Thomsch, Astrid, David Mevius und der (Prozess-)Vergleich im Usus modernus pandectarum. Eine Analyse von Gerichtsordnung, Decisionen und Akten (= Schriftenreihe der David-Mevius-Gesellschaft 8). Kovač, Hamburg 2014. XII, 469 S. Besprochen von Gunter Wesener.

 

David Mevius (1609 – 1670), ein bedeutender norddeutscher Vertreter des Usus modernus pandectarum, Professor in Greifswald, Syndicus in Stralsund, Vizepräsident des Wismarer Tribunals, hat in der jüngeren Forschung verstärkte Beachtung gefunden: etwa N. Jörn (Hrsg), David Mevius (1609-1670). Leben und Werk eines pommerschen Juristen von europäischem Rang, Hamburg 2007; H.-G. Knothe, David Mevius (1609-1670): Ein herausragender Jurist des Usus modernus pandectarum, in: ZEuP 18, 2010, S. 536ff.; N. Wurch, David Mevius und das lübische Recht, Köln 2015. Das Gleiche gilt für das Wismarer Tribunal: etwa N. Jörn, B. Diestelkamp, K. A. Modéer (Hrsg.), Integration durch Recht. Das Wismarer Tribunal (1653-1806), Köln 2003; N. Jörn, Das Wismarer Tribunal in seinen Beziehungen zu Reichskammergericht und Reichshofrat, in: Höchstgerichte in Europa. Bausteine frühneuzeitlicher Rechtsordnungen, hrsg. von L. Auer, W. Ogris u. E. Ortlieb, Köln-Weimar-Wien 2007, S. 81ff.; P. Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren, Köln-Weimar-Wien 2015, S. 182ff.

 

Astrid Thomsch untersucht in ihrer von Peter Oestmann betreuten Dissertation ein Rechtsinstitut, den Vergleich, insbesondere den Prozessvergleich, aufgrund von Gerichtsordnung und Akten des Wismarer Tribunals sowie von Decisionen Davis Mevius‘. Dieser war Mitbegründer und langjähriger Vizepräsident (1653 – 1670) des Gerichtshofs in Wismar (Wismarer Tribunal), der als Höchstinstanz zuständig war für die im Frieden von Osnabrück (1648) schwedisch gewordenen Reichsterritorien.

 

Die Arbeit gliedert sich in fünf Abschnitte. Im Abschnitt A („Einführung“, S. 1-31) wird zunächst auf Forschungsstand und Quellenlage eingegangen. Drei Hauptquellen werden hervorgehoben, die Wismarer Tribunalsordnung aus dem Jahre 1656/1657, eine von Mevius und Johann Oxenstierna überarbeitete Version der Tribunalsordnung von 1653, ferner die von Mevius verfasste Decisionensammlung und schließlich der seit kurzem zugängliche Bestand der Akten des Tribunals (in den Archiven in Wismar, Greifswald und Stade). In der Themenabgrenzung „Vergleich und Schiedsgericht“ wird auf Geschichte und Terminologie dieser beiden Institute eingegangen. Eine wichtige Wurzel des Vergleichs ist in der gütlichen Einigung, der amicabilis compositio des kanonischen Rechts, zu sehen. Der Schiedsspruch des mittelalterlichen Rechts beruhte auf dem arbitrium, der Entscheidung des arbiter nach römischem Recht, und war einem Rechtsmittel nicht zugänglich. Hingegen konnte das arbitramentum oder laudum, die Entscheidung eines arbitrator, der Überprüfung durch einen bonus vir unterzogen werden.

 

Abschnitt B (S. 33-88) behandelt den Vergleich in der Tribunalsordnung. Hingewiesen wird auf die Parallelen der Tribunalsordnung 1656/1657 zum Jüngsten Reichsabschied von 1654, an dem sich Mevius orientierte (Verfasserin S. 56). Das Verfahren mit gütlicher Einigung konnte mit „Vorbescheid“ (S. 34ff., zu Deutungsmöglichkeiten S. 44ff., s. auch Abschnitt D) enden oder es kam zum Vergleichsschluss vor einer Kommission (S. 61ff.).

 

Der umfangreiche Abschnitt C (S. 89-327), ein Kernstück der Arbeit, befasst sich mit den Decisionen, einer von Mevius verfassten Sammlung der Tribunalsentscheidungen aus den Jahren 1653-1670. Erörtert werden rechtliche Anforderungen an den Vergleich und Verfahrensfragen aus den ersten Jahren des Tribunals. Die Decisionen sind nicht nur für die Arbeitsweise des Tribunals von Bedeutung, sondern geben auch Zeugnis von damaligen Rechtsauffassungen in verschiedenen Bereichen und für die Bedeutung von Mevius für die Ausbildung privatrechtlicher Dogmatik im Rahmen des Usus modernus (S. 89). Behandelt werden Geschäftsfähigkeit und Prozessfähigkeit von Frauen (S. 128ff.), insbesondere im lübischen Recht und nach Entscheidungen des Wismarer Tribunals, ferner Rechtsfolgen des wirksamen Vergleichs und Aufhebungsmöglichkeiten. Eine wichtige Rolle dürfte die Aufhebung wegen einer laesio enormis des abgeschlossenen Vergleichs gespielt haben (S. 272ff.). Die Frage der Anwendbarkeit dieses Rechtsinstituts auf den Vergleich war heftig umstritten. Erörtert werden weiters Schiedsurteile in den Decisionen (S. 320 ff.).

 

Von besonderem Interesse sind die Ausführungen zur Frage, wie Mevius das Verhältnis von Partikularrecht und Ius commune gesehen habe (S. 321ff.). Grundsätzlich anerkennt Mevius die bloß subsidiäre Geltung des römisch-gemeinen Rechts, orientiert sich aber doch vielfach, gerade auch beim Vergleich, an diesem (S. 322f. Zur Anerkennung des beneficium excussionis nach lübischem Recht vgl. N. Wurch, David Mevius und das lübische Recht, s. o., S. 93 ff.).

 

Im Abschnitt D („Der Weg zur gütlichen Einigung in den Gerichtsakten des Tribunals“, S. 329-423) werden die theoretisch-dogmatischen Erkenntnisse durch Untersuchung von Akten des Tribunals ergänzt. Aufschlussreich sind die Akten etwa für die Frage der Rechtsnatur des „Vorbescheids“ (s. Abschnitt B). Danach war der Vorbescheid ein Gütetermin, der mehrfach stattfinden konnte und einer gütlichen Beilegung der Streitigkeit dienen sollte (S. 348f.); weitere Beweiserhebungen konnten stattfinden. Das Vorbescheidverfahren am Wismarer Tribunal war dem sächsischen Vorbescheidverfahren sehr ähnlich. Es diente jedenfalls einer Prozessbeschleunigung (S. 352).

 

In einer zusammenfassenden Betrachtung (Abschnitt E, S. 425-430) wird vor allem der Einfluss Mevius‘ auf die verschiedenen Wege einer gütlichen Einigung aufgezeigt. Während Mevius in seinen Decisionen vor allem den Vergleich stärkte, tritt das Schiedsverfahren in den Hintergrund.

 

Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 433-465) sowie drei Graphiken beschließen die Untersuchung, welche wichtige Einblicke in die Arbeitsweise des Wismarer Tribunals gibt und die entscheidende Rolle von David Mevius in den beiden ersten Jahrzehnten des Bestehens dieses Gerichtshofes aufzeigt.

 

Graz                                                               Gunter Wesener