Middelberg, Mathias, „Wer bin ich, dass ich über Leben und Tod entscheide?“ Hans Calmeyer – „Rassereferent“ in den Niederlanden 1941-1945. Wallstein, Göttingen 2015. 272 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Hans Georg Calmeyer wurde in Osnabrück am 23. Juni 1903 geboren und starb dort am 3. September 1972. Er studierte Rechtswissenschaft in Freiburg im Breisgau, Marburg und München und nahm 1923 als Mitglied eines rechtsnationalen Freikorps an Adolf Hitlers Versuch eines Putsches teil, verlor aber 1933 seine Zulassung als Rechtsanwalt wegen Betätigung in kommunistischem Sinne für zehn Monate, bis er dem Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (und später dem Bund nationalsozialistischer deutscher Juristen) beitrat. Von 1941 bis 1945 war er während der Besetzung der Niederlande durch das Deutsche Reich ein leitender, auch für die Verfolgung der Juden zuständiger Mitarbeiter Arthur Seyß-Inquarts, der jedoch heimlich inmitten der Vernichtung Juden auch das Leben rettete.
Matthias Middelburg wurde in Osnabrück 1964 geboren und studierte in seiner Heimatstadt Rechtswissenschaft mit wirtschaftswissenschaftlichem Schwerpunkt. Im Jahre 2003 promovierte er über Judenrecht, Judenpolitik und den Juristen Hans Calmeyer in den besetzten Niederlanden. Diese Thematik greift der nach Tätigkeiten als Syndikusanwalt, Beteiligungsmanager, Büroleiter des Wirtschaftssenators Bremens und Leiter des Wirtschaftreferats der Staatskanzlei Niedersachsens 2009 als Mitglieder CDU direkt in den Bundestag gewählte Verfasser im vorliegenden Werk nochmals auf.
Gegliedert ist die eindingliche Studie in insgesamt 16 Abschnitte. Sie beginnen bei Anne Frank und Annes bester Freundin Jacqueline und führen über Hans Calmeyer, die Judenverfolgung in den besetzten Niederlanden, die Registrierung der Juden, rassische Zweifelsfälle, Calmeyers Entscheidungen, die Entscheidungsstelle, die Forderung der SS nach einem Stopp für die Abstammungsprüfungen, „portugiesische Israeliten“, „Mischehen“, das Fadenkreuz der SS, den Verdacht des Abstammungsschwindels sowie die Haft bis zur Rückkehr ins Leben mit der späteren Frage im Urteil der Nachwelt nach „Schindler oder Schwindler“. Nach sorgfältiger Abwägung aller bekannten Umstände gelangt er selbst zu einem positiven Urteil.
Danach war der „Rassereferent“ Hans Calmeyer wissentlich Teil einer Vernichtungsmaschine. Wäre er aber nicht Teil des System geblieben, hätte er niemandem helfen können. Weil er mittat, um zu retten und ratlos blieb, wem er helfen sollte, verdient er Erinnerung als jemand, der zwar kein Übermensch war, aber Mensch in einer Zeit blieb, in der bereits dieses Verhalten eine Leistung war.
Innsbruck Gerhard Köbler