Muhr, Rudolf/Peinhopf, Marlene, Wörterbuch rechtsterminologischer Unterschiede Österreich-Deutschland (= Österreichisches Deutsch Sprache der Gegenwart 16). Lang, Frankfurt am Main 2015. 748 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Darauf, dass der Begriff „Österreichisches Deutsch“ als Eigenname dezidiert groß zu schreiben ist, legt Rudolf Muhr besonderen Wert. Es geht dem als Professor für Linguistik an der Universität Graz wirkenden Germanisten dabei weniger um die Orthographie als vielmehr um die Anerkennung seiner Forschungsleistung, die seit nunmehr zwanzig Jahren – man beachte die zeitliche Korrelation mit dem österreichischen Beitritt zur Europäischen Union (EU) - um das Phänomen der Wahrnehmung jener eigenständigen Spielart der deutschen Standardsprache kreist, die auf dem Gebiet der Republik Österreich verwendet wird. Was Rudolf Muhr zu seinen Forschungen drängte, war die Überheblichkeit, mit der Verbindlichkeit ihrer Normen beanspruchende Nachschlagewerke wie der „Duden“ solche in Österreich übliche standardsprachliche Abweichungen vom bundesdeutschen Sprachgebrauch als minderwertig klassifizierten. Wer also in Österreichs Schulen schriftlich Begriffe einsetzte, die in der mündlichen Standard-Sprachverwendung dort gang und gäbe waren, fiel dem Rotstift des Korrektors anheim. Der Verfasser erkannte, dass auf diese Weise ein Prozess der Uniformierung der deutschen Sprache nach dem bundesdeutschen Standard gefördert wird, der zugleich mit einer sozialen Herabstufung österreichisch-nationaler Eigenheiten gekoppelt ist. Um sich dieser Entwicklung zu widersetzen, gründete er an der Universität Graz nicht nur eine akademische „Forschungsstelle Österreichisches Deutsch“, sondern sorgte mit der medienwirksamen, ab 1999 in Österreich separat installierten und periodisch wiederkehrenden Wahl des österreichischen Wortes und Unwortes des Jahres gleichzeitig für die breitere öffentliche Wahrnehmung seiner Anliegen. Noch heute wird Rudolf Muhr dafür gelegentlich von wenig wohlmeinenden Kritikern vorgeworfen, er verfolge das Ziel einer Abkoppelung des Österreichischen Deutsch vom Deutschen und dessen Etablierung als eigene Sprache, was natürlich nicht den Tatsachen entspricht. Um festzustellen, dass sich die Standardvarianten des bundesdeutschen Deutsch und des Österreichischen Deutsch in vielem erheblich unterscheiden, bedarf es keiner linguistischen Vorbildung; man verfolge zu diesem Zweck einfach nur die Fernsehprogramme beider Länder.

 

Während es also beim Österreichischen Deutsch allgemein im Kern um Wertfragen geht, verlangt das sprachliche Segment der Rechtsterminologie nach strikter Exaktheit aus pragmatischen Gründen. Wer mit einem Rechtsbegriff konfrontiert ist, muss dessen Verhältnis zu jenem Teil der Lebensrealität, den er zu fassen sucht, genau kennen, um die inhärenten möglichen Rechtsfolgen einschätzen zu können. Mit der zwingenden Konvergenz der Rechtssysteme in den Staaten der EU sind somit Werke unverzichtbar, die die in den verschiedenen Staaten der EU gebräuchlichen Rechtsterminologien komparativ erfassen und korrekte Übersetzungen gewährleisten. Neben Gleichsetzungen sind dabei auch Termini zu ermitteln, die sich einer solchen entziehen und als eben nur in bestimmten Ländern existierende Rechtsbegriffe mit ganz spezifischer Bedeutung beschrieben werden müssen. Deutsch ist übrigens nicht die einzige plurizentrische Amtssprache der EU; auch Englisch, Französisch, Griechisch, Niederländisch, Portugiesisch, Schwedisch und Spanisch repräsentieren – weil in mehr als nur einem Land gesprochen – jeweils auch mehrere Rechtssysteme.

 

Somit ist es eigentlich erstaunlich, dass erst jetzt, nach bald einundzwanzigjähriger Mitgliedschaft Österreichs in der EU, ein rechtsterminologisch vergleichendes Wörterbuch für Österreich und Deutschland erscheint. Denn selbst, wenn man die wissenschaftliche Auseinandersetzung um das Österreichische Deutsch ignoriert, ergibt sich ein entsprechender Bedarf schon aus der Unterschiedlichkeit der in den beiden Staaten geltenden Rechtsnormen. Ebenso ist offensichtlich, dass Rudolf Muhr als Nichtjurist für die Erstellung seines Wörterbuchs der rechtswissenschaftlichen Expertise bedurfte, die von Ko-Autorin Marlene Peinhopf, die am Institut für Römisches Recht der Universität Graz lehrt, eingebracht wird. Dabei räumen die beiden von vornherein Einschränkungen ein: Insgesamt 7.960 österreichische, deutsche, englische und französische Rechtsbegriffe erfasse ihr Nachschlagewerk, wobei das Schwergewicht auf der Dokumentation der österreichischen Rechtsbegriffe liege. Über 2000 spezifisch bundesdeutsche Termini ohne österreichische Entsprechung blieben daher unberücksichtigt. Die finanziellen und personellen Ressourcen hätten eine Ausweitung nicht gestattet.

 

Die Aufbaustruktur dieses Wörterbuchs ist systematisch und denkbar unkompliziert. Dem Abkürzungsverzeichnis und einer Erläuterung der Einträge anhand eines konkreten Beispiels folgt das umfangreiche Wörterverzeichnis der rechtsterminologischen Unterschiede Österreich – Deutschland, ausgehend von den österreichischen Bezeichnungen in alphabetischer Reihenfolge (S. 11 – 692). Zu jedem dieser Begriffe sind nach Maßgabe der Möglichkeiten folgende Informationen bereitgestellt: ihr Vorkommensbereich (Gesetz, Fachliteratur, allgemein), Zuverlässigkeit (Gesetz = sehr zuverlässig, sonst zuverlässig), Status (Haupt- oder Nebenbegriff), die Wortklasse, weitere grammatische Angaben, die vierstellige EUROVOC-Nummer zur Identifikation des Sachbereichs, Name des Sach- bzw. Rechtsbereichs, weitere entsprechende Begriffe, die englische und die französische Entsprechung, die Begriffsquelle, die Definition (Legaldefinition oder Herleitung), die Quelle der Definition, zusätzliche Angaben und die semantische Relation zwischen dem österreichischen und dem deutschen Begriff (Synonym, Teilsynonym, Falscher Freund = völlig andere Bedeutung desselben Begriffs je nach Rechtssystem, funktionale oder fehlende Äquivalenz, Unterschiede in der Wortform). Anschließend folgt die analoge Klassifikation der (bundes)deutschen Entsprechung. Zusätzlich stellt der Band zwei weitere Hilfsmittel bereit: eine alphabetische Entsprechungsliste, ausgehend von den deutschen Rechtsbegriffen (S. 693 – 735), und eine Liste österreichischer Rechtstermini ohne deutsche Entsprechung (S. 736 – 748).

 

Da das Werk keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, ist es schwierig, Aussagen darüber zu treffen, mit welchen Leerstellen der Nutzer letztendlich zu rechnen hat. Es ist auch überraschend zu lesen, dass das deutsche Recht für zahlreiche zentrale österreichische Rechtsbegriffe, wie beispielsweise „Erbrechtsklage“, „gefährlicher Rückfalltäter“, „mündiger Minderjähriger“ oder „grobe Fahrlässigkeit“, sachlich über keine begrifflichen Äquivalente verfügen soll. Bei der Vielzahl der Eintragungen ist es nicht möglich, im Rahmen einer Besprechung alle Angaben im Einzelnen auf sachliche Richtigkeit zu prüfen; dazu bedarf es kumulierten Spezialwissens, das erst im Zuge einer breiten, differenzierten Nutzung des Wörterbuchs abgerufen werden wird. Obwohl somit in dieser Rezension hinsichtlich der inhaltlichen Verlässlichkeit der vorliegenden Arbeit noch kein endgültiges Urteil ergehen kann, darf prognostiziert werden, dass sie vor allem jenen, deren juristische Tätigkeit sowohl das deutsche als auch das österreichische Rechtssystem tangiert, in der Praxis zum nützlichen und leicht greifbaren Werkzeug werden wird. Zweiflern wird so die Existenz eines Österreichischen Deutsch einmal mehr anhand eines sprachlichen Feldes von essentieller Bedeutung dargelegt.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic