Nüchterlein, Jana, Volksschädlinge vor Gericht – die Volksschädlingsverordnung vor den Sondergerichten Berlins (= Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag, Reihe Rechtswissenschaften 74). Tectum, Marburg 2015. XI, 168 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Adolf Hitler stellte mit der Parole „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ das deutsche Volk in den Brennpunkt seiner Politik. Dementsprechend war an sich das Volk zu fördern und jeder Schaden von ihm abzuwenden, was vermutlich alle seine Wähler begrüßten. Plakativ ließen sich Gegner des deutschen Volkes bereits früh als Schädlinge, genauer Volksschädlinge, kennzeichnen, so dass es leicht einleuchten musste, dass sie grundsätzlich zu bekämpfen waren.

 

Mit der zu diesem Zweck geschaffenen Verordnung des Deutschen Reiches beschäftigt sich die vorliegende, von Uwe Hellmann betreute, von der juristischen Fakultät der juristischen Fakultät der Universität Potsdam im Jahre 2013 unter dem Titel  Volksschädlinge vor Gericht – Die Erledigung der Strafverfahren nach der Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939 durch die Sondergerichte am Landgericht Berlin angenommene Dissertation der Verfasserin. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über das methodische Vorgehen und die Versorgungslage der Bevölkerung Berlins in sechs Abschnitte. Sie betreffen die Sondergerichte am Landgericht Berlin, die Verordnung vom 5. September 1939, die Rechtsprechung zur Verordnung, die Beschleunigung des sondergerichtlichen Verfahrens, die Aufhebung der Verordnung und der auf sie gegründeten Urteile und eine Schlussbetrachtung.

 

Im Ergebnis kann die Verfasserin ansprechend feststellen, dass die Volksschädlingsverordnung einen erneuten kriegsbedingten Anstieg der Kriminalität unter allen Umständen verhindern sollte. Dieser Erfolg konnte jedoch nicht erreicht werden, weil viele Menschen zur Sicherung ihres Lebens im Verlaufe des Krieges Straftaten als mehr oder weniger notwendig ansahen. Dessenungeachtet  prüften die erfassten Richter den im Einzelfall vorgeworfenen Sachverhalt genau und beachteten damit die allgemeinen Grundsätze des geltenden formalen und materialen Rechtes.

 

Im Einzelnen folgten Richter in 58 Fällen nicht der Ansicht der Staatsanwaltschaft und lehnten die Anwendung der Verordnung ab. 35 Angeklagte wurden in der Regel aus Mangel an Beweisen freigesprochen. In 148 Fällen wurde die Todesstrafe verhängt, wobei sich in den Registern der Hauptverfahren insgesamt 766 Todesurteile nachweisen lassen.

 

Trotz der durch die Verordnung vorgegebenen Härte zahlreicher Urteile kann die Verfasserin eine durchgängige unbarmherzige Rechtsprechung der Richter des Sondergerichts Berlin nicht feststellen. Umgekehrt lassen die ausgewerteten Entscheidungen auch keine allgemeine Milderung der Schärfe der Volksschädlingsverordnung erkennen. Vielleicht können diese interessanten Ergebnisse durch weitere Untersuchungen noch erhärtet werden.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler