Piketty, Thomas, Das Kapital im 21. Jahrhundert. Beck, München 2014. 816 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Nach der vorangestellten Danksagung des in Clichy 1971 geborenen, 1987 sein Baccalauréat erwerbenden, seit 1989 in den Wirtschaftswissenschaften an der École normale supérieure ausgebildeten, mit 22 Jahren auf Grund einer an der École des Hautes Études en Sciences Sociales und an der London School of Economics verfassten Untersuchung über Umverteilung von Einkommen promovierten, von 1993 bis 1995 als Assistant Professor an dem Massachussetts Institute of Technology lehrenden, nach Tätigkeiten als Mitglied des Centre national de la recherche scientifique und als Direktor der école des Hautes Études en Sciences Sociales an der Paris School of Economics unterrichtenden Autors beruht das vorliegende Werk auf seinen Forschungen zwischen 1998 und 2013. In deren Rahmen  veröffentlichte er 2007 und 2010 mit Anthony Atkinson und Emmanuel Saez zwei Bände, die für mehr als 20 Länder die bis dahin umfassendste Übersicht über  die verfügbaren Daten zur geschichtlichen Entwicklung der Einkommensungleichheiten in führenden Ländern der Welt bieten. Zusammen mit weiteren Studien wurde dadurch das vorliegende gewichtige, 2013 in Frankreich erschienene, von Ilse Lutz und Stefan Lorenzer aus dem Französischen übertragene Werk möglich, zu dem ein umfangreicher Technischer Anhang auf der Homepage http://piketty.pse.ens.fr./capital21c gespeichert ist.

 

Gegliedert ist der Band nach einer Einleitung in vier Teile. Sie betreffen Einkommen und Kapital einschließlich der Illusionen und Realität des Wachstums, die Dynamik des Kapital-Einkommens-Verhältnisses, die Struktur der Ungleichheit und die Regulierung des Kapitals im 21. Jahrhundert. Ziel dieser technischen Aussonderung ist es, das Werk für Leser verständlich zu machen, die über keine fachspezifischen Kenntnisse verfügen.

 

Im Kern will der Verfasser zwei Fragen beantworten oder zwischen den Ansichten Karl Marxs und Simon Kuznets‘ entscheiden. Führt die Dynamik der privaten Kapitalakkumulation zu einer immer stärkeren Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger? Oder bewirken die ausgleichenden Kräfte des Wachstums, des Wettbewerbs und des technologischen Fortschritts von selbst eine Verringerung der Ungleichheit und eine harmonische Stabilisierung in den fortgeschrittenen Entwicklungsphasen?

 

Am Ende gelangt der schwierige Sachferhalte dem Leser eingängig präsentierende Autor auf Grund umfangreicher Verwendung historischer Daten aus (mehr als) 20 Staaten während der letzten drei Jahrhunderte zu der Erkenntnis, dass durch die Fortschritte und die Ausbreitung des Wissens zwar die marxistische apokalyptische Vision vermieden werden konnte, aber sich an den Tiefenstrukturen des Kapitals und den Ungleichheiten nicht genügend geändert hat. Wenn die Kapitalrente (r) dauerhaft die Wachstumsrate von Produktion und Einkommen (g) übersteigt, was bis zu dem 19. Jahrhundert der Fall war und in dem 21. Jahrhundert wieder zur Regel zu werden droht, bewirkt der Kapitalismus gefährliche Ungleichheiten, die das Leistungsprinzip der Demokratie in Frage stellen. Dem müsse in der Demokratie zum Wohle der Allgemeinheit durch geeignete Mittel entgegengetreten werden.

 

Politisches Handeln hat nach dem Verfasser bereits in der Vergangenheit bedrohliche Ungleichheiten abgeändert. Dies muss auch in Gegenwart und Zukunft möglich sein. Die ihm geeignet erscheinende, im Grunde theoretisch ziemlich einfache Lösung ist eine jährlich erhobene progressive Kapitalsteuer, die verhindert, dass die Ungleichheitsspirale sich endlos weiterdreht und doch die Kräfte des Wettbewerbs nicht gefährlich beeinträchtigt.

 

Zwar bestehe die Gefahr, durch internationale Koordination und regionale politische Integration nur die bestehenden Errungenschaften auf das Spiel zu setzen, ohne dass sich an der grundsätzlichen Ungleichung r (Rendite) > g (Wachstum) etwas ändere. Doch gebe es keine andere Möglichkeit der Kontrolle des Kapitalismus als die Demokratie (im europäischen Maßstab). Nur die politische regionale Integration eröffne Aussicht auf eine wirksame Regulierung des globalisierten Patrimonialkapitalismus in diesem Jahrhundert, wobei allerdings im Jahre 2013 im Grunde (so überzeugend und einleuchtend wie auch immer) nur über das Kapital in diesem Zeitpunkt und nicht sicher über das Kapital im gesamten 21. Jahrhundert geschrieben werden könne.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler