Roeder, Tobias, Das Notariat, sein Recht und seine Geschichte im „Land Hannover“ (= Beiträge zu Grundfragen des Rechts Band 14). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015. 391 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die territoriale Rechtsgeschichte des Notariats ist für Nord- und Nordwestdeutschland noch immer nicht hinreichend erschlossen, sieht man von der Monographie von Hermann Schultzevon Lassaulx, Die Geschichte des Hamburgischen Notariats (2. Aufl., 1980), ab. Es ist deshalb zu begrüßen, dass Roeder sich im Anschluss an den Beitrag Stephan Meders über das Notariat auf dem Territorium des heutigen Niedersachsens (in: M. Schmoeckel/W. Schubert, Handbuch zur Geschichte des deutschen Notariats seit der Reichsnotariatsordnung von 1512, 2012, S. 387ff.) in der vorliegenden Monographie angenommen hat. Im ersten Teil des Werks: „Hannover und hannoversches Notariat bis 1800 (S. 23-152) behandelt Roeder zunächst die Raumgeschichte Hannovers anhand der Familiengeschichte der Welfen (S. 28ff.). Es folgt ein Überblick über die Entwicklung des mittelalterlichen Notariats, das, von Italien kommend, in Deutschland seit dem Ende des 13. Jahrhunderts entstand. Zunächst bei den bischöflichen Offizialaten angesiedelt, setzte sich im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts auch das Notariat im weltlichen Bereich durch. Über die Verbreitung des Notariats bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts bringt Roeder keinen eigenen Abschnitt. Für das Notariat ab dem 16. Jahrhundert geht Roeder von der kaiserlichen (Reichs-)Notariatsordnung von 1512 aus (S. 60ff.). Die Ernennungspraxis der weltlichen Notare hatte bereits im 13./14. Jahrhundert zu erheblichen Missständen geführt, da die von den Hofpfalzgrafen kreierten Notare in der Regel über keine hinreichende Ausbildung für die Beurkundungstätigkeit verfügten. Diesen Missständen konnte auch die Reichsnotariatsordnung von 1512 als kompilatorisches Rahmengesetz nicht wirksam abhelfen (S. 61ff.). Da in Hannover der freie öffentliche Notar mit den Behördenschreibern, die über eine umfassende juristische Vorbildung verfügten, konkurrierte, konnte hier nur der fähige und gut ausgebildete Notar profitabel arbeiten (S. 104). Erst mit dem Niedergang insbesondere des hannoverschen Stadtrechts im Verlauf des 17. Jahrhunderts konnte der sog. Gelegenheitsnotar mit seinen mangelnden Kenntnissen wieder vordringen (S. 115). Um diesen Missständen entgegenzutreten, mussten sich die von den Hofpfalzgrafen kreierten Notare nach der Gerichtsordnung für das Oberappellationsgericht Celle von 1713 einer Prüfung unterziehen und sich immatrikulieren lassen. Das gleiche Recht zur Ernennung von Notaren hatte seit 1737 auch die Universität Göttingen (S. 136f.).

 

