Neumann, Volker, Carl Schmitt als Jurist. Mohr (Siebeck), Tübingen 2015. XVIII, 618 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Carl Schmitt ist trotz oder wegen seiner gebrochenen Lebensgeschichte der deutsche Jurist des 20. Jahrhunderts, der weltweit wohl die größte Aufmerksamkeit erfahren hat. Mit ihm befasste sich auch die 1979 am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Gießen unter dem Titel Der Staat im Bürgerkrieg – Kontinuität und Wandlung des Staatsbegriffs in der politischen Theorie Carl Schmitts angenommene Dissertation des in Pethau bei Zittau 1947 geborenen, zwischen 1967 und 1971 in Rechtswissenschaft an den Universitäten Heidelberg und Frankfurt am Main ausgebildeten, nach der zweiten juristischen Staatsprüfung als Studienleiter an dem evangelischen Studienwerk Villigst tätigen, 1980 zum Professor für Recht an der Fachhochschule Frankfurt am Main und nach der Herstellung deutscher Einheit zunächst 1992 für öffentliches Recht nach Berlin (HU) sowie 1995 auf eine C-4 Professur für öffentliches Recht und Sozialrecht nach Rostock berufenen, daraufhin mit Lehre und Forschung in den Kerngebieten des öffentlichen Rechtes und des Sozialrechts ausgelasteten Verfassers, dem nach Erschöpfung der ersten Auflage Zeit und Motivation für die für eine Neuauflage erforderlichen Überarbeitungen fehlten. Dies änderte sich allerdings mit seiner 2003 erfolgten Rückkehr an die Humboldt-Universität Berlin, in deren Studienschwerpunkt Zeitgeschichte des Rechtes er zwar den Gedanken an eine gründlich überarbeitete Neuauflage der Dissertation fallen ließ, weil nach mehr als 30 Jahren eine Neuauflage zu einem eigenständigen Buch geworden wäre, er aber doch Zeit und Mut zu einem neuen Buch mit neuem Titel fand, das eine Lücke im bisherigen Schrifttum schließt und nicht dem Missverständnis ausgesetzt ist, der Autor würde sich von einer Schöpfung seiner studentenbewegten Jugend distanzieren.

 

Gegliedert ist das nach dem Eintritt in den Ruhestand (2012) fertiggestellte gewichtige Werk in insgesamt acht Abschnitte, die grundsätzlich Biographie und Werkgeschichte vereinen. Sie betreffen nach einer Einführung den staatsrechtlichen Positivismus und den Weimarer Richtungsstreit, Theoretiker staatlicher Dezision sowie Demokratie, Parlamentarismus und Diktatur, Staat, Politik, Verfassungsrecht, Theorie des starken Staates, finstere Zeiten, Völkerrecht und internationale Beziehungen, Ernüchterungen sowie halbherzige Neuanfänge und dreiste Ausreden. Am Ende dieser ausführlichen kritischen Wegbegleitung zieht der Verfasser seinen Schluss.

 

Danach hat Carl Schmitt, abgesehen vom humanitären Völkerrecht, in dem seine Partisanen-Schrift gelegentlich erwähnt wird, im Völkerrecht kaum Spuren hinterlassen. Dagegen hat er nach Ansicht des Verfassers die Systematik der Grundrechtsfunktionen mit dem Vorrang der Eingriffsabwehr, die Annäherung an die Lösung des Rätsels der Schranken-Schranken, die Entdeckung der institutionellen Garantien und die dogmatische Konturierung der Eigentumsfreiheit und Enteignung wesentlich geprägt. Insgesamt hat sich Schmitt durch seine (auch „Nieten“ enthaltenden Arbeiten) im Ergebnis eine bleibende Stellung in der Geschichte des deutschen Staatsrechts gesichert, die ihn hinter Laband und Kelsen einreiht.

 

Nach den produktiven Jahren in Bonn sieht der Verfasser Schmitt in der Endphase der Weimarer Republik mehr als Chefideologen und weniger als Kronjuristen der Präsidialdiktatur. In der zweiten Hälfte des Jahres 1932 wird er zum Parteigänger Papens, der aber in der Präsidialdiktatur keine Zukunft sieht und nach Ausscheiden der Alternative des parlamentarischen Gesetzgebungsstaats Propaganda und Zuarbeiten für das nationalsozialistische Regime liefert. Insgesamt ist er ein zwischen genialen Gedanken und trivialer Geschwätzigkeit wechselnder, allerdings klar gliedernder und strukturierender, von Gegnern als charakterlos eingestufter Antipositivist, dessen Leben und Werk wegen seinen Einbindungen in die vielfältige deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ihn für viele Betrachter interessant erscheinen lassen.

 

Die Grundlagen der Staatsrechtswissenschaft und der Rechtstheorie hat Carl Schmitt nach dem Verfasser nicht gelegt. Demgegenüber könnte dies in der Politikwissenschaft der Fall gewesen sein. Deswegen bedauert es der Autor am Ende seiner gedankenreichen und eindrucksvollen Darstellung, dass es bisher keine Untersuchung über den Beitrag Carl Schmitts zur Begründung der Politikwissenschaft in Deutschland gibt, die aber vielleicht ja noch geschrieben werden kann.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler