Meinzer, Markus, Steueroase Deutschland. Warum bei uns so viele Reiche keine Steuern zahlen. Beck, München 2015. 288 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der 2007 mit einem Werk über die Zinssteuerrichtlinie der Europäischen Union und Steuerhinterziehung in der Bundesrepublik, 2008 mit einer Studie über Unilateral measures against offshore tax evasion am Beispiel Argentiniens und 2009 mit einer Studie über neue Handelsverträge vor allem am Beispiel des Verhältnisses zwischen der Europäischen Union und Chile literarisch hervorgetretene Verfasser geht zu Beginn seiner plakativ vorgetragenen Überlegungen von den acht Ebenen der Wohltätigkeit des hochmittelalterlichen jüdischen Religionsphilosophen aus. Danach kauft auf der niedrigsten Ebene des Gebens ein Mensch ungern einen Mantel für einen ihn um Hilfe bittenden Menschen, schenkt ihn dem Bittsteller vor Zeugen und erwartet Dank für sein Verhalten. Demgegenüber gibt ein Mensch auf der höchsten Ebene des Gebens offenherzig seinen Mantel, ohne zu wissen, wer ihn erhalten wird, und der Empfänger kennt den Geber nicht, so dass er ihm auch nicht dankbar sein kann.

 

Steuerzahlungen stehen nach dem Vorwort des Verfassers in der Lehre des Maimonides nahe der höchsten Stufe, weil der Steuerzahler den Empfänger nicht kennt und Zeugen sowie Dankbarkeit fehlen, so dass nur die innere Einstellung darüber entscheidet, ob der äußere Zwang oder eine Möglichkeit der Nächstenliebe vorherrschen, was bei den vielen Steuern vermeidenden Reichen in Deutschland ziemlich offenkundig zu sein scheint. Gegliedert ist die schwungvolle Darstellung des als Steueranalysten bei dem Tax Justice Network (Netzwerk Steuergerechtigkeit) wirkenden Verfassers in acht Abschnitte. Sie betreffen Steueroasen allgemein, die Steuerfluchtburg Deutschland, die Geldwäsche made in Germany, die Steuertricks der Konzerne, staatliche Schwäche als Standortfaktor, Abgründe der deutschen Steuerjustiz, Interessenkonflikte und die fragwürdige Ewigkeit unter Palmen. Danach gelten von insgesamt 91 problematischen Kandidaten vor allem die Bahamas, die Bermudas, die Kaiman Inseln, Guernsey, Jersey, Malta und Panama als Steueroasen, doch ist auch Deutschland – nicht nur bei Abgaswerten und Fußballweltmeisterschaften – kaum so selbstlos und unangreifbar, wie es sich am liebsten selbst sieht.

 

Im Ergebnis befürwortet der Verfasser in seiner vielfältigen und kenntnisreichen Studie eine Absage an die Steueroase Deutschland und an die Teilnahme an einem Unterbietungswettlauf, den kein Beteiligter als Gewinner verlassen kann. Er lehnt eine weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Spaltung der Gesellschaft ab und schlägt die Schaffung neuer Spielräume für angemessene Umverteilung vor. Zwar ist die Suche danach, warum so viele Reiche (unter den insgesamt egoistischen Menschen) keine Steuern zahlen, durchaus erhellend, doch deutet die Vielzahl der Beteiligten an diesen komplexen und frequenten Vorgängen darauf hin, dass auch in der Zukunft der Weg von der niedrigsten Ebene des Gebens zur höchsten Ebene weit und so wenig begehrt sein wird, dass Zwang und Vermeidung auch weiterhin wichtige Plätze in der menschlichen Gesellschaft einnehmen werden und im Übrigen die zur Steuer gezwungenen Reichen sich über den Markt bei den Umverteilungsbegünstigten (oder unteren 99 Prozent?) wieder entschädigen werden.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler