Wolf, Armin, Verwandtschaft - Erbrecht - Königswahlen. Sieben neue und 26 aktualisierte Beiträge mit 192 Tafeln, Synopsen und Abbildungen und einem Geleitwort v. Henning, Eckart (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 283, 1 und 2). Klostermann, Frankfurt am Main 2013. Erster Halbband XXV, 562 S., Ill., Kart., zweiter Halbband XV, 563-1184 S., Ill., graph. Darst. Besprochen von Gudrun Pischke.
Die beiden Bände enthalten insgesamt 42 Beiträge, dazu ein systematisches Verzeichnis der zahlreichen, den einzelnen Beiträgen beigefügten Tafeln, Synopsen, Landkarten und Abbildungen (mit Nennung des Jahres des ersten Drucks von 1968 bis 2013, S. IX-XV) und ein Schriftenverzeichnis (S. 1167-1182). Letzteres umfasst 218 – von insgesamt 268 – Veröffentlichungen, die zwischen 1955 und 2013 publiziert worden sind. Es ist thematisch nach Arbeits- und Forschungsschwerpunkten geordnet: Gesetzgebung in Europa (A), Goldene Bulle (B), Prinzipien der Thronfolge, Königswähler und Kurfürsten (C), Ständegeschichte (D), Genealogie und Hilfswissenschaften (E), Historische Kartographie, Geschichtsatlanten (F), Ebstorfer Weltkarte (G), Geographie der Odyssee (H) und Lexikonartikel (I). Die Nummerierung der Titel folgt der Chronologie. Dem Themenkreis der beiden vorzustellenden Bände entsprechend sind darin keine Beiträge aus (A) 1961-2001, (D) 1967-1991, (F) 1970-2005, (G) 1955-2012 und (H) 1968-2009 zu finden; die hier abgedruckten aus (B)1968-2006, (C) 1976-2010, (E) 1956-2012 und (I) 1961-2010 sind im Schriftenverzeichnis gekennzeichnet, Monografien hervorgehoben. Mit 70 Veröffentlichungen, beinahe einem Viertel seines Gesamtwerkes, weisen sich die „Prinzipien der Thronfolge, Königswähler und Kurfürsten“ als Wolfs vorrangiger Forschungsschwerpunkt aus. Der erste Halbband enthält 19, der zweite 23 Beiträge: darunter sind zwölf unveränderte Rezensionen, sechs bis zum Erscheinen der beiden Bände 2013 unpublizierte und 22 aktualisierte Beiträge aus der Zeit von 1968 bis 2012 sowie Auszüge aus vier Monographien (1977/2002-2010). Den Überarbeitungen widmete sich der Verfasser mit Beginn seines Ruhestandes im Jahr 2000.
Die Forschungen zu den Königswählern und Kurfürsten haben 1968 mit der Frage, „Warum einige Fürsten Kurfürsten wurden und das Königswahlrecht besaßen, andere aber nicht“ begonnen (S. XI). Eine Frage, auf die Wolf mit seinen Forschungen durch Quellen untermauerte Antworten gibt und so, wie Eckhart Henning im Geleitwort formuliert, „durch die Verbindung der Königswähler und Kurfürsten mit Genealogie und Erbrecht, ..., ... die Lösung eines vermeintlich ‚unlösbaren verfassungsrechtlichen Problems‘“ liefert (S. VI). Wolf widmete sich nicht nur dem Wahlrecht der zu Wählenden, sondern auch dem der Wähler und kommt zu dem Ergebnis, dass aktives und passives Wahlrecht auf königliche Abstammung zurückzuführen sind. Ein Ergebnis, das – in Ergänzung zu den Mannesstämmen, die in genealogischen Standardwerken bislang fast ausschließlich dargestellt sind, – auf akribischer Untersuchung der Tochterstämme beruht. Seinen Forschungen zufolge stammen die späteren Kurfürsten von Töchtern König Rudolfs von Habsburg ab, frühere Königswähler hingegen vom ersten deutschen Königspaar Heinrich I. und Mathilde (S XI). Gemäß Wolf hebt sich im Reich der Gegensatz von Erb- und Wahlrecht auf, weil das Reich ein Wahl-Königreich und zugleich ein Erb-Kurfürstenreich war (S. 149). Wahlberechtigte waren Erbberechtigte, wobei Wahlen zu Entscheidungen über durchaus komplizierte Erbfälle wurden (S. 13, 602). Ausgangspunkt ist die Königswahl 1002; Schwerpunkte sind insbesondere die weiteren „freien“ Wahlen 1198, 1257, 1273, 1292.