Der zweite Teil der Untersuchung: „Hannover, sein Notariatsrecht und Notariat im 19. Jahrhundert“ (S. 153ff.) beginnt mit einem Abschnitt über das hannoversche Notariat des frühen 19. Jahrhunderts. Über die kurze Zeit der Geltung der Notariatsordnung des Königreichs Westphalen von 1809, die dem französischen Notariatsrecht von 1803 nachgebildet war (hierzu W. Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, S. 562f.) bringt Roeder keine näheren Ausführungen (zu der Überlieferung aus dieser Zeit für Lüneburg, das von 1810 bis Mitte 1811 der westphälischen Gesetzgebung unterlag, im Hauptstaatsarchiv Hannover vgl. Chr. Scharnhorp, Das Lüneburger Notariat im 19. Jahrhundert, 2011, S. 36ff., 41ff.). Nach 1814 stellte das Königreich Hannover das gemeine Notariatsrecht mit der Reichsnotariatsordnung von 1512 wieder her, behielt aber auch die Immatrikulation der Notare erst nach einer Prüfung durch das Oberappellationsgericht Celle bei. Im Übrigen bestand im ehemaligen preußischen Ostfriesland das preußische Notariatsrecht weiter (S. 162). Ab 1822 erfolgte die Ernennung neuer Notare nach einem festgelegten Numerus clausus nur noch durch das Kabinettsministerium. 1853 erhielt Hannover im Zusammenhang mit der Neuordnung der Gerichtsverfassung sowie des Zivil- und Strafprozesses auch eine Notariatsordnung (HNO). Nach dem Organisationsgesetz vom 18. 11. 1850 sollte hinsichtlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine „völlige gleiche und freie Conkurrenz“ zwischen dem Notariat und dem Amtsrichter bestehen (S. 166). Das Erfordernis der Zustimmung der Stände zu Gesetzen beschränkte sich nach dem verfassungsändernden Gesetz vom September 1848 „auf den wesentlichen Inhalt“ der Vorlagen (S. 209). Der teilweise etwas mühsam zu lesende Abschnitt über die „traditionell starke Stellung der Stände“ (S. 182ff.) in der hannoverschen Verfassungsgeschichte dürfte etwas zu breit geraten sein. Grundlage der Beratungen der Stände zum Notariatsrecht war ein Regierungsentwurf von 1852, der von ihnen einer umfassenden Kritik unterworfen wurde. Die Stellungnahme der Stände vom Juni 1852 (S. 266f.) beschränkte sich nicht auf den „wesentlichen Inhalt“ des Regierungsentwurfs, sondern schlug auch zahlreiche Änderungen im Detail vor. Die insbesondere von den Ständen eingeforderte Gleichberechtigung des Notars mit dem Amtsrichter ließ sich nur in engen Grenzen verwirklichen, da die „Erhöhung der Rechtssicherheit und das Etablieren einer freien Konkurrenz zwischen Notar und Richter einander zwangsläufig“ aushebelten (S. 284). Im Einzelnen geht Roeder dem Entstehungsprozess der einzelnen Abschnitte der Notariatsordnung Hannovers unter Einbeziehung des Regierungsentwurfs und der Stellungnahme der Stände nach (S. 225-281). In weiteren Teilen befasst sich Roeder mit den Gründen der Fortgeltung des hannoverschen Notariatsrechts auch nach 1866 (S. 284ff.) und mit den Spannungsverhältnissen im Notariatsrecht des 19. Jahrhunderts auf hannoverschem Boden (S. 289ff., hier insbesondere mit dem Spannungsverhältnis zum preußischen Recht innerhalb hannoverscher Grenzen). In einem „grundsätzlichen Vergleich der Funktion des Notariats im ‚Niedersachsen des 19. Jahrhunderts‘“ (S. 303ff.) geht es insbesondere um die Kennzeichnung des hannoverschen gegenüber dem französisch-rheinischen Notariatsrecht. Aufschlussreich ist das Kapitel über die hannoverschen Notare und deren Betätigungsfelder (S. 312ff.). Trotz der Konkurrenz zwischen dem Notar, der in der Regel zugleich Rechtsanwalt war, und dem Amtsrichter war der Umfang der notariellen Beurkundungen beträchtlich. Roeder hat hierzu die erhalten gebliebenen Aktenbestände von vier Notaren im Hauptstaatsarchiv Hannover untersucht (S. 312ff.) und in diesem Zusammenhang festgestellt, dass sich hinsichtlich der „Formalien der Instrumentenerstellung deutliche Veränderungen zum Positiven hin“ (S. 317) beobachten lassen.

 

Das Werk wird abgeschlossen mit einem knappen Resümee und mit einem Anhang, der u. a. ausgewählte Gesetzesmaterialien zur hannoverschen Notariatsgesetzgebung, ausgewählte Notariatsinstrumente aus der Zeit nach 1853, eine Liste der durch das Oberappellationsgericht Celle in seinem Bezirk geprüften und zugelassenen Notare sowie der Nachweis von Notariatsaktenbeständen für eine Reihe von Notaren (S. 361ff.) enthält. Hilfreich wäre es gewesen, wenn Roeder auch noch den Text der hannoverschen Notariats-Ordnung vom 18. 9. 1853 wiedergegeben hätte. Auch hätte die Bedeutung des französischen Notariatsrechts für die hannoversche Notariats-Ordnung von 1853, auch wenn diese zum Teil andere Wege ging als die französischen Ventôse-Gesetze von 1803, detaillierter herausgestellt werden sollen. Insbesondere die Bestimmungen über die Notariatsurkunden (S. 258 ff.) sind vom französisch-rheinischen Recht beeinflusst.

 

Insgesamt liegt mit dem Werk von Roeder eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Notariats im Lande Hannover vor, auf der weitere Untersuchungen zur niedersächsischen Notariatsgeschichte aufbauen können.

 

Kiel

Werner Schubert