Raasch, Markus, Der Adel auf dem Feld der Politik. Das Beispiel der Zentrumspartei in der Bismarckära (1871-1890). Droste, Düsseldorf 2015. 486 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Mit der Aufklärung und dem aus ihr hervorgehenden Gleichheitsgrundsatz musste der vorher bevorrechtigte Adel angesichts der Zahlenverhältnisse in der Gesellschaft an Bedeutung verlieren. In dem Augenblick, in dem die zahlenmäßige Mehrheit über die Vergabe von Befugnissen entscheiden konnte und entschied, konnte eine Minderheit nur noch Rückzugsgefechte mit dem Ziel möglichst langer Wahrung bisheriger Stellungen führen. Von daher ist die Stellung des Adels auf dem Felde der Politik in der Zeit des Reichskanzlers Otto von Bismarck von hohem Interesse.

 

Mit einem wichtigen Teilaspekt dieser Thematik befasst sich die von Karsten Ruppert betreute und vorangebrachte, an der Universität Eichstätt 2012 angenommene Habilitationsschrift des von 1999 bis 2003 in Geschichte, Germanistik und Erziehungswissenschaften in Düsseldorf ausgebildeten, anschließend bei Kurt Düwell mit einer mentalitätsgeschichtlichen Dissertation über „Wir sind Bayer“ promovierten, seit Oktober 2013 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Zeitgeschichte in Mainz tätigen früheren Assistenten seines Betreuers. Das der Ehefrau, ohne die es nicht ging und geht, gewidmete aufschlussreiche Werk gliedert sich nach Vorwort und Einleitung über Erkenntnisinteresse , theoretisch-methodischen Zugriff und Gang der Untersuchung sowie Quellen in vier Kapitel. Sie betreffen die Kapitalien (der schlesischen, westfälischen, rheinischen, südwestdeutschen und bayerischen) Abgeordneten sowie hannoverschen Hospitanten der untersuchten Partei, die Mentalitäten, die kulturelle Praxis und die Gestaltungsspielräume.

 

In der Schlussbetrachtung widmet sich der Verfasser auf der Grundlage des Bourdieuschen Feldmodells den vier Fragen, warum geht der Adel in die Politik, wie beeinflusst die Politik den Adel, wie beeinflusst der Adel die Politik und warum kehrt der Adel der Politik den Rücken. Dabei spielte Geld ohne Frage eine Rolle, doch war der Zentrumsadelige vor allem als authentischer defensor Christi erfolgreich, und erfuhr das soziale Kapital des Zentrumsadels durch die Politik keine qualitative Veränderung. Für die Zentrumspartei war der Adel bedeutsam (1878 Adligenanteil in der Reichstagsfraktion von mehr als 45 Prozent), doch wurde der wertkonservative, antikapitalistische, lokal verwurzelte Papst- und Kirchenadept im Sinne eines miles Christi eines Männlichkeitskonzepts gegen Ende der Bismarckära nicht mehr gebraucht, weil er im Gegensatz zu antifeudalen Berufspolitikern wie etwa Ludwig Windthorst von Mehrheiten nicht mehr gewählt wurde.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler