Muhr, Rudolf/Peinhopf, Marlene, Wörterbuch rechtsterminologischer Unterschiede Österreich-Deutschland (= Österreichisches Deutsch Sprache der Gegenwart 16). Lang, Frankfurt am Main 2015. 748 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der Bereich an der mittleren Donau wurde seit geschichtlicher Zeit wohl nacheinander von Kelten, Römern und Germanen beherrscht. Dabei entwickelte sich zwischen Lech und Ungarn seit dem 6. Jahrhundert aus verbliebenen Kelten und Römern sowie eingeströmten germanistischen Gruppen das Volk der Bayern. 1156 spaltete es Kaiser Friedrich I. Barbarossa bei seinem Ausgleichsversuch zwischen den von seinem Vorgänger benachteiligten Welfen und den begünstigten verwandten Babenbergern in dem so genannten privilegium minus in zwei Länder auf.
Obwohl beide nach wie vor in dem Heiligen römischen Reich verbunden blieben, entwickelten sie sich doch seit der Verlehnung des Landes durch König Rudolf von Habsburg an seine Söhne im Jahre 1282 unter getrennten Landesherren allmählich auseinander. Verstärkt wurde dieser Vorgang seit der Reformation Martin Luthers von 1517 durch die religiöse Trennung in den lutherischen Norden und den katholischen Süden. Unter Friedrich dem Großen und Maria Theresia kam es sogar zu Kriegen zwischen beiden Staaten, welche die Absonderung Österreichs politisch wie rechtlich beschleunigten, wenn auch das Heilige römische Reich erst unter dem Druck Napoleons 1806 zerbrach.
Danach blieb Österreich zwar in dem Deutschen Bund (1815-1866) mit den übrigen deutschen Staaten verbündet, doch waren sie alle souverän und handelten überwiegend selbständig und nur selten gemeinschaftlich. Dementsprechend blieben nur die großen Entwicklungslinien einheitlich und wichen die Einzelgestaltungen mehr und mehr voneinander ab. Als der Österreicher Adolf Hitler als Reichskanzler des Deutschen Reiches Österreich 1938 wieder in ein Deutsches Reich zurückführte, wurde zwar allseits gejubelt, doch lehnten die Österreicher nach dem Untergang des verbrecherisch handelnden Führers die verantwortungsvolle Gemeinsamkeit mehr und mehr ab.
Als Österreich 1995 der Europäischen Union beitrat, ergab sich ein Nebeneinander von österreichischem Recht und deutschem Recht innerhalb der deutschen Sprache. Österreich fühlte sich mit seinem österreichischen Deutsch neben dem deutschen Deutsch nicht ausreichend repräsentiert. Aus diesem Grund kam es, nachdem Heidemarie Markhardt (im kurzen Vorwort der Herausgeber „H. Markhart“) 2005 über das österreichische Deutsch im Rahmen der EU eine Untersuchung und 2006 ein Wörterbuch der österreichischen Rechts-, Wirtschafts- und Verwaltungsterminologie vorgelegt hatte, im Kontext der Terminologiearbeit der Europäischen Union zum vorliegenden Werk.
Es enthält 2000 österreichische Rechtstermini, die sich in Form oder Inhalt bzw. in Form und Inhalt von Termini des deutschen Rechtssystems unterscheiden. Darüber hinaus bietet es (mit Ausnahme bestimmter spezifischer Fleischteile des Rindes und des Schweines) englische und französische Übersetzungsvorschläge dieser 2000 österreichischen Rechtstermini, weil diese beiden Sprachen neben Deutsch (!) die wichtigsten Amtssprachen sind, so dass das Wörterbuch insgesamt 7960 österreichische, deutsche, englische und französische Rechtsbegriffe umfasst, wobei die Konzepte von 43 österreichischen und 492 deutschen Rechtsbegriffen keine terminologische Entsprechung im jeweils anderen Rechtssystem haben („fehlt“). Insofern ist da Buch zugleich ein Modell für die sieben anderen plurizentrischen Amtssprachen Englisch, Französisch, Griechisch, Niederländisch, Portugiesisch, Schwedisch und Spanisch.
Die erste Version dieses Versuchs, substantielle Unterschiede zwischen zwei verschiedenen, auf einer Sprache basierenden Rechtssystemen zuverlässig auf Grund der Methoden der Terminologiewissenschaft und der Prinzipien der Technologiearbeit der Europäischen Union zu beschreiben, wurde zwischen 2007 und 2010 im Rahmen des von Rudolf Muhr (Gründer und Leiter des Forschungszentrums Österreichisches Deutsch an der Universität Graz) initiierten und geleiteten, von dem Bundeskanzleramt der Republik Österreich finanzierten Projekt ATERM erstellt. 2010 wurden danach rund 1000 Begriffe in die Terminologiedatenbank IATE der Europäischen Union aufgenommen, während 2012 die ATERM-Daten von Tatjana Suprun im Rahmen eines Studienaufenthalts an der Universität Graz aktualisiert wurden. Zwischen August 2014 und Mai 2015 erfolgte zwecks Einarbeitung zwischenzeitlicher gesetzlicher Änderungen eine völlige Neubearbeitung und Erweiterung des ursprünglichen Datenbestands auf 2000 österreichische Termini.
Im Mittelpunkt stand bei dem gesamten Vorhaben die Identifikation und Dokumentation spezifisch österreichischer Rechtsbegriffe, weshalb die im Verlaufe der Bearbeitung am Wörterbuch gefundenen (mehr als 2000) deutschen Rechtsbegriffe ohne österreichische Entsprechung grundsätzlich nicht berücksichtigt wurden. Eine von den deutschen Rechtstermini ausgehende Entsprechungsliste hilft bei dem Auffinden der österreichischen Entsprechungen. Dementsprechend umfasst das vorliegende Wörterbuch nur eine begrenzte Zahl der tatsächlich vorhandenen rechtsterminologischen Unterschiede zwischen dem österreichischen Rechtssystem und dem deutschen Rechtssystem, doch war den Bearbeitern eine umfassendere Beschreibung mit den vorhandenen finanziellen und personellen Mitteln leider nicht möglich.
Dem Vorwort folgen ein Überblick über die 28 verwendeten Abkürzungen (z. B. fem. feminin, mask. maskulin, neut. neutrum, TMQ Termquelle), eine Beschreibung der (Struktur der) Einträge an Hand des Beispiels (ATM) Abhandlungsgericht und eine Erläuterung der Informationen und Abkürzungen. Der Lexikonteil beginnt mit 13. Gehalt und endet mit Zwischenantrag auf Feststellung. Die alphabetische Entsprechungsliste reicht von 2jähriger Vorbereitungsdienst; Bayerische Justizakademie usw. (= Strafvollzugsakademie) bis Zwischenverfügung (Vormerkung; Pränotation) die Liste der österreichischen Rechtstermini ohne deutsche Entsprechung von Abänderungsangebot bis Zwangsverpachtung.
Insgesamt bietet das Werk eine wertvolle Hilfe für das Verständnis der Unterschiede zwischen österreichischer und deutscher Rechtsterminologie. Angesichts der Individualität der Menschen schlechthin ist die dem Einzelnen vielleicht hilfreichere Einheitlichkeit der Terminologie wohl nicht möglich. Vielleicht hat in ferner Zukunft eine einheitliche Weltsprache eines einheitlichen Weltrechts aber doch irgendeine zumindest derzeit noch rein utopische Zukunft.
Innsbruck Gerhard Köbler