinlande gehabt hatte, zeigte sich u. A. darin, daß der Graf v. d. Recke-Volmerstein mir am 9. October 1863 schrieb, wohlgesinnte Leute am Rhein riethen, der König möge nicht zum Dombaufest kommen, sondern lieber I. Majestät schicken, "die mit Enthusiasmus würde empfangen werden". Ein Beispiel der wirksamen Energie, mit der sie die Wünsche der Geistlichkeit vertrat, lieferte die Modification, zu welcher der Bau der sogenannten Metzer Eisenbahn genöthigt wurde, weil die Geistlichkeit sich eines katholischen Kirchhofs, der berührt werden sollte, angenommen hatte und darin von der Kaiserin so erfolgreich unterstützt wurde, daß die Richtung geändert und schwierige Bauten ad hoc hergestellt wurden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 435 Die Entfremdung die zwischen dem Minister Manteuffel und mir nach meiner Wiener Mission und infolge der Zuträgerei von Klentze und Andern entstanden war, hatte die Folge, daß der König mich immer häufiger zur "Territion" kommen ließ, wenn der Minister ihm nicht zu Willen sein wollte. Ich habe auf den Reisen zwischen Frankfurt und Berlin über Guntershausen in einem Jahre 2000 Meilen gemacht, damals stets die neue Cigarre an der vorhergehenden entzündend oder gut schlafend. Der König erforderte nicht nur meine Ansicht über Fragen der deutschen und der auswärtigen Politik, sondern beauftragte mich auch gelegentlich, wenn ihm Entwürfe des Auswärtigen Amtes vorlagen, mit der Ausarbeitung von Gegenprojecten. Ich besprach diese Aufträge und meine entsprechenden Redactionen dann mit Manteuffel, der es in der Regel ablehnte, Aenderungen daran vorzunehmen, wenn auch unsre politischen Ansichten auseinander gingen. Er hatte mehr Entgegenkommen für die Westmächte und die östreichischen Wünsche, während ich, ohne russische Politik zu vertreten, keinen Grund sah, unsern langjährigen Frieden mit Rußland für andre als preußische Interessen in Frage zu stellen, und ein etwaiges Eintreten Preußens gegen Rußland für Interessen, die uns fern lagen, als das Ergebniß unsrer Furcht vor den Westmächten und unsres bescheidenen Respects vor (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 439 Ich suchte mich der Rolle, welche der König mich spielen ließ, in schicklicher Weise zu entziehn und die Verständigung zwischen ihm und Manteuffel nach Möglichkeit anzubahnen; so in den ernsten Zerwürfnissen, welche über Rhino Quehl entstanden. Nachdem durch Wiederherstellung des Bundestages nationale Sonderbestrebungen Preußens einstweilen behindert waren, ging man in Berlin an eine Restauration der innern Zustände, mit welcher der König gezögert hatte, so lange er darauf bedacht war, sich die Liberalen in den übrigen deutschen Staaten nicht zu entfremden. Ueber das Ziel und die Gangart der Restauration zeigte sich aber sofort zwischen dem Minister Manteuffel und der "kleinen aber mächtigen Partei" eine Meinungsverschiedenheit, die sich merkwürdigerweise in einen Streit über Halten oder Fallenlassen einer verhältnißmäßig untergeordneten Persönlichkeit zuspitzte und zu einem scharfen, öffentlichen Ausbruch führte. In demselben Briefe vom 11. Juli 1851, durch welchen er mich von meiner Ernennung zum Bundestagsgesandten benachrichtigte, schrieb Manteuffel: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 503 Die Haltung, welche ich in der conservativen Fraction angenommen hatte, griff störend in die Pläne ein, die der König mit mir hatte oder zu haben behauptete. Als er zu Anfang des Jahres 1854 das Ziel, mich zum Minister zu machen, directer in's Auge zu fassen begann, wurde seine Absicht nicht nur von Manteuffel bekämpft, sondern auch von der Camarilla, deren Hauptpersonen der General Gerlach und Niebuhr waren. Diese, ebenso wie Manteuffel, waren nicht geneigt, den Einfluß auf den König mit mir zu theilen, und glaubten sich mit mir im täglichen Zusammenleben nicht so gut wie in der Entfernung zu vertragen. Gerlach wurde in dieser Voraussetzung bestärkt durch seinen Bruder, den Präsidenten, der die Gewohnheit hatte, mich als einen PilatusCharakter zu bezeichnen auf der Basis: Was ist Wahrheit? also als einen unsichern Fractionsgenossen. Dieses Urtheil über mich kam auch in den Kämpfen innerhalb der conservativen Fraction und ihres intimern Comités mit Schärfe zum Ausdruck, als ich, auf Grund meiner Stellung als Bundestagsgesandter und weil ich im Besitz des Vortrags bei dem Könige über die deutschen Angelegenheiten sei, einen größern Einfluß auf die Haltung der Fraction in der deutschen und der auswärtigen Politik verlangte, während der Präsident Gerlach und Stahl die absolute Gesammtleitung nach allen Seiten hin in Anspruch nahmen. Ich befand mich im Widerspruche mit Beiden, mehr aber mit Gerlach als mit Stahl, und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 507 Um eine ernstere, in den Verlauf der Dinge eingreifende Frage der Redaction handelte es sich im August 1854. Der König befand sich in Rügen; ich war auf dem Wege von Frankfurt nach Reinfeld, wo meine Frau krank lag, als am 29. August in Stettin ein höherer Postbeamter, der angewiesen war, auf mich zu fahnden, mir eine Einladung des Königs nach Putbus ausrichtete. Ich hätte mich gern gedrückt, der Postbeamte aber begriff nicht, wie ein Mann von altem preußischen Schlage sich einer solchen Aufforderung entziehn wolle. Ich ging nach Rügen, nicht ohne Sorge vor neuen Zumuthungen, Minister zu werden und dadurch in unhaltbare Beziehungen zum Könige zu gerathen. Der König empfing mich am 30. August gnädig und setzte mich von einer vorliegenden Meinungsverschiedenheit über die durch den Rückzug der Russen aus den Donaufürstenthümern entstandene Situation in Kenntniß. Es handelte sich um die Depesche des Grafen Buol vom 10. August und einen von Manteuffel vorgelegten Entwurf einer Antwort, den der König zu östreichisch fand. Auf Befehl machte ich einen andern Entwurf, der von Sr. Majestät genehmigt und nach Berlin geschickt wurde, um im Widerspruch mit dem leitenden Minister zunächst an den Grafen Arnim in Wien gesandt und dann den deutschen Regirungen mitgetheilt zu werden 1). Die durch Annahme meines Entwurfs bekundete Stimmung des Königs zeigte sich auch in dem Empfang des Grafen Benckendorf, der mit Briefen und mündlichen Aufträgen in Putbus eintraf, und den ich mit der Nachricht hatte empfangen können, daß die Engländer und Franzosen in der Krim (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 543 [1-159] unter den Großmächten ist. Bündnisse sind der Ausdruck gemeinsamer Interessen und Absichten. Ob wir Absichten und bewußte Ziele unsrer Politik überhaupt jetzt haben, weiß ich nicht; aber daß wir Interessen haben, daran werden uns Andre schon erinnern. Wir aber haben die Wahrscheinlichkeit eines Bündnisses bisher nur mit denen, deren Interessen sich mit den unsrigen am mannigfachsten kreuzen und ihnen widersprechen, nämlich mit den deutschen Staaten und Oestreich. Wollen wir damit unsre auswärtige Politik abgeschlossen betrachten, so müssen wir uns auch mit dem Gedanken vertraut machen, in Friedenszeiten unsern europäischen Einfluß auf ein Siebzehntel der Stimmen des engern Rathes im Bunde reducirt zu sehn und im Kriegsfalle mit der Bundesverfassung in der Hand allein im Taxis'schen Palais übrig zu bleiben. Ich frage Sie, ob es in Europa ein Cabinet gibt, welches mehr als das Wiener ein gebornes und natürliches Interesse daran hat, Preußen nicht stärker werden zu lassen, sondern seinen Einfluß in Deutschland zu mindern; ob es ein Cabinet gibt, welches diesen Zweck eifriger und geschickter verfolgt, welches überhaupt kühler und cynischer nur seine eignen Interessen zur Richtschnur seiner Politik nimmt, und welches uns, den Russen und den Westmächten mehr und schlagendere Beweise von Perfidie und Unzuverlässigkeit für Bundesgenossen gegeben hat? Genirt sich denn Oestreich etwa mit dem Auslande jede seinem Vortheil entsprechende Verbindung einzugehn und sogar die Theilnehmer des Deutschen Bundes vermöge solcher Verbindungen offen zu bedrohen? Halten Sie den Kaiser Franz Joseph für eine aufopfernde, hingebende Natur überhaupt und insbesondre für außeröstreichische Interessen? Finden Sie zwischen seiner Buol-Bach'schen Regirungsweise und der Napoleonischen vom Standpunkte des ,Prinzips' einen Unterschied? Der Träger der letztern sagte mir in Paris, es sei für ihn ,qui fais tous les efforts pour sortir de ce système de centralisation trop tendue qui en dernier lieu a pour pivot un gend'arme-sécrétaire et que je considère comme une des causes principales des malheurs de la France' sehr (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 544 [1-160] merkwürdig zu sehn, wie Oestreich die stärksten Anstrengungen mache, um hinein zu gerathen. Ich frage noch weiter und bitte Sie, mich in Antwort nicht mit einer ausweichenden Wendung abzufinden: gibt es nächst Oestreich Regirungen, die weniger den Beruf fühlen, etwas für Preußen zu thun, als die deutschen Mittelstaaten? Im Frieden haben sie das Bedürfniß, am Bunde und im Zollverein Rollen zu spielen, ihre Souveränetät an unsern Gränzen geltend zu machen, sich mit von der Heydt zu zanken, und im Kriege wird ihr Verhalten durch Furcht oder Mißtrauen für oder gegen uns bedingt, und das Mißtrauen wird ihnen kein Engel ausreden können, so lange es noch Landkarten gibt, auf die sie einen Blick werfen können. Und nun noch eine Frage: Glauben Sie denn und glaubt Se. Majestät der König wirklich noch an den Deutschen Bund und seine Armee für den Kriegsfall? ich meine nicht für den Fall eines französischen Revolutionskrieges gegen Deutschland im Bunde mit Rußland, sondern in einem Interessenkriege, bei dem Deutschland mit Preußen und Oestreich auf ihren alleinigen Füßen zu stehn angewiesen wären. Glauben Sie daran, so kann ich allerdings nicht weiter discutiren, denn unsre Prämissen wären zu verschieden. Was könnte Sie aber berechtigen, daran zu glauben, daß die Großherzöge von Baden und Darmstadt, der König von Würtemberg oder Baiern den Leonidas für Preußen und Oestreich machen sollten, wenn die Uebermacht nicht auf deren Seite ist und niemand an Einheit und Vertrauen zwischen beiden, Preußen und Oestreich nämlich, auch nur den mäßigsten Grund hat zu glauben? Schwerlich wird der König Max in Fontainebleau dem Napoleon sagen, daß er nur über seine Leiche die Gränze Deutschlands oder Oestreichs passiren werde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 547 Wollen wir so isolirt, unbeachtet und gelegentlich schlecht behandelt weiter leben, so habe ich freilich keine Macht, es zu ändern; wollen wir aber wieder zu Ansehn gelangen, so erreichen wir es unmöglich damit, daß wir unser Fundament lediglich auf den Sand des Deutschen Bundes bauen und den Einsturz in Ruhe abwarten. So lange Jeder von uns die Ueberzeugung hat, daß ein Theil des europäischen Schachbretts uns nach unserm eignen Willen verschlossen bleibt oder daß wir uns einen Arm prinzipiell festbinden, während jeder Andre beide zu unserm Nachtheil benutzt, wird man diese unsre Gemüthlichkeit ohne Furcht und ohne Dank benutzen. Ich verlange ja garnicht, daß wir mit Frankreich ein Bündniß schließen und gegen Deutschland conspiriren sollen; aber ist es nicht vernünftiger, mit den Franzosen, so lange sie uns in Ruhe lassen, auf freundlichem als auf kühlem Fuße zu stehn? Ich will nichts weiter als andern Leuten den Glauben benehmen, sie könnten sich verbrüdern, mit wem sie wollten, aber wir würden eher Riemen aus unsrer Haut schneiden lassen, als dieselbe mit französischer Hülfe vertheidigen. Höflichkeit ist eine wohlfeile Münze; und wenn sie auch nur dahin führt, daß die Andern nicht mehr (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 560 Jetzt muß ich etwas weit ausholen und zwar bis zu Karl dem Großen, also über 1000 Jahre. Damals war das Princip der europäischen Politik die Ausbreitung der christlichen Kirche. Karl der Große huldigte demselben in seinen Kriegen mit den Sarazenen, Sachsen, Avaren u. s. w., und seine Politik war wahrlich nicht unpraktisch. Seine Nachfolger stritten sich principienlos unter einander, und wieder waren es die großen Fürsten des Mittelalters, welche dem alten Princip treu blieben. Die preußische Macht wurde gegründet durch die Kämpfe der brandenburgischen Markgrafen und des deutschen Ordens gegen diejenigen Völker, welche sich dem Kaiser, dem Vicarius der Kirche, nicht unterwerfen wollten, und das dauerte, bis daß der Verfall der Kirche zu dem Territorialismus, zum Verfall des Reiches, zur Spaltung in der Kirche führte. Seitdem war nicht mehr ein allgemeines Princip in der Christenheit. Von dem ursprünglichen Princip war noch allein der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 563 [1-168] nach Ihrer eignen Ansicht sind die deutschen Mittelstaaten leider im Wiener Congreß aus Halbheit und Eifersucht octroyirte und geschützte Producte der Revolution und des ihr folgenden Bonapartismus, der Materia peccans, in Deutschland. Hätte man principienmäßig in Wien Belgien an Oesterreich und die fränkischen Fürstenthümer an Preußen zurückgegeben: Deutschland wäre in einer andern Lage als jetzt, besonders wenn man gleichzeitig die Mißgeburten Bayern, Würtemberg, Darmstadt auf ihre natürliche Größe zurückgeführt hätte; damals aber zog man Arrondirung u. s. w., lauter mechanische Interessen dem Principe vor. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 564 Sie haben sich aber gewiß bei meiner weitläufigen Deduction schon gelangweilt, ich will daher der neuesten Zeit entgegengehen. Finden Sie es denn eine glückliche Lage der Dinge, daß jetzt, wo Preußen und Oesterreich sich feindlich entgegenstehen, Bonaparte bis Dessau hin regiert und Nichts in Deutschland geschieht ohne bei ihm anzufragen? Kann uns ein Bündniß mit Frankreich den Zustand der Dinge ersetzen, welcher von 1815-1848 bestanden hat, wo sich keine fremde Macht in die deutschen Angelegenheiten mischte? Daß Oesterreich und die deutschen Mittelstaaten nichts für uns thun werden, davon bin ich wie Sie überzeugt. Ich glaube nur außerdem noch, daß Frankreich, das heißt Bonaparte, auch nichts für uns thun wird. Daß man unfreundlich und unhöflich gegen ihn ist, billige ich so wenig als Sie; daß man Frankreich aus den politischen Combinationen ausschließt, ist Wahnsinn. Daraus folgt aber noch nicht, daß man Bonapartes Ursprung vergißt, ihn nach Berlin einladet und dadurch im In- und Auslande alle Begriffe verwirrt. In der Neuschâteler Sache hat er sich insofern gut benommen, daß er den Krieg verhindert und offen gesagt hat, daß er nicht mehr thun würde. Ob es aber nicht besser um diese Angelegenheit stände, wenn wir uns nicht von einer ‚Gefühlspolitik' hätten leiten lassen, sondern die Sache an die europäischen Mächte, die das Londoner Protokoll unterzeichnet, gebracht hätten, ohne uns vorher unter die Flügel Bonapartes geduckt zu haben, das ist doch noch sehr fraglich, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 574 [1-172] erwartet, lediglich aus Gutmüthigkeit und love of approbation zu machen. Können wir jetzt kein Aequivalent für eine Gefälligkeit der Art erwarten, so sollten wir auch unsre Concession zurückhalten; die Gelegenheit, sie als Ausgleichungsobject zu verwerthen, kommt vielleicht später einmal. Die Nützlichkeit für den Bund kann doch nicht die ausschließliche Richtschnur Preußischer Politik sein, denn das Allernützlichste für den Bund wäre ohne Zweifel, wenn wir uns und alle deutschen Regirungen Oestreich militärisch, politisch und commerciell im Zollverein unterordneten; unter einheitlicher Leitung würde der Bund in Krieg und Frieden ganz andre Dinge leisten, auch wirklich haltbar werden für Kriegsfälle..." 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 594 [1-176] Wie viele Existenzen giebt es noch in der heutigen politischen Welt, die nicht in revolutionärem Boden wurzeln? Nehmen Sie Spanien, Portugal, Brasilien, alle amerikanischen Republiken, Belgien, Holland, die Schweiz, Griechenland, Schweden, das noch heut mit Bewußtsein in der glorious revolution von 1688 fußende England; selbst für das Terrain, welches die heutigen deutschen Fürsten theils Kaiser und Reich, theils ihren Mitständen, den Standesherrn, theils ihren eignen Landständen abgewonnen haben, läßt sich kein vollständig legitimer Besitztitel nachweisen, und in unserm eignen staatlichen Leben können wir der Benutzung revolutionärer Unterlagen nicht entgehn. Viele der berührten Zustände sind eingealtert, und wir haben uns an sie gewöhnt; es geht uns damit, wie mit allen den Wundern, welche uns täglich 24 Stunden lang umgeben, deßhalb aufhören, uns wunderbar zu erscheinen, und niemand abhalten, den Begriff des ‚Wunders' auf Erscheinungen einzuschränken, welche durchaus nicht wunderbarer sind als die eigne Geburt und das tägliche Leben des Menschen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 605 [1-182] Ich finde das ‚Besondre', welches uns heut zu Tage bestimmt, grade die französische Revolution vorzugsweise als Revolution zu bezeichnen, nicht in der Familie Bonaparte, sondern in der örtlichen und zeitlichen Nähe der Ereignisse und in der Größe und Macht des Landes, auf dessen Boden sie sich zutragen. Deßhalb sind sie gefährlicher, aber ich finde es deßhalb noch nicht schlechter, mit Bonaparte in Beziehung zu stehn, als mit andern von der Revolution erzeugten Existenzen, oder mit Regirungen, welche sich freiwillig mit ihr identificiren, wie Oestreich, und für die Ausbreitung revolutionärer Grundsätze thätig sind, wie England. Ich will mit diesem allen keine Apologie der Personen und Zustände in Frankreich geben; ich habe für die erstern keine Vorliebe und halte die letztern für ein Unglück jenes Landes; ich will nur erklären, wie ich dazu komme, daß es mir weder sündlich noch ehrenrührig erscheint, mit dem von uns anerkannten Souverän eines wichtigen Landes in nähere Verbindung zu treten, wenn es der Gang der Politik mit sich bringt. Daß diese Verbindung an sich etwas Wünschenswerthes sei, sage ich nicht, sondern nur, daß alle andern Chancen schlechter sind, und daß wir, um sie zu bessern, durch die Wirklichkeit oder den Schein intimerer Beziehungen zu Frankreich hindurch müssen. Nur durch dieses Mittel können wir Oestreich so weit zur Vernunft und zur Verzichtleistung auf seinen überspannten Schwarzenbergischen Ehrgeiz bringen, daß es die Verständigung mit uns statt unsrer Uebervortheilung sucht, und nur durch dieses Mittel können wir die weitre Entwicklung der directen Beziehungen der deutschen Mittelstaaten zu Frankreich hemmen. Auch England wird anfangen zu erkennen, wie wichtig ihm die Allianz Preußens ist, wenn es erst fürchtet, sie an Frankreich zu verlieren. Also auch wenn ich mich auf Ihren Standpunkt der Neigung für Oestreich und England stellte, müssen wir bei Frankreich anfangen, um jene zur Erkenntniß zu bringen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 643 In demselben Jahre benutzte ich die Ferien des Bundestages zu einem Jagdausfluge nach Dänemark und Schweden 1). In Kopenhagen hatte ich am 6. August eine Audienz bei dem Könige Friedrich VII. Er empfing mich in Uniform, den Helm auf dem Kopfe, und unterhielt mich mit übertriebenen Schilderungen seiner Erlebnisse bei verschiedenen Gefechten und Belagerungen, bei denen er garnicht zugegen gewesen war. Auf meine Sondirung, ob er glaube, daß die (zweite gemeinschaftliche vom 2. October 1855 datirte) Verfassung halten werde, erwiderte er, er habe seinem Vater auf dem Todtenbette zugeschworen, sie zu halten, wobei er vergaß, daß diese Verfassung beim Tode seines Vaters (1848) noch nicht vorhanden war. Während der Unterhaltung sah ich in einer anstoßenden sonnigen Gallerie einen weiblichen Schatten an der Wand; der König hatte nicht für mich, sondern für die Gräfin Danner geredet, über deren Verkehrsformen mit Sr. Majestät ich sonderbare Anekdoten hörte. Auch mit angesehnen Schleswig-Holsteinern hatte ich Gelegenheit, mich zu besprechen. Sie wollten von einem deutschen Kleinstaate nichts wissen; "da sei ihnen das Bischen Europäerthum in Kopenhagen noch lieber". (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 672 [1-203] meine Abberufung von Frankfurt. Die Ernennung von Usedom werde das Vertrauen der deutschen Höfe abschwächen, weil er unklar liberal und mehr anekdotenerzählender Höfling als Staatsmann sei; und Frau von Usedom würde uns durch ihre Excentricität Verlegenheit und unerwünschte Eindrücke in Frankfurt zuziehn. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 673 Worauf der Regent: "Das ist es ja eben, daß die hohe Befähigung Usedoms sich nirgendwo anders verwerthen läßt, weil seine Frau an jedem Hofe Verlegenheiten herbeiführen würde." Letztres geschah nicht bloß an Höfen, sondern auch in dem duldsamen Frankfurt, und die Unannehmlichkeiten, welche sie in Ueberschätzung ihrer gesandschaftlichen Prärogative Privatleuten bereitete, arteten bis zu öffentlichen Scandalosen aus. Aber Frau von Usedom war geborne Engländerin und fand deshalb bei der Inferiorität des deutschen Selbstgefühls bei Hofe eine Nachsicht, deren sich keine deutsche Frau zu erfreuen gehabt haben würde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 746 Auch in Petersburg würde ich es für zweckmäßig gehalten haben, auf der Straße die Andeutung eines höhern russischen Ordens zu tragen, wenn die großen Entfernungen es nicht mit sich gebracht hätten, daß man sich in den Straßen mehr zu Wagen mit Tressenlivree als zu Fuße zeigte. Schon zu Pferde, wenn in Civil und ohne Reitknecht, lief man Gefahr, von den durch ihr Costüm kenntlichen Kutschern der höhern Würdenträger wörtlich und thätlich angefahren zu werden, wenn man mit ihnen in unvermeidliche Berührung gerieth; und wer hinreichend Herr seines Pferdes war und eine Gerte in der Hand hatte, that wohl, sich bei solchen Conflicten als gleichberechtigt mit dem Insassen des Wagens zu legitimiren. Von den wenigen Reitern in der Umgebung von Petersburg konnte man in der Regel annehmen, daß sie deutsche und englische Kaufleute waren und in dieser ihrer Stellung ärgerliche Berührungen nach Möglichkeit vermieden und lieber ertrugen, als sich bei den Behörden zu beschweren. Offiziere machten nur in ganz geringer Zahl von den guten Reitwegen auf den Inseln und weiter außerhalb der Stadt Gebrauch, und die es thaten, waren in der Regel deutschen Herkommens. Das Bemühn höhern Ortes, den Offizieren mehr Geschmack am Reiten beizubringen, hatte keinen dauernden Erfolg und bewirkte nur, daß nach einer jeden Anregung derart die kaiserlichen Equipagen einige Tage lang mehr Reitern als gewöhnlich begegneten. Eine Merkwürdigkeit war es, daß als die besten Reiter unter den Offizieren die beiden Admiräle anerkannt waren, der Großfürst Constantin und der Fürst Mentschikow. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 748 [1-223]in guten Manieren und gesellschaftlichem Tone die jüngere zeitgenössische Generation zurück stand gegen die vorhergehende des Kaisers Nicolaus und beide wieder in europäischer Bildung und Gesammterziehung gegen die alten Herrn aus der Zeit Alexanders I. Dessenungeachtet blieb innerhalb der Hofkreise und der "Gesellschaft" der vollendete gute Ton in Geltung und in den Häusern der Aristokratie, namentlich so weit in diesen die Herrschaft der Damen reichte. Aber die Höflichkeit der Formen verminderte sich erheblich, wenn man mit jüngern Herrn in Situationen gerieth, welche nicht durch den Einfluß des Hofes oder vornehmer Frauen controllirt waren. Ich will nicht entscheiden, wie weit das Wahrgenommne aus einer socialen Reaction der jüngern Gesellschaftsschicht gegen die früher wirksam gewesenen deutschen Einflüsse oder aus einem Sinken der Erziehung in der jüngern russischen Gesellschaft seit der Epoche des Kaisers Alexander I. zu erklären ist, vielleicht auch aus der Contagion, welche die sociale Entwicklung der Pariser Kreise auf die der höhern russischen Gesellschaft auszuüben pflegt. Gute Manieren und vollkommne Höflichkeit sind in den herrschenden Kreisen von Frankreich außerhalb des Faubourg St. Germain heut nicht mehr so verbreitet, wie es früher der Fall war, und wie ich sie in Berührung mit ältern Franzosen und mit französischen und noch gewinnender bei russischen Damen jeden Alters kennen gelernt habe. Da übrigens meine Stellung in Petersburg mich nicht zu einem intimen Verkehr mit der jüngsten erwachsenen Generation nöthigte, so habe ich von meinem dortigen Aufenthalt nur die angenehme Erinnerung behalten, welche ich der Liebenswürdigkeit des Hofes, der ältern Herrn und der Damen der Gesellschaft verdanke. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 763 Zur Zeit des östreichisch-französischen Krieges klagte mir der Kaiser Alexander in vertraulichem Gespräche über den heftigen und verletzenden Ton, in welchem die russische Politik in Correspondenzen deutscher Fürsten an kaiserliche Familienglieder kritisirt werde. Er schloß die Beschwerde über seine Verwandten mit den entrüsteten Worten: "Das Beleidigende für mich in der Sache ist, daß die deutschen Herrn Vettern ihre Grobheiten mit der Post schicken, damit sie sicher zu meiner persönlichen Kenntniß gelangen." Der Kaiser hatte kein Arg bei diesem Eingeständniß und war unbefangen der Meinung, daß es sein monarchisches Recht sei, auch auf diesem Wege von der Correspondenz Kenntniß zu erhalten, deren Trägerin die russische Post war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 791 Um bei deutschen Aerzten Hülfe zu suchen, reiste ich im Juli auf dem Seewege über Stettin nach Berlin; heftige Schmerzen veranlaßten mich, den berühmten Chirurgen Pirogow, der mit an Bord war, zu fragen; er wollte mir das Bein amputiren, und auf meine Frage, ob über oder unter dem Kniee, bezeichnete er (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 837 Während der Festlichkeiten sah ich, daß in der Stimmung der Königin eine Veränderung vorgegangen war, die vielleicht mit dem inzwischen erfolgten Rücktritt von Schleinitz zusammenhing. Sie ergriff die Initiative zur Besprechung national-deutscher Politik mit mir. Ich begegnete dort zum ersten Male dem Grafen Bernstorff als Minister, der zu einer bestimmten Entschließung über seine Politik noch nicht gelangt zu sein schien und mir in unsern Gesprächen den Eindruck machte, als ringe er nach einer Meinung. Die Königin zeigte sich gegen mich freundlicher als seit langen Jahren, sie zeichnete mich in augenfälliger Weise aus, offenbar über die im Augenblick von dem Könige gewünschte Linie hinaus. In einem Moment, der ceremoniell für Unterhaltung kaum Zeit bot, blieb sie vor mir, der ich in dem Haufen stand, stehn und begann mit mir ein Gespräch über deutsche Politik, dem der sie führende König, ein Zeit lang vergebens, ein Ende zu machen suchte. Das Verhalten beider Herrschaften bei dieser und andern Gelegenheiten bewies, daß damals eine Meinungsverschiedenheit über die Behandlung der deutschen Frage zwischen ihnen bestand; ich vermuthe, daß Graf Bernstorff Ihrer Majestät nicht sympathisch war. Der König vermied, mit mir über Politik zu reden, wahrscheinlich in der Besorgniß, durch Beziehungen zu mir in eine reactionäre Beleuchtung zu gerathen. Diese Besorgniß beherrschte ihn noch im Mai 1862 und sogar noch im September 1862. Er hielt mich für fanatischer als ich war. Nicht ohne Einfluß war (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 860 [1-255] mindestens bis zum Winter oder länger hier zu bleiben. Meine Sachen und Wagen sind noch in Petersburg, ich muß sie irgendwo unterbringen; außerdem habe ich die Gewohnheiten eines achtbaren Familienvaters, zu denen gehört, daß man irgendwo einen festen Wohnsitz hat, und der fehlt mir eigentlich seit Juli v. J., wo mir Schleinitz zuerst sagte, daß ich versetzt würde. Sie thun mir Unrecht, wenn Sie glauben, daß ich mich sträube; ich habe im Gegentheil lebhafte Anwandlungen von dem Unternehmungsgeist jenes Thieres, welches auf dem Eise tanzen geht, wenn ihm zu wohl wird. - Ich bin den Adreßdebatten einigermaßen gefolgt und habe den Eindruck, daß sich die Regirung in der Commission, vielleicht auch im Plenum, mehr hergegeben hat, als nützlich war. Was liegt eigentlich an einer schlechten Adresse? Die Leute glauben mit der angenommnen einen Sieg erfochten zu haben. In einer Adresse führt eine Kammer Manöver mit markirtem Feinde und Platzpatronen auf. Nehmen die Leute das Scheingefecht für ernsten Sieg und zerstreuen sich plündernd und marodirend auf Königlichem Rechtsboden, so kommt wohl die Zeit, daß der markirte Feind seine Batterien demaskirt und scharf schießt. Ich vermisse etwas Gemüthlichtkeit in unsrer Auffassung; Ihr Brief athmet ehrlichen Kriegerzorn, geschärft von des Kampfes Staub und Hitze. Sie haben, ohne Schmeichelei, vorzüglich geantwortet, aber es ist eigentlich schade drum, die Leute verstehn kein Deutsch. Unsern freundlichen Nachbar hier habe ich ruhig und behäbig gefunden, sehr wohlwollend für uns, sehr geneigt, die Schwierigleiten der ‚deutschen Frage' zu besprechen; er kann seine Sympathien keiner der bestehenden Dynastien versagen, aber er hofft, daß Preußen die große ihm gestellte Aufgabe mit Erfolg lösen werde, die deutsche nämlich, dann werde die Regirung auch im Innern Vertrauen gewinnen. Lauter schöne Worte. Um zu erklären, daß ich mich bisher nicht recht wohnlich einrichte, sage ich den Fragern, daß ich in Kurzem für einige Monat Urlaub zu nehmen denke, um dann mit meiner Frau wiederzukommen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 884 Ich bin doch erstaunt von der politischen Unfähigkeit unsrer Kammern, und wir sind doch ein sehr gebildetes Land; ohne Zweifel zu sehr; die Andern sind bestimmt auch nicht klüger, als die Blüthe unsrer Klassenwahlen, aber sie haben nicht dieß kindliche Selbstvertrauen, mit dem die Unsrigen ihre unfähigen Schamtheile in voller Nacktheit als mustergültig an die Oeffentlichkeit bringen. Wie sind wir Deutschen doch in den Ruf schüchterner Bescheidenheit gekommen? Es ist Keiner unter uns, der nicht vom Kriegführen bis zum Hundeflöhen alles besser verstände, als sämmtliche gelernte Fachmänner, während es doch in andern Ländern Viele giebt, die einräumen, von manchen Dingen weniger zu verstehn als Andre, und deshalb sich bescheiden und schweigen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 907 Am 20. September Morgens in Berlin angelangt, wurde ich zu dem Kronprinzen beschieden. Auf seine Frage, wie ich die Situation ansähe, konnte ich nur sehr zurückhaltend antworten, weil ich während der letzten Wochen keine deutschen Zeitungen gelesen und in einer Art von dépit mich über heimische Angelegenheiten nicht informirt hatte. Meine Verstimmung hatte ihren Grund darin, daß der König mir in Aussicht gestellt hatte, mir in spätestens sechs Wochen Gewißheit über meine Zukunft, d. h. darüber zu geben, ob ich in Berlin, Paris oder London mein Domizil haben sollte, daß darüber aber schon ein Vierteljahr verflossen war, und ich im (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 920 Die Königliche Autorität hatte bei uns unter dem Mangel an Selbständigkeit und Energie unsrer auswärtigen und namentlich unsrer deutschen Politik gelitten; in demselben Boden wurzelte die Ungerechtigkeit der bürgerlichen Meinung über die Armee und deren Offiziere und die Abneigung gegen militärische Vorlagen und Ausgaben. In den parlamentarischen Fractionen fand der Ehrgeiz der Führer, Redner und Minister-Candidaten Nahrung und Deckung hinter der nationalen Verstimmung. Klare Ziele hatten unsrer Politik seit dem Tode Friedrichs des Großen entweder gefehlt oder sie waren ungeschickt gewählt oder betrieben; letztres von 1786 bis 1806, wo unsre Politik planlos begann und traurig endete. Man entdeckt in ihr bis zum vollen Ausbruch der französischen Revolution keine Andeutung einer national-deutschen Richtung. Die ersten Spuren einer solchen, die sich im Fürstenbunde in den Ideen von einem preußischen Kaiserthum, in der Demarcationslinie, in der Erwerbung deutscher Landstriche finden, sind Ergebnisse nicht nationaler, sondern preußisch-particularistischer Bestrebungen. Im Jahr 1786 lag das stärkere Interesse noch nicht auf deutsch-nationalem Gebiete, sondern in dem Gedanken polnischer territorialer Erwerbungen, und bis in den Krieg von 1792 hinein war das Mißtrauen zwischen Preußen und Oestreich weniger durch die deutsche als durch die polnische Rivalität beider Mächte genährt. In den Händeln der Thugut-Lehrbach'schen Periode spielte der Streit (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 925 Der Fehler in Situationen der Art hat gewöhnlich in der Ziellosigkeit und Unentschlossenheit gelegen, womit an die Benutzung und Ausbeutung herangetreten wurde. Der Große Kurfürst und Friedrich der Große hatten klare Vorstellungen von der Schädlichkeit halber Maßregeln in Fällen, wo es sich um Parteinahme oder um ihre Androhung handelte. So lange Preußen nicht zu einem der deutschen Nationalität annähernd entsprechenden Staatsgebilde gelangt war, so lange es nicht nach dem Ausdruck, dessen sich der Fürst Metternich mir gegenüber bediente, zu den "saturirten" Staaten gehörte, mußte es seine Politik mit dem angeführten Worte Friedrichs des Großen en vedette einrichten. Nun hat aber eine vedette eine Existenzberechtigung nur mit einer schlagfertigen Truppe hinter sich; ohne eine solche und ohne den Entschluß, sie activ zu verwenden, sei es für, sei es gegen eine der streitenden Parteien, konnte die preußische Politik von dem Einwerfen ihres europäischen Gewichtes bei Gelegenheiten wie der von Reichenbach keinen materiellen Vortheil, weder in Polen, noch in Deutschland, sondern nur die Verstimmung und das Mißtrauen seiner beiden Nachbarn erzielen. Noch heut erkennt man in geschichtlichen Urtheilen chauvinistischer Landsleute die Genugthuung, mit welcher die schiedsrichterliche Rolle, die von Berlin aus auf den Streit im Orient ausgeübt werden konnte, das preußische Selbstgefühl erfüllte; die Reichenbacher Convention gilt ihnen als ein Höhepunkt auf dem Niveau Friedericianischer Politik, von welchem an der Abstieg und das Sinken durch die Pillnitzer Verhandlungen, den Basler Frieden bis nach Tilsit erfolgte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 931 Flagrante Undankbarkeit, wie der Fürst Schwarzenberg sie proclamirte, ist in der Politik wie im Privatleben nicht nur unschön, sondern auch unklug. Wir haben aber unsre Schuld ausgeglichen, nicht nur zur Zeit der Nothlage der Russen bei Adrianopel 1829 und durch unser Verhalten in Polen 1831, sondern in der ganzen Zeit unter Nicolaus I., der der deutschen Romantik und Gemüthlichkeit ferner stand als Alexander I., wenn er auch mit seinen preußischen Verwandten und mit preußischen Offizieren freundlich verkehrte. Unter seiner Regirung haben wir als russische Vasallen gelebt, 1831, wo Rußland ohne uns kaum mit den Polen fertig geworden wäre, namentlich aber in allen europäischen Constellationen von 1831 bis 1850, wo wir immer russische Wechsel acceptirt und honorirt haben, bis nach 1848 der junge östreichische Kaiser dem russischen besser gefiel als der König von Preußen, wo der russische Schiedsrichter kalt und hart gegen Preußen und deutsche Bestrebungen entschied und sich für die Freundschaftsdienste von (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 933 Das Deficit auf unsrer Seite war einmal durch Verwandschafts-Gefühl, durch die Gewohnheit der Abhängigkeit, in welcher die geringere Energie von der größern stand, sodann durch den Irrthum bedingt, als ob Nicolaus dieselben Gesinnungen wie Alexander I. für uns hege, und dieselben Ansprüche auf Dankbarkeit aus der Zeit der Freiheitskriege habe. In der That aber trat während der Regirung des Kaisers Nicolaus kein im deutschen Gemüth wurzelndes Motiv hervor, unsre Freundschaft mit Rußland auf dem Fuße der Gleichheit zu pflegen und mindestens einen analogen Nutzen daraus zu ziehn, wie Rußland aus unsrer Dienstleistung. Etwas mehr Selbstgefühl und Kraftbewußtsein würde unsern Anspruch auf Gegenseitigkeit in Petersburg zur Anerkennung gebracht haben, um so mehr, als 1830 nach der Juli-Revolution Preußen, trotz der Schwerfälligkeit seines Landwehr-Systems, diesem überraschenden Ereigniß gegenüber reichlich ein Jahr lang ohne Zweifel der stärkste, vielleicht der einzige zum Schlagen befähigte Militärstaat in Europa war. Wie sehr nicht nur in Oestreich, sondern auch in Rußland die militärischen Einrichtungen in 15 Friedensjahren vernachlässigt worden waren, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Garde des Kaisers und der polnischen Armee des Großfürsten Constantin, bewies die Schwäche und Langsamkeit der Rüstung des gewaltigen russischen Reichs gegen den Aufstand des kleinen Warschauer Königreichs. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 946 Die nächste günstige Situation nach dem Krimkriege bot unsrer Politik der italienische Krieg. Ich glaube freilich nicht, daß König Wilhelm schon als Regent 1859 geneigt gewesen sein würde, in plötzlicher Entschließung den Abstand zu überschreiten, der seine damalige Politik von derjenigen trennte, welche später zur Herstellung des Deutschen Reichs geführt hat. Wenn man die damalige Stellung nach dem Maßstabe beurtheilt, den die Haltung des auswärtigen Ministers von Schleinitz in dem demnächstigen Abschluß des Garantievertrages von Teplitz mit Oestreich und in der Weigerung der Anerkennung Italiens bezeichnet, so kann man mit Recht bezweifeln, ob es damals möglich gewesen sein würde, den Regenten zu einer Politik zu bewegen, welche die Verwendung der preußischen Kriegsmacht von Concessionen in der deutschen Bundespolitik abhängig gemacht hätte. Die Situation wurde nicht unter dem Gesichtspunkte einer vorwärts strebenden preußischen Politik betrachtet, sondern in dem gewohnheitsmäßigen Bestreben, sich den Beifall der deutschen Fürsten, des Kaisers von Oestreich und zugleich der deutschen Presse zu erwerben, in dem unklaren Bemühn um einen idealen Tugendpreis für Hingebung an Deutschland, ohne irgend eine klare Ansicht über die Gestalt des Zieles, die Richtung in der, und die Mittel, durch die es zu suchen wäre. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 948 [1-282] Mein Gedanke war, immerhin zu rüsten, aber zugleich Oestreich ein Ultimatum zu stellen, entweder unsre Bedingungen in der deutschen Frage anzunehmen oder unsern Angriff zu gewärtigen. Aber die Fiction einer fortdauernden und aufopfernden Hingebung für "Deutschland" nur in Worten, nie in Thaten, der Einfluß der Prinzessin und ihres den östreichischen Interessen ergebenen Ministers von Schleinitz, dazu die damals gang und gäbe Phraseologie der Parlamente, der Vereine und der Presse, erschwerten es dem Regenten, die Lage nach seinem eignen klaren und hausbacknen Verstande zu prüfen, während sich in seiner politischen und persönlichen Umgebung Niemand befand, der ihm die Nichtigkeit des ganzen Phrasenschwindels klar gemacht und ihm gegenüber die Sache des gesunden deutschen Interesses vertreten hätte. Der Regent und sein damaliger Minister glaubten an die Berechtigung der Redensart: Il y a quequ'un, qui a plus d'esprit que Monsieur de Talleyrand, c'est tout le monde. Tout le monde braucht aber in der That zu viel Zeit, um das Richtige zu erkennen, und in der Regel ist der Moment, in dem diese Erkenntniß benutzt werden konnte, schon vorüber, wenn tout le monde dahinter kommt, was eigentlich hätte gethan werden sollen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 953 Ich hatte für Leute, die weniger erbittert und von Ehrgeiz verblendet waren, deutlich genug gesagt, wo ich hinaus wollte. Preußen könne - das war der Sinn meiner Rede - wie schon ein Blick auf die Karte zeige, mit seinem schmalen langgestreckten Leibe die Rüstung, deren Deutschland zu seiner Sicherheit bedürfe, allein nicht Iänger tragen; diese müsse sich auf alle Deutschen gleichmäßig vertheilen. Dem Ziele würden wir nicht durch Reden, Vereine, Majoritätsbeschlüsse näher kommen, sondern es werde ein ernster Kampf nicht zu vermeiden sein, ein Kampf, der nur durch Eisen und Blut erledigt werden könne. Um uns darin Erfolg zu (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 967 Niemals, auch in Frankfurt nicht, bin ich darüber in Zweifel gewesen, daß der Schlüssel zur deutschen Politik bei den Fürsten und Dynastien lag und nicht bei der Publicistik in Parlament und Presse oder bei der Barrikade. Die Kundgebungen der öffentlichen Meinung der Gebildeten in Parlament und Presse konnten fördernd und aufhaltend auf die Entschließung der Dynastien wirken, aber sie förderten zugleich das Widerstreben der letztern vielleicht häufiger, als daß sie eine Pression in nationaler Richtung ausgeübt hätten. Schwächere Dynastien suchten Schutz in Anlehnung bei der nationalen Sache, Herrscher und Häuser, die sich zum Widerstande fähiger fühlten, mißtrauten der Bewegung, weil mit der Förderung der deutschen Einheit eine Verminderung der Unabhängigkeit zu Gunsten der Centralgewalt oder der Volksvertretung in Aussicht stand. Die preußische Dynastie konnte voraussehn, daß ihr die Hegemonie mit einer Vermehrung von Ansehn und Macht im künftigen Deutschen Reiche schließlich zufallen würde. Ihr kam die von den andern Dynastien befürchtete capitis deminutio voraussichtlich zu Gute, so weit sie nicht durch ein nationales Parlament absorbirt wurde. Seit im Frankfurter Bundestage die dualistische Auffassung Oestreich-Preußen, unter deren Eindruck ich dorthin gekommen war, dem Gefühl der Nothwendigkeit Platz gemacht hatte, unsre Stellung gegen präsidiale Angriffe und Ueberlistungen zu wahren, nachdem ich den Eindruck erhalten hatte, daß die gegenseitige (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 970 [1-290] Preußen war nominell eine Großmacht, jedenfalls die fünfte; es hatte diese Stellung durch die geistige Ueberlegenheit Friedrichs des Großen erlangt und durch die gewaltigen Leistungen der Volkskraft 1813 rehabilitirt. Ohne die ritterliche Haltung des Kaisers Alexander I., die er von 1812 unter Steinischem, jedenfalls deutschem Einfluß bis zum Wiener Congreß beobachtete, wäre es fraglich geblieben, ob die nationale Begeisterung der vier Millionen Preußen des Tilsiter Friedens und einer andern vielleicht gleichen Zahl von sympathizers in altpreußischen oder deutschen Ländern genügt hätte, von der damaligen Humboldtischen und Hardenbergischen Diplomatie und der Schüchternheit Friedrich Wilhelms III. so verwerthet zu werden, daß auch nur die künstliche Neubildung Preußens, so wie sie 1815 geschah, zu Stande gekommen wäre. Das Körpergewicht Preußens entsprach damals nicht seiner geistigen Bedeutung und seiner Leistung in den Freiheitskriegen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 972 [1-291] dynastische Beziehungen, auf denen die centrifugalen Elemente ursprünglich beruhn. Es kommt nicht die Anhänglichkeit an schwäbische, niedersächsische, thüringische Eigenthümlichkeit zur Hebung, sondern die durch die Dynastien Braunschweig, Brabant, Wittelsbach zu einem dynastischen Antheil an dem Körper der Nation gesonderten Convolute der Herrschaft einer fürstlichen Familie. Der Zusammenhang des Königreichs Baiern beruht nicht nur auf dem bajuvarischen Stamme, wie er im Süden Baierns und in Oestreich vorhanden ist, sondern der Augsburger Schwabe, der Pfälzer Alemanne und der Mainfranke, sehr verschiedenen Geblüts, nennen sich mit derselben Genugthuung Baiern, wie der Altbaier in München und Landshut, lediglich weil sie mit den letztern durch die gemeinschaftliche Dynastie seit drei Menschenaltern verbunden sind. Die am meisten ausgeprägten Stammeseigenthümlichkeiten, die niederdeutsche, plattdeutsche, sächsische, sind durch dynastische Einflüsse schärfer und tiefer als die übrigen Stämme geschieden. Die deutsche Vaterlandsliebe bedarf eines Fürsten, auf den sich ihre Anhänglichkeit concentrirt. Wenn man den Zustand fingirte, daß sämmtliche deutsche Dynastien plötzlich beseitigt wären, so wäre nicht wahrscheinlich, daß das deutsche Nationalgefühl alle Deutschen in den Frictionen europäischer Politik völkerrechtlich zusammenhalten würde, auch nicht in der Form föderirter Hansestädte und Reichsdörfer. Die Deutschen würden fester geschmiedeten Nationen zur Beute fallen, wenn ihnen das Bindemittel verloren ginge, welches in dem gemeinsamen Standesgefühl der Fürsten liegt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 977 Das Vorwiegen der dynastischen Anhänglichkeit und die Unentbehrlichkeit einer Dynastie als Bindemittel für das Zusammenhalten eines bestimmten Bruchtheils der Nation unter dem Namen der Dynastie ist eine specifisch reichsdeutsche Eigenthümlichkeit. Die besondern Nationalitäten, die sich bei uns auf der Basis des dynastischen Familienbesitzes gebildet haben, begreifen in sich in den meisten Fällen Heterogene, deren Zusammengehörigkeit weder auf der Gleichheit des Stammes, noch auf der Gleichheit der geschichtlichen Entwicklung beruht, sondern ausschließlich auf der Thatsache einer in vielen Fällen anfechtbaren Erwerbung durch die Dynastie nach dem Rechte des Stärkern, oder des erbrechtlichen Anfalls vermöge der Verwandschaft, der Erbverbrüderung, oder der bei Wahlcapitulationen von dem kaiserlichen Hofe erlangten Anwartschaft. Welches immer der Ursprung dieser particularistischen Zusammengehörigkeit in Deutschland ist, das Ergebniß derselben bleibt die Thatsache, daß der einzelne Deutsche leicht bereit ist, seinen deutschen Nachbarn und Stammesgenossen mit Feuer und Schwert zu bekämpfen und persönlich zu tödten, wenn infolge von Streitigkeiten, die ihm selbst nicht verständlich sind, der dynastische Befehl dazu ergeht. Die Berechtigung und Vernünftigkeit dieser Eigenthümlichkeit zu prüfen, ist nicht die Aufgabe eines deutschen Staatsmannes, so lange sie sich kräftig genug erweist, um mit ihr rechnen zu können. Die Schwierigkeit, sie zu zerstören und zu ignoriren, oder die Einheit theoretisch zu fördern, ohne Rücksicht auf dieses praktische Hemmniß, ist für die Vorkämpfer der Einheit oft verhängnißvoll gewesen, namentlich bei Benutzung der günstigen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 978 [1-294] Umstände der nationalen Bewegung von 1848 bis 1850. Ich habe ein volles Verständniß für die Anhänglichkeit der heutigen welfischen Partei an die alte Dynastie, und ich weiß nicht, ob ich ihr, wenn ich als Alt-Hanoveraner geboren wäre, nicht angehörte. Aber ich würde auch in dem Falle immer der Wirkung des nationalen deutschen Gefühls mich nicht entziehn können und mich nicht wundern, wenn die vis major der Gesammtnationalität meine dynastische Mannestreue und persönliche Vorliebe schonungslos vernichtete. Die Aufgabe, mit Anstand zu Grunde zu gehn, fällt in der Politik, und nicht blos in der deutschen, auch andern und stärker berechtigten Gemüthsregungen zu, und die Unfähigkeit, sie zu erfüllen, vermindert einigermaßen die Sympathie, welche die kurbraunschweigische Vasallentreue mir einflößt. Ich sehe in dem deutschen Nationalgefühl immer die stärkere Kraft überall, wo sie mit dem Particularismus in Kampf geräth, weil der letztre, auch der preußische, selbst doch nur entstanden ist in Auflehnung gegen das gesammtdeutsche Gemeinwesen, gegen Kaiser und Reich, im Abfall von Beiden, gestützt auf päpstlichen, später französischen, in der Gesammtheit welfchen Beistand, die alle dem deutschen Gemeinwesen gleich schädlich und gefährlich waren. Für die welfischen Bestrebungen ist für alle Zeit ihr erster Merkstein in der Geschichte, der Abfall Heinrichs des Löwen vor der Schlacht bei Legnano, entscheidend, die Desertion vom Kaiser und Reich im Augenblick des schwersten und gefährlichsten Kampfes, aus persönlichem und dynastischem Interesse. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 980 [1-295] werden. Das deutsche Volk und sein nationales Leben können nicht unter fürstlichen Privatbesitz vertheilt werden. Ich bin mir jeder Zeit klar darüber gewesen, daß diese Erwägung auf die kurbrandenburgische Dynastie dieselbe Anwendung findet, wie auf die bairische, die welfische und andre; ich würde gegen das brandenburgische Fürstenhaus keine Waffen gehabt haben, wenn ich ihm gegenüber mein deutsches Nationalgefühl durch Bruch und Auflehnung hätte bethätigen müssen; die geschichtliche Prädestination lag aber so, daß meine höfischen Talente hinreichten, um den König und damit schließlich sein Heer der deutschen Sache zu gewinnen. Ich habe gegen den preußischen Particularismus vielleicht noch schwierigere Kämpfe durchzuführen gehabt als gegen den der übrigen deutschen Staaten und Dynastien, und mein angebornes Verhältniß zu dem Kaiser Wilhelm I. hat mir diese Kämpfe erschwert. Doch ist es mir schließlich stets gelungen, trotz der starken dynastischen, aber Dank der dynastisch berechtigten und in entscheidenden Momenten immer stärker werdenden nationalen Strebungen des Kaisers seine Zustimmung für die deutsche Seite unsrer Entwicklung zu gewinnen, auch wenn eine mehr dynastische und particularistische von allen andern Seiten geltend gemacht wurde. In der Nikolsburger Situation wurde mir dies nur mit dem Beistande des damaligen Kronprinzen möglich. Die territoriale Souveränetät der einzelnen Fürsten hatte sich im Laufe der deutschen Geschichte zu einer unnatürlichen Höhe entwickelt; die einzelnen Dynastien, Preußen nicht ausgenommen, hatten an sich dem deutschen Volke gegenüber auf Zerstückelung des letztern für ihren Privatbesitz, auf den souveränen Antheil am Leibe des Volkes niemals ein höheres historisches Recht, als unter den Hohenstaufen und unter Karl V. in ihrem Besitz war. Die unbeschränkte Staatssouveränetät der Dynastien, der Reichsritter, der Reichsstädte und Reichsdörfer war eine revolutionäre Errungenschaft auf Kosten der Nation und ihrer Einheit. Ich habe stets den Eindruck des Unnatürlichen von der Thatsache gehabt, daß die Grenze, welche den niedersächsischen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 981 [1-296] Altmärker bei Salzwedel von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen bei Lüchow, in Moor und Haide dem Auge unerkennbar, trennt, doch den zu beiden Seiten plattdeutsch redenden Niedersachsen an zwei verschiedene, einander unter Umständen feindliche völkerrechtliche Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin, und das andre früher von London, später von Hanover regirt wurde, das eine Augen rechts nach Osten, das andre Augen links nach Westen bereit stand, und daß friedliche und gleichartige, im Connubium verkehrende Bauern dieser Gegend, der eine für welfisch-habsburgische, der andre für hohenzollernsche Interessen auf einander schießen sollten. Daß dieß überhaupt möglich war, beweist die Tiefe und Gewalt des Einflusses dynastischer Anhänglichkeit auf den Deutschen. Daß die Dynastien jederzeit stärker geblieben sind als Presse und Parlamente, hat sich durch die Thatsache bestätigt, daß 1866 Bundesländer, deren Dynastien im Bereich des östreichischen Einflusses lagen, ohne Rücksicht auf nationale Bestrebungen mit Oestreich, und nur solche, welche "unter den preußischen Kanonen" lagen, mit Preußen gingen. Von den letztern machten allerdings Hanover, Hessen und Nassau Ausnahmen, weil sie Oestreich für stark genug hielten, um alle Zumuthungen Preußens siegreich abweisen zu können. Sie haben infolge dessen die Zeche bezahlt, da es nicht gelang, dem Könige Wilhelm die Vorstellung annehmbar zu machen, daß Preußen, an der Spitze des Norddeutschen Bundes, einer Vergrößerung seines Gebietes kaum bedürfen würde. Gewiß aber ist, daß auch 1866 die materielle Macht der Bundesstaaten den Dynastien und nicht den Parlamenten folgte, und daß sächsisches, hanöversches und hessisches Blut nicht für die deutsche Einheit, sondern dagegen vergossen ist. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1016 Der Kampf der Meinungen war in Petersburg recht lebhaft, als ich im April 1862 von dort abging, und blieb so während des ersten Jahres meines Ministeramts. Ich übernahm die Leitung des Auswärtigen Amts unter dem Eindruck, daß es sich bei dem am 1. Januar 1863 ausgebrochenen Aufstande nicht blos um das Interesse unsrer östlichen Provinzen, sondern auch um die weitergreifende Frage handelte, ob im russischen Cabinet eine polenfreundliche oder eine antipolnische Richtung, ein Streben nach panslavistischer antideutscher Verbrüderung zwischen Russen und Polen oder eine gegenseitige Anlehnung der russischen und der preußischen Politik herrschte. In den Verbrüderungsbestrebungen waren die betheiligten Russen die Ehrlicheren; von dem polnischen Adel und der Geistlichkeit wurde schwerlich an einen Erfolg dieser Bestrebungen geglaubt oder ein solcher als das definitive Ziel in's Auge gefaßt. Es gab kaum einen Polen, für den die Verbrüderungspolitik mehr als eine tactische Evolution vorgestellt hätte, zu dem Zwecke, gläubige Russen zu täuschen, so lange es nothwendig oder nützlich sein würde. Die Verbrüderung wird von dem polnischen Adel und seiner Geistlichkeit nicht ganz, aber doch annähernd ebenso unwandelbar perhorrescirt wie die mit den Deutschen, letztre jedenfalls stärker, nicht blos aus Abneigung gegen die Race, sondern auch in der Meinung, daß die Russen in staatlicher Gemeinschaft von den Polen geleitet werden würden, die Deutschen aber nicht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1050 Die Nachforschungen nach dem Vermittler dieses Artikels haben zu keinem sichern Ergebnisse geführt. Eine Reihe von Umständen ließ den Verdacht auf den Legationsrath Meyer fallen. Die ausführlicheren Mittheilungen an die "Grenzboten" und die "Süddeutsche Post" des Abgeordneten Brater scheinen durch einen kleinen deutschen Diplomaten *)gegangen zu sein, der das Vertrauen der Kronprinzlichen Herrschaften besaß, behielt und ein Vierteljahrhundert später durch indiscrete Veröffentlichung ihm anvertrauter Manuscripte des Prinzen mißbraucht hat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1105 [1-333] Die Versuche zur Zeit des Ministeriums Rechberg würden, wenn erfolgreich, damals zu einer gesammtdeutschen Union auf der Basis des Dualismus haben führen können, zu dem Siebzigmillionenreich in Centraleuropa mit zweiköpfiger Spitze, während die Schwarzenbergische Politik auf etwas Aehnliches ausgegangen war, aber mit einheitlicher Spitze Oestreichs und Hinabdrückung Preußens nach Möglichkeit auf den mittelstaatlichen Stand. Der letzte Anlauf dazu war der Fürstencongreß von 1863. Wenn die Schwarzenbergische Politik in der posthumen Gestalt des Fürstencongresses schließlich Erfolg gehabt hätte, so würde zunächst die Verwendung des Bundestages zur Repression auf dem Gebiete der innern Politik Deutschlands voraussichtlich in den Vordergrund getreten sein, nach Maßgabe der Verfassungsrevisionen, die der Bund schon in Hanover, Hessen, Luxemburg, Lippe, Hamburg u. a. in Angriff genommen hatte. Auch die Preußische Verfassung konnte analog herangezogen werden, wenn der König nicht zu vornehm dazu gedacht hätte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1109 Das Ansehn Deutschlands nach außen hing in beiden Gestaltungen, der dualistischen und der östreichischen, von dem Grade fester Einigkeit ab, den die eine und die andre der Gesammtnation gewährt haben würde. Daß Oestreich und Preußen, sobald sie einig, eine Macht in Europa darstellen, welche leichtfertig anzugreifen keine der andern Mächte geneigt war, hat der ganze Verlauf der dänischen Verwicklungen gezeigt. So lange Preußen allein, wenn auch in Verbindung mit dem stärksten Ausdruck der öffentlichen Meinung des deutschen Volkes, einschließlich der Mittelstaaten, die Sache in der Hand hatte, kam sie nicht vorwärts und führte zu Abschlüssen, wie der Waffenstillstand von Malmö und die Olmützer Convention. Sobald es gelungen war, Oestreich unter Rechberg für eine mit Preußen übereinstimmende Action zu gewinnen, wurde das Schwergewicht der beiden deutschen Großstaaten stark genug, um die Einmischungsgelüste, welche andre Mächte haben konnten, zurückzuhalten. England hat im Laufe der neuern Geschichte jederzeit das Bedürfniß der Verbindung mit einer der continentalen Militärmächte gehabt und die Befriedigung desselben, je nach dem Standpunkt der englischen Interessen, bald in Wien, bald in Berlin gesucht, ohne, bei plötzlichem Uebergang von einer Anlehnung an die andre, wie im siebenjährigen Kriege, scrupulöse Bedenken gegen den Vorwurf des Imstichlassens alter Freunde zu hegen. Wenn aber die beiden Höfe einig und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1112 "Unsre Beziehungen müssen entweder besser oder schlechter werden, als sie sind. Ich bin bereit zu einem gemeinschaftlichen Versuche, sie besser zu machen. Mißlingt derselbe durch Ihre Weigerung, so rechnen Sie nicht darauf, daß wir uns durch bundesfreundliche Redensarten werden fesseln lassen. Sie werden mit uns als europäische Großmacht zu thun bekommen; die Paragraphen der Wiener Schlußacte haben nicht die Kraft, die Entwicklung der deutschen Geschichte zu hemmen" 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1117 Zudem überschätzte man in Wien die abschwächende Wirkung, welche unser innerer Conflict auf unsre auswärtige Politik und militärische Leistungsfähigkeit haben konnte. Die Abneigung gegen die Lösung des gordischen Knotens der deutschen Politik durch das Schwert war in weiten Kreisen eine starke, wie 1866 mannigfache Symptome, von dem Blind'schen Attentat und dessen Beurtheilung (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1124 Nach den Mittheilungen von Fröbel *)der sich als den Urheber des Fürstencongresses betrachtet und ohne Zweifel in die Vorbereitungen eingeweiht war, ist den übrigen deutschen Fürsten vor Empfang der vom 31. Juli datirten Einladung der östreichische Plan nicht bekannt gewesen. Es wäre jedoch möglich, daß man den nachmaligen würtembergischen Minister von Varnbüler bis zu einem gewissen Grade in das Geheimniß gezogen hatte. Dieser kluge und strebsame Politiker zeigte im Sommer 1863 Neigung, mit mir die Beziehungen zu erneuern, die früher zwischen uns durch Vermittlung unsres gemeinschaftlichen Freundes von BelowHohendorf entstanden waren. Er veranlaßte mich zu einer Zusammenkunft, die am 12. Juli in einer auf seinen Wunsch geheimnißvollen Form in einem kleinen böhmischen Orte westlich von Karlsbad (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1126 [1-339] vor sich ging und von der ich weiter keinen Eindruck behielt, als daß er mehr mich sondiren als mir Vorschläge auf dem Gebiete der deutschen Frage machen wollte. Die wirthschaftlichen und finanziellen Fragen, in denen er mir 1878 den vollen Beistand seiner Sachkunde und Arbeitskraft geliehn hat, nahmen schon damals eine hervorragende Stelle in seiner Auffassung ein, allerdings in Anlehnung an großdeutsche Politik mit entsprechender Zolleinigung. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1130 Wenn ich meinen Widerstand gegen das Streben des Königs nach Frankfurt aufgegeben und ihn seinem Wunsche gemäß dorthin begleitet hätte, um in dem Fürstencongreß die preußisch-östreichische Rivalität in eine gemeinsame Bekämpfung der Revolution und des Constitutionalismus zu verwandeln, so wäre Preußen äußerlich geblieben, was es vorher war, hätte freilich unter dem östreichischen Präsidium durch bundestägliche Beschlüsse die Möglichkeit gehabt, seine Verfassung in analoger Weise revidiren zu lassen, wie das mit der hanöverschen, der hessischen und der mecklenburgischen und in Lippe, Hamburg, Luxemburg geschehn war, damit aber den nationaldeutschen Weg geschlossen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1136 Die durch die Ablehnung erzeugte Verstimmung war nach meinen Eindrücken hauptsächlich der Antrieb, der das Wiener Cabinet zu einer Verständigung mit Preußen im Widerspruche mit der bundestägigen Auffassung leitete. Diese neue Richtung entsprach dem östreichischen Interesse, auch wenn sie länger beibehalten worden wäre. Dazu wäre vor Allem erforderlich gewesen, daß Rechberg am Ruder blieb. Wäre damit eine dualistische Führung des Deutschen Bundes hergestellt worden, der sich die übrigen Staaten nicht versagt haben würden, sobald sie die Ueberzeugung gewonnen hätten, daß die Verständigung der beiden Vormächte ehrlich und dauerhaft war, so würden auch die Rheinbundgelüste einzelner süddeutschen Minister, die am schärfsten, was auch Graf Beust in seinen Denkwürdigkeiten sagen mag, in Darmstadt zum Ausdruck kamen, dem östreichisch-preußischen Einverständniß gegenüber verstummt sein. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1138 Wenige Monate nach dem Frankfurter Congreß starb der König Friedrich VII. von Dänemark (15. November 1863). Das Mißlingen des östreichischen Vorstoßes, die Weigerung der übrigen Bundesstaaten, nach der preußischen Ablehnung mit Oestreich allein in engere Beziehung zu treten, brachten den Gedanken einer dualistischen Politik der beiden deutschen Großmächte, infolge der Eröffnung der schleswigholsteinischen Frage und Succession, in Wien der Erwägung nahe, und mit mehr Aussicht auf Verwirklichung, als im December 1862 vorgelegen hatte. Graf Rechberg machte in der Verstimmung über die Weigerung der Bundesgenossen, sich ohne Mitwirkung Preußens zu verpflichten, einfach Kehrt mit dem Bemerken, daß die Verständigung mit Preußen für Oestreich noch leichter sei als für (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1146 "Zu einer politischen Gemeinschaft geschichtlich berufen, machen wir dynastisch und politisch beiderseits bessere Geschäfte, wenn wir zusammenhalten und diejenige Führung Deutschlands übernehmen, welche uns nicht entgehn wird, sobald wir einig sind. Wenn Preußen und Oestreich sich die Aufgabe stellen, nicht blos ihre gemeinsamen Interessen, sondern auch beiderseits jedes die Interessen des andern zu fördern, so kann das Bündniß der beiden deutschen Großstaaten von einer weittragenden deutschen und europäischen Wirksamkeit werden. Der Staat Oestreich hat kein Interesse an der Gestaltung der dänischen Herzogthümer, dagegen ein erhebliches an seinen Beziehungen zu Preußen. Sollte aus dieser zweifellosen Thatsache nicht die Zweckmäßigkeit einer für Preußen wohlwollenden Politik hervorgehn, die das bestehende Bündnis der beiden deutschen Großmächte consolidirt und in Preußen Dankbarkeit für Oestreich erweckt? Wenn die gemeinsame Erwerbung statt in Holstein, in Italien läge, wenn der Krieg, den wir geführt haben, statt Schleswig-Holstein die Lombardei zur Verfügung der beiden Mächte gestellt hätte, so würde es mir nicht eingefallen sein, bei meinem Könige dahin zu wirken, daß Wünschen unsres Verbündeten ein Widerstand entgegengesetzt oder die Forderung eines Aequivalents erhoben würde, wenn ein solches nicht zu gleicher Zeit disponibel wäre. Ihm aber für Schleswig-Holstein altpreußisches Land abzutreten, das würde kaum möglich sein, selbst wenn die Einwohner es wünschten; in Glatz protestirten aber sogar die (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1147 [1-345] dort angesessenen Oestreicher dagegen. Ich hätte das Gefühl, daß die vortheilhaften Ergebnisse der Freundschaft der deutschen Großmächte mit der holsteinischen Frage nicht abgeschlossen wären, und daß sie, wenn jetzt in der äußersten Entfernung von dem östreichischen Interessengebiete gelegen, doch ein andermal sehr viel näher liegen könnten, und daß es für Oestreich nützlich sein werde, jetzt Preußen gegenüber freigebig und gefällig zu sein." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1150 [1-346] keinen Anspruch darauf machen. Durch diese Aeußerung, aus welcher ich die Einwirkung der königlichen Verwandten und der hofliberalen Einflüsse heraushörte, war ich natürlich dem Kaiser gegenüber außer Gefecht gesetzt. Ich trat demnächst noch für das Festhalten der Einigkeit beider deutschen Großmächte ein, und es wurde eine dieser Richtung entsprechende kurze Redaction, in der die Zukunft Schleswig-Holsteins unentschieden blieb, von Rechberg und mir entworfen und von den beiden hohen Herrn genehmigt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1155 [1-348] bis dieser dann durch reactionäre und katholische Einflüsse selbst verdrängt wurde. Der König, so fest er auch in der innern Politik geworden war, ließ sich damals noch von der durch seine Gemalin vertretenen Doctrin beeinflussen, daß zur Lösung der deutschen Frage die Popularität das Mittel sei. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1164 [1-350] Bunde. Der Kaiser Franz Joseph ist eine ehrliche Natur, aber das östreichisch-ungarische Staatsschiff ist von so eigenthümlicher Zusammensetzung, daß seine Schwankungen, denen der Monarch seine Haltung an Bord anbequemen muß, sich kaum im Voraus berechnen lassen. Die centrifugalen Einflüsse der einzelnen Nationalitäten, das Ineinandergreifen der vitalen Interessen, die Oestreich nach der deutschen, der italienischen, der orientalischen und der polnischen Seite hin gleichzeitig zu vertreten hat, die Unlenksamkeit des ungarischen Nationalgeistes und vor Allem die Unberechenbarkeit, mit der beichtväterliche Einflüsse die politischen Entschließungen kreuzen, legen jedem Bundesgenossen Oestreichs die Pflicht auf, vorsichtig zu sein und die Interessen der eignen Unterthanen nicht ausschließlich von der östreichischen Politik abhängig zu machen. Der Ruf der Stabilität, den die letztre unter dem langjährigen Regimente Metternichs gewonnen hatte, ist nach der Zusammensetzung der Habsburgischen Monarchie und nach den bewegenden Kräften innerhalb derselben nicht haltbar, mit der Politik des Wiener Cabinets vor der Metternichschen Periode garnicht, und nach derselben nicht durchweg in Uebereinstimmung. Sind aber die Rückwirkungen der wechselnden Ereignisse und Situationen auf die Entschließungen des Wiener Cabinets für die Dauer unberechenbar, so ist es auch für jeden Bundesgenossen Oestreichs geboten, auf die Pflege von Beziehungen, aus denen sich nöthigen Falls andre Combinationen entwickeln ließen, nicht absolut zu verzichten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1173 Für die huldreichen Eröffnungen, welche mir Graf Holnstein auf Befehl Eurer Majestät gemacht hat, bitte ich Allerhöchstdieselben den ehrfurchtsvollen Ausdruck meines Dankes entgegennehmen zu wollen. Das Gefühl meiner Dankbarkeit gegen Eure Majestät hat einen tiefern und breitern Grund als den persönlichen in der amtlichen Stellung, in welcher ich die hochherzigen Entschließungen Eurer Majestät zu würdigen berufen bin, durch welche Eure Majestät beim Beginne und bei Beendigung dieses Krieges der Einigkeit und der Macht Deutschlands den Abschluß gegeben haben. Aber es ist nicht meine, sondern die Aufgabe des deutschen Volkes und der Geschichte, dem durchlauchtigen bairischen Hause für Eurer Majestät vaterländische Politik und für den Heldenmuth Ihres Heeres zu danken. Ich kann nur versichern, daß ich Eurer Majestät, so lang ich lebe, in ehrlicher Dankbarkeit anhänglich und ergeben sein und mich jederzeit glücklich schätzen werde, wenn es mir vergönnt wird, Eurer Majestät zu Diensten zu sein. In der deutschen Kaiserfrage habe ich mir erlaubt, dem Grafen Holnstein einen kurzen Entwurf vorzulegen, welchem der Gedankengang zu Grunde liegt, der meinem Gefühl nach die deutschen Stämme bewegt: der deutsche Kaiser ist ihrer aller Landsmann, der König von Preußen ein Nachbar, dem unter diesem Namen Rechte, die ihre Grundlage nur in der freiwilligen Uebertragung durch die deutschen Fürsten und Stämme finden, nicht zustehn. Ich glaube, daß der deutsche Titel für das Präsidium die Zulassung desselben erleichtert, und die Geschichte lehrt, daß die großen Fürstenhäuser Deutschlands, Preußen eingeschlossen, die Existenz des von ihnen gewählten (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1189 Das huldreiche Schreiben Eurer Majestät, welches Graf Holnstein mir überbracht hat, ermuthigt mich mit meinem Danke für den gnädigen Inhalt desselben, Eurer Majestät meine unterthänigsten Glückwünsche zu dem bevorstehenden Jahreswechsel darzubringen. Wohl selten hat Deutschland von einem neuen Jahre mit gleicher Zuversicht wie von dem bevorstehenden die Erfüllung nationaler Wünsche erwartet. Wenn diese Hoffnungen sich verwirklichen, wenn das geeinte Deutschland dahin gelangt, daß es seinen äußern Frieden in gesicherten Grenzen durch eigne Kraft verbürgen kann, gleichzeitig, ohne die freie Entwicklung der einzelnen Bundesglieder zu beeinträchtigen, so wird die entscheidende Stellung, die Eure Majestät zu der Neugestaltung des gemeinsamen Vaterlandes gewonnen haben, in der Geschichte und in der Dankbarkeit der Deutschen jederzeit unvergessen bleiben. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1190 Eure Majestät setzen mit Recht voraus, daß auch ich von der Centralisation kein Heil erwarte, sondern grade in der Erhaltung der Rechte, welche die Bundesverfassung den einzelnen Gliedern des Bundes sichert, die dem deutschen Geiste entsprechende Form der Entwicklung und zugleich die sicherste Bürgschaft gegen die Gefahren erblicke, welchen Recht und Ordnung in der freien Bewegung des heutigen politischen Lebens ausgesetzt sein können. Daß die Herstellung der Kaiserwürde durch Initiative Eurer Majestät und der verbündeten Fürsten den monarchisch-conservativen Interessen förderlich ist, beweist die feindliche Stellung, welche die republikanische Partei in ganz Deutschland zu derselben genommen hat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1215 Möge der allen deutschen Fürsten gemeinsame Wunsch der Erhaltung des Friedens Verwirklichung finden und dadurch Ihnen, mein lieber Fürst, ergiebige Erholung von mühevoller Arbeit und aufregender Sorge gegönnt sein. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1223 ... Leider läßt mir die Politik nicht ganz die Ruhe, deren man im Bade bedarf: es ist dabei mehr die allgemeine Unruhe und Ungeduld als eine wirkliche Gefährdung des Friedens, für Deutschland wenigstens, wodurch die unfruchtbaren Arbeiten der Diplomaten veranlaßt werden. Unfruchtbar sind sie nothwendig, so lange der Kampf innerhalb der türkischen Grenzen zu keiner Entscheidung gediehen sein wird. Wie die letztre auch ausfallen möge, so wird die Verständigung zwischen Rußland und England bei gegenseitiger Aufrichtigkeit immer möglich sein, da - und so lange - Rußland nicht nach dem Besitze von Constantinopel strebt. Sehr viel schwieriger wird auf die Dauer die Vermittlung zwischen den östreichisch-ungarischen und den russischen Interessen sein; bisher aber sind beide Kaiserhöfe noch einig, und ich bin überzeugt, Eurer Majestät Allerhöchste Billigung zu finden, wenn ich die Erhaltung dieser Einigkeit als eine Hauptaufgabe deutscher Diplomatie ansehe. Es würde eine große Verlegenheit für Deutschland sein, zwischen diesen beiden so eng befreundeten Nachbarn optiren zu sollen; denn ich zweifle nicht daran, im Sinne Eurer Majestät und aller deutscher Fürsten zu handeln, wenn ich in unsrer Politik den Grundsatz vertrete, daß Deutschland nur zur Wahrung zweifelloser deutscher Interessen sich an einem Kriege freiwillig betheiligen sollte. Die türkische Frage, so lange sie sich innerhalb der türkischen Grenzen entwickelt, berührt meines unterthänigsten Dafürhaltens keine kriegswürdigen deutschen Interessen; auch ein Kampf zwischen Rußland und einer der Westmächte oder beiden kann sich entwickeln, ohne (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1227 Durch Ihre so klare Darlegung der politischen Situation haben Sie, mein lieber Fürst, mich ganz besonders verbunden. Der weitsehende, staatsmännische Blick, welcher sich in Ihren Anschauungen über die Stellung Deutschlands zu den gegenwärtigen und etwa noch drohenden Verwicklungen im Auslande kund gibt, hat meine volle Bewunderung, und ich brauche wohl nicht zu versichern, daß Ihre mächtigen Anstrengungen zur Erhaltung des Friedens von meinen wärmsten Sympathien und unbegränztem Vertrauen begleitet sind. - Möge der glückliche Erfolg der deutschen Politik und der Dank der deutschen Fürsten und Stämme Sie, mein lieber Fürst, im Besitze Ihrer vollen Gesundheit und Rüstigkeit finden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1235 Die vielen Geschäfte bei der Cur waren unvermeidlich, weil der Reichstag durch die Schwierigkeiten, die er bezüglich meiner Vertretung machte, und gegen die aufzutreten ich damals nicht gesund genug war, mich nöthigte, die Contrasignaturen auch im Urlaub beizubehalten. Es war dies eins der Mittel, durch welche die Mehrheit im Reichstage die Einführung jener Institution zu erkämpfen sucht, welche sie unter der Bezeichnung "verantwortlicher Reichsminister" versteht, und gegen die ich mich jederzeit abwehrend verhalte, nicht um der alleinige Minister zu bleiben, sondern um die verfassungsmäßigen Rechte des Bundesraths und seiner hohen Vollmachtgeber zu wahren. Nur auf Kosten der letztern könnten die erstrebten Reichsministerien geschäftlich dotirt werden, und damit würde ein Weg in der Richtung der Centralisirung eingeschlagen, in der wir das Heil der deutschen Zukunft, wie ich glaube, vergebens suchen würden. Es ist, meines unterthänigsten Dafürhaltens, nicht nur das verfassungsmäßige Recht, sondern auch die politische Aufgabe meiner außerpreußischen Collegen im Bundesrath, mich im Kampfe gegen die Einführung solcher Reichsministerien offen zu unterstützen, und dadurch klar zu stellen, daß ich bisher nicht für die ministerielle Alleinherrschaft des Kanzlers, sondern für die Rechte der Bundesgenossen und für die ministeriellen Befugnisse des Bundesraths eingetreten bin. Ich darf annehmen, Eurer Majestät Intentionen entsprochen zu haben, wenn ich mich in diesem Sinne schon Pfretzschner gegenüber ausgesprochen habe, und ich bin überzeugt, daß Eurer Majestät Vertreter im Bundesrath selbst und in Verbindung mit andern Collegen mir einen Theil des Kampfes gegen das Drängen des Reichstages nach verantwortlichen Reichsministerien durch ihren Beistand abnehmen werden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1240 [1-363] Zu meiner wahren Freude ist es nicht eingetreten, und ich wünsche von ganzem Herzen, daß Ihre Weisheit und Thatkraft dem Reiche und dem reichstreuen Bayern noch recht lange erhalten bleiben möge! Haben Sie, mein lieber Fürst, meinen innigsten Dank auch für die Mittheilung erfreulicher Friedensaussichten und für die Zusicherung, daß mein für Berlin bestimmter Gesandter v. Rudhart bei Ihnen wohlwollende und vertrauensvolle Aufnahme finden werde. In Ihrer Stellung zu der immer wieder auftauchenden Frage verantwortlicher Reichsministerien erscheinen Sie als der starke Hort der Rechte der Bundesfürsten, und mit wahrhafter Beruhigung nehme ich von Ihnen, mein lieber Fürst, das Wort entgegen, daß das Heil der deutschen Zukunft nicht in der Centralisirung zu suchen ist, welche mit der Schaffung solcher Ministerien eintreten würde. Seien Sie überzeugt, daß ich es an nichts fehlen lassen werde, um Ihnen in dem Kampfe für Aufrechterhaltung der Grundlagen der Reichsverfassung die offene und vollste Unterstützung meiner Vertreter im Bundesrathe, welchen sich gewiß auch die Bevollmächtigten der andern Fürsten anschließen werden, für alle Zukunft zu sichern *). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1248 [1-366] der Unterstützung gegen diese Gefahr von Seiten der Mehrheit des Reichstags, drängt schließlich den deutschen Fürsten, ihren Regirungen und allen Anhängern der staatlichen Ordnung eine Solidarität der Nothwehr auf, welcher die Demagogie der Redner und der Presse nicht gewachsen sein wird, so lange die Regirungen einig und entschlossen bleiben, wie sie es gegenwärtig sind. Der Zweck des Deutschen Reiches ist der Rechtsschutz; die parlamentarische Thätigkeit ist bei Stiftung des bestehenden Bundes der Fürsten und Städte als ein Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes, aber nicht als Selbstzweck aufgefaßt worden. Ich hoffe, daß das Verhalten des Reichstags die verbündeten Regirungen der Nothwendigkeit überheben wird, die Consequenzen dieser Rechtslage jemals praktisch zu ziehn. Aber ich bin nicht gewiß, daß die Mehrheit des jetzt gewählten Reichstags schon der richtige Ausdruck der zweifellos loyal und monarchisch gesinnten Mehrheit der deutschen Wähler sein werde. Sollte es nicht der Fall sein, so tritt die Frage einer neuen Auflösung in die Tagesordnung. Ich glaube aber nicht, daß ein richtiger Moment der Entscheidung darüber schon in diesem Herbst eintreten könne. Bei einem neuen Appell an die Wähler wird die wirthschaftliche und finanzielle Reformfrage ein Bundesgenosse für die verbündeten Regirungen sein, sobald sie im Volke richtig verstanden sein wird; dazu aber ist ihre Discussion im Reichstage nöthig, die nicht vor der Wintersession stattfinden kann. Das Bedürfniß höherer Einnahmen durch indirecte Steuern ist in allen Bundesstaaten fühlbar, und von deren Ministern in Heidelberg einstimmig anerkannt worden. Der Widerspruch der parlamentarischen Theoretiker dagegen hat in der productiven Mehrheit der Bevölkerung auf die Dauer keinen Anklang. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1251 [1-367] Aus ganzem Herzen spreche ich Ihnen meinen aufrichtigen Dank für die so hochinteressante Darstellung der gegenwärtigen politischen Lage, welche Sie von Kissingen aus mir zu schreiben die Aufmerksamkeit hatten, sowie die Zielpunkte, welche Ihre große Politik sich für die nächste Zukunft gesetzt hat. Es ist mein innigster Wunsch, daß Kissingen und die Nachcur Sie im Besitz der riesigen Kraft erhalten möge, welche die Durchführung Ihrer Pläne erfordert und an welche schon die nächste Reichstagssession gewaltige Ansprüche machen wird. Möge Ihr kraftvolles Wirken wie bisher ein gesegnetes sein zum Heile der deutschen Lande und Sie uns allen, denen Deutschlands Wohl am Herzen liegt, noch recht viele Jahre erhalten bleiben! Auch ich gebe mich der festen Hoffnung hin, daß die verbündeten Regierungen stets einig bleiben und fest zusammenstehen, wenn es gilt, die socialdemokratische Gefahr zu beschwören. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1259 [1-368] bestehen. Die deutschen Lande sind Ihnen aufs Neue zu Dank verpflichtet und streben mit wiederbelebter Hoffnung dem Ziele materieller Wohlfahrt zu, welche die unerläßliche Grundlage staatlichen Lebens bildet. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1267 In wirthschaftlicher Beziehung, in Betreff des Schutzes der deutschen Arbeit und Production, wird meines unterthänigsten Dafürhaltens in der nächsten Zeit etwas Weitres als das Erreichte nicht zu erstreben, vielmehr die praktische Wirkung abzuwarten sein: und die letztre wird in dem nächsten Jahre sich noch nicht mit Sicherheit erkennen lassen, weil die vom Reichstag beschlossene Hinausschiebung der Einführungstermine dem Auslande noch Gelegenheit zu unverzollter Ueberführung des deutschen Marktes geboten hat. Die gehoffte heilsame Wirkung auf die Hebung unsrer materiellen Wohlfahrt wird sich erst nach Ablauf des nächsten Jahres fühlbar machen können. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1270 Die nationalliberale Partei wird, wie ich hoffe, durch die letzte Reichstagssession ihrer Scheidung in eine monarchische und eine fortschrittliche, also republikanische Hälfte entgegengeführt werden. Der Versuch des frühern Präsidenten von Forckenbeck, die gesetzgebenden Gewalten des Reichs der directen Controlle eines deutschen Städtebundes zu unterwerfen, und die Brandreden an die (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1271 [1-370] Adresse der besitzlosen Classen von Lasker und Richter haben die revolutionäre Tendenz dieser Abgeordneten so klar und nackt hingestellt, daß für Anhänger der monarchischen Regirungsform keine politische Gemeinschaft mehr mit ihnen möglich ist. Der Plan des Städtebundes mit seinem ständigen Ausschuß am Sitze des Reichstages war der Berufung der "Föderirten" aus den französischen Provinzialstädten im Jahre 1792 nachgebildet. Der Versuch fand im deutschen Volke keinen Anklang, zeigt aber, wie auch in unsern fortschrittlichen Abgeordneten das Material für Conventsdeputirte zu finden wäre. Die Vorarbeiter der Revolution recrutiren sich bei uns ziemlich ausschließlich aus dem gelehrten Proletariat, an welchem Norddeutschland reicher ist als der Süden. Es sind die studirten und hochgebildeten Herrn, ohne Besitz, ohne Industrie, ohne Erwerb, welche entweder vom Gehalt im Staatsund Gemeindedienst oder von der Presse, häufig von beiden leben, und welche im Reichstage erheblich mehr als die Hälfte der Abgeordneten stellen, während im wählenden Volke ihre Anzahl einen geringen Procentsatz nicht überschreitet. Diese Herrn sind es, welche das revolutionäre Ferment liefern und die fortschrittliche und nationalliberale Fraction und die Presse leiten. Die Sprengung ihrer Fraction ist nach meinem unterthänigsten Dafürhalten eine wesentliche Aufgabe der erhaltenden Politik, und die Reform der wirthschaftlichen Interessen bildet den Boden, auf welchem die Regirungen diesem Ziele mehr und mehr näher treten können. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1291 Mit wahrer Freude haben mich die Glückwünsche erfüllt, welche Sie mir zu meinem Doppelfeste und zur 700jährigen Jubiläumsfeier meines Hauses darzubringen die Aufmerksamkeit hatten 2). Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die erprobte anhängliche Gesinnung, welche mir und meinem Lande von so hohem Werthe ist und auf welche ich wie bisher, so fürderhin mein aufrichtiges Vertrauen setze. - Bei den innigen Beziehungen, in welchen Sie als der ruhmreiche große Kanzler zu mir stehen, war es für mich von besonderem Interesse zu vernehmen, daß schon meine Vorfahren Anlaß hatten, Ihre Familie hochzuschätzen und auszuzeichnen. - Die günstige Nachricht, welche Sie, mein lieber Fürst, mir von Ihrem Befinden gaben, ist mir hochwillkommen, und ich wiederhole, wie freudig ich es empfinde, daß eine bayerische Heilquelle zur Erhaltung der bewundernswerthen Kraft beiträgt, welche Sie zum Wohle der deutschen Staaten einsetzen. Mit hoher Befriedigung habe ich aus Ihrem Schreiben den Glauben an die Sicherheit des Friedens ersehen, und dankbar bin ich für die Zusicherung eines Berichtes über die politische Lage. Empfangen Sie, mein lieber Fürst, mit den Ihrigen die 1) In der chronologischen Folge würden hier die im 29. Capitel (Bd. II S. 238 ff.) eingefügten Stücke anzuschließen sein. 2) Das Schreiben liegt leider in einer Abschrift nicht vor. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1297 Der gute Erfolg Ihrer Cur in Kissingen hat meine aufrichtigen Wünsche erfüllt, und ich hoffe, daß die nöthige Ruhe auch die neuralgischen Schmerzen heilen wird, welche, wie Sie mir zu meinem lebhaften Bedauern mittheilen, noch vorhanden sind. - Die Darstellung der äußeren und inneren Lage, welche ich Ihrem, mir so willkommenen hochgeschätzten Schreiben verdanke, war mir im höchsten Grade interessant. Wie Großes Sie nach beiden Seiten hin leisten, ist der Gegenstand meiner Bewunderung. Für die Friedensaussichten bin ich ebenso empfänglich, als für Ihr festes Standhalten gegen die Gelüste nach parlamentarischer Majoritätsregierung, welche gegenwärtig auch in Bayern, wenn auch von anderer Seite her, auftauchen. Ich werde dafür sorgen, daß ihr Ziel, das mit dem monarchischen Princip nicht zu vereinigen ist und nur endlose Unruhe und Unfrieden herbeiführen würde, unerreicht bleibt. - Den bevorstehenden Wahlen sehe ich mit dem größten Interesse entgegen. Wenn sie auch nicht nach Wunsch ausfallen, so glaube ich doch fest daran, daß es Ihrer Beharrlichkeit gelingen wird, die finanziellen und wirthschaftlichen Grundlagen zu schaffen, welche nothwendig sind, um die Wohlfahrt der deutschen Lande und insbesondere die Lage der Arbeiter auf eine befriedigende Stufe zu bringen; der ehrlichen Mitwirkung von Seiten meiner Regierung sind Sie gewiß. - Andererseits bin ich der vertrauensvollen Ueberzeugung, daß Sie, mein lieber Fürst, bei der Durchführung Ihrer großen Ideen von dem föderativen Princip ausgehen, auf welchem das Reich und die Selbstständigkeit der Einzelstaaten bestehen. - (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 6 [2-3] Deutschland und in Europa gekostet, und wir werden sie dadurch nicht wieder gewinnen, daß wir uns vom Strome treiben lassen in der Meinung, ihn zu lenken, sondern nur dadurch, daß wir fest auf eignen Füßen stehn und zuerst Großmacht, dann Bundesstaat sind. Das hat Oestreich zu unserm Schaden stets als richtig für sich anerkannt, und es wird sich von der Komödie, die es mit deutschen Sympathien spielt, nicht aus seinen europäischen Allianzen, wenn es überhaupt solche hat, herausreißen lassen. Gehn wir ihm zu weit, so wird es scheinbar noch eine Weile mitgehn, namentlich mitschreiben, aber die 20 Procent Deutsche, die es in seiner Bevölkerung hat, sind kein in letzter Instanz zwingendes Element, sich von uns wider eignes Interesse fortreißen zu lassen. Es wird im geeigneten Momente hinter uns zurückbleiben und seine Richtung in die europäische Stellung zu finden wissen, sobald wir dieselbe aufgeben. Die Schmerlingsche Politik, deren Seitenstück Ihnen als Ideal für Preußen vorschwebt, hat ihr Fiasco gemacht. Unsre von Ihnen im Frühjahr sehr lebhaft bekämpfte Politik hat sich in der polnischen Sache bewährt, die Schmerlingsche bittre Früchte für Oestreich getragen. Ist es denn nicht der vollständigste Sieg, den wir erringen konnten, daß Oestreich zwei Monate nach dem Reformversuch froh ist, wenn von demselben nicht mehr gesprochen wird, und mit uns identische Noten an seine frühern Freunde schreibt, mit uns seinem Schooßkinde, der Bundestags-Majorität, drohend erklärt, es werde sich nicht majorisiren lassen? Wir haben diesen Sommer erreicht, wonach wir 12 Jahre lang vergebens strebten, die Sprengung der Bregenzer Coalition, Oestreich hat unser Programm adoptirt, was es im October v. J. öffentlich verhöhnte; es hat die preußische Allianz statt der Würzburger gesucht, empfängt seine Beihülfe von uns, und wenn wir ihm heut den Rücken kehren, so stürzen wir das Ministerium. Es ist noch nicht dagewesen, daß die Wiener Politik in diesem Maße en gros et en détail von Berlin aus geleitet wurde. Dabei sind wir von Frankreich gesucht, Fleury bietet mehr als der König mag; unsre (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 7 [2-4] Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht, was ihr seit 20 Jahren verloren war; und das acht Monate, nachdem Sie mir die gefährlichste Isolirung wegen unsrer polnischen Politik prophezeiten. Wenn wir jetzt den Großmächten den Rücken drehn, um uns der in dem Netze der Vereinsdemokratie gefangenen Politik der Kleinstaaten in die Arme zu werfen, so wäre das die elendeste Lage, in die man die Monarchie nach Innen und Außen bringen könnte. Wir würden geschoben statt zu schieben; wir würden uns auf Elemente stützen, die wir nicht beherrschen und die uns nothwendig feindlich sind, denen wir uns aber auf Gnade oder Ungnade zu ergeben hätten. Sie glauben, daß in der ‚deutschen öffentlichen Meinung‘, Kammern, Zeitungen ꝛc. irgend etwas steckt, was uns in einer Unions- oder Hegemonie-Politik stützen und helfen könnte. Ich halte das für einen radicalen Irrthum, für ein Phantasiegebilde. Unsre Stärkung kann nicht aus Kammern- und Preßpolitik, sondern nur aus waffenmäßiger Großmachtspolitik hervorgehn, und wir haben nicht nachhaltiger Kraft genug, um sie in falscher Front und für Phrasen und Augustenburg zu verpuffen. Sie überschätzen die ganze dänische Frage und lassen sich dadurch blenden, daß dieselbe das allgemeine Feldgeschrei der Demokratie geworden ist, die über das Sprachrohr von Presse und Vereinen disponirt und diese an sich mittelmäßige Frage zum Moussiren bringt. Vor zwölf Monaten hieß es zweijährige Dienstzeit, vor acht Monaten Polen, jetzt Schleswig-Holstein. Wie sahn Sie selbst die europäische Lage im Sommer an? Sie fürchteten Gefahren jeder Art für uns und haben in Kissingen kein Hehl gemacht über die Unfähigkeit unsrer Politik; sind denn nun diese Gefahren durch den Tod des Königs von Dänemark plötzlich geschwunden und sollen wir jetzt an der Seite von Pfordten, Coburg und Augustenburg, gestützt auf alle Schwätzer und Schwindler der Bewegungspartei, plötzlich stark genug sein, alle vier Großmächte zu brüskiren, und sind letztre plötzlich so gutmüthig oder so machtlos geworden, daß wir uns dreist in jede Verlegenheit (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 20 Wenn auch durch Landtagsbeschlüsse, Zeitungen und Schützenfeste die deutsche Einheit nicht hergestellt werden konnte, so übte doch der Liberalismus einen Druck auf die Fürsten, der sie zu Concessionen für das Reich geneigter machte. Die Stimmung der Höfe schwankte zwischen dem Wunsche, dem Andringen der Liberalen gegenüber die fürstliche Stellung in particularistischer und autokratischer Sonderpolitik zu befestigen, und der Sorge vor Friedensstörungen durch äußere oder innere Gewalt. An ihrer deutschen Gesinnung ließ keine deutsche Regirung einen Zweifel, doch über die Art, wie die deutsche Zukunft gestaltet werden sollte, stimmten weder die Regirungen noch die Parteien überein. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Kaiser Wilhelm als Regent und später als König auf dem Wege, den er zuerst unter dem Einflusse seiner Gemalin mit der neuen Aera betreten hatte, je dahin gebracht worden wäre, das zur Erreichung der Einheit Nothwendige zu thun, indem er dem Bunde absagte und die preußische Armee für die deutsche Sache einsetzte. Auf der andern Seite aber ist es auch (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 21 [2-11] Die öffentliche Meinung unter dem Einfluß des Liberalismus. nicht wahrscheinlich, daß er ohne seine vorhergehenden Versuche und Bestrebungen in liberaler Richtung, ohne die Verbindlichkeiten, in die er dadurch gerathen war, in die Wege zum dänischen und damit zum böhmischen Kriege hätte geleitet werden können. Vielleicht wäre es nicht einmal gelungen, ihn von dem Frankfurter Fürstencongreß 1863 fern zu halten, wenn die liberalen Antecedentien nicht ein gewisses Popularitätsbedürfniß in liberaler Richtung auch bei dem Herrn zurückgelassen hätten, das ihm vor Olmütz fremd gewesen, seitdem aber die natürliche psychologische Folge des Verlangens gewesen war, für die seinem preußischen Ehrgefühl auf dem Gebiete der deutschen Politik geschlagene Wunde auf demselben Gebiete Heilung und Genugthuung zu suchen. Die holsteinische Frage, der dänische Krieg, Düppel und Alsen, der Bruch mit Oestreich und die Entscheidung der deutschen Frage auf dem Schlachtfelde, in dieses ganze Wagesystem wäre er ohne die schwierige Stellung, in die ihn die neue Aera gebracht hatte, vielleicht nicht eingegangen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 46 [2-18] einen Canal durch Holstein zu bauen, in Friede und Freundschaft mit Oestreich gewonnen worden war. Ich denke mir, daß das Verfügungsrecht über den Kieler Hafen bei Sr. Majestät schwerer in das Gewicht gefallen ist, als der Eindruck der neuerworbenen freundlichen Landschaft von Ratzeburg mit seinem See. Die deutsche Flotte, und der Kieler Hafen als Unterlage ihrer Errichtung, war seit 1848 einer der zündenden Gedanken gewesen, an deren Feuer die deutschen Einheitsbestrebungen sich zu erwärmen und zu versammeln pflegten. Einstweilen aber war der Haß meiner parlamentarischen Gegner stärker als das Interesse für die deutsche Flotte, und es schien mir, daß die Fortschrittspartei damals die neuerworbenen Rechte Preußens auf Kiel und die damit begründete Aussicht auf unsre maritime Zukunft lieber in den Händen des Auctionators Hannibal Fischer, als in denen des Ministeriums Bismarck gesehn hätte 1). Das Recht zu Klagen und Vorwürfen über die Vernichtung deutscher Hoffnungen durch diese Regirung hätte den Abgeordneten größere Befriedigung gewährt als der gewonnene Fortschritt auf dem Wege zu ihrer Erfüllung. Ich schalte einige Stellen aus der Rede ein, welche ich am 1. Juni 1865 für den außerordentlichen Geldbedarf der Marine gehalten habe 2). „Es hat wohl keine Frage die öffentliche Meinung in Deutschland in den letzten 20 Jahren so einstimmig interessirt, wie grade die Flottenfrage. Wir haben gesehn, daß die Vereine, die Presse, die Landtage ihren Sympathien Ausdruck gaben, diese Sympathien haben sich in Sammlung von verhältnißmäßig recht bedeutenden Beträgen bethätigt. Den Regirungen, der conservativen Partei wurden Vorwürfe gemacht über die Langsamkeit und über die Kargheit, mit der in dieser Richtung vorgegangen würde; es waren besonders die liberalen Parteien, die dabei thätig 1) Vgl. die Rede vom 1. Juni 1865, Politische Reden II 356. 2) Politische Reden a. a. O. S. 355 ff. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 48 Ich war nicht darauf gefaßt, in dem Bericht der Commission eine indirecte Apologie Hannibal Fischers zu finden, der die deutsche Flotte unter den Hammer brachte. Auch diese deutsche Flotte scheiterte daran, daß in den deutschen Gebieten, ebenso in den höhern, regirenden Kreisen, wie in den niedern die Parteileidenschaft mächtiger war, als der Gemeinsinn. Ich hoffe, daß der unsrigen dasselbe nicht beschieden sein wird. Ich war einigermaßen überrascht ferner darüber, daß dem Gebiete der Technik ein so großer Raum in dem Berichte angewiesen war. Ich zweifle nicht daran, daß es viele unter Ihnen giebt, die vom Seewesen mehr verstehn als ich, und mehr zur See gewesen sind als ich, die Mehrzahl unter Ihnen, meine Herrn, ist es aber nicht, und doch muß ich sagen, ich würde mir nicht getrauen, über technische Details der Marine ein Urtheil zu fällen, welches meine Abstimmung motiviren, welches mir Motive zur Verwerfung einer Marinevorlage geben könnte. Ich kann mich deshalb auch mit der Widerlegung dieses Theils Ihrer Einwendungen nicht beschäftigen. ... Ihre Zweifel, ob es mir gelingen wird, Kiel zu erwerben, berührt mein Ressort näher. Wir besitzen in den Herzogthümern mehr als Kiel, wir besitzen die volle Souveränetät in den Herzogthümern in Gemeinschaft mit Oestreich, und ich wüßte nicht, wer uns dieses Pfand, das dem von uns erstrebten Object an Werth so viel überlegen ist, nehmen könnte anders, als durch einen für Preußen unglücklichen Krieg. Fassen wir aber diese Eventualität in's Auge, so können wir jeden in unserm Besitz befindlichen Hafen ebenso gut verlieren. Unser Besitz ist ein gemeinsamer, das ist wahr, mit Oestreich. Nichtsdestoweniger ist er ein Besitz, für dessen Aufgebung wir berechtigt sein würden, unsre Bedingungen zu stellen. Eine dieser Bedingungen, und zwar eine der ganz unerläßlichen, ohne deren Erfüllung wir diesen Besitz nicht aufgeben wollen, ist das künftige alleinige Eigenthum des Kieler Hafens für Preußen. ... (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 54 Es liegt im Rückblick auf diese Situation ein bedauerlicher Beweis, bis zu welchem Maße von Unehrlichkeit und Vaterlandslosigkeit die politischen Parteien bei uns auf dem Wege des Parteihasses gelangen. Es mag Aehnliches anderswo vorgekommen sein, doch weiß ich kein Land, wo das allgemeine Nationalgefühl und die Liebe zum Gesammtvaterlande den Ausschreitungen der Parteileidenschaft so geringe Hindernisse bereitet wie bei uns. Die für apokryph gehaltene Aeußerung, welche Plutarch dem Cäsar in den Mund legt, lieber in einem elenden Gebirgsdorfe der Erste, als in Rom der Zweite sein zu wollen, hat mir immer den Eindruck eines ächt deutschen Gedankens gemacht. Nur zu viele unter uns deuten im öffentlichen Leben so und suchen das Dörfchen, und wenn sie es geographisch nicht finden können, die Fraction, resp. Unterfraction und Coterie, wo sie die Ersten sein können. Diese Sinnesrichtung, die man nach Belieben Egoismus oder Unabhängigkeit nennen kann, hat in der ganzen deutschen Geschichte von den rebellischen Herzogen der ersten Kaiserzeiten bis auf die unzähligen reichsunmittelbaren Landesherrn, Reichs-Städte, Reichs-Dörfer, -Abteien und -Ritter und die damit verbundene Schwäche und Wehrlosigkeit des Reiches ihre Bethätigung gefunden. Einstweilen findet sie im Parteiwesen, welches die Nation zerklüftet, stärkern Ausdruck als in der rechtlichen oder dynastischen Zerrissenheit. Die Parteien scheiden sich weniger durch Programme und Prinzipien als durch die Personen, welche als Condottieri an der Spitze einer jeden stehn und für sich eine möglichst große Gefolgschaft von Abgeordneten und publicistischen Strebern anzuwerben suchen, die hoffen, mit dem Führer oder den Führern zur Macht zu gelangen. Prinzipielle programmatische Unterschiede, durch welche die Fractionen zu Kampf und Feindschaft gegen einander genöthigt würden, liegen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 63 IV. Die Verhandlungen zwischen Berlin und Wien, zwischen Preußen und den übrigen deutschen Staaten, welche die Zeit von dem Gasteiner Vertrage bis zum Ausbruch des Krieges ausfüllten, sind actenmäßig bekannt. In Süddeutschland tritt Streit und Kampf mit Preußen zum Theil hinter deutsch-patriotische Gefühle zurück; in Schleswig-Holstein beginnen diejenigen, deren Wünsche nicht in Erfüllung gingen, sich mit der neuen Ordnung der Dinge auszusöhnen; nur die Welfen werden des Federkrieges über die Ereignisse von 1866 nicht müde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 92 Nachdem die preußischen Bevollmächtigten am 28. Mai 1864 auf der Londoner Conferenz die Erklärung abgegeben hatten, daß die deutschen Mächte die Constituirung Schleswig-Holsteins als eines selbständigen Staates unter der Souveränetät des Erbprinzen von Augustenburg begehrten, hatte ich mit dem Letztern am 1. Juni 1864, Abends von 9 bis 12 Uhr, in meiner Wohnung eine Besprechung, um festzustellen, ob ich dem Könige zur Vertretung seiner Candidatur rathen könne. Die Unterredung drehte sich hauptsächlich um die von dem Kronprinzen in der Denkschrift vom 26. Februar bezeichneten Punkte. Die Erwartung Seiner Königlichen Hoheit, daß der Erbprinz bereitwillig darauf eingehn würde, fand ich nicht bestätigt. Die Substanz der Erklärungen des Letztern ist von Sybel nach den Acten gegeben 2). Am lebhaftesten widersprach er den Landabtretungen behufs der Anlage von Befestigungen; sie könnten sich ja auf eine Quadratmeile belaufen, meinte er. Ich mußte unsre Forderung als abgelehnt, eine weitre Verhandlung als aussichtslos betrachten, auf die der Prinz hinzudeuten schien, indem er beim Abschiede sagte: „Wir sehn uns wohl noch“ — (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 97 Eine der Anlagen, zu denen ich die Berechtigung gefordert hatte, ist nach langem Zögern jetzt 1) in der Ausführung begriffen: der Nord-Ostsee-Canal. Im Interesse der deutschen Seemacht, die damals nur unter preußischem Namen entwicklungsfähig war, hatte ich, und nicht ich allein, einen hohen Werth auf die Herstellung des Canals und den Besitz und die Befestigung seiner beiden Mündungen gelegt. Das Verlangen, die Concentrirung der Streitkräfte zur See vermittelst Durchbrechung der Landstrecke, die beide Meere trennt, möglich zu machen, war in Nachwirkung des beinahe krankhaften Flottenenthusiasmus von 1848 noch sehr lebhaft, schlief aber zeitweise ein, als wir freie Verfügung über das Territorium erworben hatten. In meinem Bemühn, das Interesse wieder zu erwecken, stieß ich auf Widerspruch bei der Landesvertheidigungs-Commission, deren Vorsitzender der Kronprinz, deren eigentliche Spitze der Graf Moltke war. Letztrer erklärte als Mitglied des Reichstags am 23. Juni 1873 2), der Canal werde nur im (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 112 Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals vielleicht nur 60 000 Mann französischer Truppen sofort nach Deutschland in das Gefecht geführt, vielleicht noch weniger; diese Zuthat zu dem Bestande der süddeutschen Bundesarmee wäre jedoch ausreichend gewesen, um für die letztre die einheitliche und energische Führung, wahrscheinlich unter französischem Obercommando, herzustellen. Allein die bairische Armee soll zur Zeit des Waffenstillstandes 100 000 Köpfe stark gewesen sein, und mit den übrigen verfügbaren deutschen Truppen, an sich guten und tapfern Soldaten, und 60 000 Franzosen wäre uns von Südwesten her eine Armee von 200 000 Mann unter einheitlicher, kräftiger französischer Leitung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 126 Mir kam es für unsre spätern Beziehungen zu Oestreich darauf an, kränkende Erinnerungen nach Möglichkeit zu verhüten, wenn es sich ohne Beeinträchtigung unsrer deutschen Politik thun ließ. Der siegreiche Einzug des preußischen Heeres in die feindliche Hauptstadt wäre für unsre Militärs natürlich eine befriedigende Erinnerung gewesen, für unsre Politik war er kein Bedürfniß; in dem östreichischen Selbstgefühl hätte er gleich jeder Abtretung alten Besitzes an uns eine Verletzung hinterlassen, die, ohne für uns ein zwingendes Bedürfniß zu sein, die Schwierigkeit unsrer künftigen gegenseitigen Beziehungen unnöthig gesteigert haben würde. Es war mir schon damals nicht zweifelhaft, daß wir die Errungenschaften des Feldzugs in fernern Kriegen zu vertheidigen haben würden, wie Friedrich der Große die Ergebnisse seiner beiden ersten schlesischen Kriege in dem schärfern Feuer des siebenjährigen. Daß ein französischer Krieg auf den (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 133 [2-40] was selten und vorübergehend der Fall war. Wenn auch gelegentlich das Gefühl der bairischen Protestanten verletzt wurde, so hat sich die Empfindlichkeit darüber niemals in Gestalt einer Erinnerung an Preußen geäußert. Uebrigens wäre auch nach einer solchen Beschneidung der bairische Stamm von den Alpen bis zur Oberpfalz in der Verbitterung, in welche die Verstümmelung des Königreichs ihn versetzt haben würde, immer als ein schwer zu versöhnendes und nach der ihm innewohnenden Stärke gefährliches Element für die zukünftige Einigkeit zu betrachten gewesen. Es gelang mir jedoch in Nikolsburg nicht, dem Könige meine Ansichten über den zu schließenden Frieden annehmbar zu machen. Ich mußte daher Herrn von der Pfordten, der am 24. Juli dorthin gekommen war, unverrichteter Sache abreisen lassen und mich mit einer Kritik seines Verhaltens vor dem Kriege begnügen. Er war ängstlich, die östreichische Anlehnung vollständig aufzugeben, obgleich er sich auch dem Wiener Einfluß gern entzogen hätte, wenn es ohne Gefahr möglich war; aber Rheinbunds-Velleitäten, Reminiscenzen an die Stellung, die die deutschen Kleinstaaten unter französischem Schutze von 1806 bis 1814 gehabt hatten, waren bei ihm nicht vorhanden — ein ehrlicher und gelehrter, aber politisch nicht geschickter deutscher Professor. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 135 [2-41] Der Wunsch des Königs, Westsachsen, Leipzig, Zwickau und Chemnitz zur Herstellung der Verbindung mit Bayreuth zu behalten, stieß auf die Erklärung Karolyis, daß er die Integrität Sachsens als conditio sine qua non der Friedensbedingungen festhalten müsse. Dieser Unterschied in der Behandlung der Bundesgenossen beruhte auf den persönlichen Beziehungen zum Könige von Sachsen und auf dem Verhalten der sächsischen Truppen nach der Schlacht bei Königgrätz, die bei dem Rückzuge den festesten und intactesten militärischen Körper gebildet hatten. Die andern deutschen Truppen hatten sich tapfer geschlagen, wo sie in's Gefecht kamen, aber spät und ohne praktische Erfolge, und es waltete in Wien der den Umständen nach unberechtigte Eindruck vor, von den Bundesgenossen, namentlich von Baiern und Würtemberg, unzulänglich unterstützt zu sein. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 142 Inzwischen hatte ich in den Conferenzen mit Karolyi und mit Benedetti, dem es Dank dem Ungeschick unsrer militärischen Polizei im Rücken des Heeres gelungen war, in der Nacht vom 11. zum 12. Juli nach Zwittau zu gelangen und dort plötzlich vor meinem Bette zu erscheinen, die Bedingungen ermittelt, unter denen der Friede erreichbar war. Benedetti erklärte für die Grundlinie der Napoleonischen Politik, daß eine Vergrößerung Preußens um höchstens 4 Millionen Seelen in Norddeutschland, unter Festhaltung der Mainlinie als Südgrenze, keine französische Einmischung nach sich ziehn werde. Er hoffte wohl, einen süddeutschen Bund als französische Filiale auszubilden. Oestreich trat aus dem Deutschen Bunde aus und war bereit, alle Einrichtungen, die der König in Norddeutschland treffen werde, vorbehaltlich der Integrität Sachsens, anzuerkennen. Diese Bedingungen enthielten Alles, dessen wir bedurften: freie Bewegung in Deutschland. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 148 [2-45] sollte an die Stelle Europas gesetzt werden, welche der östreichische Staat von Tyrol bis zur Bukowina bisher ausfüllt? Neue Bildungen auf dieser Fläche könnten nur dauernd revolutionärer Natur sein. Deutsch-Oestreich könnten wir weder ganz, noch theilweise brauchen, eine Stärkung des preußischen Staates durch Erwerbung von Provinzen wie Oestreichisch-Schlesien und Stücken von Böhmen nicht gewinnen, eine Verschmelzung des deutschen Oestreichs mit Preußen würde nicht erfolgen, Wien als ein Zubehör von Berlin aus nicht zu regiren sein. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 152 Auf die deutschen Staaten übergehend, sprach er von verschiedenen Erwerbungen durch Beschneidung der Länder aller Gegner. Ich wiederholte, daß wir nicht vergeltende Gerechtigkeit zu üben, sondern Politik zu treiben hätten, daß ich vermeiden wolle, in dem künftigen deutschen Bundesverhältniß verstümmelte Besitze zu sehn, in denen bei Dynastie und Bevölkerung der Wunsch nach Wiedererlangung des frühern Besitzes mit fremder Hülfe nach menschlicher Schwäche leicht lebendig werden könnte; es würden das unzuverlässige Bundesgenossen werden. Dasselbe würde der Fall sein, wenn man zur Entschädigung Sachsens etwa Würzburg oder Nürnberg von Baiern verlangen wollte, ein Plan, der außerdem mit der dynastischen Vorliebe Sr. Majestät für Ansbach in Concurrenz treten würde. Ebenso hatte ich Pläne zu bekämpfen, die auf eine Vergrößerung des Großherzogthums Baden hinausliefen, Annexion der bairischen Pfalz, und eine Ausdehnung in der untern Maingegend. Das Aschaffenburger Gebiet Baierns wurde dabei als geeignet angesehn, um Hessen-Darmstadt für den durch die Maingrenze gebotenen Verlust von Oberhessen zu entschädigen. Später in Berlin stand von diesen Plänen nur noch zur Verhandlung die Abtretung des auf dem rechten Mainufer gelegenen bairischen Gebiets einschließlich der Stadt Bayreuth an Preußen, wobei die Frage zur Erörterung kam, ob die Grenze auf dem nördlichen rothen oder südlichen weißen Main gehn sollte. Vorwiegend schien mir bei Sr. Majestät die von militärischer Seite gepflegte Abneigung gegen die Unterbrechung des Siegeslaufes der Armee. Der Widerstand, den ich den Absichten Sr. Majestät in Betreff der Ausnutzung der militärischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 160 [2-50] Bruder des Commandirenden unsers Gardecorps, und die uns sehr wohlwollende Großfürstin Helene vermittelt hatten, verlief politisch fruchtlos. Erst später in Berlin habe ich mit Herrn von Varnbüler verhandelt; und seine bewegliche Empfänglichkeit für die politischen Eindrücke jeder Situation bethätigte sich dort darin, daß er der erste unter den süddeutschen Ministern war, mit dem ich einen Bündniß-Vertrag der bekannten Art abschließen konnte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 164 In Berlin war ich äußerlich mit dem Verhältniß Preußens zu den neuerworbenen Provinzen und den übrigen norddeutschen Staaten, innerlich mit der Stimmung der auswärtigen Mächte und Erwägung ihres wahrscheinlichen Verhaltens beschäftigt. Unsre innere Lage hatte für mich und vielleicht für Jeden den Charakter des Provisoriums und der Unreife. Die Rückwirkung der Vergrößerung Preußens, der bevorstehenden Verhandlungen über den Norddeutschen Bund und seine Verfassung ließen unsre innere Entwicklung ebenso sehr im Fluß begriffen erscheinen wie unsre Beziehungen zum deutschen und außerdeutschen Auslande es waren vermöge der europäischen Situation, in der der Krieg abgebrochen wurde. Ich nahm als sicher an, daß der Krieg mit Frankreich auf dem Wege zu unsrer weitern nationalen Entwicklung, sowohl der intensiven als der über den Main hinaus extensiven, nothwendig werde geführt werden müssen, und daß wir diese Eventualität bei allen unsern Verhältnissen im Innern wie nach Außen im Auge zu behalten hätten. Louis Napoleon sah in einiger Vergrößerung Preußens in Norddeutschland nicht nur keine Gefahr für Frankreich, sondern ein Mittel gegen die Einigung und nationale Entwicklung Deutschlands; er glaubte, daß dessen außerpreußische (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 165 [2-52] Glieder sich dann des französischen Schutzes um so bedürftiger fühlen würden. Er hatte Rheinbundreminiscenzen und wollte die Entwicklung in der Richtung eines Gesammt-Deutschlands hindern. Er glaubte es zu können, weil er die nationale Stimmung des Tages nicht kannte und die Situation nach seinen süddeutschen Schulerinnerungen und nach diplomatischen Berichten beurtheilte, die nur auf ministerielle und sporadisch dynastische Stimmungen gegründet waren. Ich war überzeugt, daß ihr Gewicht schwinden würde; ich nahm an, daß ein Gesammt-Deutschland nur eine Frage der Zeit, und daß zu deren Lösung der Norddeutsche Bund die erste Etappe sei, daß aber die Feindschaft Frankreichs und vielleicht Rußlands, das Revanchebedürfniß Oestreichs für 1866 und der preußisch- dynastische Particularismus des Königs nicht zu früh in die Schranken gerufen werden dürfe. Ich war nicht zweifelhaft, daß ein deutsch- französischer Krieg werde geführt werden müssen, bevor die Gesammt- Einrichtung Deutschlands sich verwirklichte. Diesen Krieg hinauszuschieben, bis unsre Streitkräfte durch Anwendung der preußischen Wehrgesetzgebung nicht blos auf Hanover, Hessen und Holstein, sondern, wie ich damals schon nach der Fühlung mit den Süddeutschen hoffen durfte, auch auf diese, gestärkt wären, war ein Gedanke, der mich damals beherrschte. Ich hielt einen Krieg mit Frankreich im Hinblick auf die Erfolge der Franzosen im Krimkriege und in Italien für eine Gefahr, die ich damals überschätzte, indem mir die für Frankreich erreichbare Truppenziffer, die Ordnung und die Organisation und das Geschick in der Führung als höher und besser vorschwebten, als sich 1870 bestätigt hat. Die Tapferkeit des französischen Troupiers und die Höhe des nationalen Gefühls und der verletzten Eitelkeit haben sich vollkommen in dem Maße bewährt, wie ich sie für die Eventualität einer deutschen Invasion in Frankreich eingeschätzt hatte, in Erinnerung an die Erlebnisse von 1814, 1792, und zu Anfang des vorigen Jahrhunderts im spanischen Erbfolgekriege, wo das Eindringen fremder Heere stets ähnliche Erscheinungen wie das Stökern in einem Ameisenhaufen hervorgerufen hat. Für leicht habe (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 169 Von Rußland war einer solchen Coalition gegenüber activer Beistand schwerlich zu erwarten. Mir selbst hatte der russenfreundliche Einfluß, den ich in der Zeit des Krimkrieges auf die Entschließungen Friedrich Wilhelms IV. auszuüben vermochte, das Wohlwollen des Kaisers Alexander erworben, und sein Vertrauen zu mir war in der Zeit meiner Gesandschaft in Petersburg gewachsen. Inzwischen aber hatte in dem dortigen Cabinet unter Gortschakows Leitung der Zweifel an der Nützlichkeit einer so bedeutenden Kräftigung Preußens für Rußland die Wirkung der kaiserlichen Freundschaft für den König Wilhelm und der Dankbarkeit für unsre Politik in der polnischen Frage von 1863 aufzuwiegen angefangen. Wenn die Mittheilung richtig ist, die Drouyn de Lhuys dem Grafen Vitzthum von Eckstädt *) gemacht hat, so hat Gortschakow im Juli 1866 den Kaiser Napoleon zu einem gemeinsamen Proteste gegen die Beseitigung des Deutschen Bundes aufgefordert und eine Ablehnung erfahren. Der Kaiser Alexander hatte in der ersten Ueberraschung und nach der Sendung Manteuffels nach Petersburg dem Ergebniß der Nikolsburger Präliminarien generell und obiter zugestimmt; der Haß gegen Oestreich, der seit dem Krimkriege die öffentliche Meinung der russischen „Gesellschaft“ beherrschte, hatte zunächst seine Befriedigung gefunden in den Niederlagen Oestreichs; dieser Stimmung standen aber russische Interessen gegenüber, die sich an den zarischen Einfluß in Deutschland und an dessen Bedrohung durch Frankreich knüpften. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 177 [2-57] Provinzen einzuführen. Eine ausweichende Antwort würde das Mißtrauen der Verfassungsparteien hervorgerufen oder belebt haben. Nach meiner Ueberzeugung war es überhaupt nothwendig, die Entwicklung der deutschen Frage durch keinen Zweifel an der Verfassungstreue der Regirung zu hemmen; durch jeden neuen Zwiespalt zwischen Regirung und Opposition wäre der vom Auslande zu erwartende äußere Widerstand gegen nationale Neubildungen gestärkt worden. Aber meine Bemühungen, die Opposition und ihre Redner zu überzeugen, daß sie wohlthäten, innere Verfassungsfragen gegenwärtig zurücktreten zu lassen, daß die deutsche Nation, wenn erst geeinigt, in der Lage sein werde, ihre innern Verhältnisse nach ihrem Ermessen zu ordnen; daß unsre gegenwärtige Aufgabe sei, die Nation in diese Lage zu versetzen, alle diese Erwägungen waren der bornirten und kleinstädtischen Parteipolitik der Oppositionsredner gegenüber erfolglos, und die durch sie hervorgerufenen Erörterungen stellten das nationale Ziel zu sehr in den Vordergrund nicht nur dem Auslande, sondern auch dem Könige gegenüber, der damals noch mehr die Macht und Größe Preußens als die verfassungsmäßige Einheit Deutschlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige Berechnung nach deutscher Richtung hin fern; den Kaisertitel bezeichnete er noch 1870 geringschätzig als den „Charaktermajor“, worauf ich erwiderte, daß Se. Majestät die Competenzen der Stellung allerdings schon verfassungsmäßig besäßen und der „Kaiser“ nur die äußerliche Sanction enthalte, gewissermaßen als ob ein mit Führung eines Regiments beauftragter Offizier definitiv zum Commandeur ernannt werde. Für das dynastische Gefühl war es schmeichelhafter, grade als geborner König von Preußen und nicht als erwählter und durch ein Verfassungsgesetz hergestellter Kaiser die betreffende Macht auszuüben, analog wie ein prinzlicher Regiments- Commandeur es vorzieht, nicht Herr Oberst, sondern Königliche Hoheit genannt zu werden und der gräfliche Lieutenant nicht Herr Lieutenant, sondern Herr Graf. Ich hatte mit diesen Eigenthümlichkeiten meines Herrn zu rechnen, wenn ich mir sein Vertrauen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 193 Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der deutschen Frage zu erledigen, hatte sich dem Könige dargeboten, als der Kaiser Alexander 1863 zur Zeit des polnischen Aufstandes und des Ueberrumpelungsversuchs für den Frankfurter Fürstencongreß ein preußisch-russisches Bündniß in eigenhändiger Correspondenz lebhaft befürwortet hatte. Auf mehren eng geschriebenen Bogen in der feinen Hand des Kaisers, weit ausgesponnen und mit mehr Declamation, als in seiner Feder lag, konnte der Brief an Hamlets Wort: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 195 — erinnern, wenn man es aus dem Zweifel in die Affirmative übersetzt: der Kaiser ist der westmächtlichen und östreichisch-polnischen Chikanen müde und entschlossen den Degen zu ziehn, um sich von ihnen frei zu machen; an die Freundschaft und die gleichen Interessen des Königs appellirend, fordert er ihn zu gemeinsamem Handeln auf, so zu sagen in erweitertem Sinne der Alvenslebenschen Convention vom Februar desselben Jahres. Dem Könige wurde es schwer, einerseits dem nahen Verwandten und nächsten Freunde eine ablehnende Antwort zu geben, andrerseits sich mit dem Entschlusse vertraut zu machen, seinem Lande die Uebel eines großen Krieges aufzuerlegen, dem Staate und der Dynastie die Gefahren eines solchen zuzumuthen. Auch die Seite seines Gemüthslebens, die ihn geneigt machte, die Frankfurter Fürstenversammlung zu besuchen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit allen alten Fürstenhäusern, trat in ihm der Versuchung entgegen, der Anrufung des befreundeten Neffen und den preußisch-russischen Familientraditionen eine Folge zu geben, die zu dem Bruch mit dem deutschen Bundesverhältniß und der Gesammtheit der deutschen Fürstenfamilien führen mußte. In meinem mehre Tage dauernden Vortrage vermied ich es, die Seite der Sache zu betonen, welche für unsre innere Politik von Gewicht gewesen sein würde, weil ich nicht der Meinung war, daß ein Krieg grade im Bunde mit Rußland gegen Oestreich und alle Gegner, mit denen wir es 1866 zu thun bekamen, uns der Erfüllung unsrer nationalen Aufgabe näher gebracht haben würde. Es ist ja ein namentlich in der französischen Politik gebräuchliches Mittel, innere Schwierigkeiten durch Kriege zu überwinden; in Deutschland aber würde dieses Mittel nur dann wirksam gewesen sein, wenn der betreffende Krieg in der Linie der nationalen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 197 Die geographische Lage der drei großen Ostmächte ist der Art, daß eine jede von ihnen, sobald sie von den beiden andern angegriffen wird, sich strategisch im Nachtheil befindet, auch wenn sie in Westeuropa England oder Frankreich zum Verbündeten hat. Am meisten würde Oestreich, isolirt, gegen einen russisch-deutschen Angriff im Nachtheil sein, am wenigsten Rußland gegen Oestreich und Deutschland; aber auch Rußland würde bei einem concentrischen Vorstoß der beiden deutschen Mächte gegen den Bug zu Anfang des Krieges in einer schwierigen Lage sein. Bei seiner geographischen Lage und ethnographischen Gestaltung ist Oestreich im Kampfe gegen die beiden benachbarten Kaiserreiche deshalb sehr im Nachtheil, weil die französische Hülfe kaum rechtzeitig eintreffen würde, um das Gleichgewicht herzustellen. Wäre aber Oestreich einer deutsch- russischen Coalition von Hause aus unterlegen, wäre durch einen klugen Friedensschluß der drei Kaiser unter sich das gegnerische Bündniß gesprengt oder auch nur durch eine Niederlage Oestreichs geschwächt, so wäre das deutsch-russische Uebergewicht entscheidend. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 206 [2-68] in Preußen gegen Parlament und Presse ein Regirungssystem durchzuführen, das von dem ganzen übrigen Deutschland bekämpft wurde. Maßregeln, die bei uns gegen die Presse zu ergreifen gewesen sein würden, würden in Dessau keine Gültigkeit gehabt haben, und Oestreich und Süddeutschland würden ihre Revanche einstweilen dadurch genommen haben, daß sie die von Preußen verlassene Führung auf liberalem und nationalem Gebiete übernahmen. Die nationale Partei in Preußen selbst würde mit den Gegnern der Regirung sympathisirt haben; wir konnten dann innerhalb der verbesserten preußischen Grenzen staatsrechtlich eine Stärkung des Königthums gewinnen, aber doch in Gegenwart stark dissentirender einheimischer Elemente, denen sich die Opposition in den neuen Provinzen angeschlossen haben würde. Wir hätten dann einen preußischen Eroberungskrieg geführt, aber der nationalen Politik Preußens würden die Sehnen durchschnitten worden sein. In dem Bestreben, der deutschen Nation die Möglichkeit einer ihrer geschichtlichen Bedeutung entsprechenden Existenz durch Einheit zu verschaffen, lag das gewichtigste Argument zur Rechtfertigung des geführten deutschen „Bruderkrieges“; die Erneuerung eines solchen wurde unabwendbar, wenn der Kampf zwischen den deutschen Stämmen lediglich im Interesse der Stärkung des preußischen Sonderstaates fortgesetzt wurde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 214 Das nächste Geschäft war die Regelung unsres Verhältnisses zu den verschiedenen deutschen Staaten, mit denen wir im Kriege gewesen waren. Wir hätten die Annexionen für Preußen entbehren und Ersatz dafür in der Bundesverfassung suchen können. Se. Majestät aber hatte an praktische Effecte von Verfassungsparagraphen keinen bessern Glauben wie an den alten Bundestag und bestand auf der territorialen Vergrößerung Preußens, um die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 215 [2-71] Kluft zwischen den Ost- und den Westprovinzen auszufüllen und Preußen ein haltbar abgerundetes Gebiet auch für den Fall des frühern oder spätern Mißlingens der nationalen Neubildung zu schaffen. Bei der Annexion von Hanover und Kurhessen handelte es sich also um Herstellung einer unter allen Eventualitäten wirksamen Verbindung zwischen den beiden Theilen der Monarchie. Die Schwierigkeiten der Zollverbindung zwischen unsern beiden Gebietstheilen und die Haltung Hanovers im letzten Kriege hatten das Bedürfniß eines unbeschränkt in einer Hand befindlichen territorialen Zusammenhanges im Norden von Neuem anschaulich gemacht. Wir durften der Möglichkeit, bei künftigen östreichischen oder andern Kriegen ein oder zwei feindliche Corps von guten Truppen im Rücken zu haben, nicht von Neuem ausgesetzt werden. Die Besorgniß, daß die Dinge sich einmal so gestalten könnten, wurde verschärft durch die überschwängliche Auffassung, die der König Georg V. von seiner und seiner Dynastie Mission hatte. Man ist nicht jeden Tag in der Lage, einer gefährlichen Situation der Art abzuhelfen, und der Staatsmann, den die Ereignisse in den Stand setzen, letztres zu thun, und der sie nicht benutzt, nimmt eine große Verantwortlichkeit auf sich, da die völkerrechtliche Politik und das Recht der deutschen Nation, ungetheilt als solche zu leben und zu athmen, nicht nach privatrechtlichen Grundsätzen beurtheilt werden kann. Der König von Hanover schickte durch einen Adjutanten nach Nikolsburg einen Brief an den König, den ich Se. Majestät nicht anzunehmen bat, weil wir nicht gemüthliche, sondern politische Gesichtspunkte im Auge zu halten hätten, und weil die Selbständigkeit Hanovers mit der völkerrechtlichen Befugniß, seine Truppen nach dem jedesmaligen Ermessen des Souveräns gegen oder für Preußen in's Feld führen zu können, mit der Durchführung deutscher Einheit unvereinbar war. Die Haltbarkeit der Verträge allein ohne die Bürgschaft einer hinreichenden Hausmacht des leitenden Fürsten hat niemals hingereicht, der deutschen Nation Frieden und Einheit im Reiche zu sichern. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 216 [2-72] Es gelang mir, den König von dem Gedanken abzubringen, mit Hanover und Hessen auf der Basis der Zerstückelung dieser Länder und des Bündnisses mit den frühern Herrschern als Theilfürsten eines Restes zu verhandeln. Wenn der Kurfürst Fulda und Hanau, und Georg V. Kalenberg mit Lüneburg und der Aussicht auf die Erbfolge in Braunschweig behalten hätte, so würden weder die Hanoveraner und Hessen, noch die beiden Fürsten zufriedene Theilnehmer des Norddeutschen Bundes geworden sein. Dieser Plan würde uns unzufriedene und behufs Wiedererwerb des Verlornen zur Rheinbündelei geneigte Bundesgenossen gegeben haben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 218 Es blieben Friedensverträge zu schließen mit Sachsen und den süddeutschen Staaten. Herr von Varnbüler bewies dieselbe Lebhaftigkeit des Temperaments wie bei den Vorbereitungen zum Kriege und war der erste, mit dem der Abschluß gelang 1). Es handelte sich unter Anderm darum, ob wir, da Würtemberg das preußische Hohenzollern in Besitz genommen hatte, jetzt, wie der König wollte, den Spieß umkehren und eine Vergrößerung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 221 Ich weiß nicht, ob Roggenbach bei den Friedensschlüssen im Auftrage des Großherzogs von Baden handelte, indem er mir vorstellte, daß Baiern durch seine Größe ein Hinderniß der deutschen Einigung sei, sich leichter in eine künftige Neugestaltung Deutschlands einfügen werde, wenn es kleiner gemacht wäre, und daß es sich deshalb empfehle, ein besseres Gleichgewicht in Süddeutschland dadurch herzustellen, daß Baden vergrößert und durch Angliederung der Pfalz in unmittelbare Grenznachbarschaft mit Preußen gebracht würde, wobei auch weitre Verschiebungen in Anlehnung an preußische Wünsche, die dynastischen Stammlande Ansbach-Bayreuth wiederzugewinnen, und mit Einbeziehung Würtembergs in Aussicht genommen waren. Ich ließ mich auf diese Anregung nicht ein, sondern lehnte sie a limine ab. Auch wenn ich sie ausschließlich unter dem Gesichtspunkte der Nützlichkeit hätte auffassen wollen, so verrieth sie einen Mangel an Augenmaß für die Zukunft und eine Verdunklung des politischen Blickes durch badische Hauspolitik. Die Schwierigkeit, Baiern gegen seinen Willen in eine ihm nicht zusagende Reichsverfassung hinein zu zwingen, wäre dieselbe geblieben, auch wenn man die Pfalz an Baden gegeben hätte; und ob die Pfälzer ihre bairische Angehörigkeit bereitwillig gegen die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 224 Eine Verkleinerung Baierns im Norden wäre dem damaligen Wunsche des Königs entgegengekommen, Ansbach und Bayreuth in der alten Ausdehnung wiederzugewinnen. Mit meinen politischen Auffassungen stimmte auch dieser Plan, so sehr er meinem verehrten und geliebten Herrn am Herzen lag, ebenso wenig wie der badische überein, und ich habe ihm erfolgreich Widerstand geleistet. Im Herbst 1866 war eine Voraussicht über die zukünftige Haltung Oestreichs noch nicht möglich. Die Eifersucht Frankreichs uns gegenüber war gegeben, und niemandem war besser als mir die Enttäuschung Napoleons über unsre böhmischen Erfolge bekannt. Er hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, daß Oestreich uns schlagen und wir in die Lage kommen würden, seine Vermittlung zu erkaufen. Wenn nun Frankreichs Bemühungen, diesen Irrthum und seine Folgen wieder gut zu machen, bei der durch unsern Sieg nothwendig hervorgerufenen Verstimmung in Wien Erfolg hatten, so wäre manchen deutschen Höfen die Frage nahe getreten, ob sie im Anschluß an Oestreich, gewissermaßen in einem zweiten schlesischen Kriege, den Kampf gegen uns von Neuem aufnehmen wollten oder (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 231 [2-77] nehmen durch Correspondenz mit Savigny. Als der letzte preußische Gesandte am Bundestage war er der natürliche Erbe des Decernates über die im Vordergrunde stehende deutsche Politik. Er führte die Verhandlungen mit Sachsen zu Ende, was vor meiner Abreise nicht gelungen war. Ihr Ergebniß ist publici juris, und ich kann mich einer Kritik derselben enthalten. Die militärische Selbständigkeit Sachsens wurde demnächst unter Vermittlung des Generals von Stosch durch persönliche Entschließungen Sr. Majestät weiter entwickelt, als sie nach dem Vertrage bemessen war. Die geschickte und ehrliche Politik der beiden letzten sächsischen Könige hat diese Concessionen gerechtfertigt, namentlich so lange es gelingt, die bestehende preußisch-östreichische Freundschaft zu erhalten. Es ist in den geschichtlichen und confessionellen Traditionen, in der menschlichen Natur und speciell in den fürstlichen Ueberlieferungen begründet, daß der enge Bund zwischen Preußen und Oestreich, der 1879 geschlossen wurde, auf Baiern und Sachsen einen concentrirenden Druck ausübt, um so stärker, je mehr das deutsche Element in Oestreich, Vornehm und Gering, seine Beziehungen zur habsburgischen Dynastie zu pflegen weiß. Die parlamentarischen Excesse des deutschen Elements in Oestreich und deren schließliche Wirkung auf die dynastische Politik drohten nach dieser Richtung hin das Gewicht des deutsch-nationalen Elementes nicht nur in Oestreich abzuschwächen. Die doctrinären Mißgriffe der parlamentarischen Fractionen sind den Bestrebungen politisirender Frauen und Priester in der Regel günstig. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 233 [2-79] gehörte, unter denen er Spanien zu regiren gehabt haben würde. Ich sagte: wir wären viel mehr berechtigt gewesen zu der Besorgniß vor einem engern Verständnisse zwischen der spanischen und der französischen Krone als zu der Hoffnung auf Herstellung einer spanisch-deutschen und antifranzösischen Constellation nach Analogie Karls V.; ein König von Spanien könne eben nur spanische Politik treiben, und der Prinz wäre Spanier geworden durch Uebernahme der Krone des Landes. Zu meiner Ueberraschung erfolgte aus der Finsterniß hinter mir eine lebhafte Erwiderung des Prinzen von Hohenzollern, von dessen Anwesenheit ich keine Ahnung gehabt hatte; er protestirte lebhaft gegen die Möglichkeit, bei ihm französische Sympathien vorauszusetzen. Dieser Protest inmitten des Schlachtfeldes von Sedan war für einen deutschen Offizier und Hohenzollernschen Prinzen natürlich, und ich konnte ihn nur damit beantworten, daß der Prinz als König von Spanien sich nur von spanischen Interessen hätte leiten lassen können, und daß zu solchen namentlich behufs Befestigung des neuen Königthums zunächst eine schonende Behandlung des mächtigen Nachbarn an den Pyrenäen gehört haben würde. Ich machte dem Prinzen meine Entschuldigung über die in seiner mir unbekannten Gegenwart gethane Aeußerung. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 234 Diese anticipirte Episode legt Zeugniß ab über die Auffassung, die ich von der ganzen Frage hatte. Ich betrachtete sie als eine spanische und nicht als eine deutsche, wenn es mir auch erfreulich schien, den deutschen Namen Hohenzollern in Vertretung der Monarchie in Spanien thätig zu sehn, und wenn ich auch nicht versäumte, alle möglichen Folgen unter dem Gesichtspunkte unsrer Interessen zu erwägen, was bei jedem Vorgange von ähnlicher Wichtigkeit in einem andern Staate zu thun die Pflicht eines auswärtigen Ministers ist. Ich dachte zunächst mehr an wirthschaftliche wie an politische Beziehungen, denen ein König von Spanien deutscher Abstammung förderlich sein konnte. Für Spanien erwartete ich von der Person des Prinzen und von seinen verwandschaftlichen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 235 [2-80] Beziehungen beruhigende und consolidirende Ergebnisse, die den Spaniern zu mißgönnen ich keinen Anlaß hatte. Spanien gehört zu den wenigen Ländern, die nach ihrer geographischen Lage und ihrem politischen Bedürfniß keinen Grund haben, antideutsche Politik zu treiben; es ist außerdem in wirthschaftlicher Beziehung nach Production und Bedarf für einen entwickelten Verkehr mit Deutschland wohl geeignet. Ein uns befreundetes Element in der spanischen Regirung wäre ein Vortheil gewesen, den a limine abzuweisen in den Aufgaben der deutschen Politik kein Grund vorhanden war, es sei denn, daß man die Besorgniß, Frankreich könne unzufrieden werden, als einen solchen gelten lassen wollte. Wenn Spanien sich wieder kräftiger entwickelte, als seither geschehn ist, konnte die Thatsache, daß die spanische Diplomatie uns befreundet wäre, im Frieden für uns von Nutzen sein; daß der König von Spanien bei Eintritt des früher oder später vorauszusehenden deutsch-französischen Krieges, auch wenn er den besten Willen gehabt hätte, seine deutschen Sympathien durch einen Angriff oder eine Aufstellung gegen Frankreich zu bethätigen, im Stande sein werde, war mir nicht wahrscheinlich, und das Verhalten Spaniens nach Ausbruch des Krieges, den wir uns durch die Gefälligkeit deutscher Fürsten zugezogen hatten, bewies die Richtigkeit meiner Zweifel. Der ritterliche Eid hätte Frankreich wegen der Einmischung in die Freiheit der spanischen Königswahl zur Rechenschaft gezogen und die Wahrung der spanischen Unabhängigkeit nicht Fremden überlassen. Die früher zu Wasser und Lande mächtige Nation kann heut nicht die stammverwandte Bevölkerung von Cuba im Zaume halten; wie sollte man von ihr erwarten, daß sie eine Macht wie Frankreich aus Liebe zu uns angriffe? Keine spanische Regirung und am wenigsten ein ausländischer König würde im Lande die Macht besitzen, auch nur ein Regiment aus Liebe zu Deutschland an die Pyrenäen zu schicken. Politisch stand ich der ganzen Frage ziemlich gleichgültig gegenüber. Mehr als ich war Fürst Anton geneigt, sie friedlich zu dem (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 239 [2-82] Eingriffs erwehren würde. Nachdem später die Sache die Wendung genommen hatte, daß Frankreich im Sinne seines Eingriffs in die spanische Unabhängigkeit uns mit Krieg bedrohte, habe ich einige Tage lang erwartet, daß die spanische Kriegserklärung gegen Frankreich der französischen gegen uns folgen werde. Ich war nicht darauf gefaßt, daß eine selbstbewußte Nation wie die spanische Gewehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zusehn werde, wie die Deutschen sich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit und freie Königswahl gegen Frankreich schlugen. Das spanische Ehrgefühl, das sich in der Karolinen-Frage so empfindlich anstellte, ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrscheinlich sind in beiden Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der republikanischen Parteien entscheidend gewesen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 240 Von Seiten unsres Auswärtigen Amtes waren die ersten schon unberechtigten Anfragen Frankreichs über die spanische Throncandidatur am 4. Juli der Wahrheit entsprechend in der ausweichenden Art beantwortet worden, daß das Ministerium nichts von der Sache wisse. Es traf das insofern zu, als die Frage der Annahme der Wahl durch den Prinzen Leopold von Sr. Majestät lediglich als Familiensache behandelt worden war, die weder Preußen noch den Norddeutschen Bund etwas anging, bei der es sich nur um die persönliche Beziehung des Kriegsherrn zu einem deutschen Offizier und des Hauptes nicht der Kgl. Preußischen sondern der Hohenzollernschen Gesammtfamilie zu den Trägern des Namens Hohenzollern handelte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 242 [2-83] Sachkunde geprüft hatte. Der deutsch-nationale Aufschwung, welcher der französischen Kriegserklärung folgte, vergleichbar einem Strome, der die Schleusen bricht, war für die französischen Politiker eine Ueberraschung; sie lebten, rechneten und handelten in Rheinbundserinnerungen, genährt durch die Haltung einzelner westdeutscher Minister und durch ultramontane Einflüsse, welche hofften, daß Frankreichs Siege, gesta Dei per Francos, die Ziehung weitrer Consequenzen des Vaticanums in Deutschland, gestützt auf Allianz mit dem katholischen Oestreich, erleichtern würden. Ihre ultramontanen Tendenzen waren der französischen Politik in Deutschland förderlich, in Italien nachtheilig, da das Bündniß mit letzterm schließlich an der Weigerung Frankreichs, Rom zu räumen, scheiterte. In dem Glauben an die Ueberlegenheit der französischen Waffen wurde der Kriegsvorwand, man kann sagen, an den Haaren herbeigezogen, und anstatt Spanien für seine, wie man annahm, antifranzösische Königswahl verantwortlich zu machen, hielt man sich an den deutschen Fürsten, der es nicht abgelehnt hatte, dem Bedürfniß der Spanier auf deren Wunsch durch Gestellung eines brauchbaren und voraussichtlich in Paris als persona grata betrachteten Königs abzuhelfen, und an den König von Preußen, den nichts als der Familienname und die deutsche Landsmannschaft zu dieser spanischen Angelegenheit in Beziehung brachte. Schon in der Thatsache, daß das französische Cabinet sich erlaubte, die preußische Politik über die Annahme der Wahl zur Rede zu stellen, und zwar in einer Form, die durch die Interpretation der französischen Blätter zu einer öffentlichen Bedrohung wurde, schon in dieser Thatsache lag eine internationale Unverschämtheit, die für uns nach meiner Ansicht die Unmöglichkeit involvirte, auch nur um einen Zoll breit zurückzuweichen. Der beleidigende Charakter der französischen Zumuthung wurde verschärft nicht nur durch die drohenden Herausforderungen der französischen Presse, sondern auch durch die Parlamentsverhandlungen und die Stellungnahme des Ministeriums Gramont-Ollivier (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 253 Der Haltung Frankreichs gegenüber zwang uns nach meiner Ansicht das nationale Ehrgefühl zum Kriege, und wenn wir den Forderungen dieses Gefühls nicht gerecht wurden, so verloren wir auf dem Wege zur Vollendung unsrer nationalen Entwicklung den ganzen 1866 gewonnenen Vorsprung, und das 1866 durch unsre militärischen Erfolge gesteigerte deutsche Nationalgefühl südlich des Mains, wie es sich in der Bereitwilligkeit der Südstaaten zu den Bündnissen ausgesprochen hatte, mußte wieder erkalten. Das in den süddeutschen Staaten neben dem particularistischen und dynastischen Staatsgefühle lebendige Deutschthum hatte bis 1866 das politische Bewußtsein gewissermaßen mit der gesammtdeutschen Fiction unter 1) (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 255 [2-89] Oestreichs Leitung beschwichtigt, theils aus süddeutscher Vorliebe für den alten Kaiserstaat, theils in dem Glauben an die militärische Ueberlegenheit desselben über Preußen. Nachdem die Ereignisse den Irrthum der Schätzung festgestellt hatten, war grade die Hülflosigkeit der süddeutschen Staaten, in der Oestreich sie bei dem Friedensschlusse gelassen hatte, ein Motiv für das politische Damascus, das zwischen Varnbülers „Vae Victis“ zu dem bereitwilligen Abschlusse des Schutz- und Trutzbündnisses mit Preußen lag. Es war das Vertrauen auf die durch Preußen entwickelte germanische Kraft und die Anziehung, welche einer entschlossenen und tapfern Politik innewohnt, wenn sie Erfolg hat und dann sich in vernünftigen und ehrlichen Grenzen bewegt. Diesen Nimbus hatte Preußen gewonnen; er ging unwiderruflich oder doch auf lange Zeit verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die Meinung im Volke Platz griff, daß die französische Insulte „La Prusse cane“ einen thatsächlichen Hintergrund habe. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 256 In derselben psychologischen Auffassung, in welcher ich 1864 im dänischen Kriege aus politischen Gründen gewünscht hatte, daß nicht den altpreußischen, sondern den westfälischen Bataillonen, die bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten, unter preußischer Führung ihre Tapferkeit zu bewähren, der Vortritt gelassen werde, und bedauerte, daß der Prinz Friedrich Carl meinem Wunsche entgegen gehandelt hatte, in derselben Auffassung war ich überzeugt, daß die Kluft, die die Verschiedenheit des dynastischen und Stammesgefühls und der Lebensgewohnheiten zwischen dem Süden und dem Norden des Vaterlandes im Laufe der Geschichte geschaffen hatte, nicht wirksamer überbrückt werden könne als durch einen gemeinsamen nationalen Krieg gegen den seit Jahrhunderten aggressiven Nachbar. Ich erinnerte mich, daß schon in dem kurzen Zeitraume von 1813 bis 1815, von Leipzig und Hanau bis Belle Alliance, der gemeinsame und siegreiche Kampf gegen Frankreich die Beseitigung des Gegensatzes ermöglicht hatte zwischen einer hingebenden Rheinbundspolitik und dem nationaldeutschen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 258 Dieser Rückblick bestärkte mich in meiner Ueberzeugung, und die politischen Erwägungen in Betreff der süddeutschen Staaten fanden mutatis mutandis auch auf unsre Beziehungen zu der Bevölkerung von Hanover, Hessen, Schleswig-Holstein Anwendung. Daß diese Auffassung richtig war, beweist die Genugthuung, mit der heut, nach zwanzig Jahren, nicht nur die Holsteiner, sondern auch die Hanseaten der 1870er Heldenthaten ihrer Söhne gedenken. Alle diese Erwägungen, bewußt und unbewußt, verstärkten in mir die Empfindung, daß der Krieg nur auf Kosten unsrer preußischen Ehre und des nationalen Vertrauens auf dieselbe vermieden werden könne. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 293 Eine Einmischung konnte nur die Tendenz haben, uns Deutschen den Siegespreis vermittelst eines Congresses zu beschneiden. Diese mich Tag und Nacht beunruhigende Gefahr erzeugte in mir das Bedürfniß, den Friedensschluß zu beschleunigen, um ihn ohne Einmischung der Neutralen herstellen zu können. Daß dies vor der Eroberung von Paris nicht thunlich sein würde, ließ sich nach dem herkömmlichen Vorgewicht der Hauptstadt in Frankreich voraussehn. So lange Paris sich hielt, war auch von den leitenden Kreisen in Tours und Bordeaux und von den Provinzen nicht anzunehmen, daß sie die Hoffnung auf einen Umschwung aufgeben würden, mochte derselbe von neuen levées en masse, wie sie in der Schlacht an der Lisaine zur Geltung kamen, oder von der endlichen „Auffindung Europas“, oder von dem Glanznebel erwartet werden, der die englischen resp. westmächtlichen Schlagworte: „Humanität, Civilisation“ in deutschen, namentlich weiblichen Gemüthern an großen Höfen umgab — so lange bot sich an den auswärtigen Höfen, die über die Situation in Frankreich doch mehr durch französische als durch deutsche Berichte orientirt waren, die Möglichkeit, den Franzosen in ihrem Friedensschlusse beiständig zu sein. Für mich spitzte sich daher meine Aufgabe dahin zu, mit Frankreich abzuschließen, bevor eine Verständigung der neutralen Mächte über ihre Einflußnahme auf den Frieden zu Stande gekommen wäre, grade so, wie es 1866 unser Bedürfniß war, mit Oestreich abzuschließen, bevor französische Einmischung in Süddeutschland wirksam werden konnte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 306 Die russische Entrüstung über das Ergebniß des Berliner Congresses war eine der Erscheinungen, die bei einer dem Volk so wenig verständlichen Presse, wie es die russische in auswärtigen Beziehungen ist, und bei dem Zwange, der auf sie mit Leichtigkeit geübt wird, sich im Widerspruche mit aller Wahrheit und Vernunft ermöglichen ließ. Die ganzen Gortschakowschen Einflüsse, die er, angespornt durch Aerger und Neid über seinen frühern Mitarbeiter, den deutschen Reichskanzler, in Rußland übte, unterstützt von französischen Gesinnungsgenossen und ihren französischen Verschwägerungen (Wannowski, Obrutschew) waren stark genug, um in der Presse, die Moskauer Wedomosti an der Spitze, einen Schein von Entrüstung herzustellen über die Schädigung, welche Rußland auf dem Berliner Congresse durch deutsche Untreue erlitten hätte. Nun ist auf dem Berliner Congresse kein russischer Wunsch ausgesprochen worden, den Deutschland nicht zur Annahme gebracht hätte, unter Umständen durch energisches Auftreten bei dem englischen Premierminister, obschon letztrer krank und bettlägerig war. Anstatt hierfür dankbar zu sein, fand man es der russischen Politik entsprechend, unter Führung des lebensmüden, aber immer noch krankhaft eitlen Fürsten Gortschakow und der Moskauer Blätter, an der weitern Entfremdung zwischen Rußland und Deutschland fortzuarbeiten, für die weder im Interesse des einen noch des andern dieser großen Nachbarreiche das mindeste Bedürfniß vorliegt. Wir beneiden uns nichts und haben nichts von einander zu gewinnen, was wir brauchen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 313 [2-110] wenn unsre Truppen vor Paris, im Westen, Norden und Osten Frankreichs vor Seuchen bewahrt blieben. Die Frage, wie der Gesundheitszustand des deutschen Heeres sich in den Beschwerden eines so ungewöhnlich harten Winters bewähren werde, entzog sich jeder Berechnung. Es war unter diesen Umständen keine übertriebene Aengstlichkeit, wenn ich in schlaflosen Nächten von der Sorge gequält wurde, daß unsre politischen Interessen nach so großen Erfolgen durch das zögernde Hinhalten des weitern Vorgehns gegen Paris schwer geschädigt werden könnten. Eine weltgeschichtliche Entscheidung in dem Jahrhunderte alten Kampfe zwischen den beiden Nachbarvölkern stand auf dem Spiele und in Gefahr, durch persönliche und vorwiegend weibliche Einflüsse ohne historische Berechtigung gefälscht zu werden, durch Einflüsse, die ihre Wirksamkeit nicht politischen Erwägungen verdankten, sondern Gemüthseindrücken, welche die Redensarten von Humanität und Civilisation, die aus England bei uns importirt werden, auf deutsche Gemüther noch immer haben; war uns doch während des Krimkrieges von England aus nicht ohne Wirkung auf die Stimmung gepredigt worden, daß wir „zur Rettung der Civilisation“ die Waffen für die Türken ergreifen müßten. Die entscheidenden Fragen konnten, wenn man wollte, als ausschließlich militärische behandelt werden, und man konnte das als Vorwand nehmen, um mir das Recht der Betheiligung an der Entscheidung zu versagen; sie waren aber doch solche, von deren Lösung die diplomatische Möglichkeit in letzter Instanz abhing, und wenn der Abschluß des französischen Krieges ein weniger günstiger für Deutschland gewesen wäre, so blieb auch dieser gewaltige Krieg mit seinen Siegen und seiner Begeisterung ohne die Wirkung, die er für unsre nationale Einigung haben konnte. Es war mir niemals zweifelhaft, daß der Herstellung des Deutschen Reiches der Sieg über Frankreich vorhergehn mußte, und wenn es uns nicht gelang, ihn diesmal zum vollen Abschluß zu bringen, so waren weitre Kriege ohne vorgängige Sicherstellung unsrer vollen Einigung in Sicht. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 324 Die Gründe der Verzögerung des Angriffs auf Paris, über die die Wissenden Schweigen beobachtet hatten, sind durch die in der „Deutschen Revue“ von 1891 erfolgten Veröffentlichungen aus den Papieren des Grafen Roon 1) Gegenstand publicistischer (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 326 [2-115] Erörterung geworden. Alle gegen die Darstellung Roons gerichteten Ausführungen umgehn die Berliner Einflüsse und die englischen, auch die Thatsache, daß 800, nach Andern 1500 Axen mit Lebensmitteln für die Pariser wochenlang festlagen; und alle, mit Ausnahme eines anonymen Zeitungsartikels, umgehn ebenso die Frage, ob die Heeresleitung rechtzeitig für die Herbeischaffung von Belagerungsgeschütz Sorge getragen habe. Ich habe keinen Anlaß gefunden, an meinen vorstehenden, vor dem Erscheinen der betreffenden Nummern der „Deutschen Revue“ gemachten Aufzeichnungen irgend etwas zu ändern. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 328 Die Annahme des Kaisertitels durch den König bei Erweiterung des Norddeutschen Bundes war ein politisches Bedürfniß, weil er in den Erinnerungen aus Zeiten, da er rechtlich mehr, factisch weniger als heut zu bedeuten hatte, ein werbendes Element für Einheit und Centralisation bildete; und ich war überzeugt, daß der festigende Druck auf unsre Reichsinstitutionen um so nachhaltiger sein müßte, je mehr der preußische Träger desselben das gefährliche, aber der deutschen Vorgeschichte innelebende Bestreben vermiede, den andern Dynastien die Ueberlegenheit der eignen unter die Augen zu rücken. König Wilhelm I. war nicht frei von der Neigung dazu, und sein Widerstreben gegen den Titel war nicht ohne Zusammenhang mit dem Bedürfnisse, grade das überlegne Ansehn der angestammten preußischen Krone mehr als das des Kaisertitels zur Anerkennung zu bringen. Die Kaiserkrone erschien ihm im Lichte eines übertragenen modernen Amtes, dessen Autorität von Friedrich dem Großen bekämpft war, den Großen Kurfürsten bedrückt hatte. Bei den ersten Erörterungen sagte er: „Was soll mir der Charakter-Major?“ worauf ich u. A. erwiderte: „Ew. Majestät wollen doch nicht ewig (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 330 Auch bei dem Kronprinzen habe ich für mein Streben, den Kaisertitel herzustellen, welches nicht einer preußisch-dynastischen Eitelkeit, sondern allein dem Glauben an seine Nützlichkeit für Förderung der nationalen Einheit entsprang, im Anfange der günstigen Wendung des Krieges nicht immer Anklang gefunden. Seine Königliche Hoheit hatte von irgend einem der politischen Phantasten, denen er sein Ohr lieh, den Gedanken aufgenommen, die Erbschaft des von Karl dem Großen wiedererweckten „römischen“ Kaiserthums sei das Unglück Deutschlands gewesen, ein ausländischer, für die Nation ungesunder Gedanke. So nachweisbar letztres auch geschichtlich sein mag, so unpraktisch war die Bürgschaft gegen analoge Gefahren, welche des Prinzen Rathgeber in dem Titel „König“ der Deutschen sahen. Es lag heut zu Tage keine Gefahr vor, daß der Titel, welcher allein in der Erinnerung des Volkes lebt, dazu beitragen würde, die Kräfte Deutschlands den eignen Interessen zu entfremden und dem transalpinen Ehrgeize bis nach Apulien hin dienstbar zu machen. Das aus einer irrigen Vorstellung entspringende Verlangen, das der Prinz gegen mich aussprach, war nach meinem Eindrucke ein völlig ernstes und geschäftliches, dessen Inangriffnahme durch mich gewünscht wurde. Mein Einwand, anknüpfend an die Coexistenz der Könige von Bayern, Sachsen, Würtemberg mit dem intendirten Könige in Germanien oder Könige der Deutschen führte zu meiner Ueberraschung auf die weitre Consequenz, daß die genannten Dynastien aufhören müßten, den Königstitel zu führen, um wieder den herzoglichen anzunehmen. Ich sprach die Ueberzeugung aus, daß sie sich dazu gutwillig nicht verstehn würden. Wollte man dagegen Gewalt anwenden, so würde dergleichen Jahrhunderte hin (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 337 [2-118] Präsidialrechte, für die die bairische Zustimmung geschäftlich bereits vorlag, dem Könige von Preußen ohne Verstimmung des bairischen Selbstgefühls nicht werde einräumen können; der König von Preußen sei ein Nachbar des Königs von Baiern, und bei der Verschiedenheit der Stammesbeziehungen werde die Kritik über die Concessionen, welche Baiern mache und gemacht habe, schärfer und für die Rivalitäten der deutschen Stämme empfindlicher werden. Preußische Autorität innerhalb der Grenzen Baierns ausgeübt, sei neu und werde die bairische Empfindung verletzen, ein deutscher Kaiser aber sei nicht der im Stamme verschiedene Nachbar Baierns, sondern der Landsmann; meines Erachtens könne der König Ludwig die von ihm der Autorität des Präsidiums bereits gemachten Concessionen schicklicher Weise nur einem deutschen Kaiser, nicht einem Könige von Preußen machen. Dieser Hauptlinie meiner Argumentation hatte ich noch persönliche Argumente hinzugefügt, in Erinnerung an das besondre Wohlwollen, welches die bairische Dynastie zu der Zeit, wo sie in der Mark Brandenburg regirte (Kaiser Ludwig), während mehr als einer Generation meinen Vorfahren bethätigt habe. Ich hielt dieses argumentum ad hominem einem Monarchen von der Richtung des Königs gegenüber für nützlich, glaube aber, daß die politische und dynastische Würdigung des Unterschieds zwischen kaiserlich deutschen und königlich preußischen Präsidialrechten entscheidend in's Gewicht gefallen ist. Der Graf trat seine Reise nach Hohenschwangau binnen zwei Stunden, am 27. November, an und legte sie unter großen Schwierigkeiten und mit häufiger Unterbrechung in vier Tagen zurück. Der König war wegen eines Zahnleidens bettlägrig, lehnte zuerst ab, ihn zu empfangen, nahm ihn aber an, nachdem er vernommen hatte, daß der Graf in meinem Auftrage und mit einem Briefe von mir komme. Er hat darauf im Bette mein Schreiben in Gegenwart des Grafen zweimal sorgfältig durchgelesen, Schreibzeug gefordert und das von mir erbetene und im Concept entworfene Schreiben an den König Wilhelm zu Papier gebracht. Darin war das (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 338 [2-119] Hauptargument für den Kaisertitel mit der coercitiven Andeutung wiedergegeben, daß Baiern die zugesagten, aber noch nicht ratificirten Concessionen nur dem deutschen Kaiser, aber nicht dem Könige von Preußen machen könne. Ich hatte diese Wendung ausdrücklich gewählt, um einen Druck auf die Abneigung meines hohen Herrn gegen den Kaisertitel auszuüben. Am siebenten Tage nach seiner Abreise, am 3. December, war Graf Holnstein mit diesem Schreiben des Königs wieder in Versailles; es wurde noch an demselben Tage durch den Prinzen Luitpold, jetzigen Regenten, unserm Könige officiell überreicht und bildete ein gewichtiges Moment für das Gelingen der schwierigen und vielfach in ihren Aussichten schwankenden Arbeiten, die durch das Widerstreben des Königs Wilhelm und durch die bis dahin mangelnde Feststellung der bairischen Erwägungen veranlaßt waren. Der Graf Holnstein hat sich durch diese in einer schlaflosen Woche zurückgelegte doppelte Reise und durch die geschickte Durchführung seines Auftrags in Hohenschwangau ein erhebliches Verdienst um den Abschluß unsrer nationalen Einigung durch Beseitigung der äußern Hindernisse der Kaiserfrage erworben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 339 Eine neue Schwierigkeit erhob Se. Majestät bei der Formulirung des Kaisertitels, indem er, wenn schon Kaiser, Kaiser von Deutschland heißen wollte. In dieser Phase haben der Kronprinz, der seinen Gedanken an einen König der Deutschen längst fallen gelassen hatte, und der Großherzog von Baden mich, jeder in seiner Weise, unterstützt, wenn auch keiner von Beiden der zornigen Abneigung des alten Herrn gegen den „Charakter-Major“ 1) offen widersprach. Der Kronprinz unterstützte mich durch passive Assistenz in Gegenwart seines Herrn Vaters und durch gelegentliche kurze Aeußerungen seiner Ansicht, die aber meine Gefechtsposition dem Könige gegenüber nicht stärkten, sondern eher eine verschärfte Reizbarkeit des hohen Herrn zur Folge hatten. Denn der König war noch (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 341 [2-120] leichter geneigt, dem Minister, als seinem Herrn Sohne Concessionen zu machen, in gewissenhafter Erinnerung an Verfassungseid und Ministerverantwortlichkeit. Meinungsverschiedenheiten mit dem Kronprinzen faßte er von dem Standpunkte des pater familias auf. In der Schlußberathung am 17. Januar 1871 lehnte er die Bezeichnung Deutscher Kaiser ab und erklärte, er wolle Kaiser von Deutschland oder garnicht Kaiser sein. Ich hob hervor, wie die adjectivische Form Deutscher Kaiser und die genitivische Kaiser von Deutschland sprachlich und zeitlich verschieden seien. Man hätte Römischer Kaiser, nicht Kaiser von Rom gesagt; der Zar nenne sich nicht Kaiser von Rußland, sondern Russischer, auch „gesammtrussischer“ (wserossiski) Kaiser. Das Letztre bestritt der König mit Schärfe, sich darauf berufend, daß die Rapporte seines russischen Regiments Kaluga stets „pruskomu“ adressirt seien, was er irrthümlich übersetzte. Meiner Versicherung, daß die Form der Dativ des Adjectivums sei, schenkte er keinen Glauben und hat sich erst nachher von seiner gewohnten Autorität für russische Sprache, dem Hofrath Schneider, überzeugen lassen. Ich machte ferner geltend, daß unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II. auf den Thalern Borussorum, nicht Borussiae rex erscheine, daß der Titel Kaiser von Deutschland einen landesherrlichen Anspruch auf die nichtpreußischen Gebiete involvire, den die Fürsten zu bewilligen nicht gemeint wären; daß in dem Schreiben des Königs von Baiern in Anregung gebracht sei, daß „die Ausübung der Präsidialrechte mit Führung des Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde“; endlich daß derselbe Titel auf Vorschlag des Bundesrathes in die neue Fassung des Artikel 11 der Verfassung aufgenommen sei. Die Erörterung ging über auf den Rang zwischen Kaisern und Königen, zwischen Erzherzogen, Großfürsten und preußischen Prinzen. Meine Darlegung, daß den Kaisern im Prinzip ein Vorrang vor Königen nicht eingeräumt werde, fand keinen Glauben, obwohl ich mich darauf berufen konnte, daß Friedrich Wilhelm I. bei einer Zusammenkunft mit Karl VI., der doch dem Kurfürsten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 343 Die Zustimmung, die der Kronprinz zu meiner Ausführung zu erkennen gab, reizte den alten Herrn noch mehr, so daß er auf den Tisch schlagend sagte: „Und wenn es so gewesen wäre, so befehle ich jetzt, wie es sein soll. Die Erzherzoge und Großfürsten haben stets den Vorrang vor den preußischen Prinzen gehabt, und so soll es ferner sein.“ Damit stand er auf, trat an das Fenster, den um den Tisch Sitzenden den Rücken zuwendend. Die Erörterung der Titelfrage kam zu keinem klaren Abschluß; indessen konnte man sich doch für berechtigt halten, die Ceremonie der Kaiserproclamation anzuberaumen, aber der König hatte befohlen, daß nicht von dem Deutschen Kaiser, sondern von dem Kaiser von Deutschland dabei die Rede sei. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 344 Diese Sachlage veranlaßte mich, am folgenden Morgen, vor der Feierlichkeit im Spiegelsaale, den Großherzog von Baden aufzusuchen, als den ersten der anwesenden Fürsten, der voraussichtlich nach Verlesung der Proclamation das Wort nehmen würde, und ihn zu fragen, wie er den neuen Kaiser zu bezeichnen denke. Der Großherzog antwortete: „Als Kaiser von Deutschland, nach Befehl Sr. Majestät.“ Unter den Argumenten, die ich dem Großherzoge dafür geltend machte, daß das abschließende Hoch auf den Kaiser nicht in dieser Form ausgebracht werden könne, war das durchschlagendste meine Berufung auf die Thatsache, daß der künftige Text der Reichsverfassung bereits durch einen Beschluß des Reichstags in Berlin präjudicirt sei. Die in seinen constitutionellen Gedankenkreis fallende Hinweisung auf den Reichstagsbeschluß bewog ihn, den König noch einmal aufzusuchen. Die Unterredung der beiden Herrn blieb mir unbekannt, und ich war bei Verlesung der Proclamation in Spannung. Der Großherzog wich dadurch aus, daß er ein Hoch weder auf den Deutschen Kaiser, noch auf den (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 349 In Versailles hatte ich vom 5. bis 9. November mit dem Grafen Ledochowski, Erzbischofe von Posen und Gnesen, Verhandlungen gehabt, die sich vorwiegend auf die territorialen Interessen des Papstes bezogen. Gemäß dem Sprichwort „Eine Hand wäscht die andre“ machte ich ihm den Vorschlag, die Gegenseitigkeit der Beziehungen zwischen dem Papste und uns zu bethätigen durch päpstliche Einwirkung auf die französische Geistlichkeit im Sinne des Friedensschlusses, immer in Sorge, wie ich war, daß eine Einmischung der neutralen Mächte uns die Früchte der Siege verkümmern könne. Ledochowski und in engern Grenzen Bonnechose, Cardinal-Erzbischof von Rouen, machten bei verschiedenen Mitgliedern des hohen Clerus den Versuch, sie zu einer Einwirkung in dem bezeichneten Sinne zu bestimmen, hatten mir aber nur von einer kühlen, ablehnenden Aufnahme ihrer Schritte zu berichten, woraus ich entnahm, daß es der päpstlichen Macht entweder an Stärke oder an gutem Willen fehlen müsse, uns im Sinne des Friedens eine Hülfe zu gewähren, werthvoll genug, um die Verstimmung der deutschen Protestanten und der italienischen Nationalpartei und der letztern Rückwirkung auf die zukünftigen Beziehungen beider Völker (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 350 [2-124] Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf. in den Kauf zu nehmen, die das Ergebniß eines öffentlichen Eintretens für die päpstlichen Interessen bezüglich Roms sein mußte. In den Wechselfällen des Krieges ist unter den streitenden italienischen Elementen Anfangs der König als der für uns möglicherweise gefährliche Gegner erschienen. Später ist uns die republikanische Partei unter Garibaldi, die uns bei Ausbruch des Krieges ihre Unterstützung gegen Napoleonische Velleitäten des Königs in Aussicht gestellt hatte, auf dem Schlachtfelde in einer mehr theatralischen als praktischen Erregtheit und in militärischen Leistungen entgegengetreten, deren Formen unsre soldatischen Auffassungen verletzten. Zwischen diesen beiden Elementen lag die Sympathie, welche die öffentliche Meinung der Gebildeten in Italien für das in der Geschichte und in der Gegenwart parallele Streben des deutschen Volkes hegen und dauernd bewahren konnte, lag der nationale Instinct, der denn auch schließlich stark und praktisch genug gewesen ist, mit dem frühern Gegner Oestreich in den Dreibund zu treten. Mit dieser nationalen Richtung Italiens würden wir durch ostensible Parteinahme für den Papst und seine territorialen Ansprüche gebrochen haben. Ob und in wie weit wir dafür den Beistand des Papstes in unsern innern Angelegenheiten gewonnen haben würden, ist zweifelhaft. Der Gallicanismus erschien mir stärker, als ich ihn 1870 der Infallibilität gegenüber einschätzen konnte, und der Papst schwächer, als ich ihn wegen seiner überraschenden Erfolge über alle deutschen, französischen, ungarischen Bischöfe gehalten hatte. Bei uns im Lande war das jesuitische Centrum demnächst stärker als der Papst, wenigstens unabhängig von ihm; der germanische Fractions- und Parteigeist unsrer katholischen Landsleute ist ein Element, dem gegenüber auch der päpstliche Wille nicht durchschlägt. Desgleichen lasse ich dahingestellt, ob die am 16. desselben Monats vor sich gegangenen Wahlen zum preußischen Landtage durch das Fehlschlagen der Ledochowskischen Verhandlungen beeinflußt worden sind. Die letztern wurden in etwas andrer Richtung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 356 Der Beginn des Culturkampfes war für mich überwiegend bestimmt durch seine polnische Seite. Seit dem Verzicht auf die Politik der Flottwell und Grolman, seit der Consolidirung des Radziwill'schen Einflusses auf den König und der Einrichtung der „katholischen Abtheilung“ im geistlichen Ministerium, stellten die statistischen Data einen schnellen Fortschritt der polnischen Nationalität auf Kosten der Deutschen in Posen und Westpreußen außer Zweifel, und in Oberschlesien wurde das bis dahin stramm preußische Element der „Wasserpolacken“ polonisirt; Schaffranek wurde dort in den Landtag gewählt, der uns das Sprichwort von der Unmöglichkeit der Verbrüderung der Deutschen und der Polen in polnischer Sprache als Parlamentsredner entgegenhielt. Dergleichen war in Schlesien nur möglich auf Grund der amtlichen Autorität der katholischen Abtheilung. Auf Klage bei dem Fürstbischof wurde dem Schaffranek untersagt, bei Wiederwahl auf der Linken zu „sitzen“; in Folge dessen stand dieser kräftig gebaute Priester 5 und 6 Stunden und bei Doppelsitzungen 10 Stunden am Tage vor den Bänken der Linken, stramm wie eine Schildwache, und brauchte nicht erst aufzustehn, wenn er zu antideutscher (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 357 [2-128] Rede das Wort ergriff 1). In Posen und Westpreußen waren nach Ausweis amtlicher Berichte Tausende von Deutschen und ganze Ortschaften, die in der vorigen Generation amtlich deutsch waren, durch die Einwirkung der katholischen Abtheilung polnisch erzogen und amtlich „Polen“ genannt worden. Nach der Competenz, welche der Abtheilung verliehn worden war, ließ sich ohne Aushebung derselben hierin nicht abhelfen. Diese Aufhebung war also nach meiner Ueberzeugung als nächstes Ziel zu erstreben. Dagegen war natürlich der Radziwill'sche Einfluß am Hof, nicht natürlich mein Cultus-College, dessen Frau und Ihre Majestät die Königin. Der Chef der katholischen Abtheilung war damals Krätzig, der früher Radziwill'scher Privatbeamter gewesen und dies im Staatsdienst auch wohl geblieben war. Der Träger des Radziwill'schen Einflusses war der jüngere beider Brüder Fürst Boguslav, auch Stadtverordneter von Einfluß in Berlin. Der ältere, Wilhelm, und sein Sohn Anton, waren zu ehrliche Soldaten, um sich auf polnische Intrigen gegen den König und dessen Staat einzulassen. Die katholische Abtheilung des Cultusministeriums, ursprünglich gedacht als eine Einrichtung, vermöge deren katholische Preußen die Rechte ihres Staates in den Beziehungen zu Rom vertreten sollten, war durch den Wechsel der Mitglieder nach und nach zu einer Behörde geworden, die inmitten der preußischen Bürokratie die römischen und polnischen Interessen gegen Preußen vertrat. Ich habe mehr als einmal dem Könige auseinander gesetzt, daß diese Abtheilung schlimmer sei als ein Nuntius in Berlin. Sie handle nach Anweisungen, die sie aus Rom empfinge, vielleicht nicht immer vom Papste, und sei neuerdings hauptsächlich polnischen Einflüssen zugänglich geworden. In dem Radziwill'schen Hause seien die Damen deutschfreundlich, der ältere Bruder Wilhelm durch das Ehrgefühl des preußischen Offiziers in derselben (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 374 Inwieweit derselbe von Dauer sein wird und die confessionellen Kämpfe nun ruhn werden, kann nur die Zeit lehren. Es hängt das von kirchlichen Stimmungen ab und von dem Grade der Streitbarkeit nicht blos des jedesmaligen Papstes und seiner leitenden Rathgeber, sondern auch der deutschen Bischöfe und der mehr oder weniger hochkirchlichen Richtung, welche im Wechsel der Zeit in der katholischen Bevölkerung herrscht. Eine feste Grenze der römischen Ansprüche an die paritätischen Staaten mit evangelischer Dynastie läßt sich nicht herstellen. Nicht einmal in rein katholischen Staaten. Der uralte Kampf zwischen Priestern und Königen wird nicht heut zum Abschluß gelangen, namentlich nicht in Deutschland. Wir haben vor 1870 Zustände gehabt, auf Grund deren die Lage der katholischen Kirche grade in Preußen als mustergültig und günstiger als in den meisten rein katholischen Ländern auch von der Curie anerkannt wurde. In unsrer innern Politik, namentlich der parlamentarischen, haben wir aber keine Wirkung dieser confessionellen Befriedigung gespürt. Die Fraction der beiden Reichensperger gehörte schon lange vor 1871, ohne daß deshalb die Führer persönlich in den Ruf des Händelmachens verfielen, dauernd der Opposition gegen die Regirung des evangelischen Königshauses an. Bei jedem modus vivendi wird Rom eine evangelische Dynastie und Kirche als eine Unregelmäßigkeit und Krankheit betrachten, deren Heilung die Aufgabe seiner Kirche sei. Die Ueberzeugung, daß dem so ist, nöthigt den Staat noch nicht, seinerseits den Kampf zu suchen und die Defensive der römischen Kirche gegenüber aufzugeben, denn alle Friedensschlüsse in dieser Welt sind Provisorien, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 377 In die Hitze des Culturkampfes fiel ein Besuch des Königs Victor Emanuel in Berlin, (22.–26.) September 1873. Ich hatte durch Herrn von Keudell erfahren, daß der König eine Dose mit Brillanten, deren Werth auf 50–60000 Franken, ungefähr auf das sechs- bis achtfache des bei solchen Gelegenheiten üblichen, angegeben wurde, hatte anfertigen und dem Grafen Launay zur Ueberreichung an mich zustellen lassen. Gleichzeitig kam es zu meiner Kenntniß, daß Launay die Dose mit Angabe des Werthes seinem Hausnachbarn, dem bairischen Gesandten Baron Pergler von Perglas, gezeigt hatte, der unsern Gegnern in dem Culturkampfe persönlich nahe stand. Der hohe Werth des mir zugedachten Geschenkes konnte also Anlaß geben, es in Verbindung zu bringen mit der Anlehnung, die der König von Italien bei dem Deutschen Reiche damals erstrebte und erlangte. Als ich dem Kaiser meine Bedenken gegen die Annahme des Geschenkes vortrug, hatte er zunächst den Eindruck, als ob ich es überhaupt unter meiner Würde fände, eine Portraitdose anzunehmen, und sah darin eine Verschiebung der Traditionen, an die er gewöhnt war. Ich sagte: „Gegenüber einem solchen Geschenke von durchschnittlichem Werthe würde ich auf den Gedanken der Ablehnung nicht gekommen sein. In diesem Falle aber hätte nicht das fürstliche Bildniß, sondern hätten die verkäuflichen Diamanten das für die Beurtheilung des Vorgangs entscheidende Gewicht; mit Rücksicht auf die Lage des Culturkampfes müßte ich Anknüpfungspunkte für Verdächtigungen vermeiden, nachdem der den Umständen nach übertriebene Werth der Dose durch die nachbarlichen Beziehungen von Perglas constatirt und in der Gesellschaft hervorgehoben worden sei.“ Der Kaiser wurde schließlich meiner Auseinandersetzung zugänglich und schloß den Vortrag mit den Worten: „Sie haben Recht, nehmen Sie die Dose nicht (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 386 [2-139] Blanckenburg, veröffentlicht in der „Deutschen Revue“, daß ich den Widerstand des Kaisers gegen die Civilehe gebrochen hätte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 400 Wenn man die sehr sachkundigen Berichte liest, welche Roon, damals in Bordighera, im Februar 1868 von Mitgliedern der conservativen Partei empfing, abgedruckt in der „Deutschen Revue“ vom April 1891 2), so sieht man, daß die Conservativen von mir verlangten, in ihre Fraction einzutreten. Ich hatte wenig Zeit übrig, war präoccupirt durch das, was wir von Frankreich zu erwarten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 416 [2-148] ärgerten, weil ich in meinem exceptionellen Lebenslauf aus dem mehr polnischen als deutschen Begriff der traditionellen Landadelsgleichheit herausgewachsen war. Daß ich vom Landjunker zum Minister wurde, hätte man mir verziehn, aber die Dotationen und vielleicht auch den mir sehr gegen meinen Willen verliehenen Fürstentitel verzieh man mir nicht. Die „Excellenz“ lag innerhalb des gewohnheitsmäßig Erreichbaren und Geschätzten; die „Durchlaucht“ reizte die Kritik. Ich kann das nachempfinden, denn dieser Kritik entsprach meine eigne. Als mir am Morgen des 21. März 1871 ein eigenhändiges Handschreiben des Kaisers die Erhebung in den Fürstenstand anzeigte, war ich entschlossen, Se. Majestät um Verzicht auf seine Absicht zu bitten, weil diese Standeserhöhung in die Basis meines Vermögens und in meine ganzen Lebensverhältnisse eine mir unsympathische Aenderung bringe. So gern ich mir meine Söhne als bequem situirte Landedelleute dachte, so unwillkommen war mir der Gedanke an Fürsten mit unzulänglichem Einkommen nach dem Beispiel von Hardenberg und Blücher, deren Söhne die Erbschaft des Titels nicht antraten — der Blüchersche wurde Jahrzehnte später (1861) erst infolge einer reichen und katholischen Heirath erneuert. In Erwägung aller Gründe gegen eine Standeserhöhung, die ganz außerhalb des Bereichs meines Ehrgeizes lag, langte ich auf den obern Stufen der Schloßtreppe an und fand dort zu meiner Ueberraschung den Kaiser an der Spitze der königlichen Familie, der mich herzlich und mit Thränen in seine Arme schloß, indem er mich als Fürsten begrüßte, und seine Freude, mir diese Auszeichnung gewähren zu können, laut äußerte. Dem gegenüber und unter den lebhaften Glückwünschen der königlichen Familie blieb mir keine Möglichkeit, meine Bedenken anzubringen. Das Gefühl, daß man als Graf wohlhabend sein kann, ohne unangenehm aufzufallen, als Fürst aber, wenn man letztres vermeiden will, reich sein muß, hat mich seitdem nie wieder verlassen. Ich würde die Mißgunst meiner frühern Freunde und Standesgenossen noch bequemer ertragen haben, wenn sie in meiner Gesinnung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 453 [2-160] zusammen aus den zufriedenen Staatsbürgern, die den status quo angreifenden recrutiren sich naturgemäß mehr aus den mit den bestehenden Einrichtungen unzufriedenen; und unter den Elementen, auf denen die Zufriedenheit beruht, nimmt die Wohlhabenheit nicht die letzte Stelle ein. Nun ist es eine Eigenthümlichkeit, wenn nicht der Menschen im Allgemeinen, so doch der Deutschen, daß der Unzufriedene arbeitsamer und rühriger ist als der Zufriedene, der Begehrliche strebsamer als der Satte. Die geistig und körperlich satten Deutschen sind gewiß zuweilen aus Pflichtgefühl arbeitsam, aber in der Mehrheit nicht, und unter den gegen das Bestehende Ankämpfenden findet sich der Wohlhabende bei uns seltener aus Ueberzeugung, öfter von einem Ehrgeiz getrieben, der auf diesem Wege schnellere Befriedigung hofft oder durch Verstimmung über politische oder confessionelle Widerwärtigkeiten auf ihn gedrängt worden ist. Das Ergebniß im Ganzen ist immer eine größere Arbeitsamkeit unter den Kräften, die das Bestehende angreifen, als unter denen, die es vertheidigen, also den Conservativen. Dieser Mangel an Arbeitsamkeit der Mehrheit erleichtert wiederum die Leitung einer conservativen Fraction in höherm Maße, als dieselbe durch individuelle Selbständigkeit und stärkern Eigensinn der Einzelnen erschwert werden könnte. Nach meinen Erfahrungen ist die Abhängigkeit der conservativen Fractionen von dem Gebote ihrer Leitung mindestens ebenso stark, vielleicht stärker als auf der äußersten Linken. Die Scheu vor dem Bruch ist auf der rechten Seite vielleicht größer als auf der linken, und der damals auf jeden Einzelnen stark wirkende Vorwurf, „ministeriell zu sein“, war der objectiven Beurtheilung auf der rechten Seite oft hinderlicher als auf der linken. Dieser Vorwurf hörte sofort auf, den Conservativen und andern Fractionen empfindlich zu sein, als durch meine Entlassung die regirende Stelle vacant geworden war, und jeder Parteiführer in der Hoffnung, bei ihrer Wiederbesetzung betheiligt zu werden, bis zur unehrlichen Verleugnung und Boycottirung des frühern Kanzlers und seiner Politik servil und ministeriell wurde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 466 Mein amtliches Verfahren gegen Arnim war von ihm provocirt durch seine Weigerung, amtlichen Instructionen Folge zu leisten. Ich habe die Thatsache, daß er Gelder, die er zur Vertretung unsrer Politik in der französischen Presse erhielt, 6000 bis 7000 Thaler, dazu verwandte, in der deutschen Presse unsre Politik und meine Stellung anzugreifen, in den Gerichtsverhandlungen niemals berühren lassen. Sein Hauptorgan, in welchem er mich und (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 481 [2-170] gegenüber Bundesgenossen finden würden, ließ sich nicht sicher voraussehn; jedenfalls hätte es in der Willkür Rußlands gestanden, die östreichisch-französische Freundschaft durch seinen Zutritt zu einer übermächtigen Coalition auszubilden, wie im siebenjährigen Kriege, oder uns doch unter dem diplomatischen Drucke dieser Möglichkeit in Abhängigkeit zu erhalten. Mit der Herstellung einer katholisirenden Monarchie in Frankreich wäre die Versuchung, gemeinschaftlich mit Oestreich Revanche zu nehmen, erheblich näher getreten. Ich hielt es deshalb dem Interesse Deutschlands und des Friedens widersprechend, die Restauration des Königthums in Frankreich zu fördern, und gerieth in Gegnerschaft zu den Vertretern dieser Idee. Dieser Gegensatz spitzte sich persönlich zu gegenüber dem damaligen französischen Botschafter Gontaut-Biron und unserm damaligen Botschafter in Paris, Grafen Harry Arnim. Der Erstre war im Sinne der Partei thätig, der er von Natur angehörte, der legitimistisch-katholischen; der Letztre aber speculirte auf die legitimistischen Sympathien des Kaisers, um meine Politik zu discreditiren und mein Nachfolger zu werden. Gontaut, ein geschickter und liebenswürdiger Diplomat aus alter Familie, fand bei der Kaiserin Augusta Anknüpfungspunkte einerseits in deren Vorliebe für katholische Elemente in und neben dem Centrum, mit denen die Regirung im Kampfe stand, andrerseits in seiner Eigenschaft als Franzose, die in den Jugenderinnerungen der Kaiserin aus der Zeit ohne Eisenbahnen an deutschen Höfen fast in gleichem Maße wie die Eigenschaft des Engländers zur Empfehlung diente 1). Ihre Majestät hatte französisch sprechende Diener, ihr französischer Vorleser Gérard *) fand Eingang in die Kaiserliche (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 484 [2-171] Familie und Correspondenz. Alles Ausländische mit Ausnahme des Russischen hatte für die Kaiserin dieselbe Anziehungskraft, wie für so viele deutschen Kleinstädter. Bei den alten langsamen Verkehrsmitteln war früher an den deutschen Höfen ein Ausländer, besonders ein Engländer oder Franzose fast immer ein interessanter Besuch, nach dessen Stellung in der Heimath nicht ängstlich gefragt wurde; um ihn hoffähig zu machen, genügte es, daß er „weit her“ und eben kein Landsmann war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 489 Gontauts Thätigkeit im Dienste Frankreichs beschränkte sich nicht auf das Berliner Terrain. Er reiste 1875 nach Petersburg, um dort mit dem Fürsten Gortschakow den Theatercoup einzuleiten, welcher bei dem bevorstehenden Besuche des Kaisers Alexander in Berlin die Welt glauben machen sollte, daß er allein das wehrlose Frankreich vor einem deutschen Ueberfall bewahrt habe, indem er uns mit einem Quos ego! in den Arm gegriffen und zu dem Zweck den Kaiser nach Berlin begleitet habe. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 493 Die Rolle des Friedensengels, sehr geeignet, Gortschakows Selbstgefühl durch den ihm über alles theuern Eindruck in Paris zu befriedigen, war von Gontaut in Berlin vorbereitet worden; es läßt sich annehmen, daß seine Gespräche mit dem Grafen Moltke und mit Radowitz, die später als Beweismittel für unsre kriegerischen Absichten angeführt wurden, von ihm mit Geschick herbeigeführt waren, um vor Europa das Bild eines von uns bedrohten, von Rußland beschützten Frankreich zur Anschauung zu bringen. In Berlin am 10. Mai 1875 angekommen, erließ Gortschakow unter dem Datum dieses Ortes ein zur Mittheilung bestimmtes telegraphisches Circular, welches mit den Worten anfing: „Maintenant, also unter russischem Druck, la paix est assurée,“ als ob das vorher nicht der Fall gewesen wäre. Einer der dadurch avisirten außerdeutschen Monarchen hat mir gelegentlich den Text gezeigt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 495 [2-175] Schaden gereichten. Wenn ihm daran liege, in Paris gerühmt zu werden, so brauchte er deshalb unsre russischen Beziehungen noch nicht zu verderben, ich sei gern bereit, ihm beizustehn und in Berlin Fünffrankenstücke schlagen zu lassen mit der Umschrift: Gortchakoff protège la France; wir könnten auch in der deutschen Botschaft ein Theater herstellen, wo er der französischen Gesellschaft mit derselben Umschrift als Schutzengel im weißen Kleide und mit Flügeln in bengalischem Feuer vorgeführt würde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 498 [2-176] in unserm Verfahren einen Mißbrauch der gewonnenen Stärke erblickt haben, und Jedermanns Hand, einschließlich der centrifugalen Kräfte im Reiche selbst, würde dauernd gegen Deutschland erhoben oder am Degen gewesen sein. Grade der friedliche Charakter der deutschen Politik nach den überraschenden Beweisen der militärischen Kraft der Nation hat wesentlich dazu beigetragen, die fremden Mächte und die innern Gegner früher, als wir erwarteten, wenigstens bis zu einem tolerari posse mit der neudeutschen Kraftentwicklung zu versöhnen und das Reich zum Theil mit Wohlwollen, zum Theil als einstweilen annehmbaren Friedenswächter sich entwickeln und festigen zu sehn. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 598 [2-208] unabhängig sind, nicht ferner als Maßstab für jährliche Zuschläge zu benutzen. Wenn auch die durch Auflegung der Grund- und Häusersteuer einmal begangene Ungerechtigkeit sich nicht ausgleichen ließ, so ist es deshalb doch nicht der Gerechtigkeit entsprechend, sie jährlich durch Zuschläge zu wiederholen. Mein letzter College im Finanzministerium, Scholz, mit dem ich jederzeit in freundlichen Beziehungen gelebt habe, theilte meine Ansicht, hatte jedoch mit den parlamentarischen und ministeriellen Schwierigkeiten der Remedur zu kämpfen; dagegen war die Streitmacht seiner Räthe ohne Zweifel der freiern Bewegung froh, die nach meinem Ausscheiden aus dem Staatsministerium eintrat. Eine Forderung, mit der ich Jahre lang im Finanzministerium keinen Anklang finden konnte, war neben der Selbsteinschätzung die, daß das Einkommen von ausländischen Werthen höher zu besteuern sei als von deutschen, gewissermaßen ein Schutzzoll für deutsche Werthe, und das von selbst flüssige höher als das durch Arbeit jährlich neu zu gewinnende. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 609 [2-212] die Sondirung durch eine Anfrage bei dem Vertreter der zu sondirenden Macht seine Bedenken hat, hatte die russische Diplomatie durch die Vorgänge zwischen dem Kaiser Nicolaus und Seymour erfahren. Die Neigung Gortschakows, telegraphische Anfragen bei uns nicht durch den russischen Vertreter in Berlin, sondern durch den deutschen in Petersburg zu bewirken 1), hat mich genöthigt, unsre Missionen in Petersburg häufiger als an andern Höfen darauf aufmerksam zu machen, daß ihre Aufgabe nicht in der Vertretung der Anliegen des russischen Cabinets bei uns, sondern unsrer Wünsche an Rußland liege. Die Versuchung für einen Diplomaten, seine dienstliche und gesellschaftliche Stellung durch Gefälligkeiten für die Regirung, bei der er beglaubigt ist, zu pflegen, ist groß und wird noch gefährlicher, wenn der fremde Minister unsern Agenten für seine Wünsche bearbeiten und gewinnen kann, ehe dieser alle die Gründe kennt, aus denen für seine Regirung die Erfüllung und selbst die Zumuthung inopportun ist. Außerhalb aller aber, selbst der russischen, Gewohnheiten lag es, wenn der deutsche Militärbevollmächtigte am russischen Hofe uns, und während ich nicht in Berlin war, auf Befehl des russischen Kaisers eine politische Frage von großer Tragweite in dem kategorischen Stile eines Telegramms vorlegte. Ich hatte, so unbequem sie mir auch war, nie eine Aenderung in der alten Gewohnheit erlangen können, daß unsre Militärbevollmächtigten in Petersburg nicht, wie andre, durch das Auswärtige Amt, sondern direct in eigenhändigen Briefen an Se. Majestät berichteten, — einer Gewohnheit, die sich davon herschrieb, daß Friedrich Wilhelm III. dem ersten Militärattaché in Petersburg, dem frühern Commandanten von Kolberg, Lucadou, eine besonders intime Stellung zu dem Kaiser gegeben hatte. Freilich meldete der Militärattaché in solchen Briefen Alles, was der russische Kaiser über Politik in dem gewohnheitsmäßigen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 613 [2-214] werde, ohne sich dessen erwehren zu können, telegraphisch an das kaiserliche Hoflager zu berufen und ihm die Uebernahme von politischen Aufträgen zu untersagen, als eine Leistung, die dem russischen, aber nicht dem deutschen Dienste angehöre. Der Kaiser ging auf meinen Wunsch nicht ein, und da Kaiser Alexander endlich auf Grund unsrer persönlichen Beziehungen die Aussprache meiner eignen Meinung unter Betheiligung der russischen Botschaft in Berlin von mir verlangte, so war es mir nicht länger möglich, der Beantwortung der indiscreten Frage auszuweichen. Ich ersuchte den Botschafter von Schweinitz, der am Ende seines Urlaubs stand, mich vor der Rückkehr nach St. Petersburg in Varzin zu besuchen, um meine Instruction entgegenzunehmen. Vom 11. bis 13. October war Schweinitz mein Gast. Ich beauftragte ihn, sich sobald als möglich über Petersburg an das Hoflager des Kaisers Alexander nach Livadia zu begeben. Der Sinn meiner Instruction für Herrn von Schweinitz war, unser erstes Bedürfniß sei, die Freundschaft zwischen den großen Monarchien zu erhalten, welche der Revolution gegenüber mehr zu verlieren, als im Kampfe unter einander zu gewinnen hätten. Wenn dies zu unserm Schmerze zwischen Rußland und Oestreich nicht möglich sei, so könnten wir zwar ertragen, daß unsre Freunde gegen einander Schlachten verlören oder gewönnen, aber nicht, daß einer von beiden so schwer verwundet und geschädigt werde, daß seine Stellung als unabhängige und in Europa mitredende Großmacht gefährdet würde. Diese unsre Erklärung, welche von uns in zweifelsfreier Deutlichkeit zu erzwingen Gortschakow seinen Herrn bewogen hatte, um ihm den platonischen Charakter unsrer Liebe zu beweisen, hatte zur Folge, daß das russische Gewitter von Ostgalizien sich nach dem Balkan hin verzog, — und daß Rußland anstatt der mit uns abgebrochnen Verhandlungen dergleichen mit Oestreich, so viel ich mich erinnere, zunächst in Pest, im Sinne der Abmachungen von Reichstadt, wo die Kaiser Alexander und Franz Joseph am 8. Juli 1876 zusammengetroffen waren, einleitete unter dem Verlangen, sie vor (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 616 Daß das russische Cabinet in den Abmachungen von Reichstadt den Oestreichern für ihre Neutralität die Erwerbung Bosniens zugestanden hat, läßt annehmen, daß Herr von Oubril uns nicht die Wahrheit sagte, indem er versicherte, es werde sich in dem Balkankriege nur um eine promenade militaire, um Beschäftigung des trop plein des Heeres und um Roßschweife und Georgenkreuze handeln; dafür wäre Bosnien ein zu hoher Preis gewesen. Wahrscheinlich hatte man in Petersburg darauf gerechnet, daß Bulgarien, wenn von der Türkei losgelöst, dauernd in Abhängigkeit von Rußland bleiben werde. Diese Berechnung würde wahrscheinlich auch dann nicht zugetroffen sein, wenn der Friede von San Stefano ungeschmälert zur Ausführung gekommen wäre. Um nicht vor dem eignen Volke für diesen Irrthum verantwortlich zu sein, hat man sich mit Erfolg bemüht, der deutschen Politik, der „Untreue“ des deutschen Freundes die Schuld für den unbefriedigenden Ausgang des Krieges aufzubürden. Es war das eine unehrliche Fiction; wir hatten niemals etwas Andres in Aussicht gestellt als wohlwollende Neutralität, und wie ehrlich wir es damit gemeint haben, ergibt sich schon daraus, daß wir uns durch die von Rußland verlangte Geheimhaltung der Reichstadter Abmachungen vor uns in unserm Vertrauen und Wohlwollen für Rußland nicht irre machen ließen, sondern bereitwillig dem Wunsche, den der Graf Peter Schuwalow mir nach Friedrichsruh überbrachte, entgegen kamen, einen Congreß nach Berlin zu berufen. Der Wunsch (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 624 Irrthümer in der Cabinetspolitik der großen Mächte strafen sich nicht sofort, weder in Petersburg noch in Berlin, aber unschädlich sind sie nie. Die geschichtliche Logik ist noch genauer in ihren Revisionen als unsre Oberrechenkammer. Bei Ausführung der Congreßbeschlüsse erwartete und verlangte Rußland, daß die deutschen Commissarien bei localen Verhandlungen darüber im Orient, bei Divergenzen zwischen russischen und andern Auffassungen, generell der russischen zustimmen sollten 1). Uns konnte in manchen Fragen allerdings die objective Entscheidung ziemlich gleichgültig sein, es kam für uns nur darauf an, die Stipulationen ehrlich auszulegen und unsre Beziehungen auch zu den übrigen Großmächten nicht durch parteiisches Verhalten zu stören in Localfragen, die ein deutsches (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 657 Noch vor dem Congreß berührte Graf Schuwalow die Frage eines russisch-deutschen Schutz- und Trutzbündnisses und stellte sie direct. Ich besprach mit ihm offen die Schwierigkeiten und Aussichten, die die Bündnißfrage und zunächst, wenn der Dreibund der Ostmächte nicht haltbar wäre, die Wahl zwischen Oestreich und Rußland für uns habe. Er sagte unter Anderm in der Discussion: „vous avez le cauchemar des coalitions“, worauf ich erwiderte: „nécessairement“. Als das sicherste Mittel dagegen bezeichnete er ein festes, unerschütterliches Bündniß mit Rußland, weil bei Ausschluß der letztern Macht aus dem Kreise unsrer Coalitionsgegner keine für uns lebensgefährliche Combination möglich sei. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 662 Es wäre überhaupt zu wünschen, daß wir an jedem befreundeten Hofe durch Diplomaten vertreten wären, die ohne der Gesammtpolitik des eignen Vaterlandes vorzugreifen, doch nach Möglichkeit die Beziehungen beider betheiligten Staaten dadurch pflegten, daß sie Verstimmungen und Klatsch nach Möglichkeit verschwiegen, ihr Bedürfniß, witzig zu sein, zügelten und eher die förderliche Seite der Sache hervorhöben. Ich habe die Berichte unsrer Vertreter an deutschen Höfen höhern Orts oft nicht vorgelegt, weil sie mehr die Tendenz hatten, pikant zu sein oder verstimmende Aeußerungen oder Erscheinungen mit Vorliebe zu melden und zu würdigen, als die Beziehungen zwischen beiden Höfen zu bessern und zu pflegen, so lange letztres, wie in Deutschland stets der Fall ist, die Aufgabe unsrer Politik war. Ich habe mich für berechtigt gehalten, aus Petersburg und Paris Dinge, die zu Hause nur zwecklos verstimmen konnten oder sich lediglich zu satirischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 663 [2-227] Darstellungen eigneten, zu verschweigen, und als ich Minister war, dergleichen allerhöchsten Orts nicht vorzulegen. In der Stellung eines Botschafters am Hofe einer Großmacht findet die Verpflichtung zur mechanischen Berichterstattung über alle am Domicil des Botschafters vorkommenden thörichten Reden und Bosheiten nicht Anwendung. Ein Botschafter nicht nur, sondern auch jeder deutsche Diplomat an einem deutschen Hofe, sollte nicht Berichte schreiben, wie sie Budberg, Oubril aus Berlin, Balabin aus Wien nach Hause sandten in der Berechnung, daß sie als witzig mit Interesse und mit selbstgefälliger Heiterkeit gelesen würden, sondern er sollte sich, so lange die Verhältnisse freundlich sind und bleiben sollen, des Hetzens und Klatschens enthalten. Wer nur das Förmliche des Geschäftsganges im Auge hat, wird es allerdings für das Richtigste halten, daß der Gesandte rückhaltlos meldet, was er hört, und es dem Minister überläßt, über was er hinwegsehn und was er betonen will. Ob das aber sachlich zweckmäßig ist, hängt von der Persönlichkeit des Ministers ab. Da ich mich für ebenso einsichtig hielt wie Herrn von Schleinitz und einen tiefern und gewissenhaftern Antheil an dem Schicksal unsres Landes nahm als er, so habe ich mich für berechtigt und verpflichtet gehalten, manches nicht zu seiner Kenntniß zu bringen, was in seinen Händen Verhetzungen und Intrigen am Hofe im Sinne einer Politik dienen konnte, die nicht die des Königs war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 670 [2-230] für das Bedürfniß des Zusammenhaltens im Interesse staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung kein Verständniß haben, sondern sich chauvinistischen Regungen ihrer Unterthanen dienstbar machen, so befürchte ich, daß die internationalen revolutionären und socialen Kämpfe, die auszufechten sein werden, um so gefährlicher und für den Sieg der monarchischen Ordnung schwieriger sich gestalten werden. Ich habe die nächstliegende Assecuranz gegen diese Kämpfe seit 1871 in dem Dreikaiserbunde und in dem Bestreben gesucht, dem monarchischen Prinzipe in Italien eine feste Anlehnung an diesen Bund zu gewähren. Ich war nicht ohne Hoffnung auf einen dauernden Erfolg, als im September 1872 die Zusammenkunft der drei Kaiser in Berlin, demnächst die Besuche meines Kaisers in Petersburg im Mai, des Königs von Italien in Berlin im September, des deutschen Kaisers in Wien im October des folgenden Jahres stattfanden. Die erste Trübung dieser Hoffnung wurde 1875 verursacht durch die Hetzereien des Fürsten Gortschakow 1), der die Lüge verbreitete, daß wir Frankreich, bevor es sich von seinen Wunden erholt hätte, zu überfallen beabsichtigten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 681 [2-234] die Möglichkeit der antideutschen Coalition durch vertragsmäßige Sicherstellung der Beziehungen zu wenigstens einer der Großmächte einzuschränken. Die Wahl konnte nur zwischen Oestreich und Rußland stehn, da die englische Verfassung Bündnisse von gesicherter Dauer nicht zuläßt und die Verbindung mit Italien allein ein hinreichendes Gegengewicht gegen eine Coalition der drei übrigen Großmächte auch dann nicht gewährte, wenn die zukünftige Haltung und Gestaltung Italiens nicht nur von Frankreich, sondern auch von Oestreich unabhängig gedacht wurde. Es blieb, um das Feld der Coalitionsbildung zu verkleinern, nur die bezeichnete Wahl. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 682 Für materiell stärker hielt ich die Verbindung mit Rußland. Sie hatte mir früher auch als sichrer gegolten, weil ich die traditionelle dynastische Freundschaft, die Gemeinsamkeit des monarchischen Erhaltungstriebes und die Abwesenheit aller eingebornen Gegensätze in der Politik für sichrer hielt als die wandelbaren Eindrücke der öffentlichen Meinung in der ungarischen, slavischen und katholischen Bevölkerung der habsburgischen Monarchie. Absolut sicher für die Dauer war keine der beiden Verbindungen, weder das dynastische Band mit Rußland, noch das populäre ungarisch- deutscher Sympathie. Wenn in Ungarn stets die besonnene politische Erwägung den Ausschlag gäbe, so würde diese tapfere und unabhängige Nation sich darüber klar bleiben, daß sie als Insel in dem weiten Meere slavischer Bevölkerungen sich bei ihrer verhältnißmäßig geringen Ziffer nur durch Anlehnung an das deutsche Element in Oestreich und in Deutschland sicher stellen kann. Aber die Kossuthsche Episode und die Unterdrückung der reichstreuen deutschen Elemente in Ungarn selbst und andre Symptome zeigten, daß in kritischen Momenten das Selbstvertrauen des ungarischen Husaren und Advocaten stärker ist als die politische Berechnung und die Selbstbeherrschung. Läßt doch auch in ruhigen Zeiten mancher Magyar sich von den Zigeunern das Lied „Der Deutsche ist ein Hundsfott“ aufspielen! (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 683 [2-235] Zu den Bedenken über die zukünftigen östreichisch-deutschen Beziehungen kam der Mangel an Augenmaß für politische Möglichkeiten, infolge dessen das deutsche Element in Oestreich die Fühlung mit der Dynastie und die Leitung verloren hat, die ihm in der geschichtlichen Entwicklung zugefallen war. Zu Sorgen für die Zukunft eines östreichisch-deutschen Bundes gab ferner die confessionelle Frage Anlaß, die Erinnerung an den Einfluß der Beichtväter der Kaiserlichen Familie, die Möglichkeit der Herstellung französischer Beziehungen auf katholisirender Unterlage, sobald in Frankreich eine entsprechende Wandlung der Form und der Prinzipien der Staatsleitung eingetreten wäre. Wie fern oder wie nahe eine solche in Frankreich liegt, entzieht sich jeder Berechnung. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 687 In dieser Erwägung nöthigte mich der drohende Brief des Kaisers Alexander (1879) zu festem Entschlusse behufs Abwehr und Wahrung unsrer Unabhängigkeit von Rußland. Ein östreichisches Bündniß war ziemlich bei allen Parteien populär, bei den Conservativen aus einer geschichtlichen Tradition, bezüglich deren man zweifelhaft sein kann, ob sie grade von dem Standpunkt einer conservativen Fraction heut zu Tage als folgerichtig gelten könne. Thatsache ist aber, daß die Mehrheit der Conservativen in Preußen die Anlehnung an Oestreich als ihren Tendenzen entsprechend ansieht, auch wenn vorübergehend eine Art von Wettlauf im Liberalismus zwischen den beiden Regirungen stattfand. Der conservative Nimbus des östreichischen Namens überwog bei den meisten Mitgliedern dieser Fraction den Eindruck der theils überwundenen, theils neuen Vorstöße auf dem Gebiete des Liberalismus und der gelegentlichen Neigung zu Annäherungen an die Westmächte und speciell an Frankreich. Noch näher lagen die Erwägungen, welche den Katholiken den Bund mit der vorwiegend katholischen Großmacht als nützlich erscheinen ließen. Der nationalliberalen Partei war ein vertragsmäßig verbrieftes Bündniß des neuen Deutschen Reiches mit Oestreich ein Weg, auf dem man der Lösung der 1848er Cirkelquadratur näher kam, ohne an den Schwierigkeiten zu scheitern, die einer unitarischen Verbindung nicht nur zwischen Oestreich und Preußen- Deutschland, sondern schon innerhalb des östreichisch-ungarischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 689 Auch die Traditionen des Völkerrechts waren von den Zeiten des Römischen Reiches deutscher Nation und des Deutschen Bundes her theoretisch darauf zugeschnitten, daß zwischen dem gesammten Deutschland und der Habsburgischen Monarchie eine staatsrechtliche Verbindung bestand, durch welche diese mitteleuropäischen Ländermassen theoretisch zum gegenseitigen Beistande verpflichtet erschienen. Praktisch allerdings ist ihre politische Zusammengehörigkeit in der Vorgeschichte nur selten zum Ausdruck gekommen; aber man konnte Europa und namentlich Rußland gegenüber mit Recht geltend machen, daß ein dauernder Bund zwischen Oestreich und dem heutigen Deutschen Reiche völkerrechtlich nichts Neues sei. Diese Fragen der Popularität in Deutschland und des Völkerrechts standen jedoch für mich in zweiter Linie und waren zu erwägen als Hülfsmittel für die eventuelle Ausführung. Im Vordergrunde stand die Frage, ob der Durchführung des Gedankens sofort näher zu treten und mit welchem Maße von Entschiedenheit der voraussichtliche Widerstand des Kaisers Wilhelm aus Gründen, die weniger der Politik als dem Gemüthsleben angehörten, zu bekämpfen sein würde. Mir erschienen die Gründe, die in der politischen Situation uns auf ein östreichisches Bündniß hinwiesen, so zwingender Natur, daß ich nach einem solchen auch gegen den Widerstand unsrer öffentlichen Meinung gestrebt haben würde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 696 Eure Majestät haben früher die Gnade gehabt, Allerhöchstihre Zufriedenheit mit den Bestrebungen auszusprechen, welche meinerseits dahin gerichtet waren, dem Deutschen Reiche Frieden und Freundschaft mit den beiden großen Nachbarreichen Oestreich und Rußland gleichmäßig zu erhalten. Im Laufe der letzten drei Jahre ist diese Aufgabe um so schwieriger geworden, je mehr die russische Politik dem Einflusse der theils kriegerischen, theils revolutionären Tendenzen des Panslavismus sich hingegeben hat. Schon im Jahre 1876 wurde uns von Livadia aus wiederholentlich die Forderung gestellt, uns darüber in verbindlicher Form zu erklären, ob das Deutsche Reich in einem Kriege zwischen Rußland und Oestreich neutral bleiben werde. Es gelang nicht, dieser Erklärung auszuweichen, und das russische Kriegswetter zog einstweilen nach dem Balkan ab. Die auch nach dem Congresse noch immer großen Erfolge, welche die russische Politik infolge dieses Krieges gewonnen hat, haben leider die Erregtheit der russischen Politik nicht in dem Maße abgekühlt, wie es für das friedliebende Europa wünschens (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 701 In dieser Lage hat nun Rußland in den letzten Wochen an uns Forderungen gestellt, welche darauf hinausgehn, daß wir definitiv zwischen Rußland und Oestreich optiren sollen, indem wir die deutschen Mitglieder der orientalischen Commissionen anwiesen, in den zweifelhaften Fragen mit Rußland zu stimmen, während in diesen Fragen unsrer Meinung nach die richtige Auslegung der Congreßbeschlüsse auf Seiten der durch Oestreich, England und Frankreich gebildeten Majorität ist, und Deutschland deshalb mit dieser gestimmt hat, so daß Rußland theils mit, theils ohne Italien allein die Minorität bildet. Obschon diese Fragen, wie z. B. die Lage der Brücke bei Silistria, die der Türkei vom Congreß concedirte Militärstraße in Bulgarien, die Verwaltung der Post und Telegraphie und der Grenzstreit über einzelne Dörfer an sich im Vergleich mit dem Frieden großer Reiche sehr unbedeutende sind, so war das russische Verlangen, daß wir in Betreff derselben nicht mehr mit Oestreich, sondern mit Rußland stimmen sollten, nicht einmal, sondern wiederholt von unzweideutigen Drohungen begleitet bezüglich der Folgen, welche unsre Weigerung eventuell für die internationalen Beziehungen beider Länder haben würde. Diese auffällige Thatsache war, da sie mit dem Rücktritt des Grafen Andrassy *) zusammenfiel, geeignet, die Besorgniß zu erwecken, daß (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 704 Ich würde es für eine wesentliche Garantie des europäischen Friedens und der Sicherheit Deutschlands halten, wenn das Deutsche Reich auf eine solche Abmachung mit Oestreich einginge, welche zum Zweck hätte, den Frieden mit Rußland nach wie vor sorgfältig zu pflegen, aber wenn trotzdem eine der beiden Mächte angegriffen würde, einander beizustehn. Im Besitze dieser gegenseitigen Assecuranz könnten beide Reiche sich nach wie vor der erneuten Befestigung des Dreikaiserbundes widmen. Das Deutsche Reich im Bunde mit Oestreich würde der Anlehnung Englands nicht entbehren und bei der friedfertigen Politik der beiden großen Reichskörper den Frieden Europas mit zwei Millionen Streitern verbürgen. Der rein defensive Charakter dieser gegenseitigen Anlehnung der beiden deutschen Mächte aneinander könnte auch für niemand etwas Herausforderndes haben, da dieselbe gegenseitige Assecuranz beider in dem deutschen Bundesverhältniß von 1815 schon 50 Jahre völkerrechtlich bestanden hat. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 711 Wenn ich für meine Pflicht halte, meine Ansicht über die Lage und die Politik des Deutschen Reiches in Ehrfurcht zu Eurer Majestät Kenntniß zu bringen, so wollen Allerhöchstdieselben der Thatsache in Gnaden Rechnung tragen, daß Graf Andrassy und ich uns die Geheimhaltung des vorstehend dargelegten Planes gegenseitig zugesagt haben und bisher nur Ihre Majestäten die beiden Kaiser Kenntniß haben von der Absicht ihrer leitenden Minister, eine Vereinbarung zwischen Allerhöchstdenselben herbeizuführen.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 714 Mit aufrichtigem Bedauern entnahm ich Ihrem Schreiben vom 10. d. M., daß die Wirkung Ihrer Kissinger und Gasteiner Badecur durch anstrengende und aufregende Geschäftsthätigkeit beeinträchtigt wurde. Ihrer ausführlichen Darlegung des gegenwärtigen Standes der Politik bin ich mit dem größten Interesse gefolgt und spreche Ihnen hiefür meinen lebhaften Dank aus. Sollte es zwischen dem Deutschen Reiche und Rußland zu kriegerischen Verwickelungen kommen, so würde mich eine so tief beklagenswerthe Aenderung in den gegenseitigen Beziehungen beider Reiche auf das Schmerzlichste berühren, und noch gebe ich mich der Hoffnung hin, daß es gelingen wird, einer solchen Wendung der Dinge durch eine im friedlichen Sinne sich geltend machende Einwirkung auf Seine Majestät den Kaiser von Rußland vorzubeugen. Unter allen Umständen jedoch dürfen Ihre Bestrebungen für einen engen Anschluß des Deutschen Reichs an Oesterreich- Ungarn meines vollen Beifalles und meiner angelegentlichsten Wünsche für einen glücklichen Erfolg versichert sein. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 730 [2-245] haben. In Wien fand ich eine ähnliche Stimmung in den Straßen, die Begrüßungen der dicht gedrängten Menge waren so zusammenhängend, daß ich, da ich in Civil war, in die unbequeme Nothwendigkeit gerieth, die Fahrt zum Gasthofe so gut wie mit bloßem Kopfe zurückzulegen. Auch während der Tage, die ich in dem Gasthofe zubrachte, konnte ich mich nicht am Fenster zeigen, ohne freundliche Demonstrationen der dort Wartenden oder Vorübergehenden hervorzurufen. Diese Kundgebungen vermehrten sich, nachdem der Kaiser Franz Joseph mir die Ehre erzeigt hatte, mich zu besuchen. Alle diese Erscheinungen waren der unzweideutige Ausdruck des Wunsches der Bevölkerung der Hauptstadt und der durchreisten deutschen Provinzen, eine enge Freundschaft mit dem neuen Deutschen Reiche als Signatur der Zukunft beider Großmächte sich bilden zu sehn. Daß dieselben Sympathien im Deutschen Reiche, im Süden noch mehr als im Norden, bei den Conservativen mehr als bei der Opposition, im katholischen Westen mehr als im evangelischen Osten, der Blutsverwandschaft entgegenkamen, war mir nicht zweifelhaft. Die angeblich confessionellen Kämpfe des dreißigjährigen Krieges, die einfach politischen des siebenjährigen und die diplomatischen Rivalitäten vom Tode Friedrichs des Großen bis 1866 hatten das Gefühl dieser Verwandschaft nicht erstickt, so sehr sonst der Deutsche auch geneigt ist, den Landsmann, wenn ihm Gelegenheit dazu geboten wird, mit mehr Eifer zu bekämpfen als den Ausländer. Es ist möglich, daß der slavische Keil, durch den in Gestalt der Czechen die urdeutsche Bevölkerung der östreichischen Stammlande von den nordwestlichen Landsleuten getrennt ist, die Wirkungen, die nachbarliche Reibungen auf Deutsche gleichen Stammes, aber verschiedener dynastischer Angehörigkeit, auszuüben pflegen, abgeschwächt und das germanische Gefühl der Deutsch-Oestreicher gekräftigt hat, das durch den Schutt, den historische Kämpfe hinterlassen, wohl verdeckt, aber nicht erstickt worden ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 741 Diese pessimistische, aber doch nicht außer dem Bereich der Möglichkeit liegende und durch Vergangenes nicht ungerechtfertigte Vorstellung hatte mich veranlaßt, die Frage anzuregen, ob sich ein organischer Verband zwischen dem Deutschen Reiche und Oestreich- Ungarn empföhle, der nicht wie gewöhnliche Verträge kündbar, sondern der Gesetzgebung beider Reiche einverleibt und nur durch einen neuen Act der Gesetzgebung eines derselben lösbar wäre. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 742 Eine solche Assecuranz hat für den Gedanken etwas Beruhigendes; ob auch im Drange der Ereignisse etwas Sicherstellendes, daran kann man zweifeln, wenn man sich erinnert, daß die theoretisch sehr viel stärker verpflichtende Verfassung des heiligen Römischen Reiches den Zusammenhalt der deutschen Nation niemals hat sichern können, und daß wir nicht im Stande sein würden, für unser Verhältniß zu Oestreich einen Vertragsmodus zu finden, der in sich eine stärkere Bindekraft trüge als die frühern Bundesverträge, nach denen die Schlacht von Königgrätz theoretisch unmöglich war. Die Haltbarkeit aller Verträge zwischen Großstaaten ist eine bedingte, sobald sie „in dem Kampf um's Dasein“ auf die Probe gestellt wird. Keine große Nation wird je zu bewegen sein, ihr Bestehn auf dem Altar der Vertragstreue zu opfern, wenn sie gezwungen ist, zwischen beiden zu wählen. Das ultra posse nemo (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 744 Ein Bündniß unter gesetzlicher Bürgschaft wäre eine Verwirklichung der Verfassungsgedanken gewesen, die in der Paulskirche den gemäßigtsten Mitgliedern, den Vertretern des engern reichsdeutschen und des größern östreichisch-deutschen Bundes vorschwebten; aber grade die vertragsmäßige Sicherstellung solcher gegenseitigen Verpflichtungen ist eine Feindin ihrer Haltbarkeit. Das Beispiel Oestreichs aus der Zeit von 1850 bis 1866 ist mir eine Warnung gewesen, daß die politischen Wechsel, die man auf solche Verhältnisse zu ziehn in Versuchung kommt, über die Grenzen des Credits hinausgehn, den unabhängige Staaten in ihren politischen Operationen einander gewähren können. Ich glaube deshalb, daß das wandelbare Element des politischen Interesses und seiner Gefahren ein unentbehrliches Unterfutter für geschriebene Verträge ist, wenn sie haltbar sein sollen. Für eine ruhige und erhaltende östreichische Politik ist das deutsche Bündniß das nützlichste. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 749 [2-252] einen künstlichen Haß gegen alles Deutsche geschaffen und genährt hat, mit dem die Dynastie rechnen muß, auch wenn der Kaiser die deutsche Freundschaft pflegen will. Doch dürfte die Feindschaft der russischen Massen gegen das Deutschthum kaum schärfer zugespitzt sein, wie die der Czechen in Böhmen und Mähren, der Slowenen in dem frühern deutschen Bundesgebiete und der Polen in Galizien. Kurz, wenn ich in der Wahl zwischen dem russischen und dem östreichischen Bündniß das letztre vorgezogen habe, so bin ich keineswegs blind gewesen gegen die Zweifel, welche die Wahl erschwerten. Ich habe die Pflege nachbarlicher Beziehungen zu Rußland neben unserm defensiven Bunde mit Oestreich nach wie vor für geboten angesehn, denn eine sichre Assecuranz gegen einen Schiffbruch der gewählten Combination ist für Deutschland nicht vorhanden, wohl aber die Möglichkeit, antideutsche Belleitäten in Oestreich-Ungarn in Schach zu halten, so lange die deutsche Politik sich die Brücke, die nach Petersburg führt, nicht abbricht und keinen Riß zwischen Rußland und uns herstellt, der sich nicht überbrücken ließe. So lange ein solcher unheilbarer Riß nicht vorhanden ist, wird es für Wien möglich bleiben, die dem deutschen Bündnisse feindlichen oder fremden Elemente im Zaume zu halten. Wenn aber der Bruch zwischen uns und Rußland, schon die Entfremdung, unheilbar erschiene, würden auch in Wien die Ansprüche wachsen, die man an die Dienste des deutschen Bundesgenossen glauben würde stellen zu können, erstens in Erweiterung des casus foederis, der sich bisher nach dem veröffentlichten Texte doch nur auf die Abwehr eines russischen Angriffes auf Oestreich erstreckt, und zweitens in dem Verlangen, dem bezeichneten casus foederis die Vertretung östreichischer Interessen im Balkan und im Orient zu substituiren, was selbst in unsrer Presse schon mit Erfolg versucht worden ist. Es ist natürlich, daß die Bewohner des Donaubeckens Bedürfnisse und Pläne haben, die sich über die heutigen Grenzen der östreichischungarischen Monarchie hinaus erstrecken; und die deutsche Reichsverfassung zeigt den Weg an, auf dem Oestreich eine Versöhnung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 750 [2-253] der politischen und materiellen Interessen erreichen kann, die zwischen der Ostgrenze des rumänischen Volksstammes und der Bucht von Cattaro vorhanden sind. Aber es ist nicht die Aufgabe des Deutschen Reichs, seine Unterthanen mit Gut und Blut zur Verwirklichung von nachbarlichen Wünschen herzuleihen. Die Erhaltung der östreichisch-ungarischen Monarchie als einer unabhängigen starken Großmacht ist für Deutschland ein Bedürfniß des Gleichgewichts in Europa, für das der Friede des Landes bei eintretender Nothwendigkeit mit gutem Gewissen eingesetzt werden kann. Man sollte sich jedoch in Wien enthalten, über diese Assecuranz hinaus Ansprüche aus dem Bündnisse ableiten zu wollen, für die es nicht geschlossen ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 751 Directe Bedrohung des Friedens zwischen Deutschland und Rußland ist kaum auf anderm Wege möglich, als durch künstliche Verhetzung oder durch den Ehrgeiz russischer oder deutscher Militärs von der Art Skobelews, die den Krieg wünschen, bevor sie zu alt werden, um sich darin auszuzeichnen. Es gehört ein ungewöhnliches Maß von Dummheit und Verlogenheit in der öffentlichen Meinung und in der Presse Rußlands dazu, um zu glauben und zu behaupten, daß die deutsche Politik von aggressiven Tendenzen geleitet worden sei, indem sie das östreichische und dann das italienische Defensivbündniß abschloß. Die Verlogenheit war mehr polnisch-französischen, die Dummheit mehr russischen Ursprungs. Polnisch-französische Gewandheit hat auf dem Felde der russischen Leichtgläubigkeit und Unwissenheit den Sieg über den Mangel solcher Gewandheit davongetragen, in dem je nach den Umständen eine Stärke oder Schwäche der deutschen Politik liegt. In den meisten Fällen ist eine offne und ehrliche Politik erfolgreicher als die Feinspinnerei früherer Zeiten, aber sie bedarf, wenn sie gelingen soll, eines Maßes von persönlichem Vertrauen, das leichter zu verlieren als zu erwerben ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 753 [2-254] ist. Die bei Gestaltung derselben mitwirkenden Factoren sind ebenso mannigfaltig wie die Völkermischung; und zu der ätzenden und gelegentlich sprengenden Wirkung dieser kommt der unberechenbare Einfluß, den je nach dem Steigen oder Fallen der römischen Fluth das confessionelle Element auf die leitenden Persönlichkeiten auszuüben vermag. Nicht blos der Panslavismus und Bulgarien oder Bosnien, sondern auch die serbische, die rumänische, die polnische, die czechische Frage, ja selbst noch heut die italienische im Trentino, in Triest und an der dalmatischen Küste, können zu Krystallisationspunkten für nicht blos östreichische, sondern auch europäische Krisen werden, von denen die deutschen Interessen nur insoweit nachweislich berührt werden, als das Deutsche Reich mit Oestreich in ein solidarisches Haftverhältniß tritt. In Böhmen ist die Spaltung zwischen Deutschen und Czechen stellenweis schon so weit in die Armee eingedrungen, daß die Offiziere beider Nationalitäten in einigen Regimentern nicht mit einander verkehren und getrennt essen. Für Deutschland unmittelbar existirt die Gefahr, in schwere und gefährliche Kämpfe verwickelt zu werden, mehr auf seiner Westseite infolge der angriffslustigen, auf Eroberung gerichteten Neigungen des französischen Volks, die von den Monarchen seit den Zeiten Kaiser Karls V. im Interesse ihrer Herrschsucht im Innern sowohl wie nach Außen groß gezogen worden sind. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 755 [2-255] der Monarchie in Frankreich würde die durch die italienische Rivalität nicht mehr abgeschwächte gegenseitige Anziehung der beiden katholischen Großmächte unternehmende Politiker in Versuchung führen können, mit der Wiederbelebung derselben zu experimentiren. In der Beurtheilung Oestreichs ist es auch heut noch ein Irrthum, die Möglichkeit einer feindseligen Politik auszuschließen, wie sie von Thugut, Schwarzenberg, Buol, Bach und Beust getrieben worden ist. Kann sich nicht die Politik für Pflicht gehaltner Undankbarkeit, deren Schwarzenberg sich Rußland gegenüber rühmte, in andrer Richtung wiederholen, die Politik, die uns von 1792 bis 1795, während wir mit Oestreich im Felde standen, Verlegenheit bereitete und im Stiche ließ, um uns gegenüber in den polnischen Händeln stark genug zu bleiben, die bis dicht an den Erfolg bestrebt war, uns einen russischen Krieg auf den Hals zu ziehn, während wir als nominelle Verbündete für das Deutsche Reich gegen Frankreich fochten, die sich auf dem Wiener Congreß bis nahe zum Kriege zwischen Rußland und Preußen geltend machte? Die Anwandlungen, ähnliche Wege einzuschlagen, werden für jetzt durch die persönliche Ehrlichkeit und Treue des Kaisers Franz Joseph niedergehalten, und dieser Monarch ist nicht mehr so jung und ohne Erfahrung, wie zu der Zeit, da er sich von der persönlichen Rancüne des Grafen Buol gegen den Kaiser Nicolaus zum politischen Druck auf Rußland bestimmen ließ, wenig Jahre nach Vilagos; aber seine Garantie ist eine rein persönliche, fällt mit dem Personenwechsel hinweg, und die Elemente, die die Träger einer rivalisirenden Politik zu verschiedenen Epochen gewesen sind, können zu neuem Einflusse gelangen. Die Liebe der galizischen Polen, des ultramontanen Clerus für das Deutsche Reich ist vorübergehender und opportunistischer Natur, ebenso das Uebergewicht der Einsicht in die Nützlichkeit der deutschen Anlehnung über das Gefühl der Geringschätzung, mit dem der vollblütige Magyar auf den Schwaben herabsieht. In Ungarn, in Polen sind französische Sympathien auch heut lebendig, und im Clerus der habsburgischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 759 Wir müssen und können der östreichisch-ungarischen Monarchie das Bündniß ehrlich halten; es entspricht unsern Interessen, den historischen Traditionen Deutschlands und der öffentlichen Meinung unsres Volkes. Die Eindrücke und Kräfte, unter denen die Zukunft der Wiener Politik sich zu gestalten haben wird, sind jedoch complicirter als bei uns, wegen der Mannigfaltigkeit der Nationalitäten, der Divergenz ihrer Bestrebungen, der clericalen Einflüsse und der in den Breiten des Balkan und des Schwarzen Meeres für die Donauländer liegenden Versuchungen. Wir dürfen Oestreich nicht verlassen, aber auch die Möglichkeit, daß wir von der Wiener Politik freiwillig oder unfreiwillig verlassen werden, nicht aus den Augen verlieren. Die Möglichkeiten, die uns in solchen Fällen offen bleiben, muß die Leitung der deutschen Politik, wenn sie ihre Pflicht thun will, sich klar machen und gegenwärtig halten, bevor sie eintreten, und sie dürfen nicht von Vorliebe oder Verstimmung abhängen, sondern nur von objectiver Erwägung der nationalen Interessen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 769 [2-261] Kriegscontribution würde der russische Sieger günstiger stehn als der deutsche, aber doch kaum auf seine Kosten kommen. Der Gedanke an den Erwerb Ostpreußens, der im siebenjährigen Kriege an das Licht trat, wird schwerlich noch Anhänger haben. Wenn Rußland schon den deutschen Bestandtheil der Bevölkerung seiner baltischen Provinzen nicht vertragen mag, so ist nicht anzunehmen, daß seine Politik auf die Verstärkung dieser für gefährlich gehaltenen Minderheit durch einen so kräftigen Zusatz wie den ostpreußischen ausgehn wird. Ebenso wenig erscheint dem russischen Staatsmanne eine Vermehrung der polnischen Unterthanen des Zaren durch Posen und Westpreußen begehrenswerth. Wenn man Deutschland und Rußland isolirt betrachtet, so ist es schwer, auf einer von beiden Seiten einen zwingenden oder auch nur berechtigten Kriegsgrund zu finden. Lediglich zur Befriedigung der Rauflust oder zur Verhütung der Gefahren unbeschäftigter Heere kann man vielleicht in einen Balkankrieg gehn; ein deutsch-russischer aber wiegt zu schwer, um auf der einen oder andern Seite als Mittel nur zur Beschäftigung der Armee und ihrer Offiziere verwendet zu werden. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 781 [2-266] interessirten Mächte. Wie das schwächere Preußen schon während des Krimkrieges Momente hatte, in denen es bei entschlossener Rüstung im Sinne östreichischer Forderungen und über dieselben hinaus den Frieden gebieten und sein Verständniß mit Oestreich über deutsche Fragen fördern konnte, so wird auch Deutschland in zukünftigen orientalischen Händeln, wenn es sich zurückzuhalten weiß, den Vortheil, daß es die in orientalischen Fragen am wenigsten interessirte Macht ist, um so sichrer verwerthen können, je länger es seinen Einsatz zurückhält, auch wenn dieser Vortheil nur in längerem Genusse des Friedens bestände. Oestreich, England, Italien werden einem russischen Vorstoße auf Konstantinopel gegenüber immer früher Stellung zu nehmen haben als die Franzosen, weil die orientalischen Interessen Frankreichs weniger zwingend und mehr im Zusammenhange mit der deutschen Grenzfrage zu denken sind. Frankreich würde in russisch-orientalischen Krisen weder auf eine neue „westmächtliche“ Politik, noch um seiner Freundschaft mit Rußland willen auf eine Bedrohung Englands sich einlassen können, ohne vorgängige Verständigung oder vorgängigen Bruch mit Deutschland. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 782 Dem Vortheile, den der deutschen Politik ihre Freiheit von directen orientalischen Interessen gewährt, steht der Nachtheil der centralen und exponirten Lage des Deutschen Reiches mit seinen ausgedehnten Vertheidigungsfronten nach allen Seiten hin und die Leichtigkeit antideutscher Coalitionen gegenüber. Dabei ist Deutschland vielleicht die einzige große Macht in Europa, die durch keine Ziele, die nur durch siegreiche Kriege zu erreichen wären, in Versuchung geführt wird. Unser Interesse ist, den Frieden zu erhalten, während unsre continentalen Nachbarn ohne Ausnahme Wünsche haben, geheime oder amtlich bekannte, die nur durch Krieg zu erfüllen sind. Dementsprechend müssen wir unsre Politik einrichten, das heißt den Krieg nach Möglichkeit hindern oder einschränken, uns in dem europäischen Kartenspiele die Hinterhand wahren und uns durch keine Ungeduld, keine Gefälligkeit auf Kosten des Landes, keine Eitelkeit oder befreundete Provocation vor der (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 784 Unsre Zurückhaltung kann vernünftiger Weise nicht den Zweck haben, über irgend einen unsrer Nachbarn oder möglichen Gegner mit geschonten Kräften herzufallen, nachdem die andern sich geschwächt hätten. Im Gegentheil sollten wir uns bemühn, die Verstimmungen, die unser Heranwachsen zu einer wirklichen Großmacht hervorgerufen hat, durch den ehrlichen und friedliebenden Gebrauch unsrer Schwerkraft abzuschwächen, um die Welt zu überzeugen, daß eine deutsche Hegemonie in Europa nützlicher und unparteiischer, auch unschädlicher für die Freiheit andrer wirkt als eine französische, russische oder englische. Die Achtung vor den Rechten andrer Staaten, an der namentlich Frankreich in den Zeiten seines Uebergewichts es hat fehlen lassen, und die in England doch nur so weit reicht, als die englischen Interessen nicht berührt werden, wird dem Deutschen Reiche und seiner Politik erleichtert, einerseits durch die Objectivität des deutschen Charakters, andrerseits durch die verdienstlose Thatsache, daß wir eine Vergrößerung unsres unmittelbaren Gebietes nicht brauchen, auch nicht herstellen könnten, ohne die centrifugalen Elemente im eignen Gebiete zu stärken. Mein ideales Ziel, nachdem wir unsre Einheit innerhalb der erreichbaren Grenzen zu Stande gebracht hatten, ist stets gewesen, das Vertrauen nicht nur der mindermächtigen europäischen Staaten, sondern auch der großen Mächte zu erwerben, daß die deutsche Politik, nachdem sie die injuria temporum, die Zersplitterung der Nation, gut gemacht hat, friedliebend und gerecht sein will. Um dieses Vertrauen zu erzeugen, ist vor allen Dingen Ehrlichkeit, Offenheit und Versöhnlichkeit im Falle von Reibungen oder von untoward events nöthig. Ich habe dieses Recept nicht ohne Widerstreben meiner persönlichen Empfindlichkeiten befolgt in Fällen wie Schnäbele (April 1887), Boulanger, Kaufmann (September 1887), Spanien gegenüber in der Carolinen-Frage, den Vereinigten Staaten gegenüber in Samoa, und vermuthe, daß die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 785 [2-268] Gelegenheiten, zur Anschauung zu bringen, daß wir befriedigt und friedliebend sind, auch in Zukunft nicht ausbleiben werden. Ich habe während meiner Amtsführung zu drei Kriegen gerathen, dem dänischen, dem böhmischen und dem französischen, aber mir auch jedesmal vorher klar gemacht, ob der Krieg, wenn er siegreich wäre, einen Kampfpreis bringen würde, werth der Opfer, die jeder Krieg fordert und die heut so viel schwerer sind, als in dem vorigen Jahrhundert. Wenn ich mir hätte sagen müssen, daß wir nach einem dieser Kriege in Verlegenheit sein würden, uns wünschenswerthe Friedensbedingungen auszudenken, so würde ich mich, so lange wir nicht materiell angegriffen waren, schwerlich von der Nothwendigkeit solcher Opfer überzeugt haben. Internationale Streitigkeiten, die nur durch den Volkskrieg erledigt werden können, habe ich niemals aus dem Gesichtspunkte des Göttinger Comments und der Privatmensuren-Ehre aufgefaßt, sondern stets nur in Abwägung ihrer Rückwirkung auf den Anspruch des deutschen Volkes, in Gleichberechtigung mit den andern großen Mächten Europas ein autonomes politisches Leben zu führen, wie es auf der Basis der uns eigenthümlichen nationalen Leistungsfähigkeit möglich ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 796 [2-273] Ich halte auch die Voraussetzung für trügerisch, daß ein ungeschickter Gesetzentwurf des Ministeriums im Landtage sachlich genügend richtig gestellt werden wird. Er kann und wird hoffentlich in der Regel abgelehnt werden; ist aber die Frage, die er betrifft, dringend, so liegt die Gefahr vor, daß auch ministerieller Unsinn glatt durch die parlamentarischen Stadien geht, namentlich wenn es dem Verfasser gelingt, den einen oder andern einflußreichen oder beredten Freund für sein Erzeugniß zu gewinnen. Abgeordnete, die einen Gesetzentwurf von mehr als hundert Paragraphen zu lesen sich die Mühe geben oder mit Verständniß zu lesen vermöchten, sind bei der Ueberzahl studirter Leute aus der Justiz und der Verwaltung wohl vorhanden, aber die Lust und das Pflichtgefühl zur Arbeit haben nur wenige, und diese sind vertheilt unter einander bekämpfende Fractionen und Parteibestrebungen, deren Tendenzen es ihnen erschweren, sachlich zu urtheilen. Die meisten Abgeordneten lesen und prüfen nicht, sondern fragen die für eigne Zwecke arbeitenden und redenden Fractionsführer, wann sie in die Sitzung kommen und wie sie stimmen sollen. Das Alles ist aus der menschlichen Natur erklärlich, und niemand ist darüber zu tadeln, daß er nicht aus seiner Haut hinaus kann; nur darf man sich darüber nicht täuschen, daß es ein bedenklicher Irrthum ist, anzunehmen, daß unsern Gesetzen heut zu Tage die Prüfung und vorbereitende Arbeit zu Theil werde, deren sie bedürfen, oder auch nur die, welche sie vor 1848 genossen. Ein Denkmal seiner Flüchtigkeit hat sich der Reichstag von 1867 in der Verfassung des Norddeutschen Bundes gesetzt, das in die Verfassung des Deutschen Reiches übergegangen ist. Der einem Beschlusse des Frankfurter Bundestages nachgebildete Artikel 68 des Entwurfs zählte fünf Verbrechen auf, die, wenn sie gegen den Bund begangen werden, so bestraft werden sollen, als wenn sie gegen einen einzelnen Bundesstaat begangen wären. Die fünfte Nummer war mit „endlich“ eingeführt. Der wegen seiner Gründlichkeit gerühmte Twesten stellte den Verbesserungsantrag, die drei ersten Nummern (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 798 Jedes Unternehmen gegen die Existenz, die Integrität, die Sicherheit oder die Verfassung des Deutschen Reichs, endlich die Beleidigung des Bundesraths, des Reichstags u. s. w. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 830 König Wilhelm, der mich während der schleswig-holsteinischen Episode einmal vorwurfsvoll fragte: „Sind Sie denn nicht auch ein Deutscher?“ weil ich mich seiner durch häusliche Einflüsse bedingten Neigung, ein neues gegen Preußen stimmendes Großherzogthum in Kiel zu schaffen, widersetzte, derselbe Herr war, wenn er, ohne durch politische Gedanken angekränkelt zu sein, in naturwüchsiger Freiheit seinen Empfindungen folgte, einer der entschlossensten Particularisten unter den deutschen Fürsten, in der Richtung eines patriotischen und conservativ gesinnten preußischen Offiziers aus der Zeit seines (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 858 Diese Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre prinzipielle Begründung in einem überzeugungstreuen Royalismus: aber in der Specialität, wie er vorhanden war, ist er doch nur möglich unter der Wirkung einer gewissen Gegenseitigkeit des Wohlwollens zwischen Herrn und Diener, wie unser Lehnrecht die „Treue“ auf beiden Seiten zur Voraussetzung hatte. Solche Beziehungen, wie ich sie zum Kaiser Wilhelm hatte, sind nicht ausschließlich staatsrechtlicher oder lehnrechtlicher Natur; sie sind persönlich und sie wollen von dem Herrn sowohl wie von dem Diener, wenn sie wirksam sein sollen, erworben sein; sie übertragen sich mehr persönlich, als logisch leicht auf eine Generation, aber ihnen einen dauernden und prinzipiellen Charakter beizulegen, entspricht im heutigen politischen Leben nicht mehr den germanischen, sondern eher den romanischen Anschauungen; der portugiesische porteur du coton ist in die deutschen Begriffe nicht übertragbar. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 868 Mit der heutigen Eröffnung des ersten deutschen Reichstags nach Wiederherstellung eines Deutschen Reiches beginnt die erste (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 890 Es ist Ihnen beschieden gewesen, in Zeit eines Vierteljahres Europa durch Ihre Einsicht, Umsicht und durch Ihren Muth den Frieden theils wiederzugeben, theils zu erhalten, und für Deutschland auf gesetzlichem Wege einem Feinde entgegen zu treten, der für alle Staatlichen Verhältnisse Verderben drohte. Wenn beide Weltgeschichtliche Ereignisse von allen Wohlgesinnten begriffen und Ihnen derselben Anerkennung zu Theil geworden ist, und ich selbst Ihnen diese Anerkennung beweisen konnte für das zuerst genannte Ereigniß des Berliner Congresses, so geziemt es mir nun auch für die Entschiedenheit, mit welcher Sie den Rechtsboden vertheidigt haben, Ihnen diese Anerkennung auch öffentlich darzulegen. Das Gesetz *), welches ich im Sinne habe und welches seine Entstehung einem meinem Herzen und Gemüth schmerzlichen Ereigniß verdankt, soll den deutschen Staaten ihren jetzigen rechtlichen Standpunkt erhalten und sichern, also auch Preußen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 912 Mein lieber Fürst! Wenn sich in dem Deutschen Lande und Volke das warme Verlangen zeigt, Ihnen bei der Feier Ihres 70. Geburtstages zu bethätigen, daß die Erinnerung an Alles, was Sie für die Größe des Vaterlandes gethan haben, in so vielen Dankbaren lebt, so ist es mir ein tiefgefühltes Bedürfniß, Ihnen heute auszusprechen, wie hoch es mich freut, daß ein solcher Zug des Dankes und der Verehrung für Sie durch die Nation geht. Es freut mich das für Sie als eine wahrlich im höchsten Maße verdiente Anerkennung; und es erwärmt mir das Herz, daß solche Gesinnungen sich in so großer Verbreitung kund thun, denn es ziert die Nation in der Gegenwart und es stärkt die Hoffnung auf ihre Zukunft, wenn sie Erkenntniß für das Wahre und Große zeigt und wenn sie ihre hochverdienten Männer feiert und ehrt. An einer solchen Feier Theil zu nehmen, ist mir und meinem Hause eine besondere Freude und wünschen wir Ihnen durch beifolgendes Bild (die Kaiserproclamation in Versailles) auszudrücken, mit welchen Empfindungen dankbarer Erinnerung wir dies thun. Denn dasselbe vergegenwärtigt einen der größten Momente der Geschichte des Hohenzollernhauses, dessen niemals gedacht werden kann, ohne sich zugleich auch Ihrer Verdienste zu erinnern. Sie, mein lieber Fürst, wissen, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 955 Bei seiner Frau Gemalin konnte ich nicht dasselbe Wohlwollen für mich voraussetzen; ihre natürliche und angeborne Sympathie für ihre Heimath hatte sich von Hause aus gekennzeichnet in dem Bestreben, das Gewicht des preußisch-deutschen Einflusses in europäischen Gruppirungen in die Wagschale ihres Vaterlandes, als welches sie England zu betrachten niemals aufgehört hat, hinüberzuschieben und im Bewußtsein der Interessenverschiedenheit der beiden asiatischen Hauptmächte, England und Rußland, bei eintretendem Bruche die deutsche Macht im Sinne Englands verwendet zu sehn. Dieser auf der Verschiedenheit der Nationalität beruhende Dissens hat in der orientalischen Frage, mit Einschluß der Battenbergischen, manche Erörterung zwischen Ihrer Kaiserlichen Hoheit und mir veranlaßt. Ihr Einfluß auf ihren Gemal war zu allen Zeiten groß und wurde stärker mit den Jahren, um zu culminiren in der Zeit, wo er Kaiser war. Aber auch bei ihr bestand die Ueberzeugung, daß meine Beibehaltung bei dem Thronwechsel im Interesse der Dynastie liege. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 966 Auf der andern Seite hatte ich darauf gerechnet, in den gemeinsamen öffentlichen Einrichtungen, namentlich in dem Reichstage, in Finanzen, basirt auf indirecten Steuern und in Monopolen, deren Erträge nur bei dauernd gesichertem Zusammenhange flüssig bleiben, Bindemittel herzustellen, die haltbar genug wären, um centrifugaler Anwandlung einzelner Bundesregirungen Widerstand zu leisten. Die Ueberzeugung, daß ich mich in dieser Rechnung geirrt, daß ich die nationale Gesinnung der Dynastien unterschätzt, die der deutschen Wähler oder doch des Reichstags überschätzt hatte, war Ende der siebziger Jahre in mir noch nicht zum Durchbruch gekommen, mit so viel Uebelwollen ich auch im Reichstage, am Hofe, in der conservativen Partei und deren „Declaranten“ zu kämpfen gehabt hatte. Jetzt habe ich den Dynastien Abbitte zu leisten; ob die Fractionsführer mir ein pater peccavi schuldig sind, darüber wird die Geschichte einmal entscheiden. Ich kann nur das Zeugniß ablegen, daß ich den Fractionen, den arbeitsscheuen Mitgliedern sowohl wie den Strebern, in deren Hand die Führung und das Votum ihrer Gefolgschaften lag, eine schwerere Schuld an der Schädigung unsrer Zukunft beimesse, als sie selbst fühlen. „Get you home, you fragments,“ sagt Coriolan. Nur die Führung des Centrums kann ich nicht eine unfähige nennen, aber sie (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 967 [2-310] ist berechnet auf die Zerstörung des unbequemen Gebildes eines Deutschen Reiches mit evangelischem Kaiserthum und acceptirt in Wahlen und Abstimmungen den Beistand jeder ihr an sich feindlichen, aber zunächst in gleicher Richtung wirkenden Fraction, nicht nur der Polen, Welfen, Franzosen, sondern auch der Freisinnigen. Wie viele der Mitglieder mit Bewußtsein, wie viele in ihrer Beschränktheit für reichsfeindliche Zwecke arbeiten, werden nur die Führer beurtheilen können. Windthorst, politisch latitudinarian, religiös ungläubig, ist durch Zufall und bürokratisches Ungeschick auf die feindliche Seite geschoben worden. Trotz alledem hoffe ich, daß in Kriegszeiten das Nationalgefühl stets zu der Höhe anschwellen wird, um das Lügengewebe zu zerreißen, in dem Fractionsführer, strebsame Redner und Parteiblätter in Friedenszeiten die Massen zu erhalten wissen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)