Wieser, Eberhard, Deutsche Geschichte des Mittelalters. Gardez! Verlag, Remscheid 2015. 245 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der in Ludwigshafen 1935 geborene, nach dem Studium der Rechtswissenschaft in München, Bonn, Würzburg und Wien in Würzburg 1965 mit einer Dissertation über das rechtliche Interesse des Nebenintervenienten promovierte und 1970 mit einer Schrift über das Rechtsschutzinteresse des Klägers habilitierte Verfasser hat sich nach seiner umgehenden Berufung nach Gießen um seine rechtswissenschaftlichen Fächer in vielfältiger anregender Weise sehr verdient gemacht. Nach seiner 2003 erfolgten Emeritierung hat er sich der allgemeinen Geschichte zugewandt. Dementsprechend legte er im Jahre 2006 Reisen in die Vergangenheit – Schiffenberg, Münzenberg, Arnsburg und die Zeit vom Investiturstreit bis zum ersten Weltkrieg, 2011 eine römische Geschichte und 2013 eine Geschichte des Frankenreichs vor, an die sich der vorliegende Band zeitlich folgerichtig anschließt.
Nach der kurzen Vorbemerkung deckt sich diese deutsche Geschichte des Mittelalters teilweise mit den (19) Reisen in die Vergangenheit, von denen zehn das Mittelalter behandeln, doch sind die von dort übernommenen Texte anders geordnet und auf mehr als den doppelten Umfang erweitert. Gegliedert ist die neue Sicht in insgesamt sechs Teile über Deutschland, (34) Könige von dem spätkarolingischen Arnulf von Kärnten (887-899) bis zu dem habsburgischen Friedrich III. (1440-1493), (12) Lebensverhältnisse (von Bevölkerung und Siedlung bis zu Religion, Kirche Sekten), (4) Orte (Schiffenberg, Münzenberg, Arnsburg, Würzburg), 24 Fürstentümer (von Lothringen bis Schlesien) und (9) Nachbarn von England und Frankreich bis zum Osmanischen Reich (der Dynastie der vielleicht turkmenischen Osmanen). Auf diese Weise werden unter dem Gesichtspunkt des Deutschen vielfältige Gegenstände des späten Frühmittelalters, Hochmittelalters und Spätmittelalters zu einer neuartigen, persönlich aus umfangreicher Literatur erarbeiteten, durch eine Aufnahme des Autors von der Reiterfigur im Bamberger Dom aus dem 13. Jahrhundert veranschaulichten, mit Hilfe vieler einfacher graphischer Übersichten dem Verständnis des Lesers näher gebrachten Einheit zusammengestellt.
Grundlage hierfür sind nicht in erster Linie die aus dieser Zeit überlieferten Geschichtsquellen selbst, sondern mehr als 60 wissenschaftliche Standardwerke der Gegenwart von Gerd Althoffs Biographie Heinrichs IV. über Bruno Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte (10. Auflage 2001ff.) und das Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (1971ff.) bis zu Walter Zöllners Geschichte der Kreuzzüge. Aus ihnen ermittelt der Verfasser (nach seinem überzeugenden Bewertungsmotto kurz und gut) sorgfältig und klar das ihm wesentliche Wissen etwa über Burg, Stadt, Gesellschaft, Familie, Alltag, Wirtschaft, Verfassung, Rechtsbildung, Rechtspflege, Fehde und private Buße, öffentliche Strafen und Strafverfolgung, Krieg und vieles andere mehr. Besonders einbezogen werden dabei Hrotsvith von Gandersheim, das Annolied, Walther von der Vogelweide, das Nibelungenlied, (Meier) Helmbrecht, die Canterbury Tales, la divina comedia oder il decamerone, so dass insgesamt ein spannendes, den Interessierten durchaus begeisterndes, zahlreiche bzw. tatsächliche Einzelheiten (wie etwa die Charakterisierung des wie der Verfasser an einem 23. Februar [1458] geborenen Matthias Corvinus als „intelligent, gebildet, energisch und eigensinnig“) sachkundig und verständlich vermittelndes, auch vor dramatischen Einzelheiten und sprachlich unmittelbarem Zugriff auf die bloße Wirklichkeit nicht zurückscheuendes, ein Sachregister verdienendes Gesamtbild der Deutschen im mittelalterlichen Europa entsteht, dem möglichst viele interessierte Leser zu wünschen sind.
Innsbruck Gerhard Köbler