Pieth, Mark, Strafrechtsgeschichte. Helbing, Basel 2015. 151 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Für den Strafrechtler ist die Bedeutung des Wortes Strafe als Grundlage der Strafrechtsgeschichte so selbverständlich, dass er darüber kein Wort zu verlieren braucht. Für den Philologen ist demgegenüber die Geschichte von Strafe und strafen so ungewiss, dass das führende deutsche etymologische Wörterbuch dazu ausführt: Sf std. (13. Jh.), mhd. strāfe, etwas früher das Verb strāfen, die ursprüngliche Bedeutung ist „Schelte, Tadel“, Herkunft unklar, Adjektive strafbar, sträflich, Nominalableitung Sträfling. Angesichts dieser späten und unklaren Entstehung empfiehlt sich eigentlich eine Entscheidung, ob Strafe mehr ist als einem bestimmte Handlungen ausführenden Menschen durch die Allgemeinheit ohne Vorteil für das Opfer rechtlich bestimmte Übel (wie Entziehung von Leben, Freiheit, Ehre oder Eigentum) zufügen.

 

In jedem Fall ist es verdienstvoll, auf der Grundlage (Monballyus, Wildas, Bindings, Amiras, Stephens, Frieses, Mommsens,) His‘, (Achters,) Schmidts, Rüpings, Vormbaums und vieler anderer für den Bachelor-Unterricht im Strafrecht an Schweizer Universitäten und für ein weiteres Publikum einen Grundriss über Strafrechtsgeschichte vorzulegen, in dessen Rahmen selbverständlich eine umfassende Geschichtsbetrachtung weder nötig noch möglich ist, wenn auch die Strafrechtsgeschichte in dem Kontext der weiteren geschichtlichen Entwicklung steht und nach der überzeugenden Ansicht des Verfassers auch dorthin gestellt werden muss. Dass die Darstellung in der Gegenwart noch eurozentrisch und noch nicht universal ist, versteht sich in Anbetracht der Adressaten und des Erkenntnisziels der Erklärung des aktuellen Schweizer Rechtes ebenfalls ohne weiteres. Von daher ist das Altertum allenfalls für die Rezeptionsgeschichte relevant und wird der Schwerpunkt auf das 20. Jahrhundert und die Hinführung zur Gegenwart gelegt.

 

Gegliedert ist das ansprechend schlanke Werk in zehn, wohl hauptsächlich zeitlich geordnete Abschnitte über das Frühmittelalter, für das der Verfasser in den Leges Barbarorum ein detailliertes Erfolgsstrafrecht mit eigentlichen Tarifen zumal für verschiedene Formen von Körperverletzung gefunden haben will, das Hochmittelalter, in dem die Allgemeine (!) Entwicklung, die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die Rechtsentwicklung, die Entstehung der Universitäten und die Entstehung der Alten (!) Eidgenossenschaft 14 Seiten und das Strafrecht 12 Zeilen einnimmt, das Spätmittelalter und die frühe Neuzeit (1300-1600), die Reformation und den Absolutismus (1500-1800), die Aufklärung (1600-1800), die bürgerliche Revolution und das 19. Jahrhundert, die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Nachkriegszeit und die Gegenwart sowie eine abschließende Frage nach neuem Vertrauen in die Institutionen, für die es der Verfasser als entscheidend ansieht, ob es gelingt, in einer viel heterogeneren Gesellschaft die notwendige Integration zu leisten, damit auch die Zuwanderer das nötige Vertrauen in die Institutionen entwickeln können. Ein Register von 1968er bis Zusammenarbeit schließt den vielfältigen Inhalt benutzerfreundlich auf. 40 Abbildungen von der Burg Münchenstein bis zu Zaires Präsidenten Mobutu Sese Seko veranschaulichen die sachkundigen, den gesamten deutschsprachigen Raum abdeckenden, in jeder Phase Vertiefungen zum besonderen Schweizer Recht bietenden Ausführungen des 1953 geborenen, 1984 mit einer Untersuchung über den Beweisantrag des Beschuldigten im Schweizer Strafprozessrecht anscheinend literarisch erstmals hervorgetretenen, im Literaturverzeichnis mit 33 von 300 Werken vertretenen Basler Strafrechtsordinarius, dem die Erreichung seiner didaktischen und publizistischen Ziele sehr zu wünschen ist.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler