Paravicini, Werner, Colleoni und Karl der Kühne – mit Karl Bittmanns Vortrag „Karl der Kühne und Colleoni“ aus dem Jahre 1957 (= Studi - Schriftenreihe des deutschen Studienzentrums in Venedig Neue Folge Band 12). De Gruyter/Akademie Verlag, Berlin 2014. X, 312 S., 25 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz. ZIER 5 (2015) 32. IT 15424 100 Euro 2014-11-12 von Ulrich-Dieter Oppitz vorgeschlagen, bestellt, zusenden, wenn eintrifft, wegen 100 Euro zu teuer, 2014-12-01 erhalten, versandt kobeissi@degruyter.com 2015-01-12 Besprechung erhalten
Werner Paravicini, langjähriger Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Paris, legt eine Studie über die Verbindung zwischen Bartolomeo Colleoni, dem venezianischen Söldnerführer, und Karl dem Kühnen, dem ehrgeizigen Herzog von Valois-Burgund, in den Jahren 1472 und 1475 vor. Der betagte Colleoni (ca. 1400- November 1475), seit 1467 durfte er sich Colleoni von Anjou nennen lassen, war zu dieser Zeit Generalkapitän Venedigs. Karl der Kühne bemühte sich um Colleoni, dem er in diesem Zusammenhang im Januar 1473 zu seinem bisherigen Titel den Beinamen de Burgundia übertrug. In seiner überaus sorgfältigen Studie, unter Nutzung von Archivalien aus Belgien, Frankreich, Italien sowie zahlreichen weiteren Beständen, legt Paravicini dar, wie der Herzog den Condottiere für einen Zeitraum unter Vertrag nehmen wollte. In gleicher Weise zeigt er, welche Beweggründe Colleoni hatte, dieses Angebot anzunehmen. Die in Brügge am 17. Januar 1473 in italienischer Sprache ausgefertigte Condotta enthält in nur neun kurzen Absätzen die Regelungen für das überaus weit reichende Vertragswerk. Colleoni sollte für drei Jahre mit 1000 schwerbewaffneten Reitern und 1500 Mann zu Fuß in des Herzogs Dienste treten. Hierfür versprach ihm Karl eine Zahlung von 150000 Dukaten im Jahr, bei einer monatlichen Teilzahlung von 12500 Dukaten. Die Zahlungen sollten aufgenommen werden, wenn Colleoni nach Burgund aufgebrochen war. Im Gegenzug versprach der Herzog Colleoni mit Land und Herrschaft (stato et signoria di paese et terre) nach Maßgabe einer weiteren Urkunde, die aber wohl nicht ausgestellt worden ist, auszustatten. Für Venedig (illustrissima signoria di Venezia), dem Colleoni seit 1431 mit Unterbrechungen diente, enthielt der Vertrag für den Fall eines Angriffs auf den Stadtstaat die Klausel, Colleoni werde durch den Herzog freigestellt, auch wenn Venedig für diesen Fall den Sold übernehmen müsse. Mit der Bestimmung, dass Colleoni, anders als durch Venedig, nahezu keiner Kontrolle durch den Herzog unterworfen sei und der Zubilligung einer geradezu souveränen Stellung mit eigener Gerichtszuständigkeit, zeigte der Herzog zu welchen Zugeständnissen er bereit war, nur um diesen hochgeschätzten Truppenführer in seine Dienste zu bekommen. Wohl kaum eine der überlieferten Condotta enthält so viele bedeutende Zugeständnisse an den Umworbenen wie diese. Venedig hatte zu dieser Zeit keine vertragliche Vereinbarung mit Colleoni, dennoch konnte die Vereinbarung ohne Zustimmung Venedigs nicht zustande kommen. Lange wurde um die Zustimmung gerungen, schließlich beendete der Tod das Abwarten. Durch ein weit ausgebreitetes Spitzelwesen waren die Verhandlungen den beteiligten Parteien bekannt. Nicht zuletzt sind diese Spitzelberichte die erhaltenen Quellen aus denen der Verfasser schöpfen kann. Über die Quellen und die Personen berichtet der Autor in 30 Exkursen, 34 Dokumente ergänzen die Darstellung, Exkurse und Dokumente umfassen etwa 100 Seiten. Ein nachgelassener Vortrag des Privatgelehrten (Dr.) Karl Bittmann (1910-1964) über 'Karl der Kühne und Colleoni' (1957) wird anschließend nach ausführlichen Angaben zur Person und zum Werk Bittmanns kenntnisreich ediert. Durch seine intensiven Archivstudien kannte Bittmann Quellen, die einen besonderen Zugang auf das Verhältnis der beiden Partner erlauben. Gerade die thematische Ähnlichkeit erlaubt es, die unterschiedlichen Sichtweisen herauszuarbeiten. Für Karl den Kühnen waren die Verhandlungen über lange Zeit hinweg nur Teil eines großen Täuschungsvorhabens. Seine Gegner in Paris und Mailand sollten annehmen, er wolle in der Lombardei den Kampf aufnehmen. Tatsächlich betrieb er zu dieser Zeit die Eroberung des Herzogtums Geldern. Colleoni verband mit dem Vertrag die Hoffnung, doch noch, durch Aufteilung des Herzogtums Mailand zwischen Karl dem Kühnen und ihm, zu einer eigenen Herrschaft zu kommen. Venedig hingegen gab Colleoni nicht frei, da es zu dieser Zeit an Kriegswirren in Oberitalien kein Interesse hatte und sicher sein wollte, nach dem Ableben Colleonis sein reiches Erbe antreten zu können. Für das Geschick Venedigs zu ungewöhnlichen Lösungen steht der Umgang mit dem Denkmal für Colleoni: er hatte sich ein Reiterdenkmal zu San Marco erbeten und hoffte damit auf den Markusplatz. Nach seinem Tode wurde das Denkmal bei der Scuola di S. Marco, auf einem etwas abgelegenen kleinen Platz, errichtet.
Im Text bedauert es der Autor, dass Karl der Kühne noch keine ihm angemessene Biographie erhalten hat. Sicher wäre er, nach seiner jahrzehntelangen Forschung zu dem Herzog, ein hochqualifizierter Kenner, jedoch welchen Umfang würde dieses Werk bei diesem Verfasser erreichen?
Das Zusammenwirken von vier großen Handelnden, König Ludwig XI. von Frankreich und Galeazzo Maria Sforza, dem Herzog von Mailand, kamen zu den beiden oben genannten hinzu, prägte Mitteleuropas Geschichte im dritten Quartal des 15. Jahrhunderts nachhaltig. Der Blick, den Paravicini darauf ermöglicht, ist bei einem Feuerwerk von Fakten ein Kabinettstück geschichtlicher Darstellung.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz