Peršman, hg. v. Rettl, Lisa/Blohberger, Gudrun/Zveza koroški partizanov - Verband der Kärntner Partisanen/Društvo - Verein Peršman. Wallstein, Göttingen 2014. 480 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Der Status autochthoner Minderheiten in einem Staat definiert sich nur auf den ersten Blick durch die verfassungs- und völkerrechtlichen Bestimmungen, die ihren Bestand garantieren. Von nicht minderer Bedeutung ist darüber hinaus die reale Wertschätzung, die einer solchen Minderheit durch die Mehrheitsbevölkerung entgegengebracht wird, und inwieweit diese deren kulturelle Eigenständigkeit als spezifische Bereicherung der gesamtstaatlichen Kultur zu schätzen weiß. Dass diese Wertschätzung mitnichten den Regelfall darstellt, belegt gerade der Blick auf die Geschichte der Volksgruppe der Slowenen in Österreich. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden die Slowenen der Untersteiermark ob ihres slawischen Volkstums pauschal der Serbophilie verdächtigt und von den Behörden präventiv drangsaliert, ein Umstand, der den Verlust dieses Gebietes nicht unwesentlich gefördert hat (vgl. dazu: Martin Moll, Kein Burgfrieden. Der deutsch-slowenische Nationalitätenkonflikt in der Steiermark 1900-1918, 2007). Kärnten blieb zwar dank des loyalen Abstimmungsverhaltens der Mehrheit der Kärntner Slowenen ungeteilt erhalten, doch drängte die von den Interessensvertretern der nationalistischen Deutschkärntner propagierte Tradition des heroischen militärischen Abwehrkampfes diese Tatsache aus dem allgemeinen Bewusstsein. Die radikale Volkstumspolitik der Nationalsozialisten, deren Germanisierungsbestrebungen den Bestand der slowenischen Volksgruppe elementar gefährdeten, führten unter jener zu zunehmendem Widerstand und – mit dem unaufhaltsamen Näherrücken der Alliierten – zu einer verstärkten Partisanenaktivität.
In diesen Kontext ist das Verbrechen einzuordnen, das den Gegenstand des vorliegenden größerformatigen, in grobes graues Leinen gebundenen Werks bildet: Auf die Anzeige eines vorgeblichen Viehdiebstahls hin, war die 4. Kompanie des I. Bataillons des SS- und Polizeiregiments 13 am 25. April 1945 gegen das Anwesen Peršman der Familie Sadovnik in Koprein Petzen bei Bad Eisenkappel vorgegangen, wo sie in ein Gefecht mit dort aufhältigen, sich in der Folge ins Gelände absetzenden Partisanen verwickelt wurde. Nach dem zunächst durch das Feuergefecht erzwungenen Rückzug kehrte ein Stoßtrupp der Kompanie unter Leutnant Josef Reischl zum Peršmanhof zurück, um diverse Güter sicherzustellen. Den Aussagen von beteiligten Kompanieangehörigen zufolge soll Reischl dabei den Befehl zur Exekution der Bauernfamilie erteilt haben, dem elf Personen zum Opfer fielen, drei Kinder überlebten das Massaker. Bereits am folgenden Tag erhielt das örtliche Gendarmeriepostenkommando Eisenkappel via Anzeige Kenntnis von den Getöteten. Nach Kriegsende ermittelte das Landesgericht Klagenfurt „von Mitte April 1946 bis Mitte der 1960er Jahre gegen insgesamt 49 Personen […]. Das Verfahren kam allerdings nie über das Stadium der gerichtlichen Voruntersuchung hinaus. Gegen keine der beschuldigten Personen wurde Anklage erhoben“ (S. 49). Der bei der Aktion niedergebrannte Peršmanhof wurde in Teilen wiedererrichtet und beherbergt seit 1982 ein vom Verband der Kärntner Partisanen betriebenes Museum, das, vom 2001 ins Leben gerufenen Verein Peršman unterstützt, mit Mitteln der Republik Österreich tatkräftig gefördert und schließlich 2012 von Grund auf erneuert, nunmehr dem neuesten Stand der Forschung genügt.
Der hier zur Besprechung anstehende Band beschäftigt sich in zwei Großeinheiten etwa zu gleichen Teilen mit dem Massaker und dem Museum. Ersteres wird anhand vierer Beiträge eingehend analysiert, wobei Lisa Rettl (promovierte Historikerin und Kuratorin des Museums) für jene drei verantwortlich zeichnet, welche die historische Einbettung des Geschehens sicherstellen. In kurzen einleitenden Vorbemerkungen geht sie erst auf die allgemeine Lage gegen Kriegsende, die Partisanenaktivität in Kärnten und deren Unterstützung durch die als „jugoslawienfreundlich eingestellt“ (S. 32) bekannte Familie Sadovnik ein sowie schildert das am 25. April 1945 an jener begangene Verbrechen. Ein zweiter Beitrag stellt das Vorgehen der Einheit des SS- und Polizeiregiments 13 am Peršmanhof in den Zusammenhang mit dem mittlerweile gut erforschten Agieren der deutschen Ordnungspolizeikräfte im Osten und deren besonderen Aufgaben, mit dem Ergebnis, dass auch im zum „Bandenkampfgebiet“ erklärten Südkärnten „die Männer […] nicht aus Rache oder Zorn in einem allgemein brutalisierten Kriegskontext (handelten), sondern ‚in systematischer Umsetzung von Regierungspolitik‘, wie es in ganz Jugoslawien und Osteuropa zu beobachten war“ (S. 152). Abschließend erörtert sie die bewegte Geschichte der Einrichtung der Gedenkstätte vor dem Hintergrund der im sogenannten „Kärntner Ortstafelsturm“ gipfelnden minderheitspolitischen Auseinandersetzungen, in deren Rahmen die Vorwürfe des Heimatverrates und der Partisanenverherrlichung ebenso im Raum standen (tatsächlich war das Ziel der Osvobodilna fronta OF, der „Befreiungsfront“, in deren Rahmen die Partisanenarmee operierte, ein die Kärntner Slowenen einschließendes „vereintes Jugoslawien unter kommunistischer Herrschaft“ gewesen; S. 447), wie im völligen Widerspruch zur gerichtlich erhobenen Sachlage medial Partisanen der Urheberschaft des Peršman-Massakers bezichtigt wurden. Erst im beginnenden 21. Jahrhundert konnte, nicht zuletzt dank eines die historischen Gerichtsakten erhebenden Forschungsprojekts der Universität Klagenfurt und literarischer Aufbereitungen des Stoffes, „der Peršmanhof und die hier erinnerte Geschichte von Verfolgung und Widerstand langsam in demokratischer Normalität“ ankommen und „der Widerstand der Kärntner SlowenInnen als Beitrag zur Befreiung Österreichs eine angemessene Würdigung und Wertschätzung“ erfahren (S. 206).
Aus dem Blickwinkel der Rechtgeschichte interessiert vor allem der ebenfalls dem ersten Themenblock zugehörige, von Claudia Kuretsidis-Haider (promovierte Zeithistorikerin und wissenschaftliche Ko-Leiterin der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes) verfasste Beitrag „‘Strafsache wegen Verbrechen an der Familie Sadovnik.‘ Das Verfahren des Volksgerichts Klagenfurt und der Umgang der österreichischen Justiz mit den Ereignissen auf dem Peršmanhof“. Anhand der im Aktenlager des Landesgerichts Klagenfurt verwahrten Ermittlungsakten des Volksgerichts Graz, Außensenat Klagenfurt, mit der Geschäftszahl 20 Vr 1143/46 und 14 Vr 225/65 gegen Josef Vysniauskas und andere rekonstruiert die Verfasserin, chronologisch über vier Zwischenresümees zu einer Gesamtbeurteilung fortschreitend, den Sachverhalt, lotet die Möglichkeiten des Verfahrens anhand der jeweils geltenden Rechtslage aus und rügt die Mängel, die eine Anklageerhebung letztlich verhindert haben. Obwohl die ermittelnden Stellen - darunter auch der spätere Klagenfurter Bürgermeister, Leopold Guggenberger - durchweg guten Willens waren, seien doch immer wieder Versäumnisse eingetreten, die es unmöglich machten, die „bei engerer Auslegung des Kriegsverbrechergesetzes durchaus [bestehende] Möglichkeit, zumindest gegen die Beschuldigten Penz und Reischl Anklage zu erheben“, zu nützen, hätten doch „frühe Volksgerichtsprozesse gezeigt, dass eine Verurteilung – wenn auch im niedrigen Strafbereich – durchaus zu erreichen gewesen wäre“ (S. 85f.). Ob eine solche wiederum der Schwere der Tat angemessen gewesen wäre und nicht erst recht besondere Empörung provoziert hätte, ist allerdings eine andere Frage. Zahlreich sind jedenfalls die Umstände, die den Gang des Verfahrens behinderten: So verging zunächst ein Jahr ohne koordinierte Ermittlungen, denn erst am 1. Februar 1946 anerkannte die britische Besatzungsmacht die Gültigkeit des österreichischen Kriegsverbrechergesetzes in Kärnten und Osttirol; die Zeugenvernehmung der drei überlebenden, zum Teil verletzten und traumatisierten Kinder (damals sechs, zehn und elf Jahre alt) erfolgte verspätet und unter nicht optimalen Bedingungen; keiner der mutmaßlichen Täter konnte von den Zeugen identifiziert werden; die Gerichtsorganisation (Graz-Klagenfurt) führte zu Verzögerungen, mehrfach wechselte der zuständige Untersuchungsrichter; ein erster Lokalaugenschein und Vernehmungen weiterer bekannter Zeugen wurden erst zwei Jahre und 10 Monate nach der Tat angeordnet; Tatverdächtige wurden verspätet ausgeforscht und vorzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen und hatten so die Möglichkeit zur Absprache, Verfahrensakten aus dem Ausland (Ungarn) wurden nicht oder zu spät angefordert; der namentlich bekannte Bataillonskommandeur konnte nie ausgeforscht werden. In der Hauptsache scheint neben organisatorischen Unzulänglichkeiten vornehmlich der Faktor Zeit zugunsten der Beschuldigten gewirkt und die restlose Aufklärung und Sühne des Verbrechens unterbunden zu haben.
Die Vorstellung der Gedenkstätte erfolgt mittels eines von Gudrun Blohberger (Pädagogin und Obfrau des Vereins Peršman, seit Jänner 2015 pädagogische Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen) textlich geführten und von Fotos Zdravko Haderlaps illustrierten „Museumsrundgang(s) in Wort und Bild“. Diesem folgt eine nach den insgesamt eine Fläche von etwa 100 m² einnehmenden drei Räumen gegliederte, einem Ausstellungskatalog gleich Texte und Objekte erfassende Dokumentation der Ausstellung, die den inhaltlichen Bogen vom Alltagsleben am Peršmanhof (Eingangsbereich) über das Thema Verfolgung (Ausstellungsraum 1) bis zum Widerstand (Ausstellungsraum 2) nicht ausschließlich, aber vornehmlich der slowenischen Bevölkerung Kärntens spannt. Alles in allem gewinnt der Leser dadurch einen sehr anschaulichen und prägnanten Einblick in Gestaltung und Zweck dieses Erinnerungsortes und vielleicht auch die Motivation zu einem Besuch.
Das minderheitenpolitische Gewicht dieser durchgehend in deutscher wie in slowenischer Sprache verfassten Schrift erschließt sich nicht zuletzt darin, dass sowohl der österreichische Bundespräsident, Dr. Heinz Fischer, als auch der Präsident der Republik Slowenien, Borut Pahor, wohlwollende Geleitworte beigesteuert haben. In einer Zeit des integrierten Europa, in der Befürchtungen um die territoriale Integrität wohl kaum Aktualität beanspruchen können, ist die Lektüre sicherlich geeignet, auch außerhalb der Kärntner Landesgrenzen zur breiteren Bekanntheit des slowenisch-kulturellen Erbes Österreichs und zu einer besseren allgemeinen Wahrnehmung des Staatsziels Minderheitenschutz beizutragen. Ein allgemeiner Paradigmenwechsel im Hinblick auf die Bewertung der (keinesfalls unproblematischen) Tätigkeit der Partisanen und ihrer Unterstützer wird indes, wie auch im Fall der mittlerweile in aller Form rehabilitierten Wehrmachtdeserteure, nicht zu erwarten sein.
Kapfenberg Werner Augustinovic