Wittmann, Piotr, „Der da sein Practic auß Teutschen Tractaten will lernen“. Rechtspraktiker in deutschsprachiger Praktikerliteratur des 16. Jahrhunderts (= Rechtshistorische Reihe 458). Lang, Frankfurt am Main 2015. 302 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das gelehrte Recht ist bekanntlich in das Heilige römische Reich vor allem auf dem Wege über die universitäre Lehre gelangt. An ihr hatten zunächst aber nur einzelne Studenten Teil. Von daher war für Rechtspraktiker ein davon abweichender, grundsätzlich als weniger wertvoll angesehener Zugang erforderlich, für den an der Wende vom Spätmittelalter zur Frühneuzeit zum Ausgleich mangelnder Kenntnisse des Lateinischen eine deutschsprachige Praktikerliteratur entstand, die bisher zu wenig das Interesse der rechtshistorischen Literatur gefunden hat, weshalb die vorliegende Untersuchung ungeteilte Aufmerksamkeit verdient.

 

Sie ist eine in Teilen überarbeitete Fassung der von Eva Schumann angeregten und betreuten, im Wintersemester 2012/2013 bei der juristischen Fakultät der Universität Göttingen eingereichten, durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Graduiertenkollegs 1507 „Expertenkulturen des 12. bis 18. Jahrhunderts“ und die FAZIT-Stiftung mit Stipendien geförderten Dissertation des zeitweise am Lehrstuhl tätigen Autors. Sie gliedert sich in drei Teile. Sie betreffen den Untersuchungsgegenstand als einen bisher blinden Fleck, den Forschungsgegenstand und die Quellenauswahl sowie die Rechtspraktiker an den Gerichten der weltlichen Gerichtsbarkeit.

 

Aus der Praktikerliteratur ausgewählt sind dabei Conrad Heydens Klagspiegel von etwa 1470, Ulrich Tenglers Laienspiegel (1509), Georg von Rotschitz‘ Processus Juris (1529), Justin Goblers Gerichtlicher Process (1536), Kilian Königs Processus und Practica der gerichtsleuffte (1541), Andreas Perneders Gerichtlicher Process (1544), Heinrich Knausts Fewerzeugk Gerichtlicher Ordnunge Process und Läuffe (1558), Joos de Damhouders Practica Gerichtlicher Handlunge(n) in Bürgerliche Sachen (1575). Auf ihrer Grundlage erörtert der Verfasser die Gerichtsverfassung einschließlich der Bezeichnungen und Funktionen von Richtern und Rechtsbeiständen, universelle persönliche Anforderungen an sie, die römisch-kanonischen Rechtskenntnisse von Rechtspraktikern einschließlich des in der Praktikerliteratur vermittelten Rechtswissens über Ladung, Litis contestatio, Beweislehre und Urteil sowie am Ende die Amtsethik der Richter und Rechtsbeistände, Im Ergebnis seines Beitrags „zur Geschichte der Rechtspflege, der das Dunkel um Rechtspraktiker in Ämtern der weltlichen Rechtspraxis sowie die Relation zwischen universitärem Rechtswissen und der weltlichen Rechtspflege im 16. Jahrhundert ein Stückweit erhellt hat“, gelangt der Verfasser zu der Erkenntnis, dass in seinem Untersuchungszeitraum eine gewisse Professionalisierung innerhalb der Rechtspflege stattfand, wobei jedoch die Rechtspraxis des 16. Jahrhunderts nicht als durchgängig professionalisiert charakterisiert werden kann.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler