Schröder-Stapper, Teresa, Fürstäbtissinnen. Frühneuzeitliche Stiftsherrschaften zwischen Verwandtschaft, Lokalgewalten und Reichsverband (= Symbolische Kommunikation in der Vormoderne). Böhlau, Wien 2015. 632 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das in langen Jahrhunderten aus dem Reich der Franken herausgebildete Heilige römische Reich ist, wie schon Samuel Pufendorf hervorgehoben hat, ein eigenartiges vielfältiges und nur geschichtlich zu erklärendes politisches Gebilde, das spätestens seit dem Wormser Konkordat des Jahres 1122 auch geistliche Fürstentümer umfasst. Zu ihnen zählen, wie die Verfasserin bereits zu Beginn ihrer gewichtigen Untersuchung darlegt, elf Damenstifte, nämlich Andlau, Buchau, Essen, Gandersheim, Gernrode, Herford, Lindau, Niedermünster in Regensburg, Obermünster in Regensburg, Quedlinburg und Thorn. Da sie sich außer in ihrer konfessionellen Ausrichtung auch in ihrer inneren Verfassung und dem Umfang ihrer Güter unterscheiden, ist es zur Untersuchung der von der Autorin bewusst so genannten Herrschaftskonfiguration Stift nötig, mehrere Stifte analytisch zu behandeln, „um ein Spektrum unterschiedlicher Ausformungen aufzumachen“.

 

Die diesem Zweck dienende Arbeit ist die von Barbara Stollberg-Rilinger betreute, im Sommersemester 2013 an der philosophischen Fakultät der Universität Münster angenommene, für die Drucklegung überarbeitete und um  neu erschienene Literatur ergänzte, mit Unterstützung des Exzellenzclusters Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne gedruckte Dissertation der den Weg durch zahlreiche Archive, Bibliotheken und Museen mit Freunden als nicht lang empfindenden, von der frühneuzeitlichen Geschichte spürbar sehr begeisterten Verfasserin, die von Juli 2008 bis Juli 2001 an der Graduiertenschule in Münster Doktorandin war, ab Juli 2011 als Koordinatorin des Graduiertenkollegs Expertenkulturen des 12. bis 16. Jahrhunderts in Göttingen wirkte und seit 2013 Postdoktorandin des Graduierten Kollegs Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage – Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln an der Universität Duisburg-Essen ist. Die von ihr getroffene Auswahl fiel wegen der konfessionellen Pluralität des Heiligen römischen Reiches in der frühen Neuzeit auf die Stifte Herford (reformiert), Quedlinburg (lutherisch) und Essen (katholisch) – auch wenn nach ihren Worten die Zusammensetzung der beiden evangelischen Stifte einer klaren konfessionellen Differenzierung nicht standhält. Nach einer Einleitung über gefährdetes Weiber-Regiment, Adelsgeschichte, Stiftsgeschichte, Geschlechtergeschichte, Herrschaftsgeschichte und Verflechtungsgeschichte untersucht sie Stift und Äbtisssin, Verwandtschaft mit Geben, Nehmen und Wiedergeben, Lokalgewalten (Verhandeln, Regieren, Repräsentieren) und Reichsverband (Partizipieren, Prozessieren, Protegieren).

 

Im Ergebnis kann sie überzeugend feststellen, dass die vermeintliche Regierungsunfähigkeit von Frauen kaum eine wirkliche Rolle spielte. Demgegenüber rückten die mindermächtigen geistlichen Reichsstände in der Untersuchungszeit zwischen 1648 und 1802/1803 „ins Visier der territorialen Arrondierungsbestrebungen ihrer weltlichen Nachbarn“. Dabei zeigt sich, dass vor allem der brandenburgisch-preußische Kurfürst-König in den beiden evangelischen Stiften nach und nach die Rechte der Äbtissin tatsächlich auf ein Minimum einschränkte, dass er als Reichsstand aber zugleich in Bezug auf die Berechtigung von Reich und Reichsverfassung bis weit in das 18. Jahrhundert an der die Aufhebung der Reichsstifte ausschließenden Konsensfassade festhielt, so dass das situative Ineinandergreifen unterschiedlicher Interessen  und Abhängigkeiten  für die äußerliche Existenzsicherung der zwischen fehlender Flächendeckung und 1,5-2 Quadratkilometern Herrschaftsgebiet schwankenden  Stifte sorgte, obwohl diese längst nicht mehr dem Zeitgeist entsprachen und mitunter völlig abgewirtschaftet waren, weshalb letztlich bis zur französischen Revolution für die im Übrigen auch häufig abwesenden Äbtissinnen und weitere Akteure sowohl vieles möglich wie auch vieles unmöglich war.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler