Poeschel, Sabine, Starke Männer – schöne Frauen – Die Geschichte des Aktes. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2014. 160 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Am Anfang war der durch den aufrechten Körper zwischen den flachen Füßen und dem rundlichen Kopf im Gegensatz zu anderen eigentümlichen Lebewesen gekennzeichnete Mensch wie er war und sah sich stets so wie er aussah, also mehr oder weniger starke Männer mehr oder weniger schöne Frauen und umgekehrt, nackt wie die Natur sie zum Leben erweckt hatte. Sie hatten zwar eine natürliche vorgegebene Lust zur gegenseitigen Begegnung, brauchten aber kein Bild, weil ihnen im Gegensatz zu diesem die einfache Wirklichkeit ständig zur Verfügung stand. Dies änderte sich aber einmal dadurch, dass es dem Menschen auf Grund seines Verstands gelang, das einigermaßen dauerhafte Bild dem vergänglichen Augenblick zur Seite zu stellen, und zum anderen dadurch, dass der Mensch zum Schutz vor der ihn zumindest nachts stets umgebenden Kälte die Bekleidung erfand und sich deshalb ab einem nicht genau bekannten Zeitpunkt nicht mehr nackt sah.

 

Mit der durch beides begründeten weiteren Entwicklung befasst sich das vorliegende Werk der nach der universitären Ausbildung in Kunstgeschichte und Romanistik in Münster in Westfalen 1984 mit ihren 461 Seiten und 63 Illustrationen umfassenden Studien zur Ikonographie der Erdteile in der Kunst des 16.-18. Jahrhunderts promovierten Verfasserin, die danach als Stipendiatin der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Bibliotheca Hertziana in Rom tätig war. Nach der Habilitation in Stuttgart im Jahre 1999 über Alexander Maximus - das Bildprogramm des Appartamento Borgia im Vatikan wurde sie außerplanmäßige Professorin für Kunstgeschichte in Stuttgart. Ihr vorliegendes, im größeren Format einnehmend veröffentlichtes Werk verfolgt einen Teilaspekt der Rückkehr des Menschen zur Nacktheit wenigstens auf Bildern anderer.

 

In der Einleitung erklärt die Verfasserin dabei den nackten Körper als Träger einer künstlerischen Idee, die fast 25000 Jahre nach der bekannten Venus von Willendorf in der griechischen Antike in Apollo und in der abendländischen Kunst in Aphrodite verwirklicht wurde. Dem folgt zwischen Nacktheit und Akt der unbekleidete Mensch im Mittelalter und danach die frühneuzeitliche Renaissance des antiken Aktes, nach der Manierismus, Barock (mit barocken Männern und Frauen), Rokoko, Akademien sowie Sexualität, Realismus und Form an Hand des modernen Aktes behandelt werden. Ob die etwa von Albrecht Dürer 1507 in Öl auf Holz gemalten Menschen Adam und Eva wirklich schön waren und sind oder ob sie sich zusammen mit allen späteren Betrachtern trotz ihrer eigentümlichen Gestalt nur als schön empfanden, wird man im Zweifel offenlassen müssen, doch sind wohl auch in der Gegenwart Frauen an nackten Männern und Männer an nackten Frauen so interessiert, dass der Akt neben seiner von der Verfasserin mit hundert Abbildungen bis zu Bettina Rheims‘ Farbfotografie auf Aluminiumblech vom Juli 1991 in Paris dargestellten Geschichte auch ziemlich sicher eine Zukunft haben wird.

 

Innsbruck                                                                  Gerhard Köbler