Rost, Alexander, Hexenversammlung und Walpurgisnacht in der deutschen Dichtung (= Maß und Wert. Düsseldorfer Schriften zur deutschen Literatur 8). Peter Lang, Frankfurt am Main 2015. XV, 640 S. Zugleich Diss. Phil. Düsseldorf 2012. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Seit Johann Wolfgang von Goethes einzigartiger „Faust“-Dichtung bilden Hexenversammlung und Walpurgisnacht (als „Walpurgisnacht“ im „Faust I“ und „Klassische Walpurgisnacht“ im „Faust II“) elementare Versatzstücke der deutschen Literatur, weshalb hier von einem „Sattelpunkt“ in der Verwendung dieser Motive die Rede ist, die „zu Zeiten von Goethes Arbeiten an seinem ‚Faust‘ längst eine eigene, wenn auch (noch) überschaubare Literaturgeschichte auf(weisen)“ (S. 374). Die Dissertation des Germanisten Alexander Rost bemüht sich um eine umfassende Erschließung und Erhellung dieser Stoff- und Motivgeschichte, im Wesentlichen ausgehend von der Frühen Neuzeit bis zur unmittelbaren Gegenwart. Erfasst wird damit auch die Phase des sogenannten Hexenwahns mitsamt des zeitgenössischen, das Prozesswesen prägenden dämonologischen Diskurses (die Dämonologie erreichte „bisweilen den Charakter einer Parallelwissenschaft zur Theologie und in mancher Hinsicht auch zur Jurisprudenz“, S. 16; vgl. auch S. 100), der somit auch rechtshistorische Interessenslagen bedient.

 

Der Verfasser kann feststellen, dass die ersten literarischen Verarbeitungen des Hexenkonvents, so bei Hans Sachs, in Spätrenaissance und Frühbarock „praktisch ganz im Zeichen von Überlegungen oder Stellungnahmen zur Magie und der gerade expandierenden Dämonologie-Debatte (stehen)“ und in keiner Weise „freimütige Literarisierungen von Hexenversammlungen“ zuließen. Erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts nahm „die Dämonopathie allmählich ab und entsprechend die Phobie, atheismus- oder gar hexereiverdächtig zu werden“. Besonderer Stellenwert sei bei dieser Entwicklung unbeabsichtigt der Schrift „Blockes-Berges Verrichtung“ (1668) des Leipziger Kompilators Johannes Praetorius beizumessen, deren „überwiegend deutschsprachige Behandlung des beinahe gesamten Hexenwesens als gleichsam ‚populärwissenschaftliche[]‘ Unterhaltung ohne Verfolgungsappell den Blocksberg-Stoff für eine langfristige Verwendung in der Dichtung auf(bereitet)“ und „ein(en) zuvor exklusive(n), wissenschaftliche(n) Gegenstand als Objekt der Unterhaltung dargebracht“ habe (S. 320f.). Ähnliches gelte zeitgleich für Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, der mit entsprechenden Szenen in seinem „Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ (1668/69) „eine Lanze gebrochen haben (dürfte) […] für Teuflisches, Hexenhaftes und Zauberei als unentbehrliche literarische Konstanten“ (S. 237). Die mit der Aufklärung einhergehende, weitere Erosion des Hexenglaubens sei, nicht einmal ein Jahrhundert später, in Johann Friedrich Löwens Versepos „Die Walpurgis Nacht“ (1756), bereits klar ausgeprägt: „Details der Hexen- und Schwarzkunstvorstellungen und die entsprechenden Verfolgungen vom Mittelalter bis zur Barockzeit gehören für Löwen einer vergangenen, als historisch zu betrachtenden Zeit an; sie haben für seine Darstellung lediglich beiläufige, ausschmückende Bedeutung“ (S. 271).

 

Nach Goethes viel untersuchter, wegweisender Bearbeitung sei das Motiv der Walpurgisnacht mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung bis zur Gegenwart in der deutschen Literatur wirksam geblieben. Alexander Rost, der in dieser Hinsicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit seiner Erhebungen anmeldet, geht exemplarisch auf einige bedeutende, nicht immer in der erwarteten Weise akzentuierte Gestaltungen des Stoffes durch Heinrich Zschokke (1812), Ludwig Tieck (1832), Theodor Storm (1837), Heinrich Heine, Gustav Meyrink (1917), Kurt Tucholsky (1918), Felix Gasbarra (1922), Thomas Mann (1933) und Dosio Koffler (1941) ein. Über die Anwendung der einschlägigen Motivik in „Der Zauberberg“ ist zu lesen, dass „eine unmittelbare, eindringliche politisch-weltanschauliche Aussage, wozu die Walpurgisnacht anderen, zeitgenössischen Literaten gelegentlich gedient hatte, Thomas Mann mit seinem Text nicht (verbindet)“ (S. 495), im Unterschied etwa zu Dosio Koffler, bei dessen „Die Deutsche Walpurgisnacht. Ein Spiel in 5 Szenen“ es sich „um eine bühnengerechte, satirische Abrechnung mit den totalitären politischen Verhältnissen im nationalsozialistischen Deutschland, die im Mantel einer an die goethesche Prägung angelehnten Walpurgisnacht daherkommt“, handle (S. 517). Gegenwärtig stehe einer nun doch „restriktiven Verwendung von Walpurgisnacht und Hexenversammlung in der Literatur ‚gehobenen‘ Anspruchs […] eine gegenteilige Entwicklung in der Trivial- und Unterhaltungsliteratur gegenüber“ (S. 544). Variantenreich sei das medial breit gestreute Auftreten von Magie- und Hexenthemen zudem in der - auch internationalen - Jugendliteratur von Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“ (1957) über Joanne K. Rowlings „Harry Potter“-Reihe bis zu Elfie Donnellys „Bibi Blocksberg“-Format. Das lange vermittelte Paradigma der „bösen Hexe“ der Volksmärchen-Tradition werde in diesem Zusammenhang zunehmend durch „das Bild von der lustigen, liebenswert-possierlichen, dabei aber doch eigenständigen und cleveren Hexe“ (S. 548) substituiert. Hier mag angemerkt sein, dass Gleiches für den Vampir-Mythos zu beobachten und wohl in den Kontext eines pädagogischen Konzepts einzuordnen ist, das Gewalt und Schrecken zunehmend ausklammert und für die Integration von Außenseitern aller Art wirbt.

 

Wie eingangs festgehalten, hat der Verfasser im Rahmen seiner literaturwissenschaftlichen Analyse dort, wo es um die Emanzipation der von ihm untersuchten Motivelemente als von gesellschaftlichen Entwicklungen weitgehend unabhängige, autonome literarische Gestaltungsmittel geht, auch eine Bestandsaufnahme der rechtlichen Fachdebatte vorgenommen, die er, nach vorausgehenden Bemerkungen zur (auch rechtsgeschichtlichen) Forschungssituation (S. 19ff.), vor allem im Unterkapitel „Rechtsgeschichtliche Gesichtspunkte in der Frühen Neuzeit – Der Versammlungsaspekt im Gefüge des ‚Crimen-Magiae‘-Gedankens“ (S. 84ff.) auf 70 Druckseiten ausbreitet. Während der mittelalterliche Hexenbegriff noch „leidlich unkonkret“ (S. 86) gewesen sei, sei es mit der „Hexenbulle“ Papst Innozenz‘ VIII. (1484) zu einer „einschneidenden Systematisierung und theoretischen Untermauerung der Hexenverfolgungen“ gekommen (S. 90). Nach und nach trat das kanonische Recht zurück, neben den „verhältnismäßig uneinheitlichen partikularen Rechtssatzungen zum ‚Crimen magiae‘ (wurde) nicht zuletzt den ‚Erkenntnissen‘ und Auslegungen der zeitgenössischen Dämonologie eine gravierende Wirksamkeit zuteil. Das Wiederaufkommen und Intensivieren der Verfolgungen wurde nämlich von einer neuen Dimension der dämonologischen Hexenlehre begleitet, die nun erweiterter und akademisch profunder daherkam als es bis zum ‚Hexenhammer‘ – und auch noch einschließlich desselben – der Fall war“. Nach solcher Lehre bedeutete schon „eine wie auch immer geartete Imagination des ‚Hexensabbats‘ bzw. eine nicht körperliche Teilnahme daran nun also keineswegs eine geringere indizienrechtliche Belastung in der Nachweisprozedur des Hexereiverbrechens“ (S. 98f.).

 

Als in Theorie und Praxis namhafte Befürworter der Strafbarkeit des „Crimen magiae“ finden der italienische Richter Paolo Grillando (lat. Paulus Grillandus), der renommierte französische Staatstheoretiker Jean Bodin, der Calvinist Lambert Daneau, der Trierer Weihbischof Peter Binsfeld (lat. Petrus Binsfeldius), der lothringische Geheimrat und Oberrichter Nicolas Rémy (lat. Nicolaus Remigius), der spanisch-brabantinische Philosoph und Jesuit Martin Anton Delrio (lat. Martinus Delrio), der französische Oberrichter Henri Boguet und der Rechtswahrer Pierre de Rostegny (auch: Pierre de Lancre) nähere Erwähnung. Dass die Beschäftigung mit dieser Materie auch für ihre Protagonisten gefährlich werden konnte, zeigen die Fälle von Bodin, der sich selbst in einem Zaubereiprozess verantworten musste, und Rémy, der „im hohen Alter eine Selbstanzeige und –anklage wegen Teufelsbündnerei […] vornahm“, die nach dem obligaten Strafverfahren „tatsächlich zur Hinrichtung des vormals unerbittlichen Oberrichters (führte)“ (S. 109). Unter den Kritikern einer strafrechtlichen Sühne der Hexerei ragt der Arzt Johann Weyer (lat. Johannes Wierus) heraus, dessen Werk „De praestigiis daemonum“ (1563) „mit als der bedeutendste Gegenentwurf zur Hexenlehre angesehen“ wird (S. 118), auf den Nachfolger wie Friedrich Spee von Langenfeld und vor allem der mitteldeutsche Jurist Christian Thomasius aufbauen konnten, der dann „in einer Synthese aus juridischer, theologischer und teils auch naturwissenschaftlich zu nennender Beweisführung […] harte Kritik an der Hexenprozesspraxis und der allgemeinen juristischen Handhabung des Hexereiverbrechens in der Vergangenheit vorgenommen [hat], die besonders auf verfahrensinterne Betrügereien und Ungerechtigkeiten abhebt“, aber auch „die eigentliche Grundlage des ‚Crimen magiae‘, nämlich den unkritischen Glauben an das Haupttatbestandsmerkmal des Teufelsbundes“ erschüttert und als „hauptsächliche Konsequenz […] die Abschaffung aller Hexen- und Zaubereiprozesse“ einfordert (S. 137). Dass trotz aller aufklärerischen Wandlungen „die strafrechtsgeschichtliche Qualität so mancher Aspekte des ‚Crimen magiae‘ vielen Dichtern und Schriftstellern im 18. Jahrhundert […] noch bewusst gewesen sein muss“, hänge unter anderem damit zusammen, dass sich „diese Zunft zu einem großen Teil aus Juristen oder zumindest aus Personen mit juristischen Kenntnissen, die im Rahmen anderer Studien zu erwerben waren, zusammensetzte“, sogenannte „Dichterjuristen“, unter denen Goethe das wohl prominenteste Beispiel sei (S. 144).

 

Erschienen ist die gegenständliche, in ihrer interdisziplinären Vielfalt (etwa in der Berücksichtigung etymologischer, mythologischer und volkskundlicher Aspekte, die bisweilen skurrile Thesen offenbaren, wie den frühen Versuch Johann Peter Christian Deckers, das angebliche Hexentreiben auf dem Brocken rational damit zu erklären, dass sich dort dereinst ihrem alten Glauben verschriebene, der Christianisierung Karls des Großen Widerstand leistende „Harzsachsen“ nachts verkleidet zu Kulthandlungen eingefunden hätten, die von den erschrockenen Spähern der karolingischen Obrigkeit dann fälschlich für „Unholden oder Hexen“ gehalten worden wären; S. 258) anregende Arbeit in der Reihe „Maß und Wert“ Volkmar Hansens, der die Dissertation als Hauptbetreuer zum Erfolg geführt hat. Der Reihentitel rekurriert programmatisch auf jene Zeitschrift Thomas Manns, mit der sich dieser 1937 bis 1940 „der Verkennung der deutschen Entwicklung entgegenstellte“, inhaltlich wollen die germanistischen Studien „ihr Maß aus dem Wert des Menschen gewinnen“ und methodisch „für alle Zugänge offen“ sein (S. V). Unter diesem Signum wurden bis dato insgesamt weitere sieben Bände zu Goethe, Droste-Hülshoff, Fontane, Thomas Mann, Siegfried Lenz und zur Übersetzung deutscher Literatur ins Neugriechische vor 1821 publiziert.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic