Sprache, Literatur, Raum – Festgabe für Willy Diercks, hg. v. Langhanke, Robert. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2015. 743 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wie alles von der Dimension Zeit Erfasste, hat nicht nur jeder Mensch eine eigene Geschichte, sondern auch jede Sprache und die in ihrem Raum verfasste Literatur, ohne dass in den meisten Fällen ihr Anfang sich genau festlegen oder sich ihr Ende zuverlässig absehen lässt. Mit derartigen Fragen hat sich der am 15. Januar 1945 geborene Willy Diercks seit seiner Kieler Dissertation des Jahres 1977 über empirische Untersuchungen zur Stilkompetenz von Grundschulkindern immer wieder befasst. Zunächst als Geschäftsführer des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes tätig, nahm er im Ruhestand eine Honorarprofessur für niederdeutsche Philologie an der Abteilung für niederdeutsche Sprache und Literatur an dem Seminar für Germanistik der Europa-Universität Flensburg an und hielt am 12. Mai 2010 dort seine Antrittsvorlesung.

 

In Anerkennung seiner gesamten Lebensleistung legt der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar tätige Herausgeber zum 70. Geburtstag des Gelehrten eine umfangreiche Festgabe vor, die insgesamt 31 Beiträge von Autorinnen und Autoren aus Flensburg (13), Schleswig, Rostock, Hamburg, Düsseldorf, Bielefeld, Kiel, Bremen, Cuxhaven, Luxemburg und Birmingham zu einem bunten Geburtstagsstrauß zusammenfasst. Gegliedert ist sie in einen allgemeineren Teil über Sprachen und Literaturen in Räumen und einen besonderen Teil über niederdeutsche Sprache und Literatur. In dem allgemeineren Teil werden  Sprachräume und Literaturregionen (z. B. Zur Entstehung neuer Regionalsprachen aus kollektiver Zweisprachigkeit), Denkräume und Spracheinstellungen (z. B. Sprachbiographische Konzeptionen Hamburger Dialektsprecher zum frühen Spracherwerb) angesprochen, doch werden auch Fragen der friesischen Sprache und Literatur aufgegriffen (z. B. Altfriesich allerwitweikes).

 

Hinsichtlich des Niederdeutschen bildet die Mündlichkeit den Ausgangspunkt, von dem aus etwa der wechselvollen Geschichte von et und dat im Rahmen des dialektalen Wandels in Schleswig-Holstein verfolgt oder ein Tag mit Plattdeutsch beschrieben wird. Dem folgt die niederdeutsche Schriftlichkeit, für die das Jahrhundert der Reformation besonders bedeutsam ist und nach dem daran anschließenden Niedergang die Wiedersichtbarmachung im 19. Jahrhundert im Mittelpunkt steht. Den vielfältigen Band, der auch ein Sachregister verdient hätte, beschließen  eine Problemanzeige zu Forschungen über Niederdeutsch im Nationalsozialismus und unter dem Titel Identitätsprojekt Niederdeutsch ein Beitrag über die Definition von Sprache als Politikum, an dessen Ende der Verfasser feststellen muss, dass mit diesem Projekt der Geltungsbereich des Dialekts nicht gewachsen ist, sondern wohl nicht zuletzt unter dem Druck der führenden Medien der selbverständliche Gebrauch der Mundart im Alltag abgenommen hat.

 

Innsbruck                                                                  Gerhard Köbler