Die Beiträge hier umfassen nicht nur die Zeitspanne von 1002 bis ins 18. Jahrhunderts, sondern gehen mit „Staufisch-sizilische Tochterstamme in Europa und die Herrschaft über Italien“, „Prinzipien der Thronfolge in Europa um 1400“, „Reigning Queens in Medieval Europe“ und „Geographie und Jurisprudenz – Historia und Genealogie. Zum ‚Theatrum praetensionum ... in Europa (1712/27)‘“ über das (Deutsche Königs)Reich hinaus. Sein Hinterfragen führte zum Beispiel zur Neudatierung eines Teils der norwegischen Hákonar saga Hákonarsonar, die früh die Siebenzahl der Kurfürsten überliefert, allerdings nicht bereits 1264/1265, sondern zehn bis zwanzig Jahre später (S. 747, 760) und damit nach deren Bezeugung im Reich (1275, S. 751). In der Österreichischen Nationalbibliothek entdeckte Wolf eine 1745 datierte, für das damalige Kaiserpaar angefertigte Handschrift, die auf „16 ungemein farbenfrohen Miniaturen“ – hier in Schwarzweiß wiedergegeben (S. 1130f.) – „die Wahl des römisch-deutschen Königs und künftigen Kaisers in Frankfurt darstellt“ (S. 1125): ein „Comic“ für den Kaiser. Nach einigen Beiträgen zur Goldenen Bulle, dem „Kaiserlichen Rechtbuch“ zur Verhinderung von Doppelkönigtum (wozu es 1410 dennoch kam) und königloser Zeit (S. 981), schließt Wolf mit persönlichen Erinnerungen an Otto Brunner, seinem akademischen Lehrer und Doktorvater, dem Österreicher in Hamburg.
Abgesehen von Königswahl
(thematisiert ist auch Verzicht von Königskandidaten), Königswählern,
Kurfürsten, denen ihre Abstammung durchaus bewusst gewesen sei, und Goldener
Bulle befasst sich Wolf, stets im Zusammenhang mit der Frage nach rechtmäßigem
Königskandidat und rechtmäßigen Königswählern – und dies zum Teil in
Auseinandersetzung mit Historikerkollegen –, in Einzelstudien mit Konrad „von
Öhningen“, Hermann II. von Schwaben, Rudolf von Rheinfelden, Ida von Elsdorf,
Adalbert von Dagsburg, Metz und Moha, Gotfried von Ronsberg, Alfons von
Kastilien, Rudolf von Habsburg und Konrad von Teck sowie den Grafen von
Northeim, den Herzögen von (Nieder)Lotheringen/Brabant, den Landgrafen von
Thüringen, den Babenbergern und den Habsburgern. Auch wenn es gegen seine
Thesen einigen Einspruch gibt, bieten Wolfs Publikationen für weitere
Forschungen eine Fülle von Detailinformationen, für die in den vorliegenden
Bänden das Register vermisst wird, und Quellenhinweisen. (Der Verfasser – wolf@armininge.de – bietet an,
Interessenten bei Mitteilung ihrer E-mail-Adresse seinen privaten
unvollständigen Index zu senden.) Zu Forschungszwecken lässt sich seine
umfangreiche Sammlung an Büchern, Sonderdrucken und Kopien zur Verwandtschaft
mittelalterlicher Fürsten und Dynastien im Institut für Personengeschichte in
Bensheim an der Bergstraße nutzen (S. XIV).
Bovenden Gudrun Pischke