Schyga, Peter, Über die Volksgemeinschaft der Deutschen. Begriff und historische Wirklichkeit jenseits historiografischer Gegenwartsmoden. Nomos, Baden-Baden 2015. 197 S. Besprochen von Werner Schubert.
In dem Werk Schygas geht es „weniger um eine kritische Beurteilung konkreter empirischer Forschungen“ als vielmehr um eine „Annäherung an die Genese, die Formveränderung und den Wirklichkeitsbezug der Vorstellung und Realität einer deutschen Volksgemeinschaft“ (S. 22). Im Mittelpunkt stehen die Begriffe „Gewalt, Herrschaft, Arbeit, Ideologie und politische Religion“ (S. 52). Im ersten Kapitel behandelt Schyga die „lange Vorgeschichte der NS-Volksgemeinschaft“ unter der Überschrift „Volksgemeinschaftherstellung“ (S. 31ff.). Im Abschnitt über die „SPD und die Volksgemeinschaft in Weimar“ (S. 52ff.) stellt Schyga fest, dass den Sozialdemokraten die „negativen, gesellschaftszerstörenden Potentiale und Dimensionen der Vorstellungen hinter diesem Begriff“ nicht klar gewesen seien (S. 54). Dies habe sich „verheerend“ ausgewirkt, „weil die Gegner und Feinde der republikanischen Gesellschaft von Weimar sehr genau um die Attraktivität einer Volksgemeinschaftsvorstellung unter den Klassen und Schichten wussten, die nie ihren Frieden mit der Republik gemacht hatten“ (S. 56). Wie weit dies auch für das Zentrum und die Deutsche Demokratische Partei zutrifft, wird nicht näher erörtert. Es folgen Abschnitte über den Nationalsozialismus bis 1933, und zwar insbesondere im Freistaat Braunschweig (S. 67ff.; für die spätere Zeit S. 115, 124f.). „Arbeit“ war nach Schyga „der zentrale Begriff“, wenn man „dem Ausmaß und der Haltbarkeit der NS-Volksgemeinschaft“ näher kommen wolle (S. 96). Diese Materie wird unter den Stichworten: „Überarbeit, Ungleichheit, Fluchtwege und Versprechungen, NS-Bewegung und Arbeit, Totalität der Arbeit, Hitlers Rede über die Arbeit von 1920, Arbeit und nationalsozialistische Volksgemeinschaft sowie Leistungs-Volksgemeinschaft“ behandelt. Ein eigener Abschnitt ist der Volksgemeinschaft und den deutschen Bauern gewidmet unter der Überschrift: „Arbeit, Blut und Boden“ (S. 141ff.). Im Abschnitt über „Glaube und Opfer“ geht es um die „Triebkräfte volksgemeinschaftlichen Zusammenhalts im Nationalsozialismus“ (S. 27). Folgende Themen werden untersucht: „Politisches Messiastum, Ideologie, Götter, Weltangst und Gemeinschaftsformierung sowie Opfer“ (S. 157ff.). „Verheißung, Vorsehung, Opfer, Erlösung“ seien „zentrale Elemente der Mobilisierungsfähigkeit der Menschen“ gewesen. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchungen sowie ein Sachregister/Personenregister fehlen. Hingewiesen sei darauf, dass Schyga bisher wenig beachtete Forschungsansätze Hannah Arendts und Franz Neumanns fortführt. Nicht näher erörtert Schyga die Etablierung der „Volksgemeinschaft“ in der Rechtswissenschaft, Gesetzgebung und der Judikatur zwischen 1933 und 1945, und zwar insbesondere nicht das Arbeitsrecht und „Bauernrecht“ (vgl. Tobias Müller, Recht und Volksgemeinschaft. Zu den Interdependenzen zwischen Rechtspolitik und „instrumentalisierter“ öffentlicher Meinung im Nationalsozialismus auf Grundlage der Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, Hamburg 2001, bes. 39ff.). Insgesamt ist das Werk Schygas mit dem Versuch einer Entschlüsselung bzw. Decodierung der „Volksgemeinschaft“ als Schlüsselbegriff des Nationalsozialismus (S. 19) auch für die Rechtsgeschichte der NS-Zeit von Bedeutung.
Kiel |
Werner Schubert